VwGH 2003/21/0207

VwGH2003/21/020711.10.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des DK, vertreten durch Stangl & Ferstl, Rechtsanwaltspartnerschaft in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchnerstraße 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 29. Oktober 2003, Zl. Fr 2815/03, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 29. Oktober 2003 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren. Begründend stellte sie fest, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 8. Oktober 2002 wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1, 130 erster Fall und 15 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 25. Jänner 2002 ein Computerspiel, am 25. Februar 2002 diverse Schmuckgegenstände in einem EUR 2.000,-- nicht übersteigenden Wert und am 7. April 2002 Rubbellose im Wert von EUR 49,90 gestohlen habe. Am 18. April 2002 habe der Beschwerdeführer mit weiteren Mittätern einen Einbruchsdiebstahl begangen und dabei ein TV-Gerät im Wert von EUR 200,-- sowie u.a. Zigaretten im Wert von EUR 1.233,30 erbeutet. Im Mai 2002 habe der Beschwerdeführer mit Mittätern in die Kantine eines Sportklubs einzubrechen versucht.

Auf Grund des genannten Urteils sei dem Beschwerdeführer mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 30. Oktober 2002 die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes für den Fall seiner neuerlichen Straffälligkeit angedroht worden. Dennoch habe der Beschwerdeführer sein deliktisches Verhalten forgesetzt:

Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 12. Juni 2003 sei er wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter Satz, erster Fall, und 15 StGB sowie wegen § 27 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall und § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall Suchtmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Was die Eigentumsdelikte betreffe, so habe der Beschwerdeführer mit weiteren Mittätern schwere Diebstähle in der Absicht verübt, sich durch deren wiederkehrende Begehung fortlaufende Einnahmen zu verschaffen. So habe er am 15. November 2002 einen Laptop im Wert von EUR 3.000,--, am 21. November 2002 ein Notebook und ein dazugehöriges Ladegerät samt Computerkunstledertasche im Wert von EUR 6.540,56 und am 26. Dezember 2002 mit Mittätern einen Einbruchsdiebstahl begangen, bei dem er einige Lautsprecher und Verstärker in nicht mehr feststellbarem Wert an sich genommen habe. Überdies habe der Beschwerdeführer Ende 2002 mit einem Mittäter durch gewaltsames Aufbrechen eines Behältnisses insgesamt drei Mobiltelefone im Wert von EUR 737,-- gestohlen. Was die Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz anlange, so sei der Beschwerdeführer schuldig gesprochen worden, von November 2001 bis Jänner 2002 und von März bis Oktober 2002 Ecstasytabletten durch Gewinn bringenden Verkauf an teils bekannte, teils unbekannte Abnehmer gewerbsmäßig anderen überlassen zu haben. Überdies habe er in der Zeit von Oktober 2000 bis Februar 2003 Ecstasytabletten und Heroin erworben, besessen und anderen überlassen. Bei der Strafbemessung habe das Gericht das Geständnis des Beschwerdeführers, sein Alter unter 21 Jahren bzw. das teilweise Vorliegen von Jugendstraftaten und den bloßen Versuch mancher Taten mildernd gewertet. Erschwerend seien die einschlägige Vorstrafe, die Tatwiederholung, die mehrfache Qualifikation sowie der rasche Rückfall berücksichtigt worden. Im letztgenannten Urteil habe das Strafgericht auch die im Urteil vom 8. Oktober 2002 ausgesprochene bedingte Strafnachsicht widerrufen.

