VwGH 2008/18/0478

VwGH2008/18/04788.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des M A, geboren am 16. Februar 1988, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. April 2008, Zl. E1/343.362/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
StGB §142 Abs1;
StGB §143;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
StGB §142 Abs1;
StGB §143;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. April 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei seit 20. Februar 1990 im Bundesgebiet aufrecht gemeldet und seit 11. November 1998 im Besitz einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft".

Am 20. Juli 2006 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß den §§ 142 Abs. 1 und 143 zweiter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt worden. Den Entscheidungsgründen des in Rechtskraft erwachsenen Urteils sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am 5. April 2006 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einer abgesondert verfolgten Person anderen mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen bzw. abgenötigt habe, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Der Beschwerdeführer sei mit seinem Komplizen mit einem Messer, sohin einer Waffe, bewaffnet in das Wettlokal eines näher genannten Unternehmens gestürmt und habe den anwesenden Kellner sowie zwei Kunden mit dem Messer in der Hand bedroht sowie dem Verfügungsberechtigten des Unternehmens EUR 2.550,-- Bargeld, einem Kunden EUR 150,-- Bargeld und dem anderen Kunden EUR 60,-- Bargeld sowie eine Geldbörse in nicht mehr festzustellendem Wert weggenommen.

Auf Grund dieser Verurteilung sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - in concreto: das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität - in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - (auch) im Grunde des § 60 Abs. 1 leg. cit. gegeben seien.

Im erstinstanzlichen Verfahren habe der Beschwerdeführer angegeben, seit seinem dritten Lebensjahr ununterbrochen in Österreich zu sein. Er sei ledig und habe keine Sorgepflichten. In Österreich lebe seine ganze Familie, in Serbien habe er keine Heimatadresse. Er habe vier Jahre Volks- und vier Jahre Hauptschule besucht, eine Berufsausbildung zum Maler und Anstreicher habe er jedoch nicht beendet. Er sei nicht im Besitz von Barmitteln, sondern werde von seiner Mutter unterstützt. Derzeit sei er arbeitslos.

In der Berufung habe der Beschwerdeführer ergänzend geltend gemacht, dass er als aufenthaltsverfestigt anzusehen sei. Er sei seit rund 17 Jahren durchgehend im Bundesgebiet aufhältig und lebe mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt. Außerdem lebten die Schwester (eine österreichische Staatsbürgerin) sowie der Bruder im Bundesgebiet. In seinem Herkunftsland habe er keine weiteren Verwandten mehr; der serbischen Sprache sei er nicht mehr ausreichend mächtig. Der Beschwerdeführer sei noch nicht im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft, obwohl er seit rund 17 Jahren durchgehend in Österreich lebe, hier seine schulische Ausbildung absolviert habe und zuletzt bei einer näher genannten Firma berufstätig gewesen sei. Es handle sich bloß um eine geringfügige Überschreitung der in § 61 Z. 4 FPG normierten Strafe. Eine weitere Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit sei infolge der Verbüßung der Freiheitsstrafe und der damit verbundenen Resozialisierung nicht mehr anzunehmen. Aus einer Bestätigung eines näher genannten Unternehmens vom 11. Juli 2007 sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nach erfolgter Haftentlassung dort als Arbeiter beschäftigt werden könne.

Vor diesem Hintergrund - so die belangte Behörde - sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Die Zulässigkeit dieser Maßnahme sei im Grunde des § 66 FPG zu bejahen, weil sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Eigentums Dritter - dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch sein strafbares Verhalten augenfällig dokumentiert, dass er nicht in der Lage bzw. gewillt sei, die zum Schutz fremden Eigentums aufgestellten Normen einzuhalten. Aus diesem Grund könne auch eine Verhaltensprognose für den Beschwerdeführer nicht positiv ausfallen.

Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen, aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Der Beschwerdeführer verfüge unbestritten über starke familiäre Bindungen zum Bundesgebiet. Dem stehe jedoch das - hoch zu veranschlagende - öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zu der Ansicht gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als das im dargestellten Gesamt(fehl)verhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an "seinem Verlassen und Fernbleiben des Bundesgebietes".

