VwGH 2004/11/0023

VwGH2004/11/002325.5.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des J in L, vertreten durch Dr. Gabriele Schubert, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Antonsgasse 2, gegen den Bescheid des Militärkommandos Niederösterreich vom 13. Jänner 2004, Zl. N/86/13/04/92-2304, betreffend Eignung zum Wehrdienst, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs2 Z1;
WehrG 1990 §15 Abs1;
WehrG 1990 §23 Abs2;
WehrG 2001 §17 Abs2;
WehrG 2001 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
WehrG 1990 §15 Abs1;
WehrG 1990 §23 Abs2;
WehrG 2001 §17 Abs2;
WehrG 2001 §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid des Militärkommandos Niederösterreich vom 13. Jänner 2004 wurde auf Grund des Beschlusses der Stellungskommission vom selben Tag gemäß § 17 des Wehrgesetzes 2001 (WG 2001) die Eignung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst mit "Tauglich" festgestellt. Eine Begründung enthält die schriftliche Ausfertigung dieses Bescheides nicht. Ob anlässlich der mündlichen Verkündung des Beschlusses der Stellungskommission eine auf den gesundheitlichen Zustand bzw. die relevante Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Konkreten eingehende Begründung gegeben wurde, ist aus den von der belangten Behörde vorgelegten Teilen des Verwaltungsaktes nicht ersichtlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Im Beschwerdefall ist das WG 2001, BGBl. I Nr. 146 (zuletzt novelliert mit BGBl. I Nr. 103/2002), maßgeblich. Die einschlägigen Bestimmungen lauten (auszugsweise):

"Aufnahmebedingungen

§ 9. (1) In das Bundesheer dürfen nur österreichische Staatsbürger einberufen werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung besitzen.

...

Aufgaben der Stellungskommissionen

§ 17. ...

(2) Die Stellungskommissionen haben die Eignung der Personen nach Abs. 1 zum Wehrdienst auf Grund der zur Feststellung dieser Eignung durchgeführten ärztlichen und psychologischen Untersuchungen mit einem der folgenden Beschlüsse festzustellen:

'Tauglich', 'Vorübergehend Untauglich', 'Untauglich'. Erscheint für diese Feststellung eine fachärztliche Untersuchung erforderlich, so sind die im Abs. 1 genannten Personen von den Stellungskommissionen einer solchen Untersuchung zuzuführen. Zu den Beschlüssen der Stellungskommission bedarf es der Anwesenheit aller Mitglieder oder der nach § 16 Abs. 2 an ihre Stelle tretenden Ersatzmitglieder und der Mehrheit der Stimmen. Ein auf 'Tauglich' lautender Beschluss bedarf jedoch der Zustimmung des Arztes.

..."

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 4. Juli 2002, Zl. 2000/11/0162, zum Wehrgesetz 1990 (WG) Folgendes ausgeführt (wovon für die hier maßgebliche Rechtslage des Wehrgesetzes 2001 abzugehen keine Veranlassung besteht; vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Feber 2004, Zl. 2002/11/0234):

"Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 4. Juli 1989, Zl. 89/11/0072, näher dargelegt hat, sollen Personen, die zwar nur in sehr eingeschränkter Weise militärisch ausgebildet werden können, die aber dennoch für bestimmte Dienstverrichtungen im Bundesheer in Betracht kommen, als "Tauglich" qualifiziert und gemäß § 44 Abs. 2 zweiter Satz WG ihrer allenfalls eingeschränkten Dienstfähigkeit entsprechend im Bundesheer eingesetzt werden. In weiterer Folge hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. November 1989, Zl. 89/11/0105, klargestellt, dass ein Stellungspflichtiger, der auf Grund seines körperlichen und geistigen Zustandes überhaupt keine militärische Ausbildung erfahren und demnach überhaupt keinen militärischen Dienst verrichten kann, nicht zum Wehrdienst geeignet ist. Der Umstand, dass eine bestimmte Person zu irgendwelchen Dienstverrichtungen im Bundesheer in der Lage ist, bewirkt nach der Judikatur noch nicht ihre Tauglichkeit im Sinne des WG. Der Dienst im Bundesheer umfasst jedenfalls eine militärische Komponente im engeren Sinn, auf die sich auch die Ausbildung der Grundwehrdiener zu erstrecken hat. In diesem Sinn ist § 15 Abs. 1 WG zu verstehen. Dies bringt die Anforderung mit sich, dass der Betreffende jedenfalls eine Waffe bedienen und ein gewisses Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann. Wie der Verwaltungsgerichtshof schließlich in seinem Erkenntnis vom 18. Dezember 1997, Zlen. 97/11/0208, 0270, näher ausgeführt hat, beschränkt sich die im Lichte der bereits zitierten Rechtsprechung geforderte körperliche Leistungsfähigkeit auf das Bedienen einer Waffe und das Aufbringen eines Mindestmaßes an Kraftanstrengung und Beweglichkeit, um die Grundausbildung zu absolvieren. In diesem Erkenntnis wurde auch klargestellt, dass es nicht ausreicht, wenn ein Stellungspflichtiger ein Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann, um eine Waffe bedienen zu können, um bereits seine Tauglichkeit zu begründen, weil der Wehrpflichtige der Beweglichkeit und Kraftanstrengung nicht nur bedarf, um die Waffe zu bedienen, sondern "in erster Linie" um die sonst bei der Leistung des Militärdienstes anfallenden Tätigkeiten und Übungen zu verrichten.

