VwGH 2009/13/0164

VwGH2009/13/016428.11.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Senatspräsidenten Dr. Fuchs sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerden des Finanzamtes Wien 1/23 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen die beiden Bescheide des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 21. Juli 2009, GZ. RV/0966-W/06, betreffend Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988 für das Jahr 2002, und GZ. RV/1262-W/06, betreffend Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988 für das Jahr 2003 (mitbeteiligte Partei: E GmbH in M, vertreten durch die KPMG Alpen-Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51), zu Recht erkannt:

Normen

EStG §108e Abs2;
EStG §108e Abs2;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei errichtete in den Streitjahren eine thermische Abfallverwertungsanlage (Müllverbrennungsanlage). Strittig ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ob bzw. inwieweit die dabei errichteten Baulichkeiten die Kriterien eines Gebäudes im Sinne des § 108e EStG 1988 erfüllten und damit nicht den Anspruch auf Zuerkennung der befristeten Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e leg. cit. vermittelten.

Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Nachschau gemäß § 144 BAO vertrat der Prüfer die Ansicht, dass bisher von der Mitbeteiligten als "Maschineneinhausungen" den prämienbegünstigten Wirtschaftsgütern zugerechnete Baulichkeiten die Qualifikation als Gebäude gemäß § 108e Abs. 2 EStG zukomme. Im Einzelnen handelte es sich dabei um den "Müllbunker", das "Kesselhaus", die "Rauchgasreinigungsanlage inkl. Kamine", die "DENOX-Anlage inkl. Ammoniaklager", die "Schlacke- und Manipulationshalle", das "Wiegehaus" und die "Gasdruckregelanlage".

Die Mitbeteiligte erhob gegen die auf der Grundlage der Feststellungen des Prüfers ergangenen Festsetzungsbescheide betreffend Investitionszuwachsprämie für die Jahre 2002 und 2003 Berufung. Darin bekämpfte die Mitbeteiligte die Wertung der in Rede stehenden Baulichkeiten (mit Ausnahme des "Wiegehauses") als Gebäude im Sinne des Einkommensteuerrechts.

Mit den beiden (im Wesentlichen gleich lautend begründeten) angefochtenen Bescheiden gab die belangte Behörde den Berufungen Folge.

Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei - so die belangte Behörde in ihren Erwägungen - zum Gebäudebegriff im Sinne des EStG 1988 zu entnehmen, dass nach der Verkehrsauffassung unter einem Gebäude jedes Bauwerk zu verstehen sei, das durch räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewähre, den Eintritt von Menschen gestatte, mit dem Boden fest verbunden und von einiger Beständigkeit sei. Es sei davon auszugehen, dass es sich dabei um eine taxative Aufzählung handle. Sämtliche im jeweils zu beurteilenden Einzelfall gegebenen Sachverhaltselemente seien weiters mit Blickrichtung auf die Verkehrsauffassung zu beurteilen. Es sei daher zu untersuchen, ob die zu der Müllverbrennungsanlage gehörigen strittigen baulichen Teile nach der Auffassung einer Mehrheit urteilsfähiger (vernünftig denkender), persönlich unbeteiligter und verständiger Menschen "Bauwerke" darstellten, ob eine "feste Verbindung mit dem Boden" und "einige Beständigkeit" gegeben sei, ob die "Möglichkeit des Eintrittes von Menschen" (egal in welcher Bekleidung) bestehe und ob eine "räumliche Umfriedung, die Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt" vorhanden sei.

