VwGH 2011/04/0178

VwGH2011/04/017811.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Zirm, über die Beschwerde der

1. Marktgemeinde S vertreten durch den Bürgermeister K sowie der Beschwerdeführer 2. bis 60., alle in S, alle vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 29. August 2011, Zl. BMWFJ-66.100/0149-IV/9/2011, betreffend Bewilligung zur Herstellung (Errichtung) einer Aufschlussbohrung nach dem MinroG (mitbeteiligte Partei: A-AG, vertreten durch Onz Onz Kraemmer Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), den Beschluss gefasst:

Normen

12010E267 AEUV Art267;
31985L0337 UVP-RL AnhI Z14;
31985L0337 UVP-RL Art2 Abs1;
31985L0337 UVP-RL Art4 Abs1;
62007CJ0002 Paul Abraham VORAB;
62008CJ0205 Umweltanwalt Kärnten / Kärntner Landesregierung VORAB;
62009CJ0275 Brussels Hoofdstedelijk Gewest VORAB;
ASchG 1994 §94 Abs2;
MinroG 1999 §1 Z1;
MinroG 1999 §1 Z2;
MinroG 1999 §119;
UVPG 2000 §2 Abs2;
UVPG 2000 §39;
UVPG 2000 Anh1 Z29 lita;
UVPG 2000 Anh1 Z29 litc;
12010E267 AEUV Art267;
31985L0337 UVP-RL AnhI Z14;
31985L0337 UVP-RL Art2 Abs1;
31985L0337 UVP-RL Art4 Abs1;
62007CJ0002 Paul Abraham VORAB;
62008CJ0205 Umweltanwalt Kärnten / Kärntner Landesregierung VORAB;
62009CJ0275 Brussels Hoofdstedelijk Gewest VORAB;
ASchG 1994 §94 Abs2;
MinroG 1999 §1 Z1;
MinroG 1999 §1 Z2;
MinroG 1999 §119;
UVPG 2000 §2 Abs2;
UVPG 2000 §39;
UVPG 2000 Anh1 Z29 lita;
UVPG 2000 Anh1 Z29 litc;

 

Spruch:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Testförderung von Erdgas, die im Rahmen einer Aufschlussbohrung zur Erforschung der Wirtschaftlichkeit einer dauerhaften Gewinnung von Erdgas durchgeführt wird, um eine "Gewinnung von … Erdgas zu gewerblichen Zwecken" nach Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 5.7.1985, S. 40, in der Fassung der Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009, ABl. L 140 vom 5.6.2009, S. 114 (Richtlinie 85/337 )?

Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage bejaht wird, werden folgende weitere Fragen gestellt:

2. Steht Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, welche bei der Gewinnung von Erdgas die in Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 genannten Schwellenwerte nicht an die Gewinnung an sich, sondern an die "Förderung pro Sonde" knüpft?

3. Ist die Richtlinie 85/337 dahin auszulegen, dass die Behörde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas im Rahmen einer Aufschlussbohrung beantragt wird, zur Feststellung, ob eine Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nur alle gleichartigen Projekte, konkret alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen, auf ihre kumulative Wirkung zu prüfen hat?

Begründung

I. Sachverhalt und Ausgangsverfahren:

1. Angefochtener Bescheid:

1.1. Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend (belangte Behörde) vom 29. August 2011 wurde der A-AG (mitbeteiligte Partei) gemäß § 119 Mineralrohstoffgesetz (MinroG) und § 94 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz die Bewilligung zur Herstellung (Errichtung) der Aufschlussbohrung "Jagdhub 1" auf den Grundstücken Nr. 3515 (Bohrpunkt) und Nr. 3516 in der Katastralgemeinde B, Marktgemeinde S, Bundesland X, unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Die vor dem Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: Beschwerdeführer) sind im Bewilligungsverfahren die Standortgemeinde und Nachbarn im Sinne des MinroG.

