VfGH G196/2020

VfGHG196/20207.10.2020

Keine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips, des Gleichheitsgrundsatzes und des Rechts auf ein faires Verfahren durch eine – hinreichend determinierte – Bestimmung des VwGG betreffend die Erklärung über den "Umfang der Anfechtung" bei Amtsrevisionen; wesentliche Unterschiede zwischen Amts- und Parteirevision rechtfertigen unterschiedliche Anforderungen an den Inhalt der jeweiligen Revision

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art133 Abs5, Abs6
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
StGG Art2
EU-Grundrechte-Charta Art47
EU-Grundrechte-Charta Art49
EMRK Art6
VwGG §28 Abs2
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:G196.2020

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, der Verfassungsgerichtshof möge

"aussprechen, dass der zweite Absatz des §28 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 – VwGG, BGBl 10/1985 (WV), diese Bestimmung zuletzt geändert durch BGBl I 138/2017, verfassungswidrig und deshalb ersatzlos aufzuheben ist".

 

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 – VwGG, BGBl 10/1985, idF BGBl I 138/2017 lauten wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Inhalt der Revision

 

§28. (1) Die Revision hat zu enthalten

1. die Bezeichnung des angefochtenen Erkenntnisses oder des angefochtenen Beschlusses,

2. die Bezeichnung des Verwaltungsgerichtes, das das Erkenntnis bzw den Beschluss erlassen hat,

3. den Sachverhalt,

4. die Bezeichnung der Rechte, in denen der Revisionswerber verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte),

5. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

6. ein bestimmtes Begehren,

7. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Revision rechtzeitig eingebracht ist.

 

(2) Bei Revisionen gegen Erkenntnisse, die nicht wegen Verletzung in Rechten erhoben werden, tritt an die Stelle der Revisionspunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung.

 

(3) Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art133 Abs4 B‑VG zulässig ist, hat die Revision auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

 

(4) Der Revision ist eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des angefochtenen Erkenntnisses anzuschließen, wenn es dem Revisionswerber zugestellt worden ist. Andernfalls ist das Vorliegen der Voraussetzungen des §25a Abs4a letzter Satz oder des §26 Abs2 nachzuweisen.

 

(5) Auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sind die für ihre Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden.

 

§29. Ist Partei im Sinne des §21 Abs1 Z2 in einer Rechtssache in den Angelegenheiten der Bundesverwaltung nicht der zuständige Bundesminister oder in den Angelegenheiten der Landesverwaltung nicht die Landesregierung, ist außer den sonst erforderlichen Ausfertigungen der Revision samt Beilagen noch eine weitere Ausfertigung für den Bundesminister bzw die Landesregierung anzuschließen.

 

[…]

 

Vorentscheidung durch das Verwaltungsgericht

 

§30a. (1) Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist oder wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, sind ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

 

(2) Revisionen, denen keiner der im Abs1 bezeichneten Umstände entgegensteht, bei denen jedoch die Vorschriften über die Form und den Inhalt (§§23, 24, 28, 29) nicht eingehalten wurden, sind zur Behebung der Mängel unter Setzung einer kurzen Frist zurückzustellen; die Versäumung dieser Frist gilt als Zurückziehung. Dem Revisionswerber steht es frei, einen neuen, dem Mängelbehebungsauftrag voll Rechnung tragenden Schriftsatz unter Wiedervorlage der zurückgestellten unverbesserten Revision einzubringen.

 

(3) Das Verwaltungsgericht hat über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden.

 

(4) Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien Ausfertigungen der Revision samt Beilagen mit der Aufforderung zuzustellen, binnen einer mit höchstens acht Wochen festzusetzenden Frist eine Revisionsbeantwortung einzubringen.

(5) Im Fall des §29 hat das Verwaltungsgericht eine Ausfertigung der Revision samt Beilagen auch dem zuständigen Bundesminister bzw der Landesregierung mit der Mitteilung zuzustellen, dass es ihm bzw ihr freisteht, binnen einer mit höchstens acht Wochen festzusetzenden Frist eine Revisionsbeantwortung einzubringen.

 

(6) Nach Ablauf der Fristen gemäß Abs4 und 5 hat das Verwaltungsgericht den anderen Parteien Ausfertigungen der eingelangten Revisionsbeantwortungen samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die Revision und die Revisionsbeantwortungen samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

 

(7) Hat das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art133 Abs4 B‑VG zulässig ist, sind die Abs1 bis 6 nicht anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien sowie im Fall des §29 dem zuständigen Bundesminister bzw der Landesregierung eine Ausfertigung der außerordentlichen Revision samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

 

(8) Auf Fristsetzungsanträge sind die Abs1 und 2 sinngemäß anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat dem Verwaltungsgerichtshof den Fristsetzungsantrag unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

 

(9) Auf Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind die Abs1 und 2 sinngemäß anzuwenden.

 

(10) Hat das Verwaltungsgericht Verfahrensschritte gemäß den Abs2 und 4 bis 7 nicht oder nicht vollständig vorgenommen, kann der Verwaltungsgerichtshof dem Verwaltungsgericht die Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens mit dem Auftrag zurückstellen, diese Verfahrensschritte binnen einer ihm zu setzenden kurzen Frist nachzuholen. Der Verwaltungsgerichtshof kann diese Verfahrensschritte auch selbst vornehmen, wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist."

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Straferkenntnis vom 10. Dezember 2019 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vierzehn Geldstrafen wegen Übertretung des §52 Abs1 Z1 viertes Tatbild GSpG gegen den Betreiber eines Gastgewerbes.

1.2. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Erkenntnis vom 26. Februar 2020 statt, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. In seiner Entscheidung erklärte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig.

1.3. Der Bundesminister für Finanzen sowie die belangte Behörde erhoben daraufhin ordentliche Revision gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 26. Februar 2020.

1.4. Aus Anlass dieser ordentlichen Revisionen stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag auf Aufhebung des §28 Abs2 VwGG wegen Verfassungswidrigkeit.

