Normen
AVG §1;
AVG §10;
AVG §6;
AVG §71 Abs1;
AVG §71;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §1;
AVG §10;
AVG §6;
AVG §71 Abs1;
AVG §71;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde am 14. August 2009 von Organen der Bezirkshauptmannschaft Braunau in eine Krankenanstalt in Braunau verbracht.
Vertreten durch den Verein VertretungsNetz-Patientenanwaltschaft (dieser vertreten durch die Patientenanwältin Mag. M.) erhob der Beschwerdeführer Maßnahmenbeschwerde gegen die näheren Umstände der Verbringung. Die mit 24. September 2009 datierte Beschwerde wurde auf dem Kuvert statt an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) an das BG Salzburg adressiert und langte nach Weiterleitung erst nach Ablauf der Beschwerdefrist beim UVS ein.
Bereits unmittelbar nach Mitteilung des BG Salzburg, dass das Schriftstück an das BG Salzburg adressiert gewesen sei, stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Die entscheidende Passage des Wiedereinsetzungsschriftsatzes lautet:
" Frau Mag. M(…), die zuständige Patientenanwältin, erstellte innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist eine Maßnahmenbeschwerde, legte das unterschriebene Exemplar auf den Schreibtisch ihrer administrativen Mitarbeiterin, Frau I(…), und besprach mit dieser, dass das Schriftstück noch am selben Tag eingeschrieben bei der Post aufgegeben werden müsse. Frau L(…) nahm daraufhin sofort das an den UVS des Landes Oberösterreich adressierte Schreiben von ihrem Schreibtisch, gab es in ein fensterloses Kuvert, beschriftete dieses, brachte es am Freitag den 25.09. zu Mittag zur Post und gab es dort eingeschrieben auf.
…
Eine Prüfung ergab, dass die administrative Mitarbeiterin, Frau L(…), die Beschwerde irrtümlich an das BG Salzburg übermittelt hatte. … Gemäß ständiger Rechtsprechung des VwGH ist dieses Versehen ein Fehler, der gelegentlich auch einer sorgfältig arbeitenden Person unterlaufen kann. Frau L(…) ist seit 2001 bei VertretungsNetz im Fachbereich Patientenanwaltschaft angestellt und eine sehr zuverlässige und genaue Mitarbeiterin. Es ist bisher noch nie zu einem derartigen Fehler gekommen. Damit bestand für Frau Mag. M(…) keine Veranlassung, den Versand der Beschwerde zu überwachen.
…"
Der Kopf des ursprünglichen Beschwerdeschriftsatzes lautete:
"An den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich
Fabrikstraße 32
4021 Linz"
Mit Bescheid vom 4. November 2009 wies der UVS unter Pkt. I. den Antrag auf Wiedereinsetzung ab. Unter Pkt. II wurde ausgeführt, dass die Beschwerde an die Oö. Patientenvertretung weitergeleitet werde.
Begründend führte der UVS aus, die Beschwerdefrist habe am 25. September 2009 geendet. Die Beschwerde sei nach Weiterleitung durch das BG Salzburg erst am 1. Oktober 2009 beim UVS eingelangt. Die Beschwerde sei verspätet. Im Antrag auf Wiedereinsetzung werde nicht nur nicht behauptet, welche konkreten Kontrollmaßnahmen zur Überwachung der Mitarbeiterin tatsächlich vorgenommen worden seien, es werde vielmehr ausdrücklich vorgebracht, dass keinerlei Kontrolltätigkeit erfolgt sei, obwohl die Rechtsvertreterin "offensichtlich sogar den Vorgang der Beschriftung des Kuverts beobachten konnte". Eine entsprechende Überwachung wäre aber im vorliegenden Fall schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Rechtsvertreterin als Patientenanwältin ihren Sitz im Bundesland Salzburg habe, in der Regel im Sprengel des für die Bundesländer Oberösterreich und Salzburg örtlich zuständigen LG Linz einschreite und in der überwiegenden Zahl der von ihr behandelten Rechtssachen mit Gerichten befasst sei, sodass die Falschadressierung an das BG Salzburg objektiv besehen kaum verwundere.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des AVG lauten (auszugsweise):
"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.
