VwGH 2011/23/0263

VwGH2011/23/026319.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der Z, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. Mai 2008, Zl. SD 1467/06, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine 1969 geborene kroatische Staatsangehörige, reiste erstmals im Jahr 1986 nach Österreich ein, wo sie seither lebt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 8. Mai 2008 wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe sich bis Mai 1992 auf Grund erteilter Sichtvermerke im Bundesgebiet aufgehalten, die ihr im Hinblick auf Verpflichtungserklärungen ihrer Eltern bzw. ihre Tätigkeit als Tänzerin erteilt worden seien. 1993 sei sie von der Bundespolizeidirektion Wien rechtskräftig bestraft worden, weil sie sich vom 1. Mai 1992 bis 4. Jänner 1993 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Von Jänner bis Juli 1993 habe sie wieder über einen auf Grund einer Verpflichtungserklärung erteilten Sichtvermerk verfügt. Am 31. Mai 1995 sei sie in Wien mangels Aufenthaltsberechtigung für das Bundesgebiet festgenommen worden. Kurze Zeit später, am 25. Juli 1995, habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet, jedoch erst am 8. Juni 1999 einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt; diese sei ihr in der Folge befristet bis zum 29. Juni 2001 erteilt worden. Bereits zuvor, im Jahr 1997, sei sie abermals rechtskräftig wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet (von Juli 1993 bis Dezember 1997) bestraft worden; ebenso infolge Verabsäumens des Stellens eines Verlängerungsantrags für den Zeitraum vom 30. Juni 2001 bis 28. Dezember 2003. Erst über ihren Antrag vom 29. Dezember 2003 auf Erteilung eines Niederlassungsnachweises sei ihr nochmals eine bis 31. März 2005 gültige Niederlassungsbewilligung erteilt worden. Ihr Verlängerungsantrag vom 30. September 2005 sei jedoch von der Aufenthaltsbehörde zurückgewiesen worden. Mittlerweile sei diese Ehe der Beschwerdeführerin rechtskräftig geschieden. Nach ihrem Berufungsvorbringen lebe sie seit März 2005 mit einem (anderen) österreichischen Staatsbürger im gemeinsamen Haushalt. An dessen Adresse sei sie auch gemeldet.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin über keinen Aufenthaltstitel verfüge, weshalb die Voraussetzungen für die Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG vorlägen. Wegen des langjährigen - wenn auch großteils unrechtmäßigen - Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet sei mit der Ausweisung zweifellos ein Eingriff in ihr Privatleben verbunden. Dennoch sei die Ausweisung zur Erreichung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziels der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dringend geboten. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Einhaltung komme ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen diese habe die Beschwerdeführerin massiv verstoßen und durch ihr Verhalten deutlich gemacht, dass sie keinerlei Bedenken habe, sich über die maßgeblichen fremdenpolizeilichen Regelungen geradezu beharrlich hinwegzusetzen. Selbst mehrere Bestrafungen wegen unrechtmäßigen Aufenthalts hätten sie nicht dazu veranlassen können, sich rechtskonform zu verhalten. Dass sie im Jahr 1998 ihre Eltern und einen Bruder verloren habe, stelle zwar einen bedauerlichen Schicksalsschlag dar, könne aber ihren jahrelangen unrechtmäßigen Aufenthalt nicht erklären. So sei sie auch Ladungen ab November 1994 zur Klärung ihres aufenthaltsrechtlichen Status nicht nachgekommen und habe vom 31. Juli 1993 bis 8. Juni 1999, somit beinahe sechs Jahre lang, nicht einmal den Versuch unternommen, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Da sie in den letzten 15 Jahren - mit Unterbrechungen - lediglich drei Jahre lang im Besitz von Aufenthaltstiteln gewesen sei, kämen auch die Bestimmungen des § 55 FPG nicht zum Tragen.

