VwGH 97/19/0928

VwGH97/19/092813.6.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über den Antrag der J in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ergänzung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. April 1996, Zl. 305.710/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 46 Abs. 1 VwGG stattgegeben.

Begründung

Die Beschwerdeführerin hatte gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. April 1996 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser lehnte mit Beschluß vom 24. September 1996, B 1992/96, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Mit Auftrag des Berichters vom 6. Dezember 1996, dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 13. Dezember 1996 zugestellt, wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 34 Abs. 2 VwGG aufgefordert, die vom Verfassungsgerichtshof abgetretene Beschwerde im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 4, 5 und 6 VwGG innerhalb einer Frist von sechs Wochen zu ergänzen. Die Beschwerdeführerin wurde darauf hingewiesen, daß die Versäumung der Frist als Zurückziehung der Beschwerde gilt. Der Vertreter legte mit Schriftsatz vom 24. Jänner 1997, hg. eingelangt am 27. Jänner 1997, eine Beschwerdeergänzung in zweifacher Ausfertigung vor, keine der Ausfertigungen wies jedoch die Unterschrift eines Rechtsanwaltes auf.

Mit hg. Beschluß vom 24. März 1997, Zl. 96/19/3421, wurde das Verfahren gemäß § 34 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 VwGG eingestellt, da keine der Ausfertigungen des Ergänzungsschriftsatzes mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen war. Der Beschluß über die Einstellung des Verfahrens wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 22. April 1997 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 6. Mai 1997 beantragte die Beschwerdeführerin die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Vorlage der Beschwerdeergänzung und brachte dazu vor, daß aufgrund eines Versehens des Sekretärs des Vertreters der Beschwerdeführerin anstelle der zwei im Akt befindlichen unterfertigten Kopien des Ergänzungsschriftsatzes zwei nichtunterfertigte Kopien an den Verwaltungsgerichtshof übersendet worden seien. Die Versäumnis beruhe auf einer gänzlich unerwarteten Fehlleistung des im Umgang mit Akten und Postsendungen sehr erfahrenen und verläßlichen Sekretärs des Einschreiters. So habe sich in der Postausgangsmappe am Tage der Absendung des gegenständlichen Schriftsatzes der unterfertigte Schriftsatz in zweifacher Ausfertigung, zusammen mit zwei nichtunterfertigten Kopien dieses Schriftsatzes, die für den Akt des Einschreiters bzw. für die Mandantin bestimmt waren, befunden. Die nichtunterfertigten Kopien seien unterhalb gelegen und für den Akt bestimmt gewesen, so wie in der Kanzlei generell in der Postausgangsmappe die Stücke zum Versand obenauf und die Stücke für den Akt und anderweitige Verwendung darunterlägen. Infolge einer unerwarteten Fehlleistung des Sekretärs seien die darunterliegenden, nichtunterfertigten Exemplare des Schriftsatzes in den Briefumschlag für den Verwaltungsgerichtshof gesteckt worden und nicht die darüberliegenden, die zum Versand an den Gerichtshof bestimmt gewesen wären. Die unterfertigten Exemplare seien im Akt abgelegt worden. Von diesem Versehen habe der Einschreiter erst durch den am 22. April 1997 zugestellten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes erfahren.

Vorauszuschicken ist, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Beschluß des verstärkten Senates vom 21. Juni 1988, Zl. 87/07/0049, Slg. Nr. 12.742/A) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gegen die unvollständige Erfüllung eines verwaltungsgerichtlichen Verbesserungsauftrages zulässig ist.

Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei (siehe hg. Beschluß vom 23. Februar 1995, Zl. 95/18/0176, m.w.N.). Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt wiederfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Zu beurteilen ist somit das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst (vgl. den hg. Beschluß vom 19. Jänner 1990, Zl. 89/18/0202, 0203).

Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie am gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. u.a. den schon zitierten hg. Beschluß vom 23. Februar 1995).

Wenn einem Angestellten des Rechtsvertreters in Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn ihr Rechtsvertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinem Angestellten nachgekommen ist. Rein manipulative oder technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt jedoch ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Ein Rechtsanwalt mit einem ordnungsgemäßen Kanzleibetrieb darf sich im allgemeinen, solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt wird, darauf verlassen, daß sein Kanzleipersonal derartige Vorgänge selbständig erledigt. So kann er die näheren Umstände der Postaufgabe von Rechtsmitteln oder von Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes, das Kuvertieren derartiger Schriftstücke und Beilagen wie auch das Beschriften der Kuverts verläßlichen Kanzleiangestellten allein überlassen (vgl. hg. Beschlüsse vom 18. November 1983, Zl. 83/02/0220, und vom 25. November 1985, Zl. 85/10/0157).

Der Verwaltungsgerichtshof geht im vorliegenden Fall aufgrund des glaubwürdigen Vorbringens im Wiedereinsetzungantrag sachverhaltsbezogen davon aus, daß jener Mangel bei der Beschwerdeergänzung, der zur Einstellung des Beschwerdeverfahrens geführt hatte, durch einen Irrtum des Kanzleiangestellten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes beim Kuvertieren der Schriftsätze verursacht wurde. In der Tatsache, daß der Rechtsanwalt nicht mehr die Abfertigung (Kuvertierung) eines Schriftsatzes durch eine sonst verläßliche Kanzleikraft überprüfte, kann, wenn überhaupt, nur ein minderer Grad des Versehens erblickt werden (vgl. hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/08/0149). Ein Anhaltspunkt für ein weitergehendes Verschulden des Rechtsvertreters selbst hat sich - auch angesichts des glaubwürdigen Umstandes, daß die ansonst verläßliche Kanzleikraft einen derartigen Fehler in ihrer langjährigen Praxis noch nie gemacht hat und daher keine besondere Kontrolle notwendig erschien - nicht ergeben. Das im Zusammenhang maßgebende Hindernis bestand in der Unkenntnis dieses für die Fristversäumung ursächlichen Verhaltens; es erscheint glaubhaft, daß dieses Hindernis erst mit der Zustellung des Einstellungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes weggefallen ist.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher gemäß § 46 Abs. 1 und 4 VwGG stattzugeben.

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