VwGH 2010/21/0443

VwGH2010/21/044328.8.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des A in G, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen Spruchpunkt II. des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 1. Oktober 2010, Zl. E1/2386-2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste im März 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte hier einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 23. Mai 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz 1997 für zulässig. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. September 2007 abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen eingebrachten Beschwerde mit Beschluss vom 19. Dezember 2007, Zl. 2007/20/1424, ab.

In der Folge wies die Bundespolizeidirektion Graz den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 11. Juni 2008 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus Österreich aus. Mit dem nunmehr bekämpften Spruchpunkt II. des Bescheides vom 1. Oktober 2010 - mit Spruchpunkt I. wurde einem Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers im Instanzenzug stattgegeben - gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) der dagegen erhobenen Berufung, unter ergänzender Bezugnahme auf § 66 Abs. 1 und 2 FPG, keine Folge.

Begründend führte die belangte Behörde im Ergebnis - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, dass sich der Beschwerdeführer nunmehr (seit endgültiger Erledigung seines Asylverfahrens) unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß, die Ausweisung des Beschwerdeführers sei somit zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich hätten demgegenüber - unter Berücksichtigung der Kriterien des § 66 Abs. 2 FPG - zurückzutreten. Er befinde sich insgesamt ca. siebeneinhalb Jahre, "wovon ein Zeitraum von 2 Jahren und ca. 8 Monaten als unrechtmäßiger Aufenthalt zu Buche schlägt", in Österreich, verfüge hier über keine familiären Bindungen und lasse "im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Privatlebens" keine besonders zu berücksichtigende wirtschaftliche Integration erkennen. Gemäß seinem Vorbringen sei der Beschwerdeführer bereits kurz nach seiner Einreise als Werbemittel- und Zeitungsverteiler auf der Basis von Werkverträgen selbständig erwerbstätig gewesen und verfüge demgemäß über eine gesicherte berufliche Position; nach der Aktenlage sei er jedoch erst seit Mai 2010 versichert. Aktenkundig sei weiter eine Wohnmöglichkeit in einem Missionshaus sowie eine Kursbesuchsbestätigung über einen Deutschkurs für Anfänger I. Insgesamt könne die belangte Behörde dem Beschwerdeführer daher "derzeit lediglich einen geminderten Grad an sozialer aber auch wirtschaftlicher und sprachlicher Integration zubilligen".

Wenn der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - auf seine schwierige Situation für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria hinweise, sei ihm zu entgegnen, dass ihm eine Reintegration nichtsdestotrotz zumutbar sei, zumal es sich bei ihm "um einen erwachsenen Menschen handelt" und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt worden sei. Wohl sei der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten, doch widerstreite sein Aufenthalt nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens den öffentlichen Interessen. Er habe bis dato keine Initiative gesetzt, ein nationales Reisedokument seines Heimatstaates zu erlangen. Insgesamt erweise sich damit die Ausweisung des Beschwerdeführers als dringend geboten, und zwar trotz des damit einhergehenden Eingriffes in sein Privatleben. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens der Ungewissheit seines weiteren rechtlichen Schicksals habe bewusst sein müssen und im Hinblick auf die "keinesfalls besonders stark ausgeprägte Selbsterhaltungsfähigkeit", könne dem Aufbau eines Freundeskreises, dem Erwerb deutscher Sprachkenntnisse und der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers kein entscheidendes Gewicht zukommen. Auch das der Behörde eingeräumte Ermessen habe nicht zu seinen Gunsten ausgeübt werden können.

Über die gegen diesen Bescheidabspruch erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der bekämpfte Bescheid auf Basis der bei seiner Erlassung geltenden Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist. Soweit im Folgenden von Bestimmungen des FPG die Rede ist, wird daher auf die im Oktober 2010 gültige Fassung Bezug genommen.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2010/21/0495, mwN).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er sich nunmehr rechtswidrig im Bundesgebiet aufhält und insoweit den Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt. Er verweist jedoch einerseits auf einen Antrag nach § 44 Abs. 4 NAG, über den bei Erlassung des bekämpften Bescheides noch nicht entschieden worden sei, und macht andererseits geltend, dass die gebotene Interessenabwägung zu Unrecht zu seinen Lasten vorgenommen worden sei.

Was zunächst den erstgenannten Gesichtspunkt anlangt, so ist dem Beschwerdeführer zu erwidern, dass ein anhängiges Verfahren nach § 44 Abs. 4 NAG der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegensteht und dass die Behörde auch unter dem Gesichtspunkt des Ermessens nicht verpflichtet war, mit der Ausweisung bis zur rechtskräftigen Beendigung dieses Verfahrens zuzuwarten. Diesbezüglich kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der hg. Erkenntnisse vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0214, und vom 15. Dezember 2011, Zl. 2010/21/0139, verwiesen werden. Der Beschwerdeführer vermag nichts aufzuzeigen, was fallbezogen zu einer anderen Beurteilung führen könnte. Im Übrigen räumt er selbst ein, dass sein Antrag nach § 44 Abs. 4 NAG mittlerweile mit Bescheid vom 7. Oktober 2010 abgewiesen wurde.

