VwGH 2009/01/0036

VwGH2009/01/003615.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des S K in S, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus-Sittikus-Straße 9/2/7, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 17. April 2009, Zl. 1/12-21330/13- 2009, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

61997CJ0329 Ergat VORAB;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
62005CJ0004 Güzeli VORAB;
62006CJ0242 T. Sahin VORAB;
62010CJ0187 Unal VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AufG 1992;
FremdenG 1997;
NAG 2005 §20 Abs2;
NAG 2005 §21 Abs2 Z2;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §8;
NAG 2005;
StaatsbürgerschaftsrechtsNov 2005;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §12 Z1 litb;
61997CJ0329 Ergat VORAB;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
62005CJ0004 Güzeli VORAB;
62006CJ0242 T. Sahin VORAB;
62010CJ0187 Unal VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AufG 1992;
FremdenG 1997;
NAG 2005 §20 Abs2;
NAG 2005 §21 Abs2 Z2;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §8;
NAG 2005;
StaatsbürgerschaftsrechtsNov 2005;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §12 Z1 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. April 2009 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, vom 30. September 2008 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß § 39 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 idgF, iVm § 12 Z. 1 lit. b leg.cit." (d.h. in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008; in der Folge:

StbG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei seit 9. Jänner 1986 - bis 29. März 1988 mit Nebenwohnsitz, seitdem mit Hauptwohnsitz - ununterbrochen in Österreich gemeldet. Aus den fremdenpolizeilichen Daten ergebe sich, dass er im Zeitraum von 20. Jänner 1994 bis 14. November 2005 ununterbrochen und rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sei; für den davor liegenden Zeitraum lägen keine fremdenrechtlichen Daten auf. In weiterer Folge habe er am 2. Dezember 2005 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht, welche er am selben Tag mit einer Gültigkeitsdauer von 2. Dezember 2005 bis 14. November 2008 erhalten habe. Diese Niederlassungsbewilligung sei am 14. November 2008 abgelaufen, ohne dass der Beschwerdeführer rechtzeitig die Verlängerung des Aufenthaltstitels beantragt habe. Erst am 2. Februar 2009 habe er die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt und diese am gleichen Tag mit der Gültigkeitsdauer von 2. Februar 2009 bis 2. Februar 2015 erhalten.

Der Beschwerdeführer sei somit zwar "zumindest" seit 20. Jänner 1994 in Österreich aufhältig, in den Zeiträumen von 14. November bis 2. Dezember 2005 sowie von 14. November 2008 bis 2. Februar 2009 sei er jedoch nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels gewesen, wodurch die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes unterbrochen worden sei. Nach dem Wortlaut "rechtmäßig und ununterbrochen" (gemeint: in § 10 Abs. 1 Z. 1 und § 12 Z. 1 lit. b StbG) sei Verleihungsvoraussetzung, dass der Verleihungswerber zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde einen durchgehenden legalen Aufenthalt im Bundesgebiet nachweisen könne. Gemäß § 23 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 beginne die Gültigkeitsdauer der weiteren Niederlassungsbewilligung mit dem Tag der Erteilung. Gemäß § 31 Abs. 4 Fremdengesetz 1997 wäre der Aufenthalt des Beschwerdeführers von 14. November bis 2. Dezember 2005 nur dann rechtmäßig gewesen, wenn er vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels einen Verlängerungsantrag gestellt hätte.

Dass Anträge, die binnen sechs Monaten nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels eingebracht werden, gemäß § 24 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der Fassung vor Änderung durch die "NAG-Novelle" vom 1. April 2009 als Verlängerungsanträge gelten und der Antragsteller dieser Bestimmung zufolge nach Stellung eines Verlängerungsantrages, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei, bedeute nicht, dass der Beschwerdeführer sich in der Zeit zwischen dem Ablauf der Aufenthaltstitel am 14. November 2005 und 14. November 2008 und der Ausstellung der neuen Aufenthaltstitel am 2. Dezember 2005 und 2. Februar 2009 rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Verspätet, aber noch innerhalb der Frist von sechs Monaten gestellte Verlängerungsanträge würden erst ab der verspäteten Antragstellung (und nicht rückwirkend) einen rechtmäßigen Aufenthalt verschaffen. Gleichfalls finde § 20 Abs. 2 NAG auf Verlängerungsanträge keine Anwendung, weshalb der Titel ab Ausstellungsdatum auszustellen sei. Durch eine verspätete Antragstellung werde daher die "Bewilligungskette" unterbrochen.

