VwGH 2006/01/0453

VwGH2006/01/045319.3.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stelzl, über die Beschwerden 1. der H R in S, geboren 1982, vertreten durch Dr. Johann Grandl, Rechtsanwalt in 2130 Mistelbach, Hauptplatz 18/1/2, und 2. des S R in S, geboren 1981, vertreten durch Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwalt in 2130 Mistelbach, Hauptplatz 1, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Mai 2006, Zlen. 255.079/0- III/67/04, 255.080/0-III/67/04, betreffend (zu 1.) §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 bzw. (zu 2.) §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

ZustG §2 Z1;
ZustG §7 Abs1;
ZustG §9 Abs3 idF 2004/I/010;
ZustG §9 Abs3 idF 2008/I/005;
ZustG §9;
ZustG §2 Z1;
ZustG §7 Abs1;
ZustG §9 Abs3 idF 2004/I/010;
ZustG §9 Abs3 idF 2008/I/005;
ZustG §9;

 

Spruch:

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, der zweitangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann, der Zweitbeschwerdeführer, sind Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina. Sie stellten am 3. November 2003 Anträge auf Gewährung von Asyl. Bei einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 20. Jänner 2004 ersuchte die Erstbeschwerdeführerin, ihren Asylantrag als Asylerstreckungsantrag zu werten.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. November 2004 wurde der Asylerstreckungsantrag der Erstbeschwerdeführerin gemäß §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen.

Im Verfahren des Zweitbeschwerdeführers wurde dem Bundesasylamt mit Begleitschreiben vom 7. November 2003 eine Vollmacht ("Generalvollmacht" zur Vertretung "in allen Asyl und Fremdenangelegenheiten") des Zweitbeschwerdeführers an seinen in Österreich wohnhaften Onkel vorgelegt. Der bevollmächtigte Onkel war nach Ausweis der diesbezüglichen Niederschrift bei der Einvernahme des Zweitbeschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am 14. November 2003 anwesend. Eine Vollmachtskündigung ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. November 2004 wurde der Asylantrag des Zweitbeschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Zweitbeschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Schließlich wurde der Zweitbeschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten wurde hinsichtlich dieses Bescheides die Zustellung an den Zweitbeschwerdeführer, nicht aber an den bevollmächtigten Onkel verfügt; dem Zweitbeschwerdeführer wurde der Bescheid am 5. November 2004 auch zugestellt.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. November 2004 gemäß §§ 10, 11 AsylG abgewiesen. Dieser Bescheid wurde am 17. Mai 2006 dem Bundesasylamt sowie am 18. Mai 2006 der Erstbeschwerdeführerin zugestellt.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Zweitbeschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. November 2004 gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Zweitbeschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina (neuerlich) gemäß § 8 Abs. 1 AsylG festgestellt (Spruchpunkt II.) und der Zweitbeschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bosnien-Herzegowina ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde am 18. Mai 2006 dem Zweitbeschwerdeführer (nicht aber dem bevollmächtigten Onkel) sowie am 22. Mai 2006 dem Bundesasylamt zugestellt.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen, wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein schriftlicher Bescheid erst mit der Zustellung an eine Partei als erlassen anzusehen; nur ein erlassener Bescheid kann Rechtswirkungen erzeugen (vgl. die hg. Beschlüsse vom 20. Dezember 2005, Zl. 2005/04/0063, und vom 31. März 2004, Zl. 2004/18/0013, sowie das hg. Erkenntnis vom 22. März 2001, Zl. 97/03/0201). Ist der erstbehördliche Bescheid nicht rechtswirksam erlassen worden, so hat dies den Mangel der Zuständigkeit der Berufungsbehörde zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel zur Folge. Die Zuständigkeit reicht in derartigen Fällen nur so weit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. Mai 2008, Zl. 2007/06/0167, und vom 4. Juli 2002, Zl. 2001/11/0072, sowie die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Aufl. 1998, S. 1261, E 93 zu § 66 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Gemäß § 10 AVG idF BGBl. I Nr. 158/1998 können sich die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaften vertreten lassen. Bevollmächtigte haben sich durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen. Eine allgemeine Vertretungsvollmacht im Sinne des § 10 AVG schließt im Allgemeinen die Zustellungsbevollmächtigung ein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 5. September 2008, Zl. 2005/12/0061, vom 8. Mai 2008, Zl. 2007/06/0167, vom 7. September 2005, Zl. 2004/12/0212, sowie die bei Walter/Thienel, aaO, S. 306, E 98 zu § 10 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Gemäß § 9 Abs. 3 Zustellgesetz in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 10/2004 (ZustG) hat die Behörde, soweit ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt und gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß § 7 Abs. 1 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Empfänger ist gemäß § 2 Z 1 ZustG die von der Behörde in der Zustellverfügung namentlich bezeichnete Person, in deren Verfügungsgewalt das zuzustellende Dokument gelangen soll.