Was die Abwägung nach § 66 FPG anlangt, so tritt der Beschwerdeführer zunächst der behördlichen Auffassung entgegen, sein Verbleib in Österreich nach rechtskräftiger Erledigung seines Asylverfahrens stelle eine maßgebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung dar. Er sei nicht nach Österreich gekommen, um sich hier niederzulassen, sondern um hier um Asyl anzusuchen. Sein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet sei alleine auf die von ihm nicht beeinflussbare Länge seines Asylverfahrens zurückzuführen, was ausschließlich von der Republik Österreich zu verantworten sei. Auch seine seinerzeitige illegale Einreise könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Dieses Vorbringen ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer einen letztlich unberechtigten Asylantrag stellte und durch seinen weiteren Verbleib in Österreich dem geltenden Einwanderungsregime widerspricht. Im Hinblick auf das Ergebnis des Asylverfahrens ist ihm aber auch die 2003 erfolgte illegale Einreise als relevanter Verstoß gegen das Einwanderungsrecht anzulasten. Allein die Länge des Asylverfahrens - zumal die erstinstanzliche Entscheidung bereits wenig mehr als zwei Monate nach der Einreise des Beschwerdeführers erging - vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stellt sein Gesamtverhalten somit eine relevante Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Es trifft aber auch zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Das hat, anders als der Beschwerdeführer meint, auch der Verfassungsgerichtshof in seiner Judikatur zum Ausdruck gebracht (siehe zum Ganzen das ein ähnliches Beschwerdevorbringen behandelnde hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2011, Zl. 2009/21/0045).

Das sich nach dem Gesagten ergebende öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers hatte die belangte Behörde, wie bereits eingangs ausgeführt, unter Bezugnahme auf alle Umstände des Einzelfalles gegen die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers - über familiäre Bindungen verfügt er unstrittig nicht - abzuwägen. Die in diesem Sinn von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung ist aber weder grundsätzlich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.3. der Entscheidungsgründe) noch in ihrer konkreten Ausgestaltung zu beanstanden. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Umstände (siebeneinhalbjähriger Aufenthalt in Österreich, ortsübliche Unterkunft, gute Sprachkenntnisse, ein großer Freundes- und Bekanntenkreis, Interesse für die österreichische Kultur und Lebensart sowie Identifizierung mit dem in Österreich geltenden politischen System und seinen demokratischen Werten) sind nämlich auch in Verbindung mit der weiter ins Treffen geführten, auf Werkvertragsbasis ausgeübten selbständigen Tätigkeit des Beschwerdeführers als Werbemittel- und Zeitungsverteiler insgesamt nicht von einem solchen Gewicht, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von seiner Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen. Dass ihm angesichts der aufgezeigten Umstände eine Integration in Österreich nicht abgesprochen werden kann, stellt dieses Ergebnis nicht in Frage. Zum in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, ist jedenfalls festzuhalten, dass nichts aufgezeigt wird, was über das schon Gesagte hinaus zu Gunsten des Beschwerdeführers hervorgekommen wäre. Dem Vorbringen aber, es hätte eine persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers stattfinden müssen, ist zu entgegnen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. dazu das schon erwähnte hg. Erkenntnis Zl. 2010/21/0495). Die noch ergänzend angesprochene Einvernahme eines Zeugen wurde im Verwaltungsverfahren nicht beantragt.

Dass es bei der Abwägung nach § 66 FPG nur auf das tatsächliche Bestehen der maßgeblichen Umstände und auf den erworbenen Integrationsgrad ankommt, hat der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen. Er hat außerdem der auch in der gegenständlichen Beschwerde vertretenen These, die in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien seien an die spezifische Situation von Asylwerbern anzupassen bzw. unterschiedlich zu gewichten, bereits eine Absage erteilt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, Punkt 2.2.2.1. der Entscheidungsgründe).

Bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich war im Sinn des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG auch zu berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Der insoweit gegebene unsichere Aufenthaltsstatus lag ungeachtet dessen vor, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers, wie von ihm vorgebracht, keinesfalls aussichtslos bzw. offensichtlich unbegründet gewesen war (vgl. in diesem Kontext abermals die schon angesprochenen hg. Erkenntnisse zur Zl. 2010/21/0139 sowie zur Zl. 2010/21/0495).

Zusammenfassend ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK - in Anwendung des § 66 FPG - nicht als unzulässigen Eingriff in sein Privatleben angesehen hat. Dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist und dass er bei einer Rückkehr nach Nigeria insbesondere wegen des Fehlens jeglicher Anknüpfungspunkte und der dort vorherrschenden schlechten wirtschaftlichen Lage schwierige Bedingungen vorfinden werde, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 28. August 2012

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