Der Beschwerdeführer sei somit in den Zeiträumen von 14. November bis 2. Dezember 2005 und von 14. November 2008 bis 2. Februar 2009 durch sein eigenes Versäumnis (der rechtzeitigen Stellung des Verlängerungsantrages vor Ablauf des letzten Aufenthaltstitels) bereits zweimal nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels für Österreich gewesen. Für diese Zeiträume könne der Beschwerdeführer keinen rechtmäßigen Aufenthalt nachweisen. Dass es der Beschwerdeführer zweimal versäumt habe, zeitgerecht vor Ablauf seines Aufenthaltstitels einen Verlängerungsantrag zu stellen, habe er in seiner schriftlichen Äußerung vom 11. März 2009 auch bestätigt.

Die belangte Behörde bestreite nicht, dass der Beschwerdeführer in Österreich sprachlich, persönlich und beruflich gut integriert sei. Aufgrund der genannten Unterbrechungen des rechtmäßigen Aufenthaltes erfülle er jedoch nicht die geforderte 15-jährige rechtmäßige und ununterbrochene Aufenthaltsdauer (und auch nicht - "ungeachtet der Tatsache, dass sich die Behörde bei der Beurteilung des Antragstellers auf § 12 Z. 1 lit. b StbG gestützt" habe - die Verleihungsvoraussetzung des zehnjährigen, rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthaltes in Österreich gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Grundsätzlich:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war.

Gemäß § 12 Z. 1 lit. b StbG ist einem Fremden unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8, Abs. 2 und 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn er seit mindestens 15 Jahren seinen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und seine nachhaltige persönliche und berufliche Integration nachweist.

Die belangte Behörde verneinte (ohne dies allerdings im Spruch des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck zu bringen) erkennbar die Erfüllung sowohl der Frist gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG (rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet seit zehn Jahren, davon zumindest fünf Jahre niedergelassen) als auch jener gemäß § 12 Z. 1 lit. b StbG (rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt von 15 Jahren bei Nachweis der nachhaltigen Integration im Bundesgebiet), weil sich der Beschwerdeführer in den Zeiträumen von 14. November bis 2. Dezember 2005 und von 14. November 2008 bis 2. Februar 2009 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.

2. Zum Beurteilungszeitpunkt:

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang vorbringt, der Beschwerdeführer habe die notwendigen Aufenthaltsfristen bereits vor der ersten Fristversäumnis erfüllt, ist ihr zu entgegnen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG hinsichtlich des rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthaltes im Bundesgebiet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde zurückzurechnen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2011, Zl. 2009/01/0063, mwH). Gleiches gilt - angesichts des identen Wortlautes ("rechtmäßig und ununterbrochen") - auch für das Erfordernis des fünfzehnjährigen Aufenthaltes nach § 12 Z. 1 lit. b StbG (vgl.zu § 11a Abs. 4 Z. 1 und zu § 16 Abs. 1 StbG auch die hg. Erkenntnisse jeweils vom 20. September 2011, Zl. 2009/01/0047 und Zl. 2009/01/0070).

3. Zur Unterbrechung nach § 20 Abs. 2 NAG:

Die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthaltes vom 14. November 2008 bis 2. Februar 2009 infolge verspäteter Antragstellung ist nach den Bestimmungen des NAG zu beurteilen. Die in dieser Hinsicht maßgeblichen Bestimmungen (in der zur Beurteilung des Zeitraumes von 14. November 2008 bis 2. Februar 2009 anzuwendenden Fassung vor der Novellierung durch BGBl. I Nr. 29/2009) lauten (samt Überschriften):

"Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln

§ 20. (1) …

(2) Die Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels beginnt mit dem Ausstellungsdatum, die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag.