Wird entgegen der Anordnung des § 9 Abs. 3 ZustG nicht der Zustellungsbevollmächtigte, sondern die Partei selbst als Empfänger bezeichnet und dieser zugestellt, so äußert diese Zustellung keine Rechtswirkungen. Eine Heilung dieses Zustellmangels gemäß § 7 Abs. 1 ZustG tritt nicht ein; die Heilung eines Zustellmangels nach der eben zitierten Bestimmung liegt darin, dass das Schriftstück in die Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt. War demgegenüber schon eine falsche Person in der Zustellverfügung als Empfänger bezeichnet, so liegt kein Fall des § 7 Abs. 1 ZustG vor. Anders als in seiner bis zur Novellierung durch BGBl. I Nr. 10/2004 bzw. nach seiner neuerlichen Novellierung durch BGBl. I Nr. 5/2008 maßgeblichen Fassung enthielt das ZustG in seiner im Zeitpunkt der Übermittlung der erstinstanzlichen Erledigung in Kraft stehenden Fassung auch keine besondere Vorschrift für die Heilung einer infolge unterbliebener Bezeichnung des Zustellungsbevollmächtigten als Empfänger mangelhaften Zustellverfügung durch tatsächliches Zukommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. September 2008, Zl. 2005/12/0061, sowie die hg. Beschlüsse vom 20. Dezember 2005, Zl. 2005/04/0063, und vom 16. November 2005, Zl. 2005/12/0229).

Im vorliegenden Fall hat der Zweitbeschwerdeführer seinen Onkel im Asylverfahren bevollmächtigt. Ungeachtet dessen wurde der erstinstanzliche Bescheid - entsprechend der Zustellverfügung - dem Zweitbeschwerdeführer selbst zugestellt. Diese Zustellung äußert nach dem Gesagten keine Rechtswirkungen. Eine Heilung dieses Zustellmangels kam nach der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung des ZustG nicht in Betracht.

Davon ausgehend lag der belangten Behörde hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers kein wirksam erlassener Bescheid vor. Mit dem meritorischen Abspruch über die Berufung des Zweitbeschwerdeführers hat die belangten Behörde daher die Grenzen ihrer funktionellen Zuständigkeit überschritten, weshalb der zweitangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war.

Der erstangefochtene Bescheid, mit dem über den Asylerstreckungsantrag der Erstbeschwerdeführerin entschieden wurde, ist nach dem oben wiedergegebenen Verwaltungsgeschehen vor rechtskräftiger Entscheidung über den Hauptantrag ergangen und schon aus diesem Grund inhaltlich rechtswidrig (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2004, Zlen. 2003/01/0186, 0289, 0290). Dieses Ergebnis ist darüber hinaus auch Folge der Aufhebung des zweitangefochtenen Bescheides, zumal damit das Asylverfahren des Zweitbeschwerdeführers mit Wirkung ex tunc wieder offen ist.

Der erstangefochtene Bescheid war demnach wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. März 2009

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