2. Das antragstellende Gericht legt die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung sowie die verfassungsrechtlichen Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"II. Zur Präjudizialität der als verfassungsrechtlich bedenklich erachteten Bestimmung

 

1. Im Zuge eines ordentlichen Revisionsverfahrens hat das Verwaltungsgericht gegebenenfalls 'Vorentscheidungen' (so die Überschrift vor §30a VwGG) zu treffen. Im Besonderen wird in diesem Zusammenhang ua zwischen Fällen, in denen die ordentliche Revision schon a limine zurückzuweisen (§30a Abs1 VwGG) und solchen, in denen zuvor ein Mängelbehebungsverfahren durchzuführen (§30a Abs2 VwGG) ist, unterschieden.

 

Jedenfalls im Kontext der letzteren [Vgl. den in §30a Abs2 VwGG enthaltenen expliziten Hinweis (ua) auf §28 VwGG.], aber auch der ersteren [Anders lässt sich nämlich beispielsweise nicht beurteilen, ob 'entschiedene Sache' etc. vorliegt.] Alternative ist seitens des Verwaltungsgerichtes (ua) zu prüfen, ob die Vorschriften des §28 VwGG über den 'Inhalt der Revision' (so die Überschrift zu dieser Bestimmung) eingehalten wurden.

 

2. Das Verwaltungsgericht hat daher im Zuge eines Verfahrens über eine ordentliche Revision dann, wenn diese von staatlichen Organen erhoben wurde (sog 'Amtsrevision'), insbesondere auch den zweiten Absatz des §28 VwGG anzuwenden.

 

Die angefochtene Bestimmung erweist sich daher im gegenständlichen Anlassverfahren als präjudiziell.

 

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

 

[…]

 

B. Motivation des Gesetzgebers im Zuge der Erlassung des §28 Abs2 VwGG und Handhabung dieser Bestimmung in der Praxis

 

1. Aus der Sicht des Gesetzgebers handelt es sich bei den (früher: 'Beschwerde-', nunmehr:) 'Revisionspunkten' einerseits und der 'Erklärung über den Umfang der Anfechtung' andererseits um funktionell einander völlig gleichwertige (gleichgewichtige) Prozessvoraussetzungen die sich lediglich durch ihre formale Bezeichnung unterscheiden. Daraus resultiert, dass an deren Erfüllung jeweils derselbe Maßstab angelegt werden muss:

 

1.1. Die begriffliche Umschreibung 'Erklärung über den Umfang der Anfechtung' wurde erstmals mit der Novelle BGBI 316/1976 in das VwGG eingefügt. In diesem Zusammenhang wurde damals in den Gesetzesmaterialien ausgeführt (vgl 79 BIgNR, 14. GP, S. 9 f, Hervorhebungen nicht im Original):

 

'Diese Bestimmungen waren im Hinblick auf Art131 Abs1 Z3 B‑VG entsprechend zu ergänzen. Auch hier wurde davon ausgegangen, dass die Regelung analog zu jener für die im Art131 Abs1 Z2 B‑VG vorgesehenen Beschwerde erfolgen soll. Die im §28 Abs2 VwGG 1965 bisher vorgesehene Regelung enthielt eine Erleichterung für die sogenannte objektive Verwaltungsgerichtshofbeschwerde insofern, als die Angabe von Beschwerdepunkten nicht erforderlich war. Da auch nach Art131 Abs2 B‑VG Beschwerderechte geschaffen werden können, die letzten Endes als objektive Beschwerde anzusehen sind – wie beispielsweise die sogenannte Präsidentenbeschwerde gemäß §169 FinStrG und §292 BAO oder die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gemäß §57 Abs3 des Marktordnungsgesetzes –, ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum diese nach Art131 Abs2 B‑VG geschaffenen Beschwerderechte anders behandelt werden sollten als jene nach Art131 Abs1 Z2 B‑VG. Aus diesem Grunde wurde die Bestimmung des §28 Abs2 durch die Aufnahme des Art131 Abs2 B‑VG ergänzt, wobei durch den Satz: 'wenn gemäß den in Betracht kommenden Bundes- oder Landesgesetzen die Behauptung der Verletzung eines Rechtes durch den Beschwerdeführer nicht in Betracht kommt' sichergestellt werden soll, dass es sich ausschließlich um objektive Beschwerderechte handelt.

 

Der §28 Abs2 VwGG 1965 sieht vor, dass bei Beschwerden nach Art131 Abs1 Z2 B‑VG, also im Falle bestimmter objektiver Verwaltungsgerichtshofbeschwerden, die Beschwerdepunkte (die bestimmte Bezeichnung des Rechtes, in dem der Beschwerdeführer verletzt zu sein behauptet) nicht angegeben werden müssen. In der Erwägung, dass es daneben auch andere objektive Beschwerderechte gibt, wurde – wie bereits ausgeführt – die Regelung des §28 Abs2 auf alle objektiven Verwaltungsgerichtshofbeschwerden erweitert. Die erwähnte Ausnahmeregelung hat ihre Begründung darin, dass bei sogenannten objektiven Verwaltungsgerichtshofbeschwerden die Geltendmachung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt, andererseits aber mit dem Begriff der Beschwerdepunkte ausschließlich solche subjektive Rechte, die verletzt zu sein behauptet werden, erfasst sind. Andererseits kann man aus der geltenden Regelung erschließen, dass in den Fällen der Beschwerden nach Art131 Abs1 Z2 B‑VG vom Beschwerdeführer eine Erklärung über den Umfang der Anfechtung gar nicht angegeben werden muss, es vielmehr dem Verwaltungsgerichtshof obliegt, zu prüfen, ob eine Rechtswidrigkeit vorliegt oder nicht, und aus dieser den Umfang der Anfechtung abzuleiten. Diese Rechtslage ist unbefriedigend, weil sie der Systematik der Verwaltungsgerichtshofkontrolle nicht entspricht. Die Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich – wie sich aus §41 Abs1 VwGG 1965 ergibt – durch die geltend gemachten Beschwerdepunkte umgrenzt. Systementsprechend ist daher eine solche Begrenzung auch bei den sogenannten objektiven Verwaltungsgerichtshofbeschwerden. Die bisherige Regelung entbehrt einer sachlichen Berechtigung. Auch sogenannte objektive Verwaltungsgerichtshofbeschwerden sollen vielmehr aufzeigen, in welchem Umfang auf Grund der behaupteten Rechtswidrigkeit der Bescheid angefochten wird.