Hinsichtlich Bauweise und Funktionsbeschreibung könne den Ausführungen in der Berufungsschrift gefolgt werden. Mit der von der Mitbeteiligten betriebenen Anlage sei ein Konzept zur thermischen Verwertung der nicht weiter zu verwertenden energiereichen Abfallkomponenten, des so genannten Restmülls, verwirklicht worden, wobei durch die Kombination von Müllverbrennung und dem nahe gelegenen Kohlekraftwerk die Nutzung der Energie im Abfall zur Erzeugung von Strom ermöglicht worden sei. Es könne im konkreten Fall einer Müllverbrennungsanlage mit einer Tageskapazität von rd. 1.500 Tonnen nicht bezweifelt werden, dass die im Zusammenhang mit der Erteilung der Genehmigung zur Errichtung dieser Anlage getroffenen behördlichen Anordnungen zur Fundamentierung und Ummantelung der technischen Betriebsvorrichtungen im Interesse der Gewährleistung eines bestmöglichen Schutzes der Bevölkerung und der Umwelt und somit im öffentlichen Interesse erfolgt seien. Dafür spreche insbesondere auch der von der Mitbeteiligten vorgebrachte Umstand, dass die technische Funktionsfähigkeit von Anlagenteilen auch ohne die Ausführung der behördlich angeordneten baulichen Maßnahmen prinzipiell gegeben wäre. Aus dem Umstand, dass die betreffenden baulichen Teile der Müllverbrennungsanlage auf Grund behördlicher Anordnung hätten errichtet werden müssen, könne allerdings nicht unmittelbar geschlossen werden, dass es sich um keine Gebäude im Sinne des EStG 1988 handle. Es sei daher anhand der dargestellten Rechtslage zu untersuchen, ob die zur Müllverbrennungsanlage gehörigen baulichen Teile, nämlich "Müllbunker, Kesselhaus, Rauchgasreinigungsanlage und DENOX-Anlage, Kamin, Schlacken- und Manipulationshalle und Gasdruckregelanlage" sowie (für 2003 zusätzlich) die "Fundamente für die Containerentladestation (Gleisanlage)", nach der Verkehrsauffassung Gebäude im Sinne des EStG 1988 darstellten. Dabei sei generell darauf Bedacht zu nehmen, dass im Fall einer Müllverbrennungsanlage besondere Umstände vorlägen. Es sei zu berücksichtigen, dass mit einer solchen Anlage ein Gefahrenpotential für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt verbunden sei, weshalb im öffentlichen Interesse Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt getroffen werden müssten. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass solchen Anlagen von "diversen Akteursgruppen" über die wissenschaftlich fundierten Aussagen zum Gefahrenpotential hinausgehende Risiken zugeschrieben würden, was zusätzlich zur Sensibilisierung der Bevölkerung beitrage. Dass die im Fall einer Müllverbrennungsanlage gegebenen besonderen Umstände die öffentliche Meinung und folglich die Verkehrsauffassung in einem nicht unerheblichen Ausmaß beeinflussten, müsse daher als soziale Tatsache gewertet und entsprechend berücksichtigt werden.

Hinsichtlich der genannten einzelnen Bauwerke wird sodann in den angefochtenen Bescheiden die angesprochene Untersuchung vorgenommen und (soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren noch von Bedeutung) beispielsweise zur "Beurteilung des Kesselhauses" Folgendes ausgeführt:

"Betreffend Bauweise und Funktionsbeschreibung wird auf die im Sachverhaltsteil dieser Berufungsentscheidung dargestellten Ausführungen der (Mitbeteiligten) in der Berufungsschrift verwiesen. Demnach ist davon auszugehen, dass hinsichtlich der baulichen Teile des Kesselhauses das Vorliegen der gemäß Rechtsprechung und Lehre nach der Verkehrsauffassung für die Qualifizierung als Gebäude relevanten Merkmale 'Bauwerk', 'feste Verbindung mit dem Boden', 'einige Beständigkeit' und 'Möglichkeit des Eintrittes von Menschen' von einer Mehrheit urteilsfähiger (vernünftig, denkender), persönlich unbeteiligter und verständiger Menschen bejaht wird. Es kann jedoch nicht angenommen werden, dass das Vorliegen des Merkmales 'räumliche Umfriedung, die Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt' von einer Mehrheit urteilsfähiger (vernünftig denkender), persönlich unbeteiligter und verständiger Menschen im Falle des Kesselhauses (Fundamentierung und Einhausung jenes Anlagenabschnittes, in dem die thermische Behandlung des Mülls stattfindet) bejaht wird. Kein diesen Anforderungen entsprechender Mensch wird ernsthaft behaupten, dass mit diesen baulichen Teilen der Müllverbrennungsanlage die Intention verbunden wäre, die im Inneren des Kesselhauses befindlichen bzw. die durch den Betrieb der Anlage entstehenden schädlichen Stoffe unterschiedlicher Aggregatzustände oder fallweise eintretende Arbeiter vor äußeren Einflüssen zu schützen. Dass das im Inneren des Kesselhauses Befindliche und die fallweise eintretenden Arbeiter durch die baulichen Teile vor äußeren Einflüssen, wie insbesondere Witterungseinflüssen, geschützt werden, ist wohl auch zutreffend, kann jedoch im gegebenen Kontext nur als unbeachtlicher Nebenaspekt gewertet werden. Anhand der Beschreibung von Bauweise und Funktion des Kesselhauses ist nachvollziehbar, dass mit der behördlichen Anordnung zur Errichtung der baulichen Teile, der Fundamentierung und Einhausung, der Zweck der Abschirmung dieses Anlagenteiles nach außen hin verbunden war. Die betreffenden baulichen Teile dienen zweifellos in erster Linie der Vermeidung des Austrittes von schädlichen Stoffen sowie der Vermeidung von Lärmbelästigungen. Denn bei einem Kesselhaus einer Müllverbrennungsanlage steht angesichts der gesundheits- und umweltgefährdenden Komponenten der durch die Vorgänge im Inneren entstehenden Stoffe und des Lärmes der Schutz der außerhalb eines solchen unbeweglichen Wirtschaftsgutes befindlichen Menschen, Tiere und Sachen eindeutig im Vordergrund. Aufgrund der oben dargelegten besonderen Situation bei Müllverbrennungsanlagen und der daraus resultierenden erhöhten Sensibilität der Bevölkerung ist anzunehmen, dass die überwiegende Mehrheit der BürgerInnen den Lebensraum außerhalb einer solchen Anlage durch stabile Fundamentierungen der Anlagenteile und entsprechende Einhausungen abgeschirmt wissen möchte. Daher wäre es lebensfremd anzunehmen, eine Mehrheit urteilsfähiger (vernünftig denkender), persönlich unbeteiligter und verständiger Menschen könnte die Vorstellung haben, die Fundamentierung und die Einhausung jenes Anlagenteiles, in welchem die thermische Behandlung des Mülls erfolgt, würden dem Schutz des im Inneren Befindlichen dienen. Da somit das für das Vorliegen eines Gebäudes im Sinne des EStG 1988 erforderliche Merkmal 'räumliche Umfriedung, die Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt' nach der Verkehrsauffassung nicht als gegeben angenommen werden kann, ist die Versagung der Investitionszuwachsprämie für das Kesselhaus durch die BP nicht zu Recht erfolgt."

