VwGH 2003/01/0186

VwGH2003/01/018625.5.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerden 1. des L H, geboren 1979, 2. der E H, geboren 1981, und 3. der mj. F H, geboren 2002 und vertreten durch den Erstbeschwerdeführer, alle in T und vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 19. Februar 2003, (ad 1.) Zl. 232.570/0-V/15/02, sowie (ad 2.) Zl. 232.572/0-V/15/02 und (ad 3.) 232.571/0-V/15/02, betreffend (ad 1.) §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 sowie (ad 2. und 3.) §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 (weitere Partei jeweils: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §11;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §11;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20 (insgesamt daher EUR 2.973,60) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er ist Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin und Vater der Drittbeschwerdeführerin, reiste am 22. August 2002 mit der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin nach Österreich ein und beantragte am 23. August 2002 die Gewährung von Asyl. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin, letztere vertreten durch den Erstbeschwerdeführer, stellten Erstreckungsanträge gemäß § 10 und 11 AsylG.

Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 3. Oktober 2002 begründete der Erstbeschwerdeführer seinen Asylantrag wie folgt:

"Es ist so, dass wir eigentlich eine eigene Wohnung hatten, die lag auch in Mitrovica. Im Zuge der Kriegsereignisse wurde diese Wohnung aber von einem Serben okkupiert, der wohnt jetzt da drinnen, wir haben diese Wohnung praktisch verloren. Diesbezüglich kann ich eine Bestätigung vorlegen, die meine diesbezüglichen Aussagen bestätigen.

Diese Wohnung lag im Norden der Stadt, da wohnen praktisch nur noch Serben.

So sind wir in eine Wohnung gezogen, die eigentlich meinem Onkel gehört, der in Deutschland war. Jetzt ist er aber zurückgekehrt und benötigt natürlich diese Wohnung für sich. So stehen wir praktisch auf der Strasse. Mein Vater ist krank, er ist zuckerkrank, er kann uns praktisch nicht helfen, das familiäre Umfeld ist sehr triste, sodass wir praktisch keine andere Möglichkeiten hatten als hierherzukommen.

Ich muss Arbeit finden, damit ich Geld verdienen kann und meine Familie und mich erhalten kann. Es ist einfach nicht möglich 'unten' zu leben. Das sind meine Fluchtgründe.

F. Haben oder hatten Sie sich politisch betätigt, haben oder hatten Sie irgendwelche Probleme mit Behörden, Ämtern, Gerichten, oder Personengruppen?

A: Ich bin Mitglied der LDK, diesbezüglich lege ich einen entsprechenden Mitgliedsausweis vor. Ich habe aber deswegen keine Probleme gehabt, ich habe auch keine Schwierigkeiten mit Behörden oder sonst irgendwelchen Leuten. Ich bin hier, damit ich überleben kann. Deshalb kann ich auch nicht zurück, ich hätte 'unten' praktisch nichts, ich kann nicht mehr zurück, wie sollte ich dort überleben und meine Familie unterstützen."

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach der" Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Zum Vorbringen des Erstbeschwerdeführers führte es - nach abstrakten Überlegungen zu "Grundanforderungen" an die Glaubhaftigkeit eines Vorbringens - aus, dass diesem die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen werden könne, jedoch der als Fluchtgrund vorgebrachte Sachverhalt in keinem Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Fluchtgründen stehe. Im Besonderen werde die schlechte wirtschaftliche Lage im Kosovo angeführt, welche jedoch nicht zu einer Asylgewährung führen könne. Zusammenfassend sei nicht glaubhaft, dass dem Erstbeschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Im Hinblick auf § 8 AsylG führte das Bundesasylamt aus, dass keine stichhaltigen Gründe festgestellt werden könnten, dass dem Erstbeschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen würden.

In der Berufung gegen diesen Bescheid führte der Erstbeschwerdeführer - der aktenkundigen Übersetzung zufolge - unter anderem aus:

"Wie ich schon bereits erklärt habe, sind wir Bewohner des nördlichen Teils in Mitrovice. Aufgrund dessen sahen wir uns gezwungen, uns von dort zu entfernen und in den südlichen Teil von Mitrovice zu gehen. Es war nicht mein Wunsch meine Wohnung, die mir seit einigen Jahren gehört, zu verlassen. Die Serben in diesem Teil von Mitrovice ermahnten mich des öfteren die Wohnung innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Ich, als Familienoberhaupt, sah mich gezwungen, meine Frau, welche damals schwanger war und kurz davor dieses Kind zu entbinden, nicht in eine Risiko zu bringen, dass uns die Serben überfallen, und uns die Serben aus dem nördlichen Teil von Mitrovice vertreiben: Nachdem ich in den südlichen Teil von Mitrovice gegangen war, wusste ich nicht, wo ich hingehen sollte. Ich habe nur einen Onkel in Deutschland, von dem ich wüsste, dass er im ersten Tunnel? Ich wandte mich an ihn und bat ihn um Hilfe. Mein Onkel erlaubte mir in seiner Wohnung zu leben und sagte: 'Bis ich aus Deutschland zurückkehre, kannst Du bleiben.' Mein Onkel kehrte dieses Jahr wieder zurück, und musst ich seine Wohnung frei machen. Ich hatte keinerlei Möglichkeiten, nur meine Frau und mein drei Monate altes Kind zu nehmen, um ins Ausland zu gehen. Keiner nimmt ein drei Monate altes Kind, um irgendwo Km 1.500 ins Ausland zu gehen. Ich wusste nicht, ob es bis hierher überlebt oder nicht. Ausserdem nahm ich EUR 4.000,-

Schulden auf, um bis nach Österreich zu kommen. Ich habe keinen Wohnplatz, ich habe nichts, womit ich leben könnte."