 

Die Gestaltung der Rechtslage im Sinne dieser Überlegungen war aber in zweckmäßiger Weise nicht durch eine Streichung des §28 Abs2 VwGG 1965 zu erreichen, weil dadurch der Begriffsinhalt der 'Beschwerdepunkte', der sich nur auf die Verletzung subjektiver Rechte bezieht, denatuiert [sic! - richtig wohl: denaturiert] worden wäre. Dementsprechend wurde der neue Begriff der 'Anfechtungserklärung' in den Entwurf aufgenommen. In ihrer Funktion sind sowohl Beschwerdepunkte als auch Anfechtungserklärung gleich; sie umgrenzen die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes. Sie unterscheiden sich aber darin, dass sich die Beschwerdepunkte auf die Verletzung subjektiver Rechte, die Anfechtungserklärung dagegen auf die Verletzung objektiven Rechts bezieht.'

 

Ursprünglich, d.h. vor nahezu fünf Jahrzehnten, ging es also dem Gesetzgeber explizit um eine sachgerechte Gleichstellung zwischen von staatlichen Organen erhobenen Amtsbeschwerden einerseits und von Bürgern (bzw allgemein: von staatsfremden Rechtssubjekten) erhobenen Beschwerden hinsichtlich jener Prozessvoraussetzung(en), die den Umfang des Prozessgegenstandes abgrenz(t)en. Vor diesem Hintergrund wurde daher seitens der Legislative auch ausdrücklich klargestellt, dass den 'Beschwerdepunkten' und der 'Anfechtungserklärung', die jeweils eine Zulässigkeitsbedingung des Rechtsbehelfs verkörpern, ein und dieselbe Funktion zukommt, nämlich: vor allem in Verbindung mit der weiteren Prozessvoraussetzung der Beschwerdegründe (§28 Abs1 Z5 VwGG) eine Eingrenzung der Prüfungsbefugnis und damit des Umfanges der Anfechtung durch die Parteien des Verfahrens – und nicht durch das Gericht selbst – zu bewirken.

 

Dem entsprechend lautete §28 Abs2 VwGG unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle am 1. Jänner 2014 (d.h.: in dessen Fassung durch BGBl 316/1976):

 

'(2) Bei Beschwerden gegen Bescheide nach Art131 Abs1 Z2 und 3 sowie Abs2 B‑VG, bei denen gemäß den in Betracht kommenden Bundes- oder Landesgesetzen die Behauptung der Verletzung eines Rechtes des Beschwerdeführers nicht in Betracht kommt, und bei Beschwerden gegen Weisungen nach Art81 a Abs4 B‑VG tritt an die Stelle der Beschwerdepunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung.'

 

1.2. Im Zuge der Neukonzeption der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die B‑VG-Novelle BGBl I 51/2012 wurde zwar die Bestimmung des §28 VwGG begrifflich angepasst, deren Inhalt und systematische Grundausrichtung jedoch nicht verändert, sodass deren zweiter Absatz gemäß BGBl I 33/2013 nunmehr folgende Formulierung aufwies:

 

'(2) Bei Revisionen gegen Erkenntnisse, die nicht wegen Verletzung in Rechten erhoben werden, und bei Revisionen gegen Erkenntnisse über Weisungen gemäß Art81a Abs4 B‑VG tritt an die Stelle der Revisionspunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung.'

 

Wenngleich diese Modifikation vor dem uno actu auch insoweit neu konzipierten verfassungsrechtlichen Hintergrund erfolgte, dass die typenmäßige Möglichkeit zur Erhebung einer Amtsrevision, die bis dahin auf bloße Sondererscheinungsformen beschränkt war, seither als generalisiert erscheint – der vorgängige Ausnahmefall also gleichsam in eine Regel umgewandelt wurde –, änderte diese Neuerung (vgl Art133 Abs6 Z2 B‑VG) nichts an den davon getrennt zu betrachtenden, für Amts- bzw normale Parteienrevisionen jeweils maßgeblichen Prozessvoraussetzungen und deren wechselseitigem Verhältnis zueinander: Denn die kompetenzrechtliche Grundlage für die jeweilige einfachgesetzlich-verfahrensrechtliche Ausgestaltung dieser Zugangsbedingungen in Gestalt des §28 VwGG bildet(e) nach wie vor Art136 (Abs4) B‑VG, demzufolge das Verfahren des VwGH durch ein besonderes Bundesgesetz zu regeln ist.

 

1.3. Seine gegenwärtige Fassung erhielt §28 Abs2 VwGG schließlich durch BGBl I 138/2017, wobei auch insoweit keine maßgebliche materielle Modifikation vorgenommen wurde:

 

'(2) Bei Revisionen gegen Erkenntnisse, die nicht wegen Verletzung in Rechten erhoben werden, tritt an die Stelle der Revisionspunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung.'

 

1.4. Zusammengefasst muss es daher eine den Anforderungen des §28 Abs1 Z4 (i.V.m. §28 Abs2) VwGG entsprechende 'Erklärung über den Umfang der Anfechtung' (die bloß abbreviatorische Bezeichnung 'Anfechtungserklärung' greift insoweit zu kurz, weil auf diese Weise gerade das eigentlich determinierende Element des 'Umfanges' verlorengeht!) in ebensolcher Weise wie die Bezeichnung der 'Revisionspunkte' ermöglichen, jeweils in Verbindung mit den 'Gründen, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt' (§28 Abs1 Z5 VwGG) den Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem VwGH in gleichermaßen exakter Weise abzugrenzen.

 

