VwGH 2009/12/0203

VwGH2009/12/020315.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Thoma, Dr. Pfiel und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Khorramdel, über die Beschwerde der MH in B, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 22. Oktober 2009, Zl. BMWFJ- 205.882/0018-Pers/2/2009, betreffend Entfall der Bezüge gemäß § 12c Abs. 1 Z 2 GehG, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §51 Abs2;
GehG 1956 §12c Abs1 Z2 idF 2002/I/087;
BDG 1979 §51 Abs2;
GehG 1956 §12c Abs1 Z2 idF 2002/I/087;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auch auf das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2008, Zl. 2008/12/0034, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde einer Beschwerde gegen einen Bescheid der belangten Behörde vom 14. Jänner 2008, mit welchem diese einen Antrag der Beschwerdeführerin vom 20. November 2006 auf Versetzung in den Ruhestand abgewiesen hatte, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin stand bis zu ihrem gemäß § 21 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (im Folgenden: BDG 1979), mit Ablauf des Juni 2010 bewirkten Austritt in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Ihre Dienstbehörde ist die belangte Behörde. Da letztere die Auffassung vertrat, in Ansehung des Zeitraumes zwischen 25. März und 6. April 2009 lägen bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des § 12c Abs. 1 des Gehaltsgesetzes, BGBl. Nr. 54/1956 (im Folgenden: GehG), verfügte sie die Einstellung der Bezüge nach dieser Gesetzesbestimmung.

Am 23. April 2009 beantragte die Beschwerdeführerin die ungekürzte Auszahlung ihrer Bezüge für den genannten Zeitraum. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens (vgl. hiezu die tieferstehende Wiedergabe der Begründung des angefochtenen Bescheides) wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. Oktober 2009 den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 12c GehG iVm § 52 Abs. 2 BDG 1979 ab.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides heißt es (auszugsweise; Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"In den Jahren 2007 bis 2009 wurden Sie in Summe fünfmal mittels Weisung aus Ihrem Krankenstand wegen festgestellter Dienstfähigkeit auf Grund einschlägiger fachärztlicher Gutachten zum sofortigen Dienstantritt aufgefordert.

So wurden Sie mit Weisung vom 19.3.2009, ..., nach eingeholter fachärztlicher Stellungnahmen und Gutachten des bzw. von Primar Dr. E, FA für Innere Medizin, und Univ.-Prof. Dr. PA, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, zum sofortigen Dienstantritt aufgefordert. Auf Grund der beiliegenden Gutachten sah die Dienstbehörde ihre Dienstfähigkeit zweifelsfrei als gegeben an.

Diese Weisung wurde Ihnen nachweislich am 24.3.2009 zu eigenen Handen zugestellt.

Am Mittwoch, dem 25.3.2009, traten Sie Ihren Dienst nicht an.

Am 26.3.2009 übersandten Sie zunächst per Email eine unleserliche Krankmeldung.

Seitens des Personalreferenten wurden Sie daraufhin kontaktiert und gebeten die Krankmeldung vorzulesen.

Seitens der Dienstbehörde wurde diese neuerliche Krankmeldung und die damit verbundende Dienstunfähigkeit ausdrücklich angezweifelt und Ihnen diese Zweifel mit weiteren Erläuterungen auch mitgeteilt.

Die Krankmeldung Dr. SP und das Gutachten Primar i.R. Dr. DO, FA für Psychiatrie und Psychotherapeut, wurde letztlich per Fax übermittelt.

Das Gutachten Dris DO wurde Univ.-Prof. Dr. PA, FA für Psychiatrie und Neurologie, übermittelt, wobei dieser festhielt, dass die geäußerten Diagnosen im GA DO auf Grund der bisher durchgeführten zahlreichen Untersuchungen und vorliegenden Befunde nicht nachvollziehbar sind. Konkrete Beeinträchtigungen im Sinne eines medizinischen Leistungskalküls werden ebenfalls nicht dargestellt.

Aus seiner Sicht ergeben sich daher keine Änderungen der Schlussfolgerungen und des medizinischen Leistungskalküls aus psychiatrischer Sicht.

In weiterer Folge wurden Sie mit Weisung vom 3.4.2009, ..., zugestellt am 6.4.2009, zum sofortigen Dienstantritt aufgefordert. Am 7.4.2009 traten Sie ihren Dienst an. Der Zeitraum 25.3.2009 bis 6.4.2009 wurde als ungerechtfertigte Abwesenheit von Dienst gewertet und Ihnen die Bezüge eingestellt.