Ein auf "Tauglich" lautender Beschluss der Stellungskommission bedarf gemäß § 23 Abs. 2 letzter Satz WG der Zustimmung des Arztes. Die einem solchen Beschluss zu Grunde liegende Beurteilung muss erkennen lassen, aus welchem Grund der Arzt der Auffassung ist, der Stellungspflichtige besitze die notwendige körperliche und geistige Eignung im oben beschriebenen Sinn. Dies erfordert in Fällen, in denen Krankheitszustände oder Gebrechen festgestellt werden, welche die mögliche Kraftanstrengung und Beweglichkeit - aus welchen Gründen immer - beeinträchtigen, nachvollziehbare Ausführungen dazu, in welchem Ausmaß der Stellungspflichtige auf Grund seines festgestellten Gesundheitszustandes in der Kraftanstrengung und Beweglichkeit gehindert ist. Ohne derartige Feststellungen ist eine Klärung der Frage, ob der Stellungspflichtige einen Gesundheitszustand aufweist, bei dem es ihm noch möglich ist, die oben umschriebene Kraftanstrengung und Beweglichkeit aufzubringen, die eine zumindest eingeschränkte militärische Ausbildung voraussetzt, nicht möglich."

Derartige nachvollziehbare Ausführungen fehlen im angefochtenen Bescheid zur Gänze.

Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren vor der belangten Behörde eine Stellungnahme der Fachärztin für Dermatologie und Angiologie Dr. O. vom 17. November 2003 vorgelegt, die lautete:

"Befundbericht für J, geb. 23.4.1986

Bei dem Patienten besteht seit 1999 ein ausgeprägter M. Raynaud. Bereits bei Temperaturen um 20 Grad Celsius löst jede lokale Abkühlung der Finger (Wind oder Nässe) einen Raynaudanfall aus (Weißwerden der Finger, Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Schwierigkeiten beim Greifen). Sobald der Auslöser abgeklungen ist, Dauer der Erholungsphase 20-30 min.

Empfehle daher Vermeidung von Kälteexposition, aktives Warmhalten der Hände, Bewegungsübungen, strikte Nikotinkarenz und neuerl. Vorstellung im AKH bez. ev. zusätzlicher Therapiemöglichkeiten, da der Patient bereits im Alltag durch diese Erkrankung massiv beeinträchtigt ist."

Ferner lag der Befund der Universitätsklinik für Innere Medizin II des AKH Wien vom 19. Dezember 2003 vor, welcher folgenden Inhalt hat:

"... Typisches Raynaud-Phänomen im Bereich der Finger und Zehen seit 1999. Anamnestisch kein Hinweis auf Systemerkrankung wie Kollagenose. Der Patient berichtet über gelegentliche Brachialgie.

Kardiovasculäre Risikofaktoren: keine bekannt Derzeitige Medikamentation: keine Angiologischer Status:

Unauffällig

Kapillarmikroskopie:

Unauffällig

Röntgen der oberen Thoraxapertur:

Unauffällig

Schultergürtelmanöver:

Hyperabduktionssyndrom bds.

Labor:

Unauffällig

Beurteilung:

Primäres Raynaud-Phänomen.

Therapieempfehlung:

1. Allgemeinmaßnahmen bei Raynaud-Syndrom:

  1. a. Vermeiden von Kälteexpositionen der Hände.
  2. b. Vermeiden lokaler Verletzungen
  3. c. Tragen geeigneter Kleidung bzw. Handschuhen bei Kälte.
  4. d. Verwendung eines Sporttaschenofens (Jagdgeschäften)

    2. Jährliche angiologische Begutachtung"

    Im Attest des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Dr. R. vom 22. Dezember 2003 heißt es ferner:

    "Es besteht ein M-Osgood Schlatter li mit Ossikelbildung. Belastungsschmerzen beim Sport, ein Knien auf dem li Knie nicht möglich."

    Dass sich die belangte Behörde mit diesem Attest und den genannten Befunden auseinander gesetzt hätte, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen, auch wenn sie dem Beschwerdeführer gegenüber auf sein als "Berufung" bezeichnetes Schreiben vom 29. Jänner 2004 hin erklärte, dass sie alle vorliegenden Befunde berücksichtigt habe.