1.5. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zu bedenken, dass die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte aus rechtssystematischer Sicht grundsätzlich zugleich mit deren Erlassung auch in Rechtskraft erwachsen (sollen). Denn ein dagegen möglicher Rechtsbehelf ist gleichsam nicht 'standardmäßig' zulässig, sondern setzt schon von vornherein das Vorliegen einer relativ seltenen Ausnahmekonstellation (nämlich: Grundrechtseingriffe oder gesetz- bzw verfassungswidrige Rechtsgrundlage einerseits bzw Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage andererseits) voraus. Demgemäß stellt eine Beschwerde nach Art144 Abs1 B‑VG bzw eine Revision nach Art133 Abs4 B‑VG jeweils (bloß) ein außerordentliches [Auch i.S. von 'standardmäßig weder zulässig noch in der Praxis faktisch erhoben' zu verstehen.] Rechtsmittel dar. Insbesondere in echten Mehrparteienverfahren – d.s. solche, in denen sich der Einzelne (nicht nur dem Staat und diesem zurechenbaren Rechtsträgern und Organwaltern, sondern darüber hinaus) auch anderen (staatsfremden und sohin) Privatpersonen mit konträren Interessen gegenübersieht [Wie typischerweise etwa im gewerberechtlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren.] – besteht somit ein maßgebliches Interesse daran, mit rational kalkulierbarer Wahrscheinlichkeit einschätzen zu können, ob und in welchem Umfang auch im Falle einer Amtsrevision bereits von dem durch diese nicht berührten Teil der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in rechtmäßiger Weise (d.h. vor allem: ohne das Risiko einer nachträglichen Rechtskraftdurchbrechung mit entsprechender Restitutionsverpflichtung eingehen zu müssen) Gebrauch gemacht werden kann, noch bevor der VwGH (was im Falle der Beurteilung einer grundsätzlichen Rechtsfrage durchaus auch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen kann) über den mit Amtsrevision angefochtenen Teil des VwG‑Erkenntnisses entschieden hat.

 

2. Gegenüber dieser gesetzgeberisch beabsichtigten Gleichstellung von 'Revisionspunkten' und 'Anfechtungsumfangserklärung' hat sich in der Praxis allerdings (allmählich) eine divergierende Entwicklung ergeben:

 

Davon ausgehend, dass in der Monarchie eine Amtsbeschwerde noch kategorisch als unzulässig erachtet worden war [Vgl. zB VwGH vom 8.4.1890, ZI. 1070 (unveröffentlicht; Leitsatz und zahlreiche weitere Entscheidungen bei Th. Exl, Das Verfahren vor dem k.k. Verwaltungsgerichtshofe, II. Bd., 1892, 85) zu §2 Abs1 VwGG RGBl 36/1876.], wurde vor dem Hintergrund der neuen bundesstaatlichen Struktur bereits mit der Stammfassung des B‑VG ein in diese Richtung weisender Rechtsbehelf institutionalisiert, der die objektive Rechtmäßigkeit der Vollziehung zumindest im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung sicherstellen sollte [Dieser war speziell auf Beschwerden des Bundes gegen eine rechtswidrige Vollziehung von Bundesgesetzen durch Landesbehörden beschränkt (vgl Art129 Abs2 B‑VG i.d.F. BGBl 1/1920).]. De facto erlangte dieses Instrumentarium allerdings erst gegen Ende des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts eine über bloße Einzelfälle hinausreichende (gesamtstrategische) Bedeutung, nachdem es dieser Zielsetzung seitens der Praxis schrittweise in einem immer größeren Umfang dienstbar gemacht worden war.

 

2.1. Dies derart, dass zunächst noch gleichsam abstrakt judiziert wurde, dass die Anfechtungserklärung nach §28 Abs2 VwGG einerseits die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes begrenzt, und zwar insoweit, als der VwGH nicht berechtigt ist, die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides über die durch die Anfechtungserklärung erfassten Bereiche hinaus auszudehnen; dies jedoch mit der Ergänzung, dass der VwGH zugleich aber auch dazu verpflichtet war, über die Rechtmäßigkeit des Bescheides im vollen Umfang der Anfechtungserklärung zu befinden [Vgl. zB VwGH vom 10.5.1988, 87/14/0084.].

 

2.2. Hierauf erfolgte die Klarstellung, dass es im Fall einer Amtsbeschwerde nicht um die Geltendmachung subjektiver Rechte gehe, weshalb bei solchen Beschwerden auch das Formerfordernis der Angabe der Beschwerdepunkte nach §28 Abs1 Z4 VwGG nicht zum Tragen komme. Die Grenzen des Rechtsstreites würden bei Amtsbeschwerden vielmehr durch die Anfechtungserklärung gezogen. In diesem Zusammenhang sei allerdings dem in §28 Abs2 VwGG für (ua) Bescheide nach Art131 Abs2 B‑VG enthaltenen Gebot der Erklärung über den Umfang der Anfechtung bereits durch die pauschale Angabe, dass der Beschwerde führende Bundesminister gegen den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit eine Beschwerde erhebt, entsprochen [In diesem Sinne statt vieler zB VwGH vom 30.9.1998, 98/20/0220.].

 

2.1 Letzteres konkretisierend bzw ergänzend wurde sodann festgestellt, dass Amtsbeschwerden die Verletzung eines subjektiven Rechts des Beschwerdeführers nicht voraussetzen. Bei einer Amtsbeschwerde handelt es sich vielmehr um ein Instrument zur Sicherung der Einheit und Gesetzlichkeit der Vollziehung, welches losgelöst vom individuellen Parteiinteresse als sogenannte objektive Beschwerde wegen jeder unterlaufenen Rechtsverletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes eingesetzt werden kann [Vgl. zB VwGH vom 21.12.2011, 2008/13/0235.].

 

2.4. Schließlich gilt im Wege einer Grundsatzentscheidung, auf die seither fortlaufend Bezug genommen wird, gegenwärtig Folgendes [Vgl. VwGH vom 6.4.2016, Fr 2015/03/0011 (Hervorhebungen nicht im Original).]:

 

'Die belangte Behörde übt als Behörde die ihr rechtlich übertragenen Zuständigkeiten ('Kompetenzen') aus (...). Insofern verfügt sie nicht über subjektive öffentliche Rechte, wie sie anderen Personen zustehen, denen (ebenfalls) Parteistellung eingeräumt ist (...). Sie kann auch nicht als organschaftliche Vertreterin der juristischen Person, in deren Rahmen sie eingerichtet ist, gesehen werden, deren Rechte sie dann im Rahmen ihrer Parteistellung geltend macht. Insofern hat die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht die Stellung einer Formal- bzw einer Organ- oder Amtspartei (...).