Mit Schreiben vom 23.4.2009 begehrten Sie die ungekürzte Auszahlung Ihrer Bezüge. Begründend führten Sie unter anderem aus, dass das Vertrauen auf die ärztliche Bescheinigung und auf die Rechtfertigung der Dienstverhinderung sohin die subjektive Einschätzung eines Beamten nur dann nicht angenommen werden könne, wenn der Beamte auf Grund besonderer Umstände im Einzelfall keinesfalls auf die Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung vertrauen könnte und dürfte. Das Gutachten Dris DO sei in sich schlüssig und nachvollziehbar und zweifelsfrei dahingehend, dass auf Grund der schweren posttraumatischen Belastungsstörung eben keine Arbeitsfähigkeit vorläge.

Mit Schreiben vom 29.4.2009, ..., erläuterte die Dienstbehörde ihre Vorgehensweise.

Mit Schreiben vom 22.9.2009, ... wurde Ihnen Parteiengehör

eingeräumt.

Am 2.10.2009 nahmen Sie umfassend Akteneinsicht in Ihren Personalakt.

Mit Schreiben vom 5.10.2009 gaben Sie eine Stellungnahme ab, mit der u.a. ausgeführt wird, dass im Gutachten Dris E der Krankenstand als gerechtfertigt erachtet werde, dass das von Dr. PA bezuggenommene diagnostische Klassifikationssystem ICD-10, aus dem Jahr 1992 stamme und keinesfalls mehr dem Stand der aktuellen medizinischen Wissenschaft entsprechen würde. Weiters wird auf das klinisch-psychologische Gutachten Dris LS vom 11.8.2009 verwiesen, dass sehr wohl eine gerechtfertigte Abwesenheit vorgelegen habe und die Einholung von Ergänzungsgutachten aus dem Fachgebieten der Psychiatrie und Neurologie, der Inneren Medizin sowie der Berufskunde beantragt.

...

Auf Grund der in Ihrem Personalakt zu Zl. ... enthaltenen Unterlagen wird folgender Sachverhalt festgestellt:

Es ist unstrittig, dass Ihnen vor Abgabe des Gutachtens Dris DO vom 5.3.2009, eingelangt am 26.3.2009, eine Vielzahl von ärztlichen Gutachten übermittelt wurden und zwar:

"Bezüglich der dem Gutachten zu Grunde liegenden

Fragestellungen lässt sich feststellen, dass

1. der psychische Zustand der

Beschwerdeführerin massiv beeinträchtigt ist und

2. in Zusammenhang mit den traumatischen Erlebnissen

der Herzstillstände steht.

3. Eine Psychotherapie sowie pharmakologische

Unterstützung vor allem zur Beruhigung und Stimmungsaufhellung

können die vorhandene Depression, die Posttraumatische

Belastungsstörung sowie die Schmerzstörung reduzieren.

4. Die Möglichkeit voll funktionsfähig sich im

beruflichen Alltag zu bewähren wird stark bezweifelt, auch wenn eine adäquate therapeutische Behandlung zur Stabilisierung der Symptomatik beiträgt."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 12c Abs. 1 GehG idF dieses Absatzes im Wesentlichen nach dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 318/1977, die Paragrafen- und Absatzbezeichnung jedoch nach der Dienstrechts-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 87, lautet:

"Entfall der Bezüge

§ 12c. (1) Die Bezüge entfallen

...

2. wenn der Beamte eigenmächtig länger als drei Tage

dem Dienst fernbleibt, ohne einen ausreichenden Entschuldigungsgrund nachzuweisen, für die Gesamtdauer der ungerechtfertigten Abwesenheit vom Dienst."

§ 51 BDG 1979 (Stammfassung) lautet:

"Abwesenheit vom Dienst

§ 51. (1) Der Beamte, der vom Dienst abwesend ist, ohne vom Dienst befreit oder enthoben zu sein, hat den Grund seiner Abwesenheit unverzüglich seinem Vorgesetzten zu melden und seine Abwesenheit zu rechtfertigen.

(2) Ist der Beamte durch Krankheit, Unfall oder Gebrechen an der Ausübung seines Dienstes verhindert, so hat er seinem Vorgesetzten eine ärztliche Bescheinigung über den Beginn der Krankheit und nach Möglichkeit über die voraussichtliche Dauer der Dienstverhinderung vorzulegen, wenn er dem Dienst länger als drei Arbeitstage fernbleibt oder der Vorgesetzte oder der Leiter der Dienststelle es verlangt. Kommt der Beamte dieser Verpflichtung nicht nach, entzieht er sich einer zumutbaren Krankenbehandlung oder verweigert er die zumutbare Mitwirkung an einer ärztlichen Untersuchung, so gilt die Abwesenheit vom Dienst nicht als gerechtfertigt."

Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides macht die Beschwerdeführerin geltend, dass sie auf die Richtigkeit des Gutachtens Dris. DO vom 5. März 2009 und der darauf fußenden ärztlichen Bestätigung Dris. SP jedenfalls bis zur Mitteilung des Gutachtens Dris. PA vom 31. März 2009 am 6. April 2009 vertrauen durfte.

