VwGH 2010/21/0139

VwGH2010/21/013915.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des I in T, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 1. April 2010, Zl. E1/170757/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrÄG 2009;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
NAG 2005 idF 2009/I/122;
VwRallg;
B-VG Art130 Abs2;
FrÄG 2009;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
NAG 2005 idF 2009/I/122;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 28. Oktober 2002 nach Österreich ein und stellte hier einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde erstinstanzlich am 26. Juni 2003 gemäß §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 abgewiesen, einer dagegen erhobenen Berufung gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. Juli 2009 keine Folge.

Mit dem nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 1. April 2010 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) den Beschwerdeführer daraufhin gemäß §§ 31, 53 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftiger Beendigung seines Asylverfahrens im Juli 2009 rechtswidrig in Österreich aufhalte, weil ihm weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Er befinde sich "seit ca. sieben Jahren " im Bundesgebiet und gehe hier einer Erwerbstätigkeit nach. Ihm sei daher eine "entsprechende Integration" zuzugestehen.

Jedoch werde das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgebend dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt während des Asylverfahrens nur auf Grund eines Antrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er sein Privatleben während eines Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Ebenso relativiere sich die berufliche Integration, weil der Beschwerdeführer bereits bei Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit gewusst habe, dass er lediglich über eine temporäre Aufenthaltsberechtigung verfüge.

Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - habe allenfalls einen großen Freundeskreis, jedoch keine Verwandten in Österreich und halte sich seit etwa neun Monaten unrechtmäßig hier auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß, weshalb die Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle (nämlich) einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde (demnach) schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das selbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund habe auch von dem der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessen nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht werden können, weil das ihm vorwerfbare Fehlverhalten (mehrmonatiger illegaler Aufenthalt) die von ihm geltend gemachte Integration (Aufenthalt seit 2002 und Erwerbstätigkeit) überwiege.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer hält sich seit rechtskräftiger Beendigung seines Asylverfahrens unbestritten unrechtmäßig in Österreich auf. Der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011) ist daher erfüllt.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) aber nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Unter diesem Gesichtspunkt tritt der Beschwerdeführer zunächst der behördlichen Auffassung entgegen, sein Verbleib in Österreich nach rechtskräftiger Erledigung seines Asylantrages stelle eine maßgebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung dar. Er habe nämlich am 10. September 2009 einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG eingebracht; gemäß § 44 Abs. 5 letzter Satz NAG (in der zum Entscheidungszeitpunkt anzuwendenden Fassung nach dem FrÄG 2009) gelten Verfahren nach § 44 Abs. 4 NAG aber als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen habe. Insoweit liege somit eine Gesetzeslage vor, die den jeweiligen Fremden dazu zwinge, einen illegalen Aufenthalt in Österreich in Kauf zu nehmen, um seine rechtlichen Interessen zu wahren. Daraus ergebe sich, dass der Gesetzgeber einem geordneten Fremdenwesen nicht die große Bedeutung zumesse, die ihm nach Ansicht der belangten Behörde zukomme.

Diesen Überlegungen ist zu erwidern, dass im gegebenen Zusammenhang ein anhängiges Verfahren nach § 44 Abs. 4 NAG - und demnach auch eine damit einhergehende Auswirkung auf die öffentliche Ordnung in der vom Beschwerdeführer aufgezeigten Art - erst in der Phase des Vollzugs einer Ausweisung (allenfalls) Bedeutung erlangen kann (siehe in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0214, auf dessen Begründung insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass § 44 Abs. 5 letzter Satz NAG gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt und deshalb mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Februar 2011, G 201/10, als verfassungswidrig aufgehoben wurde. Dass das vom Beschwerdeführer angestrengte Verfahren nach § 44 Abs. 4 NAG mittlerweile negativ beendet wurde (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2010/21/0187), sei nur mehr der Vollständigkeit halber erwähnt.