Die erteilte Bewilligung an die mitbeteiligte Partei umfasst die Errichtung des Bohrplatzes und der Zufahrt, die Aufstellung und Demontage der Bohranlage, die Durchführung der Bohrtätigkeit, die Aufstellung und Demontage der Testanlage, die Durchführung der Testarbeiten, die Durchführung des Rückbaus der von der Bohranlage benötigten Fläche und der Rekultivierungsmaßnahmen im Falle der Nichtfündigkeit, die Durchführung des Rückbaus der von der Bohranlage benötigten Fläche auf die Dimensionen des künftigen Sondenplatzes und die Rekultivierungsmaßnahmen in Randbereichen im Falle der Fündigkeit. Die voraussichtliche Bohrtiefe beträgt ca. 4150 m.

Bei Fündigkeit umfasst die Bewilligung auch eine Testförderung von Erdgas mit einer Gesamtmenge von bis zu 1.000.000 m3, um die Wirtschaftlichkeit der Bohrung nachzuweisen. Dabei sollen 150.000 bis 250.000 m3/Tag gefördert werden. Das geförderte Gas wird in weiterer Folge am Bohrplatzrand abgefackelt. Ein Anschluss an eine Erdgashochdruckleitung ist nicht vorgesehen. Bei Fündigkeit erfolgt weiters (in weitaus geringeren Mengen) eine Testförderung von Erdöl und Erdölbegleitgas (maximal 150 m3 bzw. 18.900 m3/Tag).

1.2. In der Begründung des Bescheides führte die belangte Behörde - soweit vorliegend wesentlich - aus, beim gegenständlichen Projekt handle es sich um eine geplante Bohrung mit mehr als 300 Meter Tiefe, weshalb sie gemäß § 119 MinroG bewilligungspflichtig sei. Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten (Lärmschutz und Luftreinhaltung) seien bei Einhaltung der im Projekt vorgesehenen Vorkehrungen und bei Erfüllung der vorgeschriebenen Auflagen die entstehenden Emissionen nach dem besten Stand der Technik begrenzt.

Zu den von den Beschwerdeführern im Verfahren rechtzeitig erhobenen Einwendungen, mit denen eine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) geltend gemacht wurden, führte die belangte Behörde aus, beim vorliegenden Bewilligungsverfahren handle es sich um die Erteilung der Bewilligung zur Herstellung (Errichtung) der Bohrung "Jagdhub 1" gemäß § 119 MinroG. Die bereits in der Vergangenheit bewilligten Bohrungen, Sonden sowie sonstigen Bergbauanlagen und die künftig allfällig noch vorzulegenden Projekte seien nicht Gegenstand des Ansuchens der mitbeteiligten Partei.

Nicht "Bohrungen" sondern die "Förderung" von Kohlenwasserstoffen ab bestimmten Schwellenwerten sei nach den Bestimmungen des (österreichischen) Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000) UVPpflichtig (Hinweis auf Anhang 1 Z. 29 lit. a und c des UVP-G 2000). Unter "Förderung von Erdöl und Erdgas" werde nur das (originäre) "Gewinnen", somit das "Lösen oder Freisetzen mineralischer Rohstoffe und die damit zusammenhängenden vorbereitenden, begleitenden und nachfolgenden Tätigkeiten" nach § 1 Z. 2 MinroG verstanden. Aufschlussbohrungen hingegen dienten dem Aufsuchen von mineralischen Rohstoffen, worunter gemäß § 1 Z. 1 MinroG nicht nur jede mittelbare und unmittelbare Suche nach mineralischen Rohstoffen, sondern auch das Erschließen und Untersuchen natürlicher Vorkommen mineralischer Rohstoffe zum Feststellen der Abbauwürdigkeit zu verstehen sei.

Aufschlussbohrungen würden als Erstbohrungen in unbekannte geologische Bereiche "abgeteuft" und dienten ausschließlich der Erkundung bzw. Erforschung der Gesteinsformationen. Der Zweck von Aufschlussbohrungen liege auch in der Bestätigung der im Rahmen der Seismik gewonnenen Erkenntnisse und erarbeiteten geologischen Interpretationen. Würden im Zuge einer Aufschlussbohrung Kohlenwasserstoffe angetroffen und gelänge bei den hiernach folgenden Testarbeiten der Nachweis der Wirtschaftlichkeit für eine Gewinnung, so sei für eine Gewinnung der Kohlenwasserstoffe die Vormerkung eines eigenen Gewinnungsfeldes zu beantragen (siehe §§ 73 ff MinroG). Erst nach Vormerkung eines entsprechenden Gewinnungsfeldes und Durchführung eines weiteren Genehmigungsverfahrens gemäß § 119 MinroG hinsichtlich der Herstellung (Errichtung) einer Fördersonde dürften die durch die Aufschlussbohrung angetroffenen Kohlenwasserstoffe gefördert werden. Erst dann könne der Tatbestand in Anhang 1 Z. 29 lit. a oder c UVP-G 2000 überhaupt einschlägig sein.