Beinahe wortident zu den Ausführungen zum "Kesselhaus" argumentiert die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden auch zur "Beurteilung der Rauchgasreinigungsanlage und der DENOX-Anlage" sowie zur "Beurteilung der Schlacken- und Manipulationshalle".

Die rechtliche Würdigung des vorliegenden Sachverhaltes führe somit nach Ansicht der belangten Behörde zu dem Ergebnis, dass es sich bei den gegenständlichen baulichen Teilen der Müllverbrennungsanlage zwar um unbewegliche Wirtschaftsgüter handle, nicht jedoch um Gebäude im Sinne des EStG 1988. Daher sei die Investitionszuwachsprämie in der von der Mitbeteiligten beantragten Höhe zu gewähren.

Mit den vom Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobenen Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide insoweit bekämpft, als die belangte Behörde das "Kesselhaus", die "Rauchgasreinigungsanlage und DENOX-Anlage" sowie die Schlacken- und Manipulationshalle" als prämienfähige Wirtschaftsgüter und nicht als Gebäude beurteilt hat. Da die angeführten einzelnen baulichen Teile der Müllverbrennungsanlage "während des laufenden Betriebsvorganges betreten werden können, die Ummantelung nicht nur der darin befindlichen Anlage selbst, sondern auch den eventuell eintretenden Arbeitern Schutz vor äußeren Einflüssen bietet, mit dem Boden fest verbunden sind und von einiger Beständigkeit sind, liegen alle von der Rechtsprechung geforderten Merkmale für ein Gebäude vor".

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften sowohl durch die belangte Behörde als auch die Mitbeteiligte erwogen:

Für den Investitionszuwachs prämienbegünstigter Wirtschaftsgüter konnte in den Streitjahren gemäß § 108e Abs. 1 EStG 1988 eine befristete Investitionszuwachsprämie von 10 % geltend gemacht werden. Nicht zu den prämienbegünstigten Wirtschaftsgütern zählten u.a. Gebäude (§ 108e Abs. 2 EStG 1988).

Die Beurteilung, ob ein Gebäude vorliegt, erfolgt nach dem Maßstab der Verkehrsauffassung. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich, dass nach der Verkehrsauffassung unter einem Gebäude jedes Bauwerk zu verstehen ist, das durch räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, den Eintritt von Menschen gestattet, mit dem Boden fest verbunden und von einiger Beständigkeit ist (vgl. die ebenfalls zu § 108e Abs. 2 EStG 1988 ergangenen hg. Erkenntnisse vom 21. September 2006, 2006/15/0156, VwSlg. 8165/F, vom 25. Oktober 2006, 2006/15/0152, VwSlg. 8174/F, und vom 24. Mai 2012, 2009/15/0171). Dabei hat allerdings die Zweckbestimmung des Bauwerks unberücksichtigt zu bleiben, weil ansonsten die räumliche Umschließung von Betriebsanlagen stets als wirtschaftlicher Teil der Betriebsvorrichtung anzusehen wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. April 2009, 2007/15/0307, VwSlg. 8439/F, und vom 16. Dezember 2009, 2007/15/0305, VwSlg. 8502/F).

Das für die Beurteilung eines Bauwerkes als Gebäude notwendige Kriterium der Schutzgewährung gegen äußere Einflüsse ist in diesem Sinne nur so zu verstehen, dass durch bauliche (vollständige) räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt wird (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2012, 2009/15/0171, betreffend den Zubau eines Wintergartens). Wenn die belangte Behörde dem gegenüber in den angefochtenen Bescheiden ausgehend von der Zweckbestimmung ("Intention") der in Rede stehenden Bauwerke in Richtung Schutz der Umwelt vor den anlagebedingten Emissionen die Gebäudeeigenschaft verneint hat, hat sie damit die Rechtslage verkannt.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wien, am 28. November 2013

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