 

Die Legitimation zur Revisionserhebung vor dem Verwaltungsgerichtshof nach Art133 Abs6 Z1 B‑VG wegen Verletzung in subjektiven Rechten (...) setzt die Möglichkeit der Verletzung in subjektiven öffentlichen Rechten voraus. Eine Revision kann derart auf dem Boden der Judikatur zur 'Vorläuferbestimmung' des Art133 Abs1 Z1 B‑VG i.d.F. vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nur unter Berufung auf eine eigene, gegen den Staat als Träger der Hoheitsgewalt gerichteten Interessensphäre der rechtsmittelwerbenden Partei erhoben werden (...). Kommt einer Organpartei keine eigene, gegen den Staat gerichtete Interessensphäre zu, dann besteht Rechtsmittellegitimation nur insoweit, als es zur Durchsetzung der aus der Parteistellung folgenden prozessualen Befugnisse (ua Recht auf Bescheid, auf Akteneinsicht, auf Parteiengehör, auf Ladung zu einer mündlichen Verhandlung) erforderlich ist (…). …

 

 

Bei der Ausübung der der belangten Behörde bezüglich ihrer Amtsrevision nach Art133 Abs6 Z2 B‑VG zukommenden Parteistellung im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geht es nicht um die Geltendmachung subjektiver Rechte dieser Behörde, zumal im Fall einer Amtsrevision an die Stelle der Angabe des Revisionspunktes die Erklärung über den Umfang der Anfechtung tritt (...). §28 Abs2 VwGG normiert ausdrücklich, dass bei nicht wegen einer Verletzung in Rechten erhobenen Revisionen an die Stelle der Revisionspunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung tritt.

 

 

Mit der Legitimation zur Erhebung einer Amtsrevision besteht eine verfassungsrechtliche Zuständigkeit der belangten Behörde vor einem Verwaltungsgericht, die Rechtmäßigkeit des aufgrund einer Beschwerde gegen den von dieser Verwaltungsbehörde erlassenen Bescheid (...) erlassenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes (...) durch den Verwaltungsgerichtshof überprüfen zu lassen (...). Die belangte Behörde kann vor dem Verwaltungsgerichtshof uneingeschränkt Revision wegen behaupteter Rechtswidrigkeit erheben (...).

 

Die belangte Behörde kann somit die verwaltungsgerichtliche Entscheidung dahingehend bekämpfen, ob diese rechtsrichtig ergangen ist, wobei der Rahmen der Überprüfung seitens des Verwaltungsgerichtshofes durch die schon genannte Anfechtungserklärung in der Amtsrevision der belangten Behörde begrenzt wird. Eine inhaltliche Einschränkung der belangten Behörde bei der Abgabe der Anfechtungserklärung ist nicht normiert. In diesem Rahmen steht es der belangten Behörde offen, Revisionsgründe (§28 Abs1 Z5 VwGG) sowohl hinsichtlich der Zuständigkeit des VwG als auch bezüglich des Inhalts und bezüglich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, das der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegt, geltend zu machen (vgl i.d.Z §42 Abs2 VwGG).

 

Aus der Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erhebung einer Amtsrevision gegen eine Entscheidung des VwG, mit der dieses infolge einer Beschwerde über den von der belangten Behörde erlassenen Bescheid abspricht, ergibt sich (korrespondierend) ihr Anspruch gegenüber dem VwG, sein Erkenntnis (seinen Beschluss) in rechtsrichtiger Weise zu erlassen und derart auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren rechtskonform zu führen, auch wenn der Verwaltungsgerichtshof eine nicht rechtskonforme Verfahrensführung nur in dem vom §42 Abs2 Z3 VwGG gezogenen Rahmen aufgreift. Der belangten Behörde kommt gegenüber dem ihren Bescheid behandelnden VwG somit ein Anspruch auf (inhaltlich und verfahrensmäßig) rechtsrichtige Entscheidung einschließlich der rechtsrichtigen Verfahrensführung zu.

 

Im Ergebnis bedeutet das, dass der belangten Behörde hinsichtlich des Verfahrens vor dem VwG betreffend den von ihr erlassenen Bescheid eine eigene Interessensphäre zukommt, die einerseits i.S. des kontradiktorischen Verfahrens vor dem VwG (...) derjenigen der beschwerdeführenden Partei vor dem VwG gegenübersteht, die andererseits aber auch im Verhältnis zum VwG gegeben ist, dem gegenüber der besagte rechtliche Anspruch besteht (dass die belangte Behörde wegen ihrer verwaltungsbehördlichen Zuständigkeiten Teil des ‚Staates' i.S. der einschlägigen oben angesprochenen Rechtsprechung darstellt, vermag daran nichts zu ändern). Wird eine Kontroverse zwischen dem VwG und der belangten Behörde - etwa im Wege der Amtsrevision - vor den Verwaltungsgerichtshof gebracht, trägt das Verfahren vor dem VwGH insofern den Charakter eines 'Organstreits'.

 

Die rechtliche Position der belangten Behörde ergibt sich dabei aus dem von ihr vor dem VwG bezüglich des von ihr erlassenen Bescheides zu vertretenden öffentlichen Interesse, wie das der Verwaltungsgerichtshof schon im Zusammenhang mit der Handhabung des §30 Abs2 VwGG betreffend die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an eine Amtsrevision angenommen hat (...).

 

In diesem Punkt führte die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 zu einer Änderung von systematischer Bedeutung im Bereich der rechtlichen Kontrolle von verwaltungsbehördlichen Bescheiden, weshalb die Rechtsprechung und die Lehre zur früheren Rechtslage diesbezüglich grundsätzlich relativiert erscheinen.

 

Angesichts ihrer damit bestehenden, nicht auf subjektive öffentliche Rechte bzw deren Geltendmachung beschränkten (und insofern qualifizierten) rechtlichen Position steht es der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde zu, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Durchsetzung des objektiven Rechtes umfassend mit dem an sich schon für den nicht derart qualifizierten subjektiven Rechtsschutz konzipierten Instrumentarium zu verfolgen (...) …

 

 

Vor diesem Hintergrund kommt der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde, die den vor dem VwG bekämpften Bescheid erlassen hat, damit ein Rechtsanspruch auf eine inhaltlich bestimmte, den von ihr wahrzunehmenden Interessen Rechnung tragende Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zu (...).'