Wie das Ermittlungsverfahren ergeben hätte, sollten geringe Mengen allfällig angetroffener Kohlenwasserstoffe zu Testzwecken auch (im Rahmen der Aufsuchtätigkeiten) "gefördert" werden. Diese Fördermengen lägen aber - schon aufgrund der Auslegung der Testanlagen - jedenfalls unter den Anhang 1 Z. 29 lit. a oder c UVP-G 2000 genannten Schwellenwerten.

Eine den Tatbestand des Anhang 1 Z. 13 UVP-G 2000 betreffende Rohrleitung werde im gegenständlichen Fall nicht errichtet. Aus der Behauptung, dass bestehende - nach dem Gaswirtschaftsgesetz genehmigte - Leitungen UVP-pflichtig gewesen wären, könne im vorliegenden Fall nichts gewonnen werden.

Die Behörde habe daher im vorliegenden Fall die Prüfung der UVP-Pflicht auf die Bohrung "Jagdhub 1" selbst zu beschränken gehabt, welche wie ausgeführt nicht UVP-pflichtig sei.

2. Beschwerde:

Die Beschwerdeführer machen in ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dagegen unter anderem geltend, die belangte Behörde sei zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zuständig gewesen, da es sich bei der gegenständlichen Bohrung um ein UVP-pflichtiges Vorhaben handle (nach der österreichischen Rechtslage - siehe unter Pkt. V.1. - bestehen für die Genehmigung UVP-pflichtiger Vorhaben spezielle Zuständigkeitsvorschriften).

Aufgrund einer Vielzahl von im Gemeindegebiet S bereits realisierten Vorhaben in Zusammenhang mit Erdgasförderung, Erdgasspeicherung und Erdgastransport sowie der Länge der vorhandenen Erdgasleitungen hätte schon bisher eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden müssen. Alle diese Vorhaben stünden in einem räumlichen und funktionellen Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Vorhaben. Der weite Vorhabensbegriff des § 2 Abs. 2 UVP-G 2000 erfordere es, ein oder mehrere Projekte in seiner bzw. ihrer Gesamtheit und unter Einbeziehung jener Anlagen und Anlagenteile, die an sich nicht UVPpflichtig wären, zu beurteilen.

Die gegenständliche Bohrung befinde sich in diesem Gebiet, das bereits durch eine Vielzahl an Bohrungen (im Gemeindegebiet der Marktgemeinde S mehr als 30 Bohrungen) aufgeschlossen sei. Es gebe eine Vielzahl von fündig gewordenen Bohrungen, die hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen bis heute nicht gesamthaft im Sinne des UVP-G 2000 beurteilt worden seien. Die geförderten Erdgasmengen lägen bei Berechnung je Standort über den Schwellenwerten des Anhang 1 Z. 29 lit. a UVP-G 2000. Diese Bestimmung enthalte eine unzulässige von der Richtlinie 85/337 nicht vorgesehene Einschränkung der Schwellenwerte auf die Sonde und nicht auf den Standort. Diese richtlinienwidrige Einschränkung hätte zur Folge, dass eine nahezu unbegrenzte Erdgasförderung bei entsprechender Anzahl von Sonden in einem Gemeindegebiet ohne UVP durchgeführt werden könnte.