Mit der belangten Behörde ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer einen letztlich unberechtigten Asylantrag stellte und durch seinen Verbleib in Österreich dem geltenden Einwanderungsregime widerspricht. Allein die Länge des Asylverfahrens - zumal die erstinstanzliche Entscheidung bereits wenige Monate nach der Einreise des Beschwerdeführers erging - vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern; mit der Konstellation, die dem - aufhebenden - Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2010, B 950 bis 954/10, zu Grunde lag, lässt sich der vorliegende Fall nicht vergleichen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stellt sein Gesamtverhalten somit eine relevante Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Es trifft aber auch zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, Punkt 2.2.2.2. der Entscheidungsgründe).

Das sich nach dem Gesagten ergebende öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers hatte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles gegen die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers - familiäre Interessen an einem Verbleib in Österreich wurden nicht geltend gemacht - abzuwägen. Die in diesem Sinn von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung ist aber nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer führt in diesem Zusammenhang zwar erkennbar seinen mehr als siebenjährigen Aufenthalt in Österreich, einen großen Freundeskreis, "sprachliche Integration" und seine aufrechte legale Beschäftigung in Österreich ins Treffen. Diese Umstände, die im Übrigen nur - teilweise - von der erstinstanzlichen Behörde, nicht aber auch im bekämpften Bescheid in Frage gestellt wurden (vgl. dazu aber auch das schon erwähnte Beschwerdeverfahren zu Zl. 2010/21/0187, in dem unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer seit 1. November 2009 keiner Beschäftigung mehr nachgeht), sind jedoch insgesamt nicht von einem solchen Gewicht, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen.

Bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde im Sinn des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG auch berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Diesbezüglich war auch die Annahme der belangten Behörde gerechtfertigt, spätestens nach der Erlassung der erstinstanzlichen, den Asylantrag abweisenden Entscheidung Ende Juni 2003 sei sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen. Daran vermag die in der Beschwerde insoweit betonte sechsjährige Dauer des asylrechtlichen Berufungsverfahrens nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nichts zu ändern (vgl. auch dazu das schon genannte, einen insoweit ähnlichen Fall betreffende Erkenntnis vom 21. Dezember 2010). Dass dem erwähnten Bewusstsein in einem Fall wie dem vorliegenden maßgebliche Bedeutung zukommt, vermag der Beschwerdeführer auch unter Berufung auf Judikatur des EGMR und des Verfassungsgerichtshofes nicht mit Erfolg in Frage zu stellen. Bei dem in diesem Zusammenhang genannten, die Ehefrau eines in Österreich niedergelassenen deutschen Staatsangehörigen betreffenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Jänner 2010, U 2369/09, VfSlg. 18.984, handelt es sich im Übrigen offenbar von vornherein um ein Fehlzitat. Aber auch aus dem möglicherweise gemeinten Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, B 19/09, VfSlg. 18.962, aus dem offenkundig zitiert wird, lässt sich nicht das gewünschte Ergebnis ableiten, hatte es doch den - mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbaren - Fall eines seit 1999 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten Fremden, über dessen noch 1999 (im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997) gestellten Niederlassungsantrag erst 2008 entschieden worden war, zum Gegenstand.

Im gegebenen Zusammenhang ist es letztlich aber auch nicht entscheidend, welche subjektiven Erwartungen der Beschwerdeführer hinsichtlich des Verlaufs seines Asylverfahrens hatte und ob erst eine Lageänderung in seinem Herkunftsstaat Pakistan zu der letztlich negativen Beurteilung seines Antrages führte. Angesichts der schon im Juni 2003 ergangenen erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages ändert das nämlich nichts daran, dass die aufenthaltsrechtliche Situation in Österreich als bloß vorläufig und keinesfalls als gesichert angesehen werden musste.

In Anbetracht des bisher Gesagten kommt es auf die - von der belangten Behörde selbst gar nicht näher aufgeworfene - Frage nach bestehenden Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatland (§ 66 Abs. 2 Z 5 FPG) nicht mehr entscheidend an. Dass sich die Eltern des Beschwerdeführers, seine Ehefrau und seine drei Kinder dort befinden, was jedenfalls für Bezugspunkte nach Pakistan spricht, räumt allerdings auch die, aktuelle Kontakte in Abrede stellende Beschwerde ein.

Zusammenfassend ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in sein Privatleben angesehen hat. Auch die Ermessensübung durch die belangte Behörde begegnet keinen Bedenken. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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