 

2.5. Zusammenfassend ergeben sich daraus als wesentliche Determinanten für eine Amtsrevision, dass deren Anfechtungsumfangserklärung zwar die Prüfungsbefugnis des VwGH begrenzen soll. Allerdings ist dieser Prozessvoraussetzung bereits durch die bloß pauschale Angabe, dass gegen die Entscheidung des VwG 'wegen Rechtswidrigkeit Revision erhoben' wird, entsprochen. Funktionell dient eine Amtsrevision in der Praxis der Sicherung der Einheit und Gesetzlichkeit der Vollziehung, sodass dieses Instrumentarium wegen jeder unterlaufenen Rechtsverletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes herangezogen werden kann. Weil bezüglich der Abgabe der Anfechtungsumfangserklärung gesetzlich keine inhaltliche Begrenzung normiert ist, kann die belangte Behörde folglich uneingeschränkt Revision wegen behaupteter Rechtswidrigkeit erheben. Dies bedeutet, dass Revisionsgründe i.S.d. §28 Abs1 Z5 VwGG sowohl auf die Zuständigkeit als auch auf den Inhalt der Entscheidung des VwG als auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren bezogen werden können. Die rechtliche Position der belangten Behörde im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ergibt sich aus dem bezüglich des von ihr erlassenen Bescheides zu vertretenden öffentlichen Interesse. Ihre nicht auf subjektiv-öffentliche Rechte eingeschränkte – und insofern qualifizierte (i.S.v. weiter reichende) – rechtliche Position ermöglicht es der Behörde, die Durchsetzung des objektiven Rechtes umfassend (wenngleich mit dem bloß für den subjektiven Rechtsschutz ausgelegten und insoweit für deren qualifiziertes Rechtsschutzinteresse an sich nicht konzipierten Instrumentarium) zu verfolgen. Damit ist der Behörde die Vertretung der öffentlichen Interessen bezüglich des von ihr erlassenen Bescheides aufgetragen, wobei ihr insoweit ein Rechtsanspruch auf eine inhaltlich bestimmte, den von ihr wahrzunehmenden Interessen Rechnung tragende Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte zukommt.

 

Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang auch insbesondere, dass dann, wenn im Zuge einer Amtsrevision zugleich solche öffentliche Interessen geltend gemacht werden könnten, die im Verfahren vor dem VwG bislang nicht thematisiert wurden, der VwGH (vom Neuerungsverbot des §41 VwGG ganz abgesehen) insoweit als erst- (und zugleich letzt‑)instanzliches Gericht agieren würde; dies bedeutet, dass das Amtsrevisionsverfahren selbst in vollem Umfang den Anforderungen des Art6 Abs1 EMRK entsprechen müsste, also zB insoweit eine (ergänzende) öffentliche Verhandlung durchzuführen wäre etc.

 

2.6. Insbesondere die Aspekte, dass eine substanzlos-pauschale Anfechtungsumfangserklärung ('wegen Rechtswidrigkeit wird Revision erhoben') hinreicht, dass im VwGG keine bereits auf Gesetz beruhende Beschränkung oder zumindest Präzisierung der Gründe für eine Amtsrevision (nämlich zumindest hinsichtlich jener öffentlichen Interessen, die durch die VwG-Entscheidung tangiert werden) vorgesehen ist (sodass vor dem VwGH mangels gesetzlicher Konkretisierung vielmehr jede unterlaufene Rechtsverletzung oder unrichtige Gesetzesanwendung geltend gemacht werden kann) und dass die Behörde insofern schon von vornherein aus einer vergleichsweise qualifizierteren rechtlichen Position heraus agiert, machen deutlich, dass im Ergebnis de facto offensichtlich keine tatsächliche Gleichstellung zwischen Amtsrevision und 'normaler' Parteienrevision – sondern vielmehr eine (jedenfalls tendenzielle) Privilegierung der staatlichen Rechtsmittellegitimation – vorliegt.

 

Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass (nicht erst) seit der B‑VG-Novelle BGBl I 51/2012 bislang (im Gegensatz zur Zurückweisung von Revisionen staatsfremder Personen wegen fehlender Konkretisierung der 'Revisionspunkte' gemäß §28 Abs1 Z4 VwGG) – soweit im Wege des Rechtsinformationssystems des Bundes (RIS) zugänglich und aus diesem ableitbar – nur in äußerst wenigen (konkret: drei) Fällen [Vgl. VwGH vom 22.11.2017, Ra 2016/17/0302, vom 7.9.2017, Ra 2017/16/0042, und vom 25.11.2015, Ra 2015/16/0100.] eine Zurückweisung einer Amtsrevision wegen Nichterfüllung der spezifischen Prozessvoraussetzung des §28 Abs2 VwGG erfolgte.

 

3. Insgesamt und objektiv besehen ergibt sich somit der Eindruck, dass eine maßgebliche Divergenz zwischen der mit 28 Abs2 VwGG verfolgten gesetzgeberischen Absicht der Gleichstellung zwischen Amts- und Parteienrevision einerseits und der praktischen Handhabung dieser Bestimmung andererseits besteht:

 

De facto wurde nämlich auf der Ebene des Gesetzesvollzuges der mit der Novelle BGBl I 51/2012 intendierte verfassungsrechtliche Wandel hin zu einer echten, den Verfahrensparteien gegenüber neutral-äquidistant agierenden Verwaltungsgerichtsbarkeit nur scheinbar mitvollzogen. Denn es ergibt sich der Eindruck, dass in diesem Bereich der bloß formale Unterschied, dass eine Behörde aus systematischer Sicht nicht als Träger subjektiv-öffentlicher Rechte angesehen werden kann, zu dem Zweck instrumentalisiert wird, der Gewährleistung der objektiven Rechtmäßigkeit ('zur Sicherung der Einheitlichkeit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung' [Vgl. zB statt vieler VwGH vom 15.4.2016, Ra 2014/02/0058; vom 19.4.2017, Ra 2017/02/0043; vom 24.4.2018, Ra 2016/05/0112; vom 9.8.2018, Ra 2018/22/0102; vom 22.11.2018, Ro 2018/07/0041; vom 29.3.2019, Ro 2018/02/0028; vom 29.7.2019, Ra 2019/02/0072; und vom 27.9.2019, Ra 2019/02/0008.]) weiterhin eine überproportionale Priorität einzuräumen [Bezeichnend für dieses Bild ist beispielsweise auch, dass die Bagatellgrenze des §25a Abs4 VwGG für Amtsrevisionen nicht gilt.]. Dies äußert sich ua auch derart, dass eine Amtsrevision einerseits schon hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen wesentlich geringeren Anforderungen als eine von staatsfremden Personen erhobene Revision unterliegt und andererseits diese vor allem auch eine faktisch deutlich höhere Erfolgsquote (94,5%) als letzteres Instrumentarium (jedenfalls geringer als 33%) aufweist […].