(3) …

Verlängerungsverfahren

§ 24. (1) Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels (Verlängerungsanträge) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Anträge, die nach Ablauf des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn der Antrag spätestens sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels gestellt wurde. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

(3) …

…"

Die Ansicht der belangten Behörde, § 20 Abs. 2 NAG sei auf "verspätet", aber noch innerhalb der Frist des § 24 Abs. 2 NAG gestellte Verlängerungsanträge nicht anzuwenden, weshalb ein solcher Antrag erst wieder nach Antragstellung, nicht aber rückwirkend einen rechtmäßigen Aufenthalt verschaffe, entspricht ausgehend vom klaren Wortlaut dieser Bestimmungen nicht dem Gesetz. § 20 Abs. 2 NAG spricht nämlich nur von der Gültigkeitsdauer "eines verlängerten Aufenthaltstitels", ohne dabei zu unterscheiden, ob ein solcher aufgrund eines rechtzeitigen Verlängerungsantrages (§ 24 Abs. 1 NAG) ausgestellt wird oder aufgrund eines Antrages, der spätestens sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels gestellt wurde und daher gemäß § 24 Abs. 2 NAG als Verlängerungsantrag gilt (vgl. insoweit auch die hg. Erkenntnisse vom 20. November 2008, Zl. 2006/09/0213, und vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0026).

Demnach erweist sich die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich im Zeitraum von 14. November 2008 bis 2. Februar 2009 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, schon aus diesem Grund als unzutreffend.

4. Zur Berechtigung nach ARB:

4.1. Zum rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG zählen vor allem Zeiten des sichtvermerksfreien Aufenthalts, des Aufenthalts mit Visum oder aufgrund einer Legitimationskarte oder einem Aufenthaltstitel gemäß § 8 NAG. Weiters wird durch § 15 Abs. 1 Z. 3 StbG klargestellt, dass sich der Fremde während des Zeitraumes seines legalen Aufenthalts nicht mehr als ein Fünftel der Zeit außerhalb des Bundesgebietes aufhalten darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2008, Zl. 2008/01/0316, mit Verweis auf die Erläuterungen). Für Zeiten vor dem In-Kraft-Treten des NAG kann die Rechtmäßigkeit auch mit Aufenthaltstiteln nach dem Fremdengesetz 1997 oder nach dem Aufenthaltsgesetz nachgewiesen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2011, Zl. 2009/01/0063, mwH).

Der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. Nr. 37/2006, mit der auch die Bestimmungen des StbG über die Aufenthaltsfristen novelliert wurden, lag den Erläuternden Bemerkungen (ErlRV 1189 BlgNR 22. GP, S. 3) zufolge unter anderem das Ziel zugrunde, das StbG an das NAG anzupassen, sodass es zu keinen Wertungswidersprüchen kommt. Zu § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG führen die genannten Erläuterungen (a.a.O., S. 4) aus:

"Nach Abs 1 Z 1 muss der Staatsbürgerschaftswerber mindestens zehn Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und in dieser Zeit zumindest fünf Jahre niedergelassen sein. Zum rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt siehe § 15. Es zählen dazu vor allem Zeiten des sichtvermerksfreien Aufenthalts, des Aufenthalts mit Visum oder auf Grund einer Legitimationskarte oder einem Aufenthaltstitel gemäß § 8 NAG. Ob ein Staatsbürgerschaftswerber niedergelassen ist, ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, im Besonderen aus § 2 Abs. 2 NAG. So gelten die Zeiten des Aufenthalts auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung ausdrücklich nicht als Niederlassung (§ 2 Abs. 3 NAG). Zur Niederlassung benötigt der Staatsbürgerschaftswerber entweder einen Aufenthaltstitel nach dem

2. Teil 1. bis 3. Hauptstück des NAG oder er muss sich als EWRoder Schweizer Bürger oder als Angehöriger eines freizügigkeitsberechtigten EWR- oder Schweizer Bürgers im Sinne der §§ 51 NAG rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen haben (2. Teil, 4. Hauptstück des NAG)."

Damit wird insgesamt deutlich, dass der Gesetzgeber des StbG bei der Regelung über die Aufenthaltsfristen an die entsprechenden Vorgaben im Fremden- bzw. Aufenthaltsrecht angeknüpft hat.