Im Rahmen ihrer Interessenabwägung führte die belangte Behörde aus, dass sich die Beschwerdeführerin weder auf familiäre noch auf berufliche Bindungen zum Bundesgebiet berufen könne. Sie sei von ihrem Ehemann geschieden und lediglich von März 2000 bis Februar 2001 und im Juli 2004 als Angestellte sowie in den Jahren 1990 und 1991 als Tänzerin beschäftigt gewesen. Vor diesem Hintergrund hätten die privaten Interessen der Beschwerdeführerin gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund zu treten. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass sie seit drei Jahren mit einem österreichischen Staatsbürger im gemeinsamen Haushalt lebe, sei diese Beziehung doch zu einem Zeitpunkt begründet worden, als sie über keinen Aufenthaltstitel mehr verfügt bzw. es verabsäumt habe, die Verlängerung desselben zu beantragen. Auf Grund der Rechtslage sei es ihr auch nicht möglich, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Abschließend verneinte die belangte Behörde die Möglichkeit, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens eine Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu treffen und verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass diese über keine eigenen Unterhaltsmittel verfüge und auch nicht vorgebracht habe, keine Bindungen mehr zu ihrem Heimatland zu haben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Mai 2008) geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Die Beschwerdeausführungen wenden sich u.a. gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung nach § 66 FPG, womit sie eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids aufzeigen.

Die belangte Behörde ging in diesem Zusammenhang lediglich von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das "Privatleben" aus und verneinte ausdrücklich auch familiäre Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet. Hinsichtlich der Beziehung zu deren (neuen) Lebensgefährten führte die belangte Behörde bloß aus, dass die Beschwerdeführerin mit diesem Mann seit drei Jahren im gemeinsamen Haushalt lebe, die Beziehung jedoch zu einem Zeitpunkt begründet habe, als sie über keinen Aufenthaltstitel mehr verfügt habe.

Diese Argumentation wird der Situation der Beschwerdeführerin in mehrfacher Weise nicht gerecht.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt ist, sondern auch faktische Familienbindungen erfasst, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. das Erkenntnis vom 23. Februar 2011, Zl. 2008/23/0517; siehe auch das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0197, mwN). Das hat die belangte Behörde verkannt, indem sie ungeachtet der festgestellten, seit drei Jahren bestehenden Lebensgemeinschaft von einem bloßen Eingriff in das Privatleben ausgegangen ist.

Im Übrigen hat auch ein während unsicheren Aufenthaltsstatus entstandenes Familienleben schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass diesem überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2010/21/0009).

Vor allem kommt aber im vorliegenden Fall der Aufenthaltsdauer entscheidende Bedeutung zu. Der belangten Behörde ist zwar zuzustimmen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Soweit die belangte Behörde der Beschwerdeführerin unter diesem Gesichtspunkt insbesondere vorhielt, dass sie den Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung erst vier Jahre nach dem maßgeblichen Ereignis der Eheschließung gestellt habe, ist dazu jedoch festzuhalten, dass dieser Umstand bei Bescheiderlassung bereits etwa neun Jahre zurücklag und der Beschwerdeführerin danach auch noch Aufenthaltstitel erteilt wurden. Vor allem wurde aber in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen ausgegangen (siehe etwa das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0605, mwN).

Davon kann aber im vorliegenden Fall, angesichts des (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids) bereits etwa 22-jährigen Aufenthalts der - unbescholtenen - Beschwerdeführerin in Österreich und des von ihr dabei aufgebauten Privat- und Familienlebens keine Rede sein. Mag auch eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit nur in geringem Ausmaß vorgelegen haben, so war sie langjährig mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und offenbar im Haushalt tätig. Sie befand sich überdies bei Bescheiderlassung - wie erwähnt - bereits drei Jahre wieder in einer Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsbürger. Insgesamt ist das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund daher von Umständen gekennzeichnet, die ihre Ausweisung unverhältnismäßig erscheinen lassen.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf den Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die gewährte Verfahrenshilfe abzuweisen.

Wien, am 19. Jänner 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte