VwGH 2007/11/0200

VwGH2007/11/020028.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der S W, vertreten durch Mag. I Z, beide in W, diese vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/14, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- u. Behindertenangelegenheiten vom 28. August 2007, Zl. 41.550/478- 9/06, betreffend Entschädigung nach dem Impfschadengesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

HVG §2;
ImpfSchG §1 idF 2006/I/169;
ImpfSchG §3 Abs3 idF 2006/I/169;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
HVG §2;
ImpfSchG §1 idF 2006/I/169;
ImpfSchG §3 Abs3 idF 2006/I/169;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die im Jahr 1961 geborene Beschwerdeführerin stellte mit am 29. Mai 2005 beim Bundessozialamt - Landestelle Wien eingelangtem Schreiben ihrer Sachwalterin einen Antrag auf Leistung nach dem Impfschadengesetz. Begründet wurde der Antrag damit, dass die Beschwerdeführerin einen psychomentalen Entwicklungsrückstand auf der Basis einer frühkindlichen Pockenimpfungsencephalitis im Alter von 18 Monaten aufweise.

Nachdem das Bundessozialamt - Landestelle Wien mit Bescheid vom 11. April 2006 den Antrag abgewiesen und die Beschwerdeführerin Berufung erhoben hatte, wurde von der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- u. Behindertenangelegenheiten (Bundesberufungskommission) folgendes nervenfachärztliches Amtssachverständigengutachten Dris. M. vom 5. Februar 2007 eingeholt:

"Nervenfachärztliches Sachverständigengutachten

Die AW kommt in Begleitung ihrer Sachwalterin und Betreuerin ohne Hilfsmittel zur Untersuchung.

Aktenlage:

1. In einem Aufnahmeblatt des KH Rosenhügel vom 22.04.1965 (Abl.72-75) wird bei der Familienanamnese Folgendes angeführt:

Vater 'Trinker'

Mutter 'Nervenleiden', 'Anfälle im 13.Lebensjahr' 'Krämpfe', Gonorrhoe mit 15 Jahren, der persönliche Eindruck 'primitiv'. 1 Schwester der Kindesmutter leide an 'Angstzuständen'.

Im Status keine Hirnnervenausfälle oder Abweichungen, keine Pyramidenbahnzeichen, keine Spastizität, der Gang und Stand werden als unauffällig angeführt.

Im Gesamteindruck: groß, kräftig, sehr ängstlich, heftig gegen die Untersuchung wehrend, autistisch, nicht zu beruhigen.

Generalisierte Krämpfe, Petit und Grand Mal Anfälle, eine Encephalitis oder Meningoencephalitis werden verneint!!

Eine Lungenentzündung und Meningitis mit 18 Monaten wird angeführt.

Unter 'Impfschäden' werden einzig '39 Grad Fieber und 3 Tage nicht gegessen' angeführt. Dies ist als Impfreaktion, nicht - komplikation zu werten.

Keine Meningitis, Encephalitis, Bewusstseinsstörung, epileptische Anfälle oder dergleichen!!

Im Verhalten: schlägt um sich, schlägt sich mit Geschwistern, zornig, spricht nicht.

Der ausführliche Punkt- 'Anfälle' - wird durchgestrichen, da nicht vorhanden!!

An Krankenhausaufenthalten werden ein 3-wöchiger Aufenthalt im Karolinenspital im Alter von 18 Monaten wegen einer LUNGENENTZÜNDUNG, 3 Wochen im St. Anna Kinderspital mit 2 Jahren wegen einer OTITIS angeführt (AbL75). KEIN ZUSAMMENHANG MIT EINER IMPFUNG ODER EINER ENCEPHALITIS WERDEN ANGEFÜHRT!!

2. In einem Schreiben des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 04.03.1977 (Abl.33-34) wird angeführt, dass Fr. W ein gehirngeschädigtes Kind zu betreuen hatte und alle übrigen Kinder einen leichten geistigen oder körperlichen Defekt haben und nur schwer zu behandeln waren.

3. Ein fachärztliches Attest des neurologischen KH Rosenhügel vom 28.09.1979 (Abl.36) in dem eine ausgeprägte Encephalopathie mit psychomotorischer Unruhe und erheblichem Entwicklungsrückstand im seelisch-geistigen Bereich angeführt wird. Obwohl die Patientin seit dem frühen Kindesalter ebendort in ambulanter fachärztlicher Betreuung steht, wird die Ursache der Encephalopathie nicht angeführt (im Gegensatz zum Gutachten im Punkt 3, welches sich nur auf die Anamnese mit Mutter und mündliche Befragung der Kurandin stützt).

4. Nervenfachärztliches Gutachten Prof. S(…) um 04.1980 (Abl.37-39) zum Entmündigungsverfahren: eine Entwicklungsstörung nach Pockenencephalitis mit Demenzzuständen wird angeführt.

Neben der Anamnese mit der Mutter und der mündlichen Befragung der Kurandin werden keine zusätzlichen Befunde angeführt (Bildgebung, Labor, Krankenakten, etc.), worauf sich diese Annahme stützt.

5. Befundbericht vom KH Rosenhügel vom 18.12.1990 (Ab116-18) Anamnestisch Meningoencephalitis nach Pockenimpfung, Stimmungslabilität, noch keine medikamentöse Therapie.

6. Befundbericht vom KH Rosenhügel vom 03.05.1991 (Abl.19-20) Psychomentaler Entwicklungsrückstand auf Basis einer frühkindlichen Encephalitis, keine medikamentöse Therapie

7. Befundbericht vom KH Rosenhügel vom 08.11.1993 (Abl.21-22) Verdacht auf psychotische Episode bei psychomentalem Entwicklungsrückstand auf Basis einer frühkindlichen Encephalitis. In der Anamnese wird eine Pockenimpfungsencephalitis im Alter von 18 Monaten angeführt.

8. Ärztlicher Befundbericht KH Rosenhügel vom 30.11.1999 (Abl.23-25) Der neurologische Status: grob neurologisch unauffällig, der beschriebene Tremor, die Dyskinesien und der Rigor verschwanden nach Umstellung von Kemadrin auf Akineton ret. Im EEG kein definitiver Herdbefund oder Paroxysmen.

Die psychiatrische Erkrankung (chronische Psychose), soll in Einzelpsychotherapie aufgearbeitet werden (intrafamiliäre Gewalt, Übergriffe). Auf eine Impfencephalitis als Genese der geistigen Behinderung, psychiatrischen Erkrankung wird definitiv nicht hingewiesen - obwohl die Patientin ebendort seit der frühen Kindheit in Behandlung steht.

Es liegt kein Impfnachweis, kein Nachschauergebnis vor.

Es liegen keine schriftlichen Befunde vor, welche eine Encephalitis, Krampfanfälle oder dergleichen in Verbindung mit einer stattgehabten Impfung anführen.

Die AW wurde mit 18 Monaten (Karolinenspital), mit 2 Jahren (St. Anna Kinderspital) und mit 2,5 Jahren (Prayer'sches Kinderspital) stationär aufgenommen (Aufnahmegründe: Lungenentzündung, Otitis, Furunkeloperation). Sonst keine Aufnahmen bis 22.4.1965!!

Hätte eine Impfencephalitis bestanden, wären eine stationäre Aufnahme und entsprechende Diagnostik und Therapie unumgänglich gewesen. Im Aufnahmeblatt von 1965 und somit ältesten und zeitlich am engsten zum angegeben 'Impfschaden' liegenden Befund (Punkt 1) wird eine Lungenentzündung und Meningitis im Alter von 18 Monaten und ein stationärer Aufenthalt im Karolinenspital im gleichen Alter angeführt.

Über eine Encephalitis oder Meningoencephalitis in Zusammenhang mit einer stattgehabten Pockenimpfung finden sich keine Angaben!!

Die angeführten 39 Grad Fieber und das 3 Tage nicht essen nach Pockenimpfung stellen eine 'Impfreaktion', nicht - komplikation dar.

Anamnese:

Die Aw spricht über ihr neues Leben in der eigenen Wohnung, wird regelmäßig betreut (Lebenshilfe) und hat auch Ansprache im betreuten Wohnheim. Erzählt über die Beschäftigungstherapie. Daß das Taschengeld nicht immer ausreiche. Nachschreiben könne sie, lesen jedoch nicht. Probleme mit der Uhrzeit bestünden, das Abschätzen von Intervallen (fixe Zeitpunkte-zB gleich nach der Arbeit, nicht 1 Stunde nachher) und Distanzen (Überquerung der Straße nur mit Ampel)bereite Probleme. Einkaufen tut sie selber, oft zuviel Brot und Obst.

An Anfälle, Bewusstlosigkeit könne sie sich nicht erinnern, auch die mitgekommene Sachwalterin verneint dies. Kann aber nicht so genaue Angaben machen, dies wisse die Mutter genauer.

Medikamente gegen Anfälle wurden jedoch nie eingenommen. Der Vater wäre ein schlechter, ein Alkoholiker gewesen. Kontakt zur Mutter besteht. Schwierig war die Kindheit.

Über den Grund der Neuroleptika Einnahme kann von der Aw keine Angabe gemacht werden, die Sachwalterin führt akustische Halluzinationen in der Vergangenheit an:

Med: Risperdal const 14 tägig, Dominal fte 8Omg, Akineton ret.

Objektiv neurologisch (Im Beisein der Betreuerin und Sachwalterin)

Caput: frei beweglich, kein Meningismus, HNAP frei.

HN: kein pathologischer Befund erhebbar, kein Nystagmus,

OE: Kraft: in allen Muskelgruppen KG 5, Tonus bds. erhöht,

Trophik: stgl.oB. Reflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar,

Sensibilität: stgl. unauffälig. VdA keine Absink- oder Pronationstendenz, FNV bds. zielsicher, PyZeichen bds. negativ. Frontalzeichen nicht nachweisbar.

Rumpf: Bauchhaut- u. Bauchdeckenreflexe seitengleich auslösbar, gerade u. quere Bauchmuskulatur intakt, Rumpf stabil, Urogenitalanamnese unauffällig

UE: Kraft in allen Muskelgruppen KG 5, Tonus bds. erhöht,

Trophik: oB. Reflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Sensibilität: stgl. unauffällig. VdB keine Absinktendenz, KHV bds. zielsicher, Py-Zeichen negativ. Stand/Gang: Romberg unauffällig, Gangbild unauffällig.

Psychisch: Klar, wach, zur Person orientiert, zeitlich und örtlich nur teilweise orientiert (Lt. Angabe der Betreuerin müsse man mit ihr öfters den Weg zusammen gehen, bis sie ihn sich merkt). Im Ductus inkohärent, das Denkziel wird mit Umschweife erreicht. Abbrüche. Stimmung ausgeglichen bis heiter. Antrieb normal, keine Einschlafstörung, zeitweise Durchschlafstörung, gute Schlafeffizienz. In beiden Skalenbereichen affizierbar. Aufmerksamkeitleistung herabgesetzt. Erhöht ablenkbar. Einfachen Aufträgen (im Rahmen der neurologischen Untersuchung) kann nicht immer gefolgt Einfache Rechnungen können nicht bewerkstelligt werden. Lesen könne Sie nicht. Keine mnestischen Defizite, derzeit keine produktive Symptomatik erhebbar. Intellektuelle Beeinträchtigung höheren Grades.

a) Kognitive Beeinträchtigung höheren Grades

Affektive Erkrankung mit psychotischen Exazerbationen

b) Es findet sich weder ein zeitlicher (weder Impfpass, Nachschaudokumente oder entsprechende Befunde über eine stationäre Aufnahme vorliegend) noch kausaler (Aufnahmegrund im Karolinenspital - mit 18 Monaten - war lt. Unterlagen eine Lungenentzündung) Zusammenhang der cerebralen Entwicklungsstörung und einer Impfung.

Im Aufnahmeprotokoll vom 22.04.1965 wird eine " Lungenentzündung mit Meningitis" mit 18 Lebensmonaten angeführt. Eine Encephalitis, Meningoencephalitis oder ein cerebrales Anfallsleiden werden nicht angeführt! Weder im Aufnahmeprotokoll noch im fachärztlichen Attest des neurologischen KH Rosenhügel vom 28.09.1979 ( Abl.36) wird eine Impfencephalitis als Ursache der Entwicklungsstörung angeführt.

Erstmals wird eine Pockenencephalitis in einem nervenfachärztlichen Gutachten zur Entmündigung im Jahre 1980 angeführt. Dies einzig auf anamnestischen Angaben der Mutter beruhend.

  1. c) -----
  2. d) Weder im Aufnahmeprotokoll noch den fachärztlichen Befundberichten ist jemals die Sprache von -'Krampfanfällen'. Eine Verhaltensstörung - 'schlägt stundenlang mit dem Kopf gegen den Diwan' (Abl.75) entspricht keinem cerebralen Anfallsleiden und wurde auch dementsprechend eingestuft (siehe durchgestrichener Punkt-Anfälle-Abl.75). Die unter der Rubrik "Impfschäden" im Aufnahmeprotokoll 1965 angeführte Symptomatik entspricht einer Impfreaktion, keiner Impfkomplikation. Es wird dezidiert keine Encephalitis angegeben.

    Der angesprochene 3-wöchige Aufenthalt im Karolinenspital ist mit dem Zusatz 'Lungenentzündung, Meningitis) versehen (Abl. 74 und 75).

    …"

    Im Rahmen des Parteiengehörs brachte die Sachwalterin der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 20. März 2007 vor, das Gutachten Dris. M. sei nicht schlüssig, es führe insbesondere nicht an, dass im Anamneseblatt des Krankenhauses Rosenhügel vom 22. April 1965 sehr wohl von einer Meningitis der Beschwerdeführerin die Rede sei. Der Kausalzusammenhang zwischen der Meningitis und der geistigen Behinderung werde mit einem unter einem vorgelegten Befund der Krankenanstalt Rudolfstiftung vom 28. Oktober 1977 bewiesen, weil darin in der Anamnese angeführt werde, dass bei der Patientin eine nach frühkindlicher cerebraler Schädigung (Meningitis) aufgetretene Oligophrenie bestehe.

    Beigeschlossen war der Stellungnahme der Beschwerdeführerin nicht nur der erwähnte Befund der Krankenanstalt Rudolfstiftung vom 28. Oktober 1977, sondern auch ein an das Krankenhaus Rosenhügel gerichtetes Schreiben des Karolinen-Kinderspitals vom 27. April 1965, demzufolge die Beschwerdeführerin am 26. September 1963 in stationäre Behandlung aufgenommen worden sei. Es habe sich um eine Mittellappenpneumonie gehandelt. Wegen des Verdachtes auf Meningitis sei eine Lumbalpunktion gemacht worden. Der Liquorbefund sei normal gewesen. Das Kind habe anfangs bis 39,5 Grad gefiebert, die Senkung sei auf 35/50 erhöht gewesen. Unter antibiotischer und kardialer Therapie habe sich das Allgemeinbefinden allmählich gebessert. Nach Abheilung der Pneumonie sei das Kind am 21. Oktober 1963 in häusliche Pflege entlassen worden. Das Gewicht bei der Aufnahme habe 7,00 kg, bei der Entlassung 7,50 kg betragen.

    In einer Gutachtensergänzung vom 30. April 2007 führte Dr. M. aus, im Kurzbericht des Karolinen-Kinderspitals vom 27. April 1965 werde als Aufnahmegrund - im Jahr 1963 - eine Mittellappenpneumonie angeführt, der Liquorbefund sei hingegen normal gewesen. Aus dem von der Beschwerdeführerin ebenfalls vorgelegten Gedächtnisprotokoll ihrer Mutter vom 5. Februar 2007 ergebe sich, dass sich der Zustand der Beschwerdeführerin nach der Pockenimpfung verschlechtert hätte, sie hätte hohes Fieber gehabt, nichts mehr gegessen und sei nach 10 bis 14 Tagen ins Karolinen-Kinderspital überwiesen worden. Über eine Encephalitis oder Meningoencephalitis im Zusammenhang mit einer stattgehabten Pockenimpfung lägen keine schriftlichen Befunde vor.

    Mit Bescheid vom 28. August 2007 wies die Berufungskommission die Berufung ab und bestätigte den erstbehördlichen Bescheid. In ihrer Begründung gab die Berufungskommission zunächst das Gutachten Dris. M., die dazu erstattete Stellungnahme der Beschwerdeführerin sowie die ergänzende Stellungnahme Dris. M. wieder. Danach wurde ausgeführt, es sei glaubhaft, dass der Beschwerdeführerin im Jahr 1963 eine Pockenschutzimpfung verabreicht worden sei. Aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten Dris. M., welches die Behörde zugrundelege, ergebe sich, dass die bestehende Erkrankung der Beschwerdeführerin nicht im Zusammenhang mit der durchgeführten Impfung stehen könne. Die Kausalität dieser Erkrankung sei nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit begründbar. Von einer Einvernahme der Mutter der Beschwerdeführerin habe Abstand genommen werden können, weil keine für die Ermittlung des Sachverhaltes relevanten neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien. Die Einsichtnahme in eine durch den ORF erstellte Kopie der Beiträge betreffend Impfopfer in den ORF-Sendungen "Horizonte" vom 26. April und vom 22. November 1972 habe ergeben, dass die Beschwerdeführerin darin - entgegen deren Vorbringen im Berufungsverfahren - keine Erwähnung gefunden habe.

    Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

    Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Das Impfschadengesetz, BGBl. Nr. 371/1973, in der vor Erlassung des angefochtenen Bescheides zuletzt mit BGBl. I Nr. 169/2006 geänderten Fassung, lautet (auszugsweise):

"§ 1. Der Bund hat für Schäden, die durch eine Schutzimpfung auf Grund

1. des bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Bundesgesetzes über Schutzimpfungen gegen Pocken (Blattern), BGBl. Nr. 156/1948, oder

...

verursacht worden sind, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes

Entschädigung zu leisten.

...

§ 3. (1) (Verfassungsbestimmung) Die Angelegenheiten dieses Bundesgesetzes sind unmittelbar von Bundesbehörden zu versehen.

(2) Über Ansprüche auf Entschädigung nach diesem Bundesgesetz entscheidet in erster Instanz das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, in zweiter und letzter Instanz die Bundesberufungskommission.

(3) Soweit dieses Bundesgesetz nicht Abweichendes bestimmt, sind die §§ 2, 31a, 54 bis 60, 65 bis 67, 69 bis 72, 73a, 82, 83 Abs. 1, 85 Abs. 1 erster Satz und Abs. 2, 86, 87, 87a Abs. 1 bis 3, 88 Abs. 3, 92 bis 94a und 98a Abs. 7 und 8 HVG sinngemäß anzuwenden.

..."

1.2. § 2 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG) lautet (auszugsweise):

"§ 2. (1) Eine Gesundheitsschädigung ist als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist. ...

(2) Die Glaubhaftmachung eines ursächlichen Zusammenhanges durch hiezu geeignete Beweismittel genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung, wenn die obwaltenden Verhältnisse die Beschaffung von Urkunden oder amtlichen Beweismitteln zur Führung des Nachweises der Ursächlichkeit ausschließen.

..."

1.3. Das in § 1 Z. 1 des Impfschadengesetzes erwähnte Bundesgesetz über Schutzimpfungen gegen Pocken (Blattern), BGBl. Nr. 156/1948, lautete (auszugsweise):

"§ 2. (1) Jedes Kind ist, sofern nicht Befreiung nach § 4 eintritt, bis zum 31. Dezember des der Geburt nachfolgenden Kalenderjahres der Impfung gegen Pocken zu unterziehen.

…"

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Als zentrale Tatbestandsvoraussetzung wird in § 1 Z. 1 des Impfschadengesetzes, auf den sich der angefochtene Bescheid stützt, die Verursachung eines Schadens durch eine Pockenimpfung normiert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der Frage der Verursachung eines Schadens durch eine Impfung im Sinne des Impfschadengesetzes unter Bezugnahme auf die Novelle BGBl. I Nr. 48/2005, die auch im vorliegenden Fall Gültigkeit hat, in seinem Erkenntnis vom 17. November 2009, Zl. 2007/11/0005, auseinandergesetzt. Durch die genannte Novelle wurde § 3 Abs. 3 Impfschadengesetz dahin geändert, dass bei der Beurteilung eines Entschädigungsanspruches nach dem Impfschadengesetz der oben zitierte § 2 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG) sinngemäß anzuwenden ist. Gemäß § 2 Abs. 1 HVG kommt es darauf an, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung "zumindest mit

Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis ... ursächlich

zurückzuführen ist"; Abs. 2 leg. cit. normiert, dass die Glaubhaftmachung eines ursächlichen Zusammenhanges für die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung genügt, wenn die obwaltenden Verhältnisse die Führung des Nachweises der Ursächlichkeit ausschließen.

Daraus folgt, dass nach der hier anzuwendenden Rechtslage der Anspruch auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz nicht nur bei einem "Kausalitätsnachweis", sondern schon im Falle der "Kausalitätswahrscheinlichkeit" besteht. Davon ausgehend ist jedenfalls dann, wenn auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens anzunehmen ist, dass die drei maßgeblichen Kriterien (entsprechende Inkubationszeit, entsprechende Symptomatik, keine andere wahrscheinlichere Ursache) erfüllt sind, von der Wahrscheinlichkeit der Kausalität einer Impfung für die betreffende Gesundheitsschädigung im Sinne der §§ 1 und 3 Abs. 3 des Impfschadengesetzes iVm § 2 HVG auszugehen (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 17. November 2009, Zl. 2007/11/0005, sowie das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2011, Zl. 2007/11/0034). Anhand dessen ist zu überprüfen, ob die belangte Behörde ohne Rechtswidrigkeit zu dem Ergebnis gelangte, es sei im vorliegenden Fall nicht einmal die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität der gegenständlichen Impfung für die Leiden des Beschwerdeführers anzunehmen.

2.2. Den oben dargestellten Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht.

Es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen zu prüfen, ob (nach heutigem Stand des Wissens) eine im Jahr 1963 verabreichte Pockenimpfung wenige Wochen später zu einer Meningoencephalitis oder Encephalitis führen konnte, desgleichen, ob eine derartige Erkrankung stattgefunden hat. Diese Fragen sind in dem von der belangten Behörde verwerteten Sachverständigengutachten nicht ausreichend beantwortet.

Ebensowenig hat die belangte Behörde eine Klärung der Frage veranlasst, ob eine Pockenimpfung bekannter Weise überhaupt Auslöser einer Meningoencephalitis oder Encephalitis sein kann, ob also die bei der Beschwerdeführerin aufgetretenen Symptome überhaupt einschlägig sind, und - bejahendenfalls - ob es für die genannten Erkrankungen eine wahrscheinlichere Ursache gibt.

2.3. Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 28. Juni 2011

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