Das (bei Fündigkeit) geförderte Erdgas müsse gespeichert und zum Verbraucher transportiert werden, sodass jede Bohrung, also auch die gegenständliche, Teil des Gesamtvorhabens Förderung, Speicherung und Transport von Erdgas sei. Im gegenständlichen Fall sei daher jedenfalls eine UVP durchzuführen, nach Auffassung der Beschwerdeführer bereits aufgrund der Länge einer Erdgashochdruckleitung, die von der Erdgaslagerstätte im Gemeindegebiet H bis zum Übergabepunkt Ü an der Staatsgrenze und darüber hinaus in das deutsche Staatsgebiet reiche, was in den bisherigen Feststellungsbescheiden (betreffend die Beurteilung einer UVP-Pflicht) nicht berücksichtigt wurde, sowie aufgrund des Zusammenhangs des nunmehr gegenständlichen Vorhabens mit weiteren, bereits realisierten Vorhaben im Bereich der Marktgemeinde S. Es liege auch ein gemeinsamer Betriebszweck sowie ein räumlicher Zusammenhang der verschiedenen Anlagen vor.

3. Gegenschrift der mitbeteiligten Partei:

Die mitbeteiligte Partei bringt in ihrer Gegenschrift hiezu vor, bei der bewilligten Aufschlussbohrung handle es sich nicht um die Förderung von Erdgas, sondern um die Erkundung, ob überhaupt ein förderungswürdiges Vorkommen an Erdgas gegeben sei. Erst bei Herstellung (Errichtung) einer Fördersonde wäre eine Förderung gegeben. Ein räumlicher und sachlicher Zusammenhang mit den von den Beschwerdeführern angeführten Erdgashochdruckleitungen sei nicht gegeben. Es sei korrekt, dass im Gemeindegebiet von S 32 Bohrungen durchgeführt ("abgeteuft") worden seien. Ob mit den im Gemeindegebiet geförderten Erdgasmengen insgesamt der Schwellenwert des UVP-G 2000 überschritten sei, sei aber irrelevant, weil das UVP-G 2000 ausdrücklich vorsehe, dass der Schwellenwert pro Sonde überschritten werden müsse. Die Sonden in S stellten aber jeweils eigenständige Gewinnungsanlagen dar. II. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts:

Im Ausgangsverfahren ist die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 5.7.1985, S. 40, in der Fassung der Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009, ABl. L 140 vom 5.6.2009, S. 114, maßgebend. Der kodifizierte Text der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011, ABl. L 26, vom 28.1.2012, S. 1, ist im Beschwerdefall nicht maßgeblich, da diese nach Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten ist (vgl. Art. 15). Die entscheidenden Bestimmungen sind aber durch die Kodifizierung nicht geändert worden (vgl. Anhang I Nr. 14).

Art. 4 Abs. 1 und Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 lauten:

"Artikel 4

(1) Projekte der in Anhang I aufgeführten Klassen werden vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 3 einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen.

Anhang I

Projekte nach Artikel 4 Absatz 1

14. Gewinnung von Erdöl und Erdgas zu gewerblichen Zwecken mit einem Fördervolumen von mehr als 500 t/Tag bei Erdöl und von mehr als 500 000 m3/Tag bei Erdgas."

III. Die maßgeblichen Bestimmungen des nationalen Rechts:

Anhang 1 des (österreichischen) Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000, BGBl. Nr. 697/1993 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2009 (UVP-G 2000), lautet auszugsweise:

"Der Anhang enthält die gemäß § 3 UVP-pflichtigen Vorhaben. In Spalte 1 und 2 finden sich jene Vorhaben, die jedenfalls UVP-pflichtig sind und einem UVP-Verfahren (Spalte 1) oder einem vereinfachten Verfahren (Spalte 2) zu unterziehen sind. Bei in Anhang 1 angeführten Änderungstatbeständen ist ab dem angeführten Schwellenwert eine Einzelfallprüfung durchzuführen; sonst gilt § 3a Abs. 2 und 3, außer es wird ausdrücklich nur die 'Neuerrichtung', der 'Neubau' oder die 'Neuerschließung' erfasst. In Spalte 3 sind jene Vorhaben angeführt, die nur bei Zutreffen besonderer Voraussetzungen der UVP-Pflicht unterliegen. Für diese Vorhaben hat ab den angegebenen Mindestschwellen eine Einzelfallprüfung zu erfolgen. Ergibt diese Einzelfallprüfung eine UVP-Pflicht, so ist nach dem vereinfachten Verfahren vorzugehen. Die in der Spalte 3 genannten Kategorien schutzwürdiger Gebiete werden in Anhang 2 definiert. Gebiete der Kategorien A, C, D und E sind für die UVP-Pflicht eines Vorhabens jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn sie am Tag der Antragstellung ausgewiesen sind.