In der mündlichen Berufungsverhandlung am 18. Februar 2003 gab der Erstbeschwerdeführer unter anderem an:

"BW: Ich stamme aus Mitrovica. Mein Haus liegt im nördlichen Teil der Stadt und wurde von den Serben besetzt. Ich habe einige Zeit im südlichen Teil bei meinem Onkel gewohnt. Mein Onkel war in den letzten Jahren Asylwerber in Deutschland. Er wurde abgeschoben und ich sah keine andere Möglichkeit, als aus seiner Wohnung zu ziehen. Ich hatte leider keine andere Wahl. Ich habe versucht, eine Unterkunft zu finden, aber es war leider nicht möglich.

VL: Wie lange haben Sie in der Wohnung Ihres Onkels gelebt?

BW: Ich habe ca. 1 Jahr dort gelebt.

VL: Wen gibt es von Ihrer Familie noch zu Hause im Kosovo?

BW: Ich habe lediglich meine Eltern unten. Ich habe auch 2 Schwestern, diese sind aber verheiratet und meine Eltern wohnen zur Zeit bei meinen Schwestern.

VL: Hat Ihre Ehegattin jemanden im Kosovo?

BW: Ja, sie hat ihre Familie dort. Ihr Haus wurde aber auch niedergebrannt und nach langer Zeit wurde es nur notdürftig repariert.

VL: Hätte es für Sie keine Möglichkeit gegeben, bei Ihren Schwestern oder bei den Verwandten Ihrer Frau zu leben?

BW: Meine Schwester lebt mit ihrer eigenen Familie. Sie hat nur ein einziges Zimmer in ihrer Wohnung.

VL: Sind das die Gründe, warum Sie ausgereist sind, das heißt, haben Sie Ihre schlechten persönlichen Lebensbedingungen und die wirtschaftlichen Verhältnisse im Kosovo dazu bewogen, auszureisen oder gibt es noch andere Gründe?

BW: Im südlichen Teil von Mitrovica wurde ich von anderen Albanern aufgefordert, wieder nach Nord - Mitrovica zurückzukehren, damit auch der nördliche Teil der Stadt albanisch bleibt."

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Erstbeschwerdeführers ab und stellte gleichzeitig fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien - ehemals autonome Provinz Kosovo - zulässig sei.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der aus Mitrovica stammende Erstbeschwerdeführer seine Heimat auf Grund der schlechten Lebensbedingungen und somit aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe und seine Eltern, beide Schwestern des Erstbeschwerdeführers sowie die Familie seiner Ehegattin im Kosovo leben würden. Es könne nicht festgestellt werden, dass er in seiner Heimat irgendeiner Verfolgungshandlung ausgesetzt gewesen wäre. Dem erstmals in der mündlichen Verhandlung erstatteten Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, er wäre von Albanern aufgefordert worden, gemeinsam mit ihnen den nördlichen Teil Mitrovicas zu befreien, werde keine Glaubwürdigkeit beigemessen. Angesichts dessen und im Hinblick darauf, dass eine weitere asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch "Serbien" bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien als nachhaltig unwahrscheinlich erscheine, sei der Asylantrag abzuweisen gewesen. Zu § 8 AsylG wird ausgeführt, dass nicht ersichtlich sei, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung in den Kosovo die notdürftigste Lebensgrundlage fehle.

Mit den zweit- und drittangefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen unter Hinweis auf den erstangefochtenen Bescheid ab.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden der Erst- bis Drittbeschwerdeführer, deren Behandlung der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges verbunden und worüber er erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Gewährung von Asyl im erstangefochtenen Bescheid zunächst mit dem Argument versagt, es könne nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer, der nur aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist sei, in seiner Heimat irgendeiner Verfolgungshandlung ausgesetzt gewesen wäre. Diese Beurteilung ist insbesondere im Hinblick auf das nicht in Zweifel gezogene Berufungsvorbringen des Erstbeschwerdeführers nicht nachvollziehbar, nach dem er mit seiner Frau seine Wohnung im Nordteil von Kosovska-Mitrovica auf Grund konkreter Drohungen von Angehörigen der serbischen Volksgruppe verlassen habe, da er schon mit Rücksicht auf die schwangere Zweitbeschwerdeführerin die begründete Furcht gehabt habe, von Angehörigen der serbischen Volksgruppe überfallen zu werden, sollte er die Wohnung nicht räumen. Die belangte Behörde hat damit insbesondere verkannt, dass diese Drohungen den eigentlichen Fluchtgrund darstellten und somit die Fluchtbewegung des Beschwerdeführers schon im Nordteil von Kosovska-Mitrovica begonnen hat. Sie hat davon ausgehend jegliche Auseinandersetzung mit der dort für den Erstbeschwerdeführer gegebenen konkreten Situation unterlassen, weshalb der erstangefochtene Bescheid - ihm sind auch nicht etwa Überlegungen dahingehend entnehmbar, dem Erstbeschwerdeführer stehe in einem anderen Teil des Kosovo eine "interne Schutzalternative" zur Verfügung - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Mit der Aufhebung des den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheides ist das Verwaltungsverfahren über dessen Asylantrag mit Wirkung ex tunc wieder offen. Die Bescheide, mit denen die Asylerstreckungsanträge der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin abgewiesen wurden, sind insoferne vor rechtskräftiger Entscheidung über den Hauptantrag ergangen und aus diesem Grund inhaltlich rechtswidrig (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0565 mwN). Die eingangs unter den genannten Punkten 2. und 3. zitierten Bescheide vom 19. Februar 2003 waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 25. Mai 2004

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