 

C. Verfassungsrechtliche Bedenken

 

Mit den vorstehenden Ausführungen sollte aufgezeigt werden, dass es in erster Linie die mangelhafte sprachliche Präzisierung des §28 Abs2 VwGG sein dürfte, die die Hauptursache für die Divergenz zwischen der mit dieser Bestimmung verfolgten gesetzgeberischen Absicht einerseits und deren faktischer Handhabung in der Vollzugspraxis andererseits bildet.

 

Mit diesem zentralen Defizit sind zugleich Ausstrahlungswirkungen in solche verfassungsmäßige Gewährleistungen verbunden, die als verbindliche Grundlage für das Vollzugshandeln jeweils explizit oder implizit eine entsprechende materielle gesetzliche Vorgabe gebieten und deshalb insoweit zu einer jeweils eigenständigen Verfassungsrechtswidrigkeit führen dürften. Inhaltlich lassen sich diese einerseits danach unterscheiden, dass – davon ausgehend, dass die fundamentale Zielsetzung der B‑VG-Novelle BGBl I 51/2012 (weder in einer Verkürzung der Verfahrensdauer noch in einer Entlastung des VwGH [diese beiden Aspekte bildeten bloß Nebenziele], sondern vielmehr) darin bestand, die vollumfängliche EMRK- und Unionsrechtskonformität der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (ex post) herzustellen – Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des §28 Abs2 VwGG mit speziellen Garantien der EMRK und der EGRC – vor dem besonderen Hintergrund der strafrechtlichen Natur des Anlassfalles – bestehen. Andererseits dürfte das B‑VG in Bezug auf die Gerichtsbarkeit des Öffentlichen Rechts von der grundlegenden Systementscheidung getragen sein, dass die Letztkompetenz (i.S. einer Zuständigkeit zur Erlassung einer alle übrigen Vollzugsorgane rechtskräftig bindenden Entscheidung) hinsichtlich der Klärung von Verfassungsfragen exklusiv dem VfGH übertragen ist, sodass das Vorliegen einer (nicht verfassungsgesetzlich festgelegten, sondern) bloß interpretativ ableitbaren Ausnahme von diesem tragenden Prinzip wohl schon von vornherein stets nur in einem äußerst engen Rahmen angenommen werden kann.

 

Im Einzelnen ergeben sich aus diesen drei teilweise ineinander verwobenen Strängen (mangelnde sprachliche Präzisierung, EMRK- sowie Unionsrechtskonformität und Letztkompetenz des VfGH in Verfassungsfragen) aus der Sicht des antragstellenden LVwG OÖ die folgenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §28 Abs2 VwGG:

 

C.1. Bedenken im Hinblick auf das demokratische Grundprinzip (Art1 B‑VG) i.V.m. dem allgemeinen (Art18 Abs1 B‑VG) und dem spezifisch strafrechtlichen (Art7 Abs1 EMRK und Art49 Abs1 EGRC) Legalitätsprinzip

 

1. Wie sich schon aus der Formulierung des Art1 B‑VG zweifelsfrei ergibt, geht diese Bestimmung davon aus, dass die oberste Souveränität zur Normsetzung beim Volk liegt. Für den Regelfall, d.h. soweit verfassungsgesetzlich nicht Abweichendes festgelegt ist, bedeutet dies, dass allein dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber die entscheidende rechtspolitische Gestaltungsbefugnis zukommt, zugleich aber auch obliegt. Zwecks Sicherung dieses Grundprinzips stellt Art18 Abs1 B-G klar, dass die der Gesetzgebung untergeordnete Normsetzungsebene (Vollziehung) lediglich dazu befugt ist, die bereits zuvor getroffene politische Richtungsfestlegung innerhalb deren materieller Vorgaben und unter beständiger Bindung an diese näher zu konkretisieren.

 

Vor einem solchen Hintergrund erweist sich sowohl ein (einfaches) Gesetz, das keine oder bloß dem Anschein nach eine inhaltliche rechtspolitische Entscheidung trifft, in gleicher Weise als im Hinblick auf Art1 i.V.m. Art18 Abs1 B‑VG verfassungswidrig wie ein Vollzugshandeln, das die gesetzlich festgelegte rechtspolitische Absicht nicht bloß näher konkretisiert, sondern dieser zuwiderläuft.

 

2. Art7 Abs1 erster Satz EMRK und Art49 Abs1 erster Satz EGRC legen übereinstimmend fest, dass niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden kann (bzw darf), die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalen Recht nicht strafbar war.

 

Aus rechtssystematischer Sicht stellen sich beide Bestimmungen jeweils als Sonderausprägungen des allgemeinen Legalitätsprinzips dar. Vor dem Hintergrund, dass die 'Demokratie' – in analoger Weise zu Art1 B‑VG – einen Grundwert der Europäischen Union bildet (vgl Art2 EUV), erfüllen sie speziell für den Bereich des Strafrechts dieselbe Sicherungsfunktion wie Art18 Abs1 B‑VG, wobei hier noch hinzukommt, dass Art7 EMRK und Art49 EGRC nicht nur eine verfassungsrechtliche, sondern darüber hinaus auch eine europarechtliche Dimension und Verbindlichkeit aufweisen.

 

3. Als gemeinsamer Sukkus wird aus Art18 Abs1 B‑VG, aus Art7 Abs1 EMRK und aus Art49 Abs1 EGRC in Rechtsprechung und Lehre übereinstimmend abgeleitet, dass das Vollzugshandeln – wozu fraglos auch jenes der (Verwaltungs‑)Gerichtsbarkeit zählt – durch Gesetz ausreichend präzise vorherbestimmt sein muss. In diesem Zusammenhang ist zudem an Bestimmungen mit strafrechtlicher Relevanz ein vergleichsweise noch strengerer Maßstab anzulegen […].

 

4. Den genannten Anforderungen dürfte jedoch §28 Abs2 VwGG im Ergebnis aus folgenden Gründen nicht gerecht werden:

 

4.1. Zuvor wurde aufgezeigt, dass zwischen der mit §28 Abs2 VwGG verfolgten gesetzgeberischen Absicht und der praktischen Handhabung dieser Bestimmung eine erhebliche Divergenz besteht.