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Die wesentlichsten Bestimmungen des (österreichischen) Mineralrohstoffgesetzes 1999, BGBl. I Nr. 38 in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010 (MinroG), lauten:

"§ 1. Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

1. 'Aufsuchen' jede mittelbare und unmittelbare Suche nach mineralischen Rohstoffen einschließlich der damit zusammenhängenden vorbereitenden Tätigkeiten sowie das Erschließen und Untersuchen natürlicher Vorkommen mineralischer Rohstoffe und solche enthaltender verlassener Halden zum Feststellen der Abbauwürdigkeit;

2. 'Gewinnen' das Lösen oder Freisetzen (Abbau) mineralischer Rohstoffe und die damit zusammenhängenden vorbereitenden, begleitenden und nachfolgenden Tätigkeiten;

Bewilligung von Bergbauanlagen

§ 119. (1) Zur Herstellung (Errichtung) von obertägigen Bergbauanlagen sowie von Zwecken des Bergbaus dienenden von der Oberfläche ausgehende Stollen, Schächten, Bohrungen mit Bohrlöchern ab 300 m Tiefe und Sonden ab 300 m Tiefe ist eine Bewilligung der Behörde einzuholen. … "

IV. Zur Vorlageberechtigung:

Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes angefochten werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung des von ihm zu beurteilenden Beschwerdefalles die im gegenständlichen Ersuchen um Vorabentscheidung angeführten und im Folgenden näher erörterten Fragen der Auslegung des Unionsrechts stellen. Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens (und den vom Verwaltungsgerichtshof zu dieser Frage eingeholten Stellungnahmen) ist das Ausgangsverfahren nicht gegenstandslos geworden, weil die genehmigte Aufschlussbohrung noch nicht abgeschlossen bzw. noch nicht vollständig rückgebaut wurde und der Verwaltungsgerichtshof daher weiter über den angefochtenen Bescheid zu entscheiden hat.

V. Erläuterung zu den Vorlagefragen:

1. Zur ersten Vorlagefrage:

1.1. Im Ausgangsverfahren ist zu beurteilen, ob die mit dem angefochtenen Bescheid genehmigte Aufschlussbohrung samt Testförderung als Projekt nach Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu unterziehen gewesen wäre.

Dies ist im Ausgangsverfahren schon deshalb von Bedeutung, weil eine UVP von der nach dem UVP-G 2000 zuständigen Landesregierung und nicht von der belangten Behörde nach dem MinroG durchzuführen gewesen wäre (§ 39 UVP-G 2000).

Der Verwaltungsgerichtshof hegt keine Zweifel daran, dass die Aufschlussbohrung samt Testförderung ein Projekt, wie in Art. 1 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 85/337 definiert, darstellt (vgl. zu diesem Begriff etwa das Urteil des EuGH vom 28. Februar 2008 in der Rechtssache C-2/07 , Abraham u.a., Slg. 2008, I-01197, Randnr. 23).

Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 müssen Projekte der in Anhang I der Richtlinie 85/337 angeführten Klassen vorbehaltlich des Art. 2 Abs. 3 einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 der Richtlinie 85/337 unterzogen werden. Zu den unter Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 fallenden Projekten gehört nach Anhang I Nr. 14 die "Gewinnung von Erdöl und Erdgas zu gewerblichen Zwecken mit einem Fördervolumen von mehr als 500 t/Tag bei Erdöl und von mehr als 500 000 m3/Tag bei Erdgas".

Nun ist im Ausgangsverfahren fraglich, ob es sich bei der genehmigten Testförderung überhaupt um die Gewinnung von Erdgas handelt. Die belangte Behörde verneint dies, stellt aber alleine auf die nationalen Begriffe des MinroG ab (vgl. aber zur autonomen Auslegung von Begriffen des Unionrechts in Zusammenhang mit der Richtlinie 85/337 das Urteil des EuGH vom 14. März 2013 in der Rechtssache C-420/11 , Leth, Randnr. 24). Hervorzuheben ist, dass auch bei der vorliegenden Testförderung - wenn auch nur zu Testzwecken - Erdgas gewonnen bzw. (nach dem Wortlaut des UVP-G 2000) gefördert wird, sodass eine Gewinnung von Erdgas iSd Anhanges I Nr. 14 vorliegen könnte (die beabsichtigte Testförderung von Erdöl in geringen Mengen kann nach Lage des Falles dahinstehen).