4.2. Dies bedeutet für das Vorliegen einer Berechtigung eines türkischen Staatsangehörigen nach Art. 6 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) Folgendes:

Bei Vorliegen einer derartigen Berechtigung ist aufenthaltsrechtlich davon auszugehen, dass der Betreffende im Sinn des § 21 Abs. 2 Z. 2 NAG ("Fremde, die bisher rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen waren, auch wenn sie zu dieser Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben") trotz Ablaufes eines erteilten Aufenthaltstitels (weiterhin) bisher rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, Zl. 2007/21/0398, unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, Zl. 2008/22/0687; siehe weiters das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0408; vgl. zur Qualifizierung eines assoziationsberechtigten Aufenthalts als "rechtmäßigen Aufenthalt ohne Bewilligung" die zum Aufenthaltsgesetz ergangenen hg. Erkenntnisse vom 15. Mai 2002, Zl. 2002/12/0048, und vom 22. Oktober 2001, Zl. 97/19/1550).

Diese zum Aufenthaltsrecht ergangene Rechtsprechung gründet sich auf den Umstand, dass dem Betreffenden ein unmittelbar aus dem Assoziationsrecht herrührendes Aufenthaltsrecht zukommt, zumal aus der unmittelbaren Wirkung des Art. 6 ARB nicht nur folgt, dass der Betroffene hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 herleiten kann, sondern dass die praktische Wirksamkeit dieses Rechts außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraussetzt (vgl. die Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 7. Juli 2005, Rs C-383/03 , Dogan, Rn 14, vom 26. Oktober 2006, Rs C-4/05 , Güzeli, Rn 25, und vom 29. September 2011, Rs C-187/10 , Unal, Rn 30). Im Falle des Bestehens einer aus Art. 6 (oder Art. 7) ARB erfließenden Rechtsposition kommt einer Aufenthaltsberechtigung bloß deklaratorische Bedeutung zu (vgl. die im hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, Zl. 2008/22/0687, zitierte Rechtsprechung des EuGH).

Die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthaltes vom 14. November bis 2. Dezember 2005 bezieht sich auf einen Zeitraum, in dem das Fremdengesetz 1997 in Geltung stand. Vor dem Hintergrund des Anliegens der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, Wertungswidersprüche zu den Bestimmungen des NAG zu vermeiden, ist aber auch für einen dem Fremdengesetz 1997 unterfallenden Zeitraum eines Aufenthaltes "ohne Bewilligung" angesichts der eindeutigen, zum Aufenthaltsrecht nach NAG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon auszugehen, dass im Falle einer Berechtigung eines türkischen Staatsangehörigen nach Art. 6 ARB auch nach dem Fremdengesetz 1997 ein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet vorläge.

4.3. Für den Beschwerdefall bedeutet dies:

Nach den Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ist der Beschwerdeführer, der (zumindest) von 20. Jänner 1994 bis 14. November 2005 ununterbrochen und rechtmäßig in Österreich aufhältig war, türkischer Staatsangehöriger und in Österreich sprachlich, persönlich und beruflich gut integriert. Nähere Feststellungen zum Vorliegen einer Berechtigung des Beschwerdeführers nach Art. 6 ARB in Österreich wurden im angefochtenen Bescheid allerdings nicht getroffen. Dem vorgelegten Verwaltungsakt ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer laut einem Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung seit August 1987 in Österreich Beschäftigungszeiten aufweist, darunter etwa ein von Mai 1990 bis Mai 1999 dauerndes Beschäftigungsverhältnis bei der Firma M.

Ausgehend von diesen Anhaltspunkten hätte die belangte Behörde fallbezogen aber prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer eine Berechtigung nach Art. 6 ARB erlangt (und nicht wieder verloren) hat. Sollte dies der Fall sein, so wäre (auch) für den Zeitraum vom 14. November bis 2. Dezember 2005 von einem rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne der staatsbürgerschaftsrechtlichen Bestimmungen auszugehen gewesen.

Da die belangte Behörde dies verkannt und davon ausgehend das Vorliegen einer Berechtigung des Beschwerdeführers nach Art. 6 ARB (auch für den Zeitraum vom 14. November bis 2. Dezember 2005) nicht geprüft hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. März 2012

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