Aus der Sicht der Fremdenpolizeibehörde, so die belangte Behörde weiter, komme im Rahmen der Gefährdungsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG dem Umstand, dass der Beschwerdeführer schon kurze Zeit nach dem Urteil vom 8. Oktober 2002 wieder straffällig geworden sei, große Bedeutung zu. Ungeachtet dessen bestehe bei Suchtgiftdelikten aber schon an sich eine große Wiederholungsgefahr und bei Suchtgiftmissbrauch die Gefahr der damit einhergehenden Begleitkriminalität, sodass davon ausgegangen werden müsse, der Beschwerdeführer werde auch in Hinkunft den in Art. 8 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider handeln. Daran ändere sein Vorbringen, er habe sich einer Drogentherapie unterzogen, nichts.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, dass dieser seit seiner Einreise am 21. Juli 1992 rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen sei. Neben der Mutter lebten noch zwei Brüder des Beschwerdeführers in Österreich, sein Vater lebe in Serbien und Montenegro. Da der Beschwerdeführer bei der Einreise in das Bundesgebiet knapp acht Jahre alt gewesen sei, komme ihm § 38 Abs. 1 Z 4 FrG nicht zugute, weil er nicht im Sinne dieser Bestimmung "von klein auf im Inland aufgewachsen" sei. Auch § 38 Abs. 1 Z 3 FrG stehe der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes angesichts der erstmaligen Tatbegehung im Oktober 2000, zu welchem Zeitpunkt der Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers in Österreich somit noch nicht zehn Jahre gedauert habe, nicht entgegen.

Bei der Interessenabwägung nach § 37 FrG ging die belangte Behörde davon aus, dass im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer und die verwandtschaftlichen Beziehungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet durch das Aufenthaltsverbot zweifellos in sein Privat- und Familienleben eingegriffen werde. Der Eingriff in das Familienleben werde jedoch schon dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer nach den Angaben seiner Mutter in den letzten Monaten nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit der Familie gewohnt habe. Das Ausmaß seiner Integration werde durch das genannte deliktische Verhalten, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt habe, gemindert. Wegen des sozialschädlichen Verhaltens des Beschwerdeführers, bei dem die Suchtgiftdelinquenz hervorzuheben sei, weil diese zu einer Gesundheitsgefährdung vor allem Jugendlicher führe, sei nach Ansicht der belangten Behörde die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Nach dem Gesagten seien auch die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer zu gewichten als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage des Verwaltungsaktes durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2005/21/0044).

Unbestritten bleiben in der Beschwerde die beiden rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers, weshalb die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 (erster und vierter Fall) FrG erfüllt sei, nicht zu beanstanden ist.

Gegen die Annahme nach § 36 Abs. 1 FrG bringt der Beschwerdeführer vor, dass er die Delikte teilweise als Jugendlicher, teils als junger Erwachsener begangen habe und dass sein Verhalten daher im Verhältnis zu den Delikten Erwachsener "grundsätzlich geduldiger zu betrachten" sei. Außerdem liege die Ursache der Straffälligkeit in seiner Drogensucht, zu deren Finanzierung er die Delikte begangen habe. Während der Haftzeit habe er jedoch erfolgreich eine Drogentherapie absolviert, was zu seinen Gunsten hätte Berücksichtigung finden müssen.