(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.
…"
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1.1. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich aus § 71 AVG, dass der Wiedereinsetzungsantrag ein Vorbringen über seine Rechtzeitigkeit zu enthalten hat und dass anzugeben ist, aus welchem Grund der Antragsteller einen Tatbestand des § 71 Abs. 1 AVG als erfüllt ansieht. Dabei trifft ihn die Obliegenheit, bereits im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat, und diesen behaupteten Wiedereinsetzungsgrund bereits im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen, was aber als Grundlage entsprechende Behauptungen voraussetzt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Juli 2009, Zl. 2007/11/0087 mwN.).
2.1.2. Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers im Antrag auf Wiedereinsetzung nicht für nicht glaubwürdig erachtet hat.
Nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen war der Beschwerdeschriftsatz am letzten Tag der Beschwerdefrist bereits fertiggestellt und wies eine richtige Adressierung (an die belangte Behörde) auf Gegenteiliges wird im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt. Es bedurfte demnach nach der Anordnung der eingeschriebenen Postaufgabe durch die Rechtsvertreterin am 25. September 2009 nur noch der Kuvertierung, allenfalls verbunden mit einer Beschriftung des Kuverts und der Postaufgabe an diesem Tag. Von der - nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen bis zum gegenständlichen Vorfall fehlerfrei arbeitenden - Mitarbeiterin waren aus der Sicht der Rechtsvertreterin folglich nur manipulative Tätigkeiten im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durchzuführen. Im Lichte dieser Judikatur ist aber die Kontrolle, ob eine bis dahin zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich durchführt, einem Rechtsvertreter nicht zumutbar, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1991, Zl. 91/06/0067, die hg. Beschlüsse vom 13. Juni 1997, Zl. 97/19/0928, und vom 23. Juni 1998, Zl. 98/08/0084, das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2003, Zl. 2001/03/0378, sowie den hg. Beschluss vom 24. April 2007, Zl. 2007/18/0145).
Dass die Rechtsvertreterin den Vorgang der Beschriftung des Kuverts "offensichtlich" beobachten habe können, stellt angesichts des Wortlauts des Wiedereinsetzungsvorbringens eine bloße Mutmaßung dar, die nicht geeignet ist, ein relevantes Verschulden des Rechtsvertreters aufzuzeigen.
Allein aus dem Umstand, dass die Rechtsvertreterin überwiegend im Sprengel des OLG Linz einschreite, ergab sich entgegen der Auffassung der Beschwerde keine weitergehende Pflicht zur Kontrolle der Mitarbeiterin, war doch der Beschwerdeschriftsatz im Kopf unmissverständlich an die belangte Behörde adressiert.
Im Beschwerdefall ist somit davon auszugehen, dass auf der Basis des Wiedereinsetzungsvorbringens weder dem Beschwerdeführer noch seinem bevollmächtigten Vertreter ein den Grad des minderen Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist infolge Fehladressierung des Kuverts vorgeworfen werden kann.
2.1.3. Die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung erweist sich daher als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
2.2. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführt, enthält der angefochtene Bescheid keinen weiteren normativen Abspruch. Die unter Pkt. II. angekündigte Weiterleitung der Beschwerde stellt keine Zurückweisung der Beschwerde dar. Der Beschwerdeführer wurde dadurch auch nicht in Rechten verletzt.
In diesem Zusammenhang ist freilich darauf zu hinweisen, dass eine Weiterleitung der Beschwerde an die Oö. Patientenvertretung rechtswidrig ist. Die Beschwerde an die belangte Behörde nach Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG wurde vom Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein VertretungsNetz-Patientenanwaltschaft, dieser vertreten durch die Patientenanwältin Mag. M., erhoben, wobei letztere als gewillkürte Vertreter einschritt. Für die Behandlung einer derartigen Beschwerde ist ausschließlich die belangte Behörde zuständig.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 21. Februar 2012
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)