Normen
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73 Abs2;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73 Abs2;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die aus Serbien stammende, 1971 geborene Beschwerdeführerin kam mit einem vom 2. November 2005 bis 1. Dezember 2005 gültigen Visum nach Österreich, um ihre hier niedergelassene, pflegebedürftige Mutter zu betreuen.
Am 1. Dezember 2005 stellte die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertreter den gegenständlichen Antrag, ihr eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck (§ 13 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG) zu erteilen, wobei sich aus einem Zusatzantrag ergibt, dass die Beschwerdeführerin die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 19 Abs. 2 Z 6 anstrebte. Zur Begründung brachte sie insbesondere vor, sie sei am 6. November 2005 legal eingereist, um ihre schwer erkrankte Mutter vorübergehend zu pflegen. Die Erwartung, dass sich der Zustand der Mutter während eines Monats stabilisieren werde, habe sich nicht erfüllt. Es sei der Verbleib der Beschwerdeführerin nötig, damit die notwendige Versorgung der Mutter gewährleistet sei, zumal andere in Österreich ansässige Angehörige wegen ihrer eigenen Familien mit der Pflege überfordert wären. Sowohl der Unterhalt als auch die Wohnversorgung der Beschwerdeführerin sei durch Angehörige sichergestellt.
Diesen Antrag wies der Bürgermeister der Stadt Salzburg, der ihn als Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung -
beschränkt" aus humanitären Gründen gemäß § 73 Abs. 1 und 2 des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG wertete, mit Bescheid vom 18. Juni 2007 ab, weil die Beschwerdeführerin den Antrag entgegen § 21 Abs. 1 NAG im Inland gestellt habe und die Inlandsantragstellung nach § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen werde.
Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. Mai 2008 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 NAG ab.
Begründend führte die belangte Behörde nach zusammengefasster Wiedergabe des Verfahrensganges aus, aufgrund der seit 1. Jänner 2006 geltenden und im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Rechtslage sei der Antrag der Beschwerdeführerin als Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" anzusehen. Bei einem Erstantrag sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten, wonach dieser vor der Einreise im Ausland einzubringen und dessen Erledigung dort abzuwarten sei. Demnach hätte auch die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag vor der Einreise bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung dort abwarten müssen. Die Beschwerdeführerin halte sich jedoch seit ihrer Einreise durchgehend in Österreich auf.
Zwar könne die Behörde - so die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides - gemäß § 74 NAG die "Inlandsantragstellung" von Amts wegen zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt seien, also in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen. In diesem Zusammenhang verwies die belangte Behörde auf die einleitend wiedergegebene Begründung des Antrags mit der Pflegebedürftigkeit der Mutter der Beschwerdeführerin. Weiters habe die Beschwerdeführerin im Zuge des (Berufungs-)Verfahrens bekannt gegeben, dass sie am 23. November 2007 einen österreichischen Staatsbürger geheiratet habe und schwanger sei. Eine von der belangten Behörde hierauf veranlasste amtsärztliche Untersuchung habe jedoch ergeben, dass sich die Beschwerdeführerin in einem guten Zustand befinde und reisefähig sei. Es sei daher festzuhalten, dass zwar ein berechtigtes Interesse der Beschwerdeführerin an einer Verbesserung ihrer Situation durch "Auswanderung" nach Österreich bestehe, aber keinerlei humanitäre Gründe gegeben seien. Aufgrund der Aktenlage sei auch nicht erkennbar, dass der Gesundheitszustand der Mutter der Beschwerdeführerin lebensbedrohlich sei, sodass das gemeinsame Familienleben mit der Mutter und deren Pflege durchaus in Serbien erfolgen könne.
Danach enthält der angefochtene Bescheid noch weitere Begründungselemente, die sich auf in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu Art 8 EMRK für relevant erachtete Umstände beziehen. Soweit es die Beschwerdeführerin betrifft beschränken sich diese Ausführungen aber auf die Feststellung ihres illegalen Aufenthaltes seit Ende 2005 und der Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger im November 2007 und unterstellen, es sollten Bindungen zum Heimatstaat gegeben sein. Die Beschwerdeführerin sei laut eigenen Angaben "gut integriert" und nach der Aktenlage unbescholten. "In Zusammenschau aller ausschlaggebenden Kriterien des VfGH für ein humanitäres Bleiberecht" kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin diesen "keinesfalls" entspreche. Es sei daher kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben, weshalb die materiellen Voraussetzungen des § 72 NAG nicht vorlägen. Deshalb könne auch die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:
Der Antrag der Beschwerdeführerin wurde zwar noch im zeitlichen Geltungsbereich des (bis 31. Dezember 2005 in Kraft gestandenen) FrG gestellt. Das bei Inkrafttreten des NAG (am 1. Jänner 2006) noch anhängige Verfahren war aber, wie die Behörden zutreffend erkannten, gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Der Antrag der Beschwerdeführerin war demnach als solcher auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen - in Betracht kam eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 73 Abs. 2 NAG (in der bis zum 31. März 2009 geltenden Stammfassung) - zu qualifizieren.