    Die umfangreichen Ausführungen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift ersetzen nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht die gehörige Bescheidbegründung (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), E 141 zu § 60 AVG, angegebene Rechtsprechung). Aus diesen Ausführungen wird jedoch die Rechtsauffassung der belangten Behörde, die sie zur Erlassung des angefochtenen Bescheides bewog, deutlich. Darin heißt es unter anderem (Hervorhebungen durch den Gerichtshof):

    "...Soweit der BF geltend macht, es liege ein Verfahrensmangel vor, weil eine fachärztliche Untersuchung nicht veranlasst bzw. unterblieben sei, obwohl eine solche aufgrund der vorgelegten Unterlagen jedenfalls indiziert gewesen wäre, wird darauf hingewiesen, dass der Gesundheitszustand des BF auf Grund der von ihm vorgelegten aktuellen fachärztlichen Befunde ausreichend dokumentiert erschien und daher eine weitere fachärztliche Untersuchung nicht indiziert war.

    Hinsichtlich des monierten Fehlens einer tragfähigen Begründung, weshalb der BF die notwendige körperliche und geistige Eignung im Sinne des § 15 Abs. 1 Wehrgesetz besitze, wird darauf hingewiesen, dass der BF hinsichtlich der diagnostizierten Morbus Raynaud keine konkreten von ihm aktuell benötigten Therapiemaßnahmen anführen konnte und letztlich trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Lage ist, den Alltag zu bewältigen. Daher erscheint eine militärische Ausbildung unter speziell für die eingeschränkte Belastbarkeit des BF adaptierten Bedingungen ohne Beeinträchtigung seiner Gesundheit zumutbar. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass dem BF das Bedienen einer Waffe zumindest während der warmen Jahreszeit möglich ist und er darüber hinaus in der Lage ist, sich rasch in Bewegung zu setzen und Deckung zu nehmen. Der BF konnte nach Ansicht der belangten Behörde in seinen Beschwerdeausführungen nicht schlüssig darlegen, weshalb er aufgrund seiner Einschränkungen nicht in der Lage sein sollte, in der warmen Jahreszeit an einer eingeschränkten militärischen Ausbildung teilzunehmen.

    Hinsichtlich der festgestellten Morbus Osgood-Schlatter ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, weshalb der BF nicht in der Lage sein sollte, sich einer eingeschränkten militärischen Ausbildung zu unterziehen. Das laut Facharztgutachten zu Belastungsschmerz führende Laufen (ob damit das sportliche Zurücklegen kürzerer oder längerer Distanzen gemeint ist, ist ungeklärt) ist kein zwingender Bestandteil einer militärischen Ausbildung und hinsichtlich der Belastung für die Kniegelenke nicht mit dem fallweise zu übenden raschen Aufsuchen einer Deckung (welche sich oftmals in unmittelbarer Nähe befindet) gleichzusetzen.

    Die beim BF festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen stellen keine Frage der Eignung im Sinne des § 9 WG 2001 dar, sondern eine Frage der Dienstfähigkeit."

    Damit hat sie jedoch die Rechtslage verkannt. Wie oben ausgeführt verlangt die hg. Rechtsprechung für das Bestehen der Eignung zum Wehrdienst unter anderem ein Mindestmaß an Beweglichkeit sowie eine Leistungsfähigkeit, die das Bedienen der Waffe ermöglichen. Die belangte Behörde hat zum Ausdruck gebracht, dass sie es für ausreichend ansieht, wenn der Beschwerdeführer "zumindest in der warmen Jahreszeit" eine Waffe bedienen (und an einer Ausbildung teilnehmen) kann, eine Einschränkung, die offensichtlich durch das in den Befunden vom 17. November und 19. Dezember 2003 dokumentierte Leiden bedingt ist. Damit hat die Behörde jedoch verkannt, dass die Voraussetzungen für die Leistungsfähigkeit des Betreffenden, um den Wehrdienst leisten zu können, nicht nur eingeschränkt auf eine bestimmte Jahreszeit oder Außentemperatur vorliegen müssen, sondern bei jeder Witterung und das ganze Jahr über. Desgleichen ist aus der von der belangten Behörde verwendeten Floskel allein, der Beschwerdeführer sei in der Lage "den Alltag zu bewältigen" - ungeachtet der Bedeutsamkeit dieser Aussage - für die spezifischen Anforderungen einer Eignung zum Wehrdienst nichts zu gewinnen. Nur am Rande ist der belangten Behörde auch entgegen zu halten, dass sie nicht näher begründet hat, wie sie - offensichtlich in Bezug auf das Attest des Orthopäden - zu der Annahme gelangte, dass eine Belastung "für die Kniegelenke" nicht mit dem fallweise zu übenden raschen Aufsuchen der Deckung gleichzuhalten wäre. Dr. R. hat in diesem Attest ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer das Knien auf dem linken Knie nicht möglich sei. Wie dem Beschwerdeführer unter diesen Voraussetzungen lediglich unter Belastung eines (des rechten) Kniegelenkes, ein rasches Aufsuchen einer Deckung - ohne das belastbare Knie zu schädigen - möglich sein sollte, ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Wenn somit die belangte Behörde - wie sie dem Beschwerdeführer gegenüber erklärte - die von ihm vorgelegten Befunde berücksichtigt hat, hat sie die Rechtslage verkannt, weil auf der Basis des aus ihnen hervorgehenden Sachverhaltes die Voraussetzungen für die Eignung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst nicht vorliegen.

    Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

    3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

    Wien, am 25. Mai 2004

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