VwGH 2007/21/0233

VwGH2007/21/023328.5.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der K, vertreten durch Dr. Christa Scheimpflug, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Erdberger Lände 6/27, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 10. April 2007, Zl. Senat-FR-07-0037, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine aus Tschetschenien stammende russische Staatsangehörige, stellte nach ihrer am 15. März 2007 erfolgten Einreise nach Österreich noch am selben Tag bei der Erstaufnahmestelle-Ost in Traiskirchen einen Antrag auf internationalen Schutz. Unmittelbar darauf wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 39 Abs. 3 Z 4 FPG festgenommen.

In der Folge wurden eine asylrechtliche Erstbefragung und am nächsten Tag eine Vernehmung durch ein Organ der Bezirkshauptmannschaft Baden durchgeführt, in deren Rahmen die Beschwerdeführerin auch angab, auf ihrer Flucht in die Slowakei gelangt zu sein und dort um Asyl angesucht zu haben. Sie habe sich vom 2. Februar 2007 bis 14. März 2007 in einem näher genannten Flüchtlingslager aufgehalten. Da sie sich dort "schlecht fühlte" und Angst vor einer Abschiebung nach Tschetschenien gehabt habe, sei sie schlepperunterstützt nach Österreich weitergereist. Die Frage nach in Österreich aufhältigen Familienangehörigen verneinte die Beschwerdeführerin.

Mit dem gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassenen Bescheid vom 16. März 2007 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden sodann gegen die Beschwerdeführerin zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG angeführt.

Mit Schreiben vom 19. März 2007 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass das Bundesasylamt beabsichtige, ihren Asylantrag nach § 5 AsylG 2005 (wegen Zuständigkeit eines anderen Staates) zurückzuweisen, und dass seit 17. März 2007 "Dublin-Konsultationen" mit der Slowakei geführt würden. Unter einem wurde darauf hingewiesen, dass diese Mitteilung (gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005) als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gelte.

Am 29. März 2007 langte die Zustimmung der Slowakischen Republik zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin ein. Hierauf erfolgte die Einvernahme der Beschwerdeführerin durch das Bundesasylamt am 6. April 2007, die am 12. April 2007 fortgesetzt werden sollte.

In der am 3. April 2007 erhobenen Schubhaftbeschwerde brachte die Beschwerdeführerin vor allem vor, sie habe Österreich als Zielland gewählt, weil sie hier mit ihrem Mann K.K., der in Österreich als Flüchtling anerkannt und mit dem sie nach religiösem Ritus verheiratet sei, zusammenleben wolle. Da sie mit ihm nicht standesamtlich verheiratet sei, habe sie bei ihrer Vernehmung in Traiskirchen die Frage nach "Familienangehörigen mit Flüchtlingsstatus" verneint, was "formalrechtlich" auch stimme. Tatsache sei aber, dass sie von ihrem Mann ein Kind erwarte und sie die standesamtliche Heirat nachholen wollten. Ihr Mann verfüge an einer näher genannten Adresse in Wien über eine Wohnung, wo sie mit ihm ohne Weiteres zusammenleben könne. Als Beweismittel legte die Beschwerdeführerin dazu eine diesbezügliche Erklärung von K.K., den Mietvertrag und eine Meldebestätigung sowie eine Ablichtung seines Konventionsreisepasses vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. April 2007 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die Schubhaftbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 82 und 83 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die Voraussetzungen für ihre weitere Anhaltung in Schubhaft vorlägen (Spruchpunkt II.) und wies das Kostenersatzbegehren der Beschwerdeführerin ab (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde traf Feststellungen zum bisherigen Verfahrensgang, gab den Inhalt der Schubhaftbeschwerde wörtlich wieder und vertrat nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften die Auffassung, im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden seien die Voraussetzungen nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG vorgelegen, weil die Beschwerdeführerin in einem anderen EU-Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt habe. In der weiteren Begründung befasste sich die belangte Behörde mit der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft. In diesem Zusammenhang führte sie aus, die Notwendigkeit der Schubhaft ergebe sich aus dem "negativen Vorverhalten" der Beschwerdeführerin (Asylantragstellung in der Slowakei, Entziehung vor dem dort anhängigen Asylverfahren, neuerliche Asylantragstellung in Österreich) "im Zusammenhalt" mit der illegalen, schlepperunterstützten Einreise in das Bundesgebiet und dem Fehlen von gesicherten sozialen Anknüpfungspunkten im Inland und der mangelnden Möglichkeit "zu einer arbeitsmarktrechtlichen Integration bzw. zu einer sozialen und wirtschaftlichen Versorgung". Die Verhängung der Schubhaft durch die "Fremdenpolizeibehörde erster Rechtsstufe" werde daher als "durchwegs notwendig" erachtet, "um die Beschwerdeführerin dem weiteren behördlichen Zugriff im asylrechtlichen Verfahren zur Verfügung zu halten".