Fraglich ist aber auch, ob diese Gewinnung - wie in der Richtlinie (nicht aber im österreichischen UVP-G 2000) vorgesehen -

"zu gewerblichen Zwecken" erfolgt: Dagegen sprechen könnte, dass das bei der Aufschlussbohrung geförderte Gas nur dem Nachweis der Wirtschaftlichkeit einer späteren Gewinnung und nicht unmittelbar und an sich gewerblichen Zwecken dient. Das geförderte Gas wird an den Bohrplatzrand geführt und dort abgefackelt. Jedoch spricht für das Vorliegen gewerblicher Zwecke letztlich die Zielsetzung auch der Testförderung, die einer Vorbereitung einer Gewinnung zu gewerblichen Zwecken dient.

Gegen die Einordnung der Testförderung unter Anhang I Nr. 14 spricht, dass es sich nach den Erwägungsgründen der Richtlinie 85/337 bei Projekten, die im Anhang I der Richtlinie 85/337 aufgezählt sind, um Projekte mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt handeln soll. Dies könnte bedeuten, dass nur fortwirkende negative Auswirkungen auf die Umwelt zu überprüfen sind, wie dies über Monate und Jahre hinweg betriebene Fördersonden zur Folge haben. In diese Richtung weisen auch die in Anhang I der Richtlinie 85/337 angeführten Schwellenwerte, die sich grundsätzlich auf Großprojekte bzw. auf Jahreswerte beziehen. Das im Ausgangsverfahren bewilligte Gesamtvolumen der Testförderung von bis zu 1.000.000 m3 Erdgas entspricht aber nur jener Menge, die eine UVP-pflichtige Förderung nach Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 in (weniger als) zwei Tagen fördert.

Nur wenn die erste Vorlagefrage zu bejahen ist, stellt sich die Frage, ob die vorliegende Aufschlussbohrung samt Testförderung in Zusammenschau mit anderen gleichartigen Projekten die Schwellenwerte der Richtlinie 85/337 übersteigt.

2. Zur zweiten Vorlagefrage:

Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 wurde durch Anhang 1 Z. 29 lit. a UVP-G 2000 in österreichisches Recht umgesetzt. UVPpflichtig ist demnach die Förderung von Erdöl oder Erdgas mit einer Kapazität von mindestens 500 t/d pro Sonde bei Erdöl und von mindestens 500 000 m3/d pro Sonde bei Erdgas.

In Abweichung vom Wortlaut der Richtlinie 85/337 verlangt der österreichische Gesetzgeber keine "gewerbliche Nutzung" und stellt bei der "Förderung" von Erdöl oder Erdgas (welche nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes gleichbedeutend mit der in der Richtlinie genannten "Gewinnung" ist) auf den (in der Richtlinie genannten) Schwellenwert "pro Sonde" ab.

Dies ist im Ausgangsverfahren deshalb von Bedeutung, weil die Beschwerdeführer vorbringen, alle Förderungen (alle Sonden) im Gemeindegebiet zusammengenommen würden den Schwellenwert überschreiten. Die Beschwerdeführer verweisen auch darauf, dass die Umsetzung der Schwellenwerte pro Sonde eine richtlinienwidrige Einschränkung darstelle. Die mitbeteiligte Partei beruft sich hingegen auf die Umsetzung pro Sonde und bringt vor, aus diesem Grund müsse nicht geprüft werden, ob die im Gemeindegebiet geförderten Erdgasmengen insgesamt den Schwellenwert überschreiten würden.

Die Richtlinie 85/337 sieht in Anhang 1 Nr. 14 eine Feststellung des Schwellenwertes pro Sonde nicht vor. Aus diesem Grund wird in der österreichischen Literatur kritisiert, dass die Schwellenwerte nach dem UVP-G 2000 pro Sonde zu prüfen seien, während nach der Richtlinie 85/337 die Fördermenge für einen Förderungsstandort zu verstehen seien (vgl. Ennöckl/Raschauer/Bergthaler, UVP-G3, Rz. 1 zu Anhang I Z. 29, und Baumgartner/Petek, UVP-G 2000, 424). Andere Literaturmeinungen gehen davon aus, dass der unionsrechtliche Spielraum durch die Konkretisierung auf die Sonde nicht überschritten werde (vgl. Schmelz/Schwarzer, UVP-G Anhang 1 Z. 29, Rz. 5).

Aus Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 geht hervor, dass die Gewinnung von Erdöl oder Erdgas zu "gewerblichen Zwecken" erfolgen muss. Eine örtliche Bezugsgröße auf die sich die Fördermenge bezieht, scheint die Richtlinie nicht zu enthalten. Auch steht den Mitgliedstaaten anders als bei Projekten nach Anhang II der Richtlinie 85/337 gemäß Art. 4 Abs. 1 bei Projekten nach Anhang I kein Wertungsspielraum zu. Daher stellt sich die Frage nach der Grundlage, die in Anhang I Nr. 14 genannten Schwellenwerte auf die einzelne Sonde einzuschränken.

3. Zur dritten Vorlagefrage:

Diese Vorlagefrage ist im Ausgangsverfahren von Bedeutung, weil die genehmigte Aufschlussbohrung samt Testförderung für sich genommen den in Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 genannten Schwellenwert nicht überschreitet. So beträgt die maximale Durchflussmenge der Testanlage 250.000 m3/Tag (während der Schwellenwert 500.000 m3/Tag beträgt).

Jedoch ist nach dem Vorbringen der Parteien im Ausgangsverfahren unstrittig, dass im Gebiet der Standortgemeinde mindestens 30 Sonden zur Förderung von Erdgas bestehen.

Die belangte Behörde stellt sich dagegen im angefochtenen Bescheid auf den Standpunkt, sie habe sich bei der Prüfung der Verpflichtung zur Durchführung einer UVP auf die beantragte Aufschlussbohrung zu beschränken und trifft aus diesem Grund keine Feststellungen zu den in der Standortgemeinde sonst bestehenden Förderungen von Erdgas. Dem Verwaltungsgerichtshof ist aus einem weiteren bei ihm anhängigen Verfahren (zur hg. Zl. 2012/04/0117) gerichtsbekannt, dass der mitbeteiligten Partei zwischenzeitlich im Gebiet der Standortgemeinde die Herstellung (Errichtung) einer weiteren Aufschlussbohrung (Bohrung "Rilling 1A") bewilligt wurde (diese Aufschlussbohrung ist zwischenzeitlich bereits durchgeführt und abgeschlossen).

Nach der Rechtsprechung des EuGH darf das Ziel der Richtlinie 85/337 nicht durch eine Aufsplitterung von Projekten umgangen werden und darf die Nichtberücksichtigung der kumulativen Wirkung von Projekten nicht zur Folge haben, dass die Projekte insgesamt der Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung entzogen werden, obwohl sie zusammengenommen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 haben können (vgl. etwa die Urteile des EuGH vom 17. März 2011 in der Rechtssache C-275/09 , Brussels Hoofdstedelijk Gewest u.a., Slg. 2011, I-01753, Randnr. 36, und vom 10. Dezember 2009 in der Rechtssache C-205/08 , Umweltanwalt von Kärnten gegen Kärntner Landesregierung, Randnr. 53).

Aus dieser Rechtsprechung folgt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes die Verpflichtung der belangten Behörde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas oder Erdöl im Rahmen einer Aufschlussbohrung beantragt wird, zur Feststellung, ob eine Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nur alle gleichartigen Projekte, konkret alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen, auf ihre kumulative Wirkung zu prüfen.

Hingegen besteht in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine Verpflichtung der belangten Behörde, nicht gleichartige Projekte, konkret die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Erdgashochdruckleitungen, auf ihre kumulative Wirkung mit der beantragten Aufschlussbohrung zu prüfen.

4. Da die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht als derart offenkundig erscheint, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. hierzu das Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache C-283/81 , Srl C.I.L.F.I.T. und andere, Slg. 1982, 3415) werden die eingangs formulierten Vorlagefragen gemäß Art. 267 AEUV mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Wien, am 11. September 2013

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