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftat könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens Abstand genommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, unbekämpft. In Anbetracht der unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers vom 20. Juli 2006 begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.

Da dem Beschwerdeführer zuletzt im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 ein Niederlassungsnachweis erteilt wurde, der gemäß § 11 Abs. 1 lit. C NAG-DV nunmehr als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" gilt, ist gegen ihn eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der in § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig. Das setzt voraus, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Als schwere Gefahr hat gemäß § 56 Abs. 2 FPG u.a. zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist. Dadurch, dass der Beschwerdeführer das Verbrechen des schweren Raubes unter Verwendung einer Waffe begangen hat, hat er das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentums- und der Gewaltkriminalität gravierend beeinträchtigt. Im Hinblick darauf kommt der - nicht gerügten - Tatsache, dass der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 56 Abs. 1 FPG anzuwenden gewesen wäre, die belangte Behörde das Verhalten des Beschwerdeführers aber rechtsirrtümlich (nur) nach § 60 Abs. 1 FPG beurteilt hat, für den Ausgang des Verfahrens keine Bedeutung zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2008, Zl. 2007/18/0794).

2. Die belangte Behörde hat im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 1990 sowie seine familiären Bindungen zu seinen Eltern, mit denen er im gemeinsamen Haushalt lebt, seiner Schwester und seinem Bruder, seinen Schulbesuch sowie die abgebrochene Berufsausbildung berücksichtigt. Zu Recht hat sie die aus seinem bisherigen inländischen Aufenthalt resultierende Integration in ihrer sozialen Komponente durch sein strafbares Verhalten als erheblich gemindert angesehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0760, mwN). Dass der zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlungen bereits volljährige Beschwerdeführer nach Abbruch seiner Lehre nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert gewesen sei, wird in der Beschwerde nicht vorgebracht und ist auch den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Weiters blieb unbestritten, dass der Beschwerdeführer ledig ist und keine Sorgepflichten - somit keine Kernfamilie im Sinn des § 2 Abs. 2 Z. 12 FPG - im Bundesgebiet hat.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die aus seinen Straftaten resultierende Gefährdung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentums- und Gewaltkriminalität gegenüber, welches das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer - somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - selbst dann als dringend geboten erscheinen lässt, wenn man berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer für die Zeit nach seiner Haftentlassung eine Einstellungszusage eines näher genannten Unternehmens hat.

Die mit der Wiedereingliederung in seinem Heimatland verbundenen Schwierigkeiten auf Grund allenfalls nicht ausreichender Sprachkenntnisse und fehlender verwandtschaftlicher Beziehungen in Serbien hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, Zl. 2008/22/0915, mwN). Im Übrigen wird mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer in ein bestimmtes Land, wie etwa Serbien, auszureisen habe.

Die belangte Behörde hat somit zu Recht der durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers bewirkten Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen als den angeführten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers. Entgegen der Beschwerdeansicht hat sie dabei auch keineswegs die Interessenabwägung und die Ermessensübung vermengt. Im Übrigen hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Urteil vom 28. Juni 2007, "Kaya", NL 2007, 144) die (dauerhafte) Ausweisung eines Migranten zweiter Generation im Blick auf die Schwere der Straftaten für verhältnismäßig iSd Art. 8 EMRK gewertet.

3. Soweit die Beschwerde auf die "Kann-Bestimmung" des § 60 Abs. 1 FPG hinweist und damit die Ermessensübung durch die belangte Behörde beanstandet, kann der Verwaltungsgerichtshof auch diesen Ausführungen nicht folgen. Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens (§ 55 Abs. 3 Z. 1 FPG) ist das Vorliegen der Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig; eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von dessen Verhängung würde offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) erfolgen, sodass für die belangte Behörde keine Veranlassung bestand, im Rahmen der Ermessensübung von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. März 2010, Zl. 2010/18/0041, mwN).

4. Es kann daher auch keine Rede davon sein, dass der angefochtene Bescheid mangelhaft begründet wäre.

5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 8. Juni 2010

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