Zunächst ist dem Hinweis auf das Alter des Beschwerdeführers bei Begehung der strafbaren Handlungen (bei den ersten Delikten war er 16 Jahre alt, bei den zuletzt begangenen bereits älter als 18 Jahre) zu entgegnen, dass er schon nach dem (ersten) Urteil vom 8. Oktober 2002 und der dort ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht bei gleichzeitiger Festsetzung einer dreijährigen Probezeit mit empfindlichen Folgen bei einer weiteren Tatbegehung rechnen musste. Dazu kommt, dass auch die Fremdenpolizeibehörde dem Beschwerdeführer die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes für den Fall der neuerlichen Straffälligkeit schriftlich angedroht hat. Ungeachtet dieser beiden Warnungen hat der Beschwerdeführer sein strafbares Verhalten nicht nur zeitlich fast nahtlos fortgesetzt, sondern auch inhaltlich gesteigert. Schon die Art der Delikte zeigt, dass es sich dabei nicht mehr um jugendlichen Leichtsinn handelte.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe sich einer Drogentherapie unterzogen, sodass die Gefahr der künftigen Beschaffungskriminalität bei ihm weggefallen sei, findet sich abgesehen vom Berufungsvorbringen auch in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 15. Juli 2003. Nach dem letztgenannten Schreiben habe er sich "langsam ...(den) Drogenkonsum abgewöhnt" und sei "bereit, ... eine Entwöhnungstherapie zu unternehmen". Er werde nie wieder Drogen zu sich nehmen und habe vor, seine Lehre abzuschließen und danach eine Beschäftigung zu finden. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht widerspruchsfrei vorgebracht und auch nicht bescheinigt hat, er habe eine Drogentherapie bereits erfolgreich absolviert, ist die bloße Behauptung, er habe keinen Rückfall in die Drogensucht gehabt, im Hinblick auf die bekanntermaßen besonders hohe Wiederholungsgefahr bei Suchtmitteldelikten nicht geeignet, die Gefährlichkeitsprognose der belangten Behörde zu entkräften, zumal der Beschwerdeführer nach seinen Angaben auch keiner Beschäftigung nachgeht und daher auch unter diesem Gesichtspunkt ein Rückfall in die Eigentumskriminalität nicht auszuschließen ist (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 9. Juni 2005, Zl. 2002/21/0098).

Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, § 38 Abs. 1 Z 4 FrG stehe der Rechtmäßigkeit des gegenständlichen Aufenthaltsverbot entgegen, ist nicht zielführend, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Wendung "von klein auf" in § 38 Abs. 1 Z 4 FrG so zu deuten ist, dass sie für eine Person, die erst im Alter von vier Jahren oder (wie der Beschwerdeführer) später nach Österreich eingereist ist, nicht zum Tragen kommen kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. Februar 2004, Zl. 2003/21/0216).

Mit Bezug auf § 37 FrG kritisiert der Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe nicht anerkannt, dass durch das Aufenthaltsverbot besonders tief greifend und schwer in sein Privat- und Familienleben eingegriffen werde. Außerdem habe die belangte Behörde bei der Interessenabwägung das strafrechtliche Verhalten des Beschwerdeführers nicht nur seiner Integration gegenüber gestellt, sondern dieses Verhalten auch als integrationsmindernd angesehen, sodass die Delinquenz des Beschwerdeführers zu Unrecht doppelt verwertet worden sei. Diesem Vorbringen ist zunächst entgegen zu halten, dass die belangte Behörde, wie dargestellt, bei der Interessenabwägung sehr wohl davon ausgegangen ist, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden ist. Bei der entscheidenden Frage, ob dieser Eingriff gemäß 37 FrG dennoch zulässig sei, hat die belangte Behörde zu Recht nicht nur die Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes für den Schutz öffentlicher Interessen, sondern auch die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf den Beschwerdeführer und seine Familie berücksichtigt. Dabei hatte sie gemäß § 37 Abs. 2 Z 1 FrG auch auf das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Integration des Fremden in ihrer sozialen Komponente durch Straftaten erheblich beeinträchtigt werden kann, entspricht der hg. Rechtsprechung (vgl. aus vielen das Erkenntnis vom 19. November 2003, Zl. 2002/21/0181, mwN) und ist daher nicht zu beanstanden. Wenn die belangte Behörde in ihrer Interessenabwägung somit zum Ergebnis gelangte, dass das Aufenthaltsverbot nicht nur dringend geboten, sondern auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei, so kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Soweit der Beschwerdeführer schließlich bemängelt, die belangte Behörde habe bei der Ermessensübung nach § 36 FrG die "zu meinen Gunsten sprechenden Fakten" nicht berücksichtigt, so scheitert dieser Einwand schon an einer ausreichenden Präzisierung. Ebenso wenig zeigt der Beschwerdeführer konkret auf, aus welchen Gründen angenommen werden müsse, dass ein positiver Gesinnungswandel bereits vor Ablauf der von ihm bekämpften zehnjährigen Dauer des Aufenthaltsverbotes eintreten werde.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 11. Oktober 2005

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