Angesichts negativer Schwangerschaftstests sei festzustellen, dass sich die Beschwerdeführerin im Beschwerdeschriftsatz unwahrer Angaben bedient habe. Durch diese falschen Angaben habe sich gezeigt, dass die Beschwerdeführerin nicht gewillt sei, "an der Feststellung des wahren Sachverhaltes mitzuwirken". Unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301, meinte die belangte Behörde, "das Höchstgericht erachtet die Sicherungsbedürfnisse vor allem bei mangelnder beruflicher und sozialer Verankerung im Inland als gegeben". Da die Beschwerdeführerin im Inland weder beruflich noch sozial integriert, nach der Asylantragstellung in der Slowakei illegal und schlepperunterstützt eingereist sowie mittellos sei und da sie bereits in Kenntnis der voraussichtlichen Zurückweisung ihres Asylantrages und der Einleitung des Ausweisungsverfahrens sei, erachte auch die belangte Behörde "nach sorgfältiger Gesamtabwägung sämtlicher Sachverhaltselemente unter gleichzeitiger Berücksichtigung des hohen Stellenwertes des Rechtes auf persönliche Freiheit die Verhängung der Schubhaft im gegenständlichen Fall als einziges mögliches Mittel". Im Hinblick auf die unwahren Angaben der Beschwerdeführerin betreffend das behauptete Vorliegen einer Schwangerschaft sei auch "die Seriosität" der nunmehr in der Beschwerde behaupteten "sozialen Anknüpfungspunkte" als nicht gegeben zu erachten. Die Durchführung einer Verhandlung habe gemäß § 83 Abs. 2 Z 1 FPG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage, der Angaben der Beschwerdeführerin und des Inhalts der Beschwerde geklärt sei und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf maßgebliche Sachverhaltselemente nicht vorlägen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat bei Prüfung des Schubhaftgrundes nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG (hier zunächst jener nach der Z 4 und nach Einleitung des Ausweisungsverfahrens jener nach der Z 2) die Schubhaftnahme eines Asylwerbers nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesem Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. zum Ganzen ausführlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Dass die Beschwerdeführerin schlepperunterstützt und illegal eingereist ist, um in Österreich wegen der behaupteten Verfolgung in ihrem Heimatland einen Antrag auf internationalen Schutz einzubringen, stellt nämlich - entgegen der Meinung der belangten Behörde und jener der Bezirkshauptmannschaft Baden, die dieses Verhalten der Beschwerdeführerin ebenfalls in den Vordergrund gerückt hatte - keinen besonderen Umstand dar, der in nachvollziehbarer Weise den Schluss zuließe, die Beschwerdeführerin werde sich dem Asylverfahren durch Untertauchen entziehen. In der vorliegenden Konstellation wäre vielmehr maßgeblich darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass die Beschwerdeführerin sofort nach ihrer Einreise von sich aus Kontakt mit den Behörden aufnahm, um einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, und dabei jedenfalls keine erwiesen unrichtigen Angaben zu ihrer Identität, zum Reiseweg und zur Asylantragstellung in der Slowakischen Republik machte.

Vor diesem Hintergrund fehlten konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, die Beschwerdeführerin werde sich dem weiteren Asylverfahren entziehen und für die Behörden nicht erreichbar sein; diesbezügliche Aspekte wurden von der belangten Behörde auch nicht aufgezeigt. Für eine solche Befürchtung müssten vielmehr (v.a. aus dem bisherigen Verhalten des Fremden ableitbare) spezifische Hinweise bestehen, wobei jedoch in diesem Zusammenhang neuerlich auf die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. September 2004, B 292/04, VfSlg. 17.288, zum Ausdruck gebrachte Auffassung zu verweisen ist, der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, rechtfertige für sich nicht den Schluss, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde. Dem hat sich der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt angeschlossen und das gilt sinngemäß auch für die Annahme eines Untertauchens innerhalb Österreichs. Einmal mehr ist daher klarzustellen, dass die Verhängung der Schubhaft auch in "Dublin-Fällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden darf (vgl. zum Ganzen aus der letzten Zeit die Erkenntnisse vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/21/0391, und Zl. 2007/21/0512, jeweils mit weiteren Nachweisen). Besondere Gesichtspunkte, die erkennen ließen, es handle sich hier um eine von den typischen "Dublin-Fällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch die Beschwerdeführerin geschlossen werden könnte, sind aber vorliegend nicht gegeben.

Soweit schließlich - sowohl von der Bezirkshauptmannschaft Baden als auch von der belangten Behörde - auch die Mittellosigkeit und die fehlende soziale Integration der Beschwerdeführerin ins Treffen geführt werden, handelt es sich dabei in Bezug auf (wie die Beschwerdeführerin noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang zitierten, nicht die Schubhaft gegen einen Asylwerber betreffenden hg. Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation der Beschwerdeführerin verfehlt; der Frage der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. auch dazu die zuletzt genannten Erkenntnisse).

Im Übrigen ist aber noch anzumerken, dass die belangte Behörde in Bezug auf die (erstmals) in der Schubhaftbeschwerde behaupteten familiären Beziehungen der Beschwerdeführerin zu K.K., die sie nicht für glaubwürdig hielt, nicht von einem im Sinne des § 83 Abs. 2 Z 1 FPG "aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt" hätte ausgehen und deshalb im vorliegenden Fall nicht von der Durchführung einer mündlicher Verhandlung hätte absehen dürfen. Das wird auch in der Beschwerde zur Recht gerügt.

Da die belangte Behörde somit der dargestellten Rechtslage nicht in der gebotenen Weise Rechnung getragen hat, war der angefochtene Bescheid wegen der (prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass die in der Beschwerde in den Vordergrund gestellte Frage der Auslegung des Art. 7 der Dublin II-Verordnung einer Beantwortung bedarf.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die dort angeführten Pauschalbeträge umfassen auch die Umsatzsteuer, sodass das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war.

Wien, am 28. Mai 2008

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte