Normen
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, reiste in der Nacht vom 20. zum 21. Jänner 2008 mit seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern E., geboren am 21. Mai 2003, I., geboren am 14. Mai 2005, und A., geboren am 7. März 2007, in das österreichische Bundesgebiet ein und beantragte am 21. Jänner 2008 die Gewährung von internationalem Schutz. Bei seiner am Tag darauf erfolgten Ersteinvernahme stellte er seine Flucht aus der russischen Föderation näher dar und räumte ein, bereits davor in Polen einen Asylantrag gestellt zu haben.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 22. Jänner 2008 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft an, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und seine Abschiebung zu sichern.
Der dagegen erhobenen Schubhaftbeschwerde gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Februar 2008 gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG keine Folge und stellte gemäß § 83 Abs. 4 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
Diesen Bescheid begründete sie im Wesentlichen damit, dass die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Zurückschiebung nach Polen, einen sicheren Drittstaat, erforderlich sei, zumal der in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatssicherheit als unzulässig zurückzuweisen sein werde. Der Beschwerdeführer habe in Polen um Asyl angesucht, über einen polnischen Asylausweis verfügt und sei erkennungsdienstlich behandelt worden, sodass auf Grund des Abkommens Dublin II die berechtigte Annahme bestehe, er werde in Österreich kein Asyl bekommen. Angesichts der weiteren Tatsache, dass er sich illegal sowie unter Inanspruchnahme eines Schleppers nach Österreich begeben habe, bestünde kein Zweifel daran, dass er nicht bereit sein werde, die für ihn zu erwartende negative Asylentscheidung zu akzeptieren und Österreich freiwillig zu verlassen. Dazu komme, dass er im Inland nicht sozial verankert sei, keiner legalen Beschäftigung nachgehe bzw. nachgehen könne und über keine finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes verfüge. Die einzige von ihm angegebene familiäre Bindung bestehe zu einer Cousine, deren Aufenthalt er nicht kenne. Das Fehlen des Nachweises der Mittel zur Bestreitung des Unterhaltes stelle eine weitere bestimmte Tatsache für den Schluss dar, der Fremde werde sich dem Verfahren entziehen, und reiche für die Anordnung der Schubhaft aus. Da davon auszugehen sei, der Beschwerdeführer würde sich einer Zurückschiebung nach Polen durch Untertauchen entziehen, sobald er sich auf freiem Fuß befinde, könne der Zweck der Schubhaft auch nicht mit einem gelinderen Mittel iSd § 77 Abs. 3 FPG erreicht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde hat bei Prüfung des Schubhaftgrundes nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG - hier infolge der begründeten Annahme, der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz werde wegen der Unzuständigkeit Österreichs zurückgewiesen und gegen ihn eine Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 erlassen werden, vorerst jener nach der Z 4, und nach Einleitung des Ausweisungsverfahrens (eine solche ist im Beschwerdefall nicht aktenkundig) jener nach der Z 2 - die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesen Asylverfahrensstadien ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. zum Ganzen ausführlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Dass der Beschwerdeführer unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist ist, um hier wegen der behaupteten Verfolgung in seinem Heimatland einen Antrag auf internationalen Schutz einzubringen, stellt keinen besonderen Umstand dar, der in nachvollziehbarer Weise den Schluss zuließe, der Beschwerdeführer werde sich dem Verfahren durch "Untertauchen" entziehen. Daran vermag auch die Inanspruchnahme eines Schleppers nichts zu ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233).
In der vorliegenden Konstellation wäre vielmehr maßgeblich darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass sich der Beschwerdeführer unmittelbar nach seiner Einreise aus eigenem zur Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes begab, um dort einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, und darüber hinaus die belangte Behörde nicht davon ausging, der von ihm geschilderte Reiseweg, die von ihm angegebenen Personaldaten oder seine sonstigen Angaben, wie etwa zum bisherigen Aufenthalt in Polen, den er sogleich im Rahmen der asylrechtlichen Ersteinvernahme zugestand, seien unrichtig.
Vor diesem Hintergrund fehlen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschwerdeführer werde sich ungeachtet der mit ihm einreisenden Ehefrau und der drei erwähnten Kinder, von denen er augenscheinlich nicht getrennt werden wollte, dem weiteren Verfahren entziehen und für die Behörden nicht erreichbar sein. Für eine solche Befürchtung müssten vielmehr - vor allem aus dem bisherigen Verhalten des Fremden ableitbare - spezifische Hinweise bestehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach betont, dass die Verhängung der Schubhaft in "Dublin-Fällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden darf. Besondere Gesichtspunkte, die erkennen ließen, es handle sich hier um eine von den typischen "Dublin-Fällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Beschwerdeführer geschlossen hätte werden können, sind fallbezogen nicht erkennbar (vgl. dazu zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, Zl. 2006/21/0350).
Soweit die belangte Behörde auch auf die Mittellosigkeit sowie die fehlende soziale und berufliche Integration des Beschwerdeführers abstellt, handelt es sich dabei in Bezug auf (wie der Beschwerdeführer noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt. Der Frage der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. zum Gesamten etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233, mwH).
Schließlich wäre es auch geboten gewesen, das vom Beschwerdeführer in seiner Schubhaftbeschwerde erstattete Vorbringen zum Vorliegen einer bei ihm eingetretenen psychischen Erkrankung, die im Fall eines Aufenthaltes in Schubhaft die Gefahr einer Retraumatisierung begründe, unter dem Blickwinkel einer allfälligen Haftunfähigkeit einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. April 2008, Zl. 2006/21/0127, und vom 18. September 2008, Zl. 2007/21/0077). Dies fällt umso mehr ins Gewicht, weil eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine fortdauernde Haftunfähigkeit resultieren sollte, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führen könnte, dass an Stelle der Anordnung der Schubhaft die Anwendung gelinderer Mittel ausreichend gewesen wäre (vgl. dazu weiters das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/21/0069).
Da die belangte Behörde nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 27. Mai 2009
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