Normen
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61997CJ0329 Ergat VORAB;
62002CJ0467 Cetinkaya VORAB;
62003CJ0373 Aydinli VORAB;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
ARB1/80;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6 impl;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §6 Abs1 Z3;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61997CJ0329 Ergat VORAB;
62002CJ0467 Cetinkaya VORAB;
62003CJ0373 Aydinli VORAB;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
ARB1/80;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6 impl;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §6 Abs1 Z3;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 und den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein befristetes Aufenthaltsverbot. Diese Maßnahme begründete sie im Wesentlichen folgendermaßen:
Der Beschwerdeführer sei am 29. Dezember 2000 mit einem Visum "C", gültig vom 25. Dezember 2000 bis 25. März 2001, in das Bundesgebiet eingereist. Nach Ablauf des Sichtvermerkes sei er - ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein - in Österreich geblieben. Als er am 13. Dezember 2000 bei der österreichischen Botschaft in Ankara den Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes gestellt hatte, habe er als Reisezweck "als Tourist" und als Gültigkeitsdauer drei Monate angegeben und erklärt, nur zu dem Zweck und für die angeführte Dauer nach Österreich zu reisen. Nunmehr habe er vorgebracht, er hätte den Entschluss, bei seiner Familie zu bleiben, erst nach seiner Einreise gemeinsam mit seiner Familie gefasst. Dieser Behauptung stehe jedoch das in der Folge gesetzte Verhalten entgegen. Auch scheine es unglaubwürdig, dass der weitreichende Entschluss, sich in einem anderen Staat niederzulassen, erst anlässlich des Besuches getroffen werde. Vielmehr entspreche es der Lebenserfahrung, dass ein solcher Entschluss gemeinsam langfristig geplant werde. Die beharrliche Weigerung, der gesetzlichen Ausreiseverpflichtung nachzukommen, lasse diese Schlussfolgerung zu. Der Beschwerdeführer habe somit gegenüber der österreichischen Botschaft unrichtige Angaben über den Zweck und die Dauer seines beabsichtigten Aufenthaltes gemacht, um sich die Einreise in das Bundesgebiet zu erschleichen. Damit sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 6 FrG erfüllt und gemäß § 36 Abs. 1 leg. cit. die Annahme gerechtfertigt, dass sein weiterer Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe.
Der Beschwerdeführer habe von 1972 bis 1996 über eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich verfügt und habe hier gearbeitet, sei jedoch im Frühling 1996 in die Türkei zurückgekehrt, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Die vom Beschwerdeführer angesprochene Richtlinie 64/221/EWG könne auf ihn nicht angewendet werden. Der Beschwerdeführer sei auch nicht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 (vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation - ARB) zum Aufenthalt in Österreich berechtigt, weil er nicht die Erlaubnis erhalten habe, zu seiner Familie zu ziehen. Weiters sei er nicht in den Arbeitsprozess integriert und habe durch den beinahe fünfjährigen Aufenthalt in der Türkei allfällig erworbene Rechte nach dem ARB wieder verloren.
Er lebe seit seiner Einreise bei seiner Ehefrau und seinen volljährigen Söhnen. Deshalb sei mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden. Dieses sei jedoch zur Aufrechterhaltung bzw. zum Schutz der öffentlichen Ordnung dringend geboten; den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.
Da sich seine Söhne in einem Alter befänden, in dem sie auf den Beschwerdeführer als Bezugsperson nicht mehr unbedingt angewiesen seien, und die frühere Integration dadurch stark eingeschränkt sei, dass er freiwillig für fast fünf Jahre in die Türkei zurückgekehrt sei, überwiege das öffentliche Interesse an der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme den Eingriff in sein Privat- und Familienleben.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten (Beschluss vom 10. Juni 2002, B 689/02-6).
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten über die ergänzte Beschwerde erwogen:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).
In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2005/21/0044).
Als bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 2 Z 6 FrG gilt, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 31 Abs. 1 und 3 FrG zu verschaffen.
Gegen die behördlichen Feststellungen bringt der Beschwerdeführer vor, er habe als jemand, der in der "midlifecrisis" seine Familie verlassen habe, nicht wissen können, wie die "Dinge laufen werden", wenn er zu seiner Familie zurückkehre; es sei keineswegs festgestanden, dass seine in Österreich erwerbstätige und damit unabhängige Frau ihn wieder akzeptieren würde und ein gemeinsames Leben möglich sein würde. Der Beschwerdeführer habe "an jenen Ort, wo die drei Generationen seiner Familie leben, wo er weit mehr als die Hälfte seines Lebens und fast den ganzen Zeitraum seiner Erwerbstätigkeit verbracht hat und wo insbesondere auch seine Frau lebt", zurückkehren wollen. Damit wird im Ergebnis zugestanden, dass der Beschwerdeführer entgegen seinen Angaben bei Erlangung des Touristensichtvermerks die Absicht hatte, nach erlangter Einreise - sofern möglich - in Österreich zu bleiben, um (wieder) ein gemeinsames Leben mit seiner Frau zu führen. Daher bestehen gegen die Beweiswürdigung, die getroffenen Feststellungen und die darauf gegründete Auffassung der belangten Behörde, es sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 6 FrG erfüllt, ebenso wenig Bedenken wie gegen die Annahme, dass durch die Täuschungshandlung und den dadurch erreichten unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet werde. Wegen dieser Gefahr, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft fremdenrechtliche Bestimmungen missachten werde, besteht in derartigen Fällen und grundsätzlich - vorbehaltlich der Erwägungen unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG - auch hier ein über eine mit Hilfe einer Ausweisung erreichbare Aufenthaltsbeendigung hinausgehendes Interesse an einer befristeten Verhinderung der Wiedereinreise (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. November 2001, Zl. 2000/21/0229).
Weiters hat der Gerichtshof wiederholt ausgesprochen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 2004, Zl. 2004/21/0132), dass in solchen Fällen der Einreise mit einem Reisevisum zu einer hier befindlichen "Ankerperson" der oder die türkische Staatsangehörige weder Rechte aus dem ARB noch aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten könne. Rechte, die der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet im Jahr 1996 gehabt hat, sind durch das freiwillige Verlassen des österreichischen Arbeitsmarktes über mehr als vier Jahre verloren gegangen. (Vgl. zum Wegfall einer Berechtigung nach Art. 7 ARB das Urteil des EuGH vom 7. Juli 2005, Rechtssache C-373/03 "Aydinli", in dem unter Rnr. 27 diese Konsequenz als Folge einer Abwesenheit über einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe aufgezeigt wurde; in diesem Sinn auch die Urteile vom 11. November 2004, Rechtssache C-467/02 "Cetinkaya", Rnr. 36, und vom 16. März 2000, Rechtssache C-329/97 "Ergat", Rnr. 48. Als solche "berechtigten Gründe" wurden im Urteil vom 17. April 1997, Rechtssache C-351/95 "Kadiman", Rnr. 48, "Urlaub" und "Besuch der Familie im Heimatland", angeführt. Hinsichtlich Art. 6 ARB stellte der EuGH im Urteil vom 7. Juli 2005, Rechtssache C-383/03 "Dogan", Rnr. 19, auf eine "vorübergehende Unterbrechung" ab. Vgl. in dieser Hinsicht im Übrigen auch das den Beschwerdeführer betreffende hg. Erkenntnis vom 20. November 2003, Zl. 2001/09/0239.) Damit gehen die Ausführungen in der "Mitteilung" des Beschwerdeführers vom 4. Juli 2005 zum Urteil des EuGH vom 2. Juni 2005, Rs. C- 136/03 "Dörr, Ünal", ins Leere.
Dennoch kommt der Beschwerde Berechtigung zu.
Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist u.a. ein Aufenthaltsverbot, mit dem in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Nach Abs. 2 darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.
Zweifellos wird durch das vom Beschwerdeführer gewählte Vorgehen das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen erheblich beeinträchtigt (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis Zl. 2004/21/0132) und es ist aus dem freiwilligen, jahrelang von seiner Familie getrennten Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Türkei vor seiner Wiedereinreise nach Österreich eine Abschwächung seiner vor seiner Ausreise vorhanden gewesenen beträchtlichen familiären Interessen im Inland abzuleiten. Entscheidend ist aber, dass sich der Beschwerdeführer bereits von 1972 bis 1996 in Österreich rechtmäßig aufgehalten und somit - auch durch die Berufstätigkeit - eine sehr starke Integration erreicht hat. Da diese Integration durch den anschließenden Auslandsaufenthalt nicht verloren gegangen ist und der Beschwerdeführer nun wieder mit seiner Ehefrau und seinen (volljährigen) Kindern in einem gemeinsamen Haushalt lebt, kommt - was die belangte Behörde nicht ausreichend berücksichtigt hat - seinem persönlichen Interesse an einem Verbleib in Österreich größeres Gewicht zu als dem beschriebenen öffentlichen Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Von der beantragten Abhaltung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil für Äußerungen kein Schriftsatzaufwand zuzusprechen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. November 2005, Zl. 2005/21/0158).
Wien, am 28. Februar 2006
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