Damit ist die Beschwerdeführerin im Recht:

Insolange ein Beamter seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 51 Abs. 2 erster Satz BDG 1979 durch Vorlage einer ärztlichen Bestätigung eines privat beigezogenen Arztes nachkommt, darf er grundsätzlich so lange auf diese ärztliche Bestätigung vertrauen und von einer gerechtfertigten Dienstverhinderung ausgehen, bis ihm die Dienstbehörde Entgegenstehendes nachweislich mitteilt. Unter "Entgegenstehendes" ist in diesem Zusammenhang eine medizinische Beurteilung gemeint, die jener des privat beigezogenen Arztes entgegen steht. Das Vertrauen auf die ärztliche Bescheinigung und damit auf eine Rechtfertigung der Dienstverhinderung ist lediglich dann nicht geeignet, einen ausreichenden Entschuldigungsgrund im Sinne des § 12c Abs. 1 Z. 2 GehG herzustellen, wenn der Beamte auf Grund besonderer Umstände keinesfalls mehr auf die Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung und somit auf das Vorliegen einer Rechtfertigung für die Dienstverhinderung vertrauen konnte oder durfte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 2010, Zl. 2009/12/0138, und vom 19. Februar 2003, Zl. 2002/12/0122).

Wie schon die Formulierung dieses Rechtssatzes "so lange" ... ,bis ..." zeigt, geht dieser davon aus, dass die "entgegenstehende" medizinische Beurteilung in aller Regel eine solche sein wird, welche nach Ausstellung der vorgelegten ärztlichen Bestätigung abgegeben wird. Bei der Beurteilung der Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen - ausnahmsweise - eine "entgegenstehende" medizinische Beurteilung auch eine solche sein kann, die - wie im vorliegenden Fall - auf einer immerhin mehr als ein Monat vor Ausstellung der ärztlichen Bestätigung stattgefundenen Befundaufnahme beruht, ist jedenfalls besondere Zurückhaltung geboten (vgl. hiezu insbesondere auch die dem bereits zitierten hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2010 sowie jenem vom 11. Dezember 2002, Zl. 2000/12/0027, das zur Wr DO 1994 ergangen ist, zu Grunde gelegenen Fallkonstellationen). Bei einer solchen zeitlichen Lagerung der divergierenden Beurteilungen müsste es jedenfalls auch einem medizinischen Laien zweifelsfrei erkennbar sein, dass die ihm zuvor mitgeteilte medizinische Beurteilung mit den für die Ausstellung der ärztlichen Bestätigung ausschlaggebenden Annahmen unvereinbar ist. Davon kann vorliegendenfalls aber nicht die Rede sein:

Entscheidend für die Beurteilung des Sachverständigen Dr. DO, wonach die Beschwerdeführerin nicht arbeitsfähig sei, war die von diesem Sachverständigen festgestellte Schwere der Symptomatik. Nicht maßgebend ist demgegenüber, ob der die Krankenstandsbestätigung ausstellende Arzt eine zutreffend festgestellte Symptomatik einer richtigen Ursache (Krankheit) zuordnet oder nicht. Nach dem Vorgesagten könnte das Gutachten Dris. PA vom 26. Februar 2009 der tragenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. DO im Sinne der zitierten Vorjudikatur nur dann "entgegenstehen", wenn für die Beschwerdeführerin als medizinische Laiin offenkundig erkennbar gewesen wäre, dass das Auftreten der vom Sachverständigen Dr. DO erhobenen Symptome auf Grund der Ergebnisse der Begutachtung vom 28. Jänner 2009 auch Anfang März des genannten Jahres schlechthin auszuschließen wäre. Eine auch einem medizinischen Laien unmittelbar einsichtige diesbezügliche Aussage ergibt sich aus dem genannten Gutachten Dris. PA jedoch nicht, lässt dieses doch mit der Formulierung, wonach "im Rahmen der Untersuchungssituation objektivierbare Symptome eines depressiven Syndroms bzw. einer depressiven Episode bei der nunmehrigen Untersuchung nicht fassbar" waren, offen, dass in anderen Untersuchungssituationen zu anderen Zeitpunkten derartige Symptome auftreten könnten und fassbar wären.

Die in der Vorjudikatur angesprochenen besonderen Umstände, auf Grund derer keinesfalls mehr auf die Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung vertraut werden konnte oder durfte, könnten vorliegendenfalls nur dann gegeben sein, wenn die Angaben der Beschwerdeführerin in der von Dr. DO (und später auch von Dr. LS) erhobenen Anamnese betreffend die Symptome, unter denen sie litt, für sie erkennbar unzutreffend gewesen wären. Diesen Vorwurf erhebt die belangte Behörde aber gegenüber der Beschwerdeführerin nicht.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. Dezember 2010

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