In diesem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass eine unter den Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Oktober 2007, B 215, 216/07, fallende Konstellation im Beschwerdefall nicht vorlag, weil die Behörden den Antrag nicht wegen Unzulässigkeit einer solchen Antragstellung zurückgewiesen haben (vgl. idS die hg. Erkenntnisse vom 29. April 2008, Zl. 2006/21/0175, und vom 22. Dezember 2009, Zl. 2008/21/0227). Weiters ist vorweg dem umfangreichen, unter dem Titel "aus rechtlicher Sicht" vorgetragenen Beschwerdevorbringen zu entgegnen, dass die dabei zugrunde gelegte Prämisse, der Beschwerdeführerin komme die Stellung als "begünstigte Drittstaatsangehörige" zu, nicht zutrifft. Es wird nämlich nicht einmal behauptet, dass der österreichische Ehemann der Beschwerdeführerin von dem unionsrechtlich eingeräumten Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe.
Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise im Ausland einzubringen und deren Erledigung ist dort abzuwarten. Diese - auch schon im Regime des FrG nach § 14 Abs. 2 bestehende - "Erfolgsvoraussetzung" hat die Beschwerdeführerin unstrittig nicht erfüllt. Es liegt auch keiner der im § 21 Abs. 2 NAG genannten Ausnahmefälle vor.
Die Behörde konnte jedoch gemäß § 74 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) von Amts wegen die Inlandsantragstellung in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen (§ 72 Abs. 1 NAG) zulassen. Diese Bestimmung sah somit eine (weitere) Ausnahme vom Grundsatz der Auslandsantragstellung vor. Dazu hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass dann, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG vorliegen, die ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ("kann") zuzulassen ist (siehe Punkt III.1.2.2. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 11. Dezember 2007, B 1263, 1264/07). In diesem Sinn wurde auch vom Verwaltungsgerichtshof judiziert, dass die Behörde die Inlandsantragstellung von Amts wegen zuzulassen hatte, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt waren (vgl. zum Ganzen das schon genannte Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2008/21/0227).
Der (mit BGBl. I Nr. 29/2009 aufgehobene) § 72 NAG stellte insbesondere auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Weiters lag ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Verbleib in Österreich besteht, sodass sich deshalb auch eine Ausweisung als unzulässig erwiese. Das galt sinngemäß auch für die Frage der ausnahmsweisen Zulassung der Inlandsantragstellung nach § 74 NAG (siehe auch dazu beispielsweise das erwähnte Erkenntnis Zl. 2008/21/0227, mwN).
Unter diesem Gesichtspunkt macht die Beschwerde vor allem geltend, dass sich die maßgeblichen Umstände seit der Antragstellung grundlegend geändert hätten. Dazu verweist die Beschwerdeführerin insbesondere auf ihre Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger, von dem sie ein Kind erwarte, das ebenfalls österreichischer Staatsbürger sein werde. Ihr sei deshalb eine Ausreise nicht zumutbar. Überdies sei ihre rechtmäßig niedergelassene Mutter aufgrund mehrerer krankhafter Veränderungen an der Wirbelsäule und einer Adipositas so stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, dass sie auf die tägliche und umfangreiche Betreuung und Pflege ihrer Tochter angewiesen sei. Davon ausgehend wäre die Inlandsantragstellung aus humanitären Gründen zuzulassen gewesen.
Die belangte Behörde hat es unterlassen, sich mit der Situation der Beschwerdeführerin als Ehefrau eines Österreichers und (bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt: bald) Mutter eines österreichischen Kleinkindes sowie als notwendige Betreuungshilfe für ihre pflegebedürftige Mutter ausreichend zu befassen. Unter dem erstgenannten Gesichtspunkt gleicht der vorliegende Fall in seinen wesentlichen Elementen jenem, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 2011, Zl. 2008/21/0238, zugrunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Auch im gegenständlichen Fall ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie eine der vorliegenden Konstellation gerecht werdende Interessenabwägung (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 2010, Zl. 2007/21/0493, und Zl. 2009/21/0031) nicht vorgenommen hat (siehe zu einer "binationalen" Ehe samt Kleinkind auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/21/0164, und zur Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen weiters das Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2009/21/0038). Insbesondere hätte es der ausreichenden Klärung der Frage bedurft, ob dem Ehemann der Beschwerdeführerin und dem gemeinsamen Kind die Führung eines Familienlebens in Serbien zuzumuten ist, und bejahendenfalls, ob der (unbestritten) auf die Beschwerdeführerin angewiesenen Mutter unter Bedachtnahme auf ihren Gesundheitszustand, mag er auch nicht "lebensbedrohlich" sein, tatsächlich eine Rückkehr in ihren Heimatstaat möglich ist. Diesbezüglich bedarf es konkreter Feststellungen und einer auch diese Umstände einbeziehenden nachvollziehbaren Interessenabwägung.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 14. April 2011
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