 

Für den durchschnittlichen Normadressaten bedeutet dies, dass sich der Inhalt dieser Rechtsvorschrift als nicht hinreichend klar erweist. Insbesondere ist nämlich aus dessen Blickwinkel nicht präzise erkennbar, in welchem Umfang er eine ihn begünstigende VwG-Entscheidung in Anspruch nehmen kann, wenn diese seitens der Amtspartei pauschal, zugleich aber in nach der Judikatur zulässiger Weise (bloß) 'wegen Rechtswidrigkeit' angefochten wird. Um nicht das Risiko einer u.U. kostenaufwändigen Rückabwicklung einzugehen, muss er daher i.d.R. zuwarten, bis der VwGH über die Amtsrevision entschieden hat, was bei grundsätzlichen Rechtsfragen geraume Zeit in Anspruch nehmen kann.

 

4.2. Handelt es sich im Besonderen um ein Verwaltungsstrafverfahren, dann bleibt zudem über einen längeren Zeitraum hinweg fraglich, ob letztlich überhaupt bzw eine gegebenenfalls höhere Strafe zum Tragen kommen wird. Insbesondere in Rechtsbereichen wie jenen des Anlassfalles (Glücksspielgesetz) stehen dabei durchaus hohe Geldstrafen (hier: 84.000 Euro) im Raum, wobei in der Praxis gerade im Bereich dieser Materie die festgesetzten Ersatzfreiheitsstrafen häufig auch tatsächlich schlagend werden, sodass deren (Gesamt-)Höhe (hier: mehr als 5 1/2 Wochen) nicht nur das Rechtsgut der persönlichen Freiheit (Art5 EMRK, Art6 EGRC) als solches empfindlich, sondern vor allem auch mittelfristig notwendige unternehmerische Dispositionen (Art1 1. ZPMRK, Art15 bis 17 EGRC) in einem nicht mehr zu vernachlässigenden Ausmaß beeinträchtigt.

 

4.3. In diesem Kontext sind aber die Erfolgsaussichten einer Amtsrevision vorweg hauptsächlich deswegen kaum seriös einzuschätzen, weil sich schon deren Zulässigkeitsvoraussetzungen im Grunde auf eine einzige – und eben höchst vage – Gesetzeswendung ('Erklärung über den Umfang der Anfechtung') reduziert.

 

C.2. Bedenken im Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes (Art7 B‑VG bzw Art2 StGG) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art49 EGRC)

 

1. Dazu kommt, dass dem gegenüber die Amtspartei keinerlei prozessuales Risiko trägt, sodass im Ergebnis allein dem durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Begünstigten die negativen Folgen dieses Rechtsschutzinstrumentariums aufgebürdet werden.

 

Für eine solche einseitige Belastung ist allerdings nicht nur keine sachliche Rechtfertigung erkennbar; vielmehr erscheint ein derartiger Effekt zudem als unverhältnismäßig.

 

2. Dies zum einen schon deshalb, weil das Ziel einer objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle unter dem Aspekt, dass die Hauptfunktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit jedenfalls seit der B‑VG-Novelle BGBl I 51/2012 in deren Vereinbarkeit mit der EMRK und Unionsrecht besteht, sodass sie sich nunmehr vor allem durch eine Äquidistanz zu allen Verfahrensparteien (siehe dazu näher unten, C.5.) auszeichnen muss. Dies schließt bereits den Anschein der pauschalen Bevorzugung einer Verfahrenspartei, insbesondere wenn diese dem Staat zurechenbar ist, aus.

 

Dazu kommt zum anderen, dass nach dem Konzept der EMRK und der EGRC öffentliche Interessen schon von vornherein nur innerhalb jener Grenzen eine rechtliche Beachtung finden können, wenn und soweit solche gesamtstaatliche Interessen in den materiellen Gesetzesvorbehalten der EMRK bzw der EGRC auch entsprechend zum Ausdruck kommen. Eine pauschale, erst recht eine absolute Vorrangstellung ist hingegen mit einer solchen Konzeption schlechthin unvereinbar.

 

3. Aber selbst dann, wenn eine derartige Bevorzugung der weitest möglichen Sicherung eines objektiv rechtmäßigen Vollzuges weiterhin gerechtfertigt erschiene, wäre das herangezogene Mittel jedenfalls überschießend:

 

Es ist nämlich nicht erkennbar, weshalb eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle verunmöglicht wäre, wenn die Amtspartei in gleicher Weise dazu verhalten ist, die ihrerseits als verletzt erachteten öffentlichen Interessen in derselben detaillierten Weise zu spezifizieren wie ein Normadressat die Beschwerdepunkte im Rahmen einer 'normalen' Parteienrevision.

 

4. Angesichts dessen scheint die Wendung 'Umfang der Anfechtung' i.S.d. §28 Abs2 VwGG offenkundig nicht etwa nur zu meinen, das Erkenntnis wird 'seinem gesamten Umfang nach' oder 'bloß hinsichtlich der Strafhöhe' oder 'bloß hinsichtlich der Auflage XY' oder 'bloß hinsichtlich der Kosten' etc. angefochten, sondern es dürfte bei derart pauschalen Anfechtungserklärungen zusätzlich auch jeweils eine entsprechende Konkretisierung im Hinblick auf – bloß – solche tangierten öffentlichen Interessen nötig sein, die bereits Gegenstand des Verfahrens vor dem VwG waren.

 

Dies müsste unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes und des Neuerungsverbotes insbesondere dann gelten, wenn die Parteistellung von mitbeteiligten, staatsfremden Personen ex lege (wie zB jene von Nachbarn in einem Baubewilligungsverfahren), kraft Präklusion (wie zB jene von Nachbarn im gewerberechtlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren) oder aus sonstigen Gründen schon von vornherein als eingeschränkt erscheint.

 

C.3. Bedenken im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Strukturprinzip der Konzentration der Verfassungsgerichtsbarkeit beim VfGH (Art133 Abs5 B‑VG)

 

1. Schon im Zuge ihrer initialen Einrichtung während der Monarchie war die Gerichtsbarkeit des Öffentlichen Rechts durch eine funktionelle Trennung zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit einerseits und Verfassungsgerichtsbarkeit andererseits gekennzeichnet [Vgl. die Art1 bis 4 (insbesondere Art3 litb) des StGG über die Einsetzung eines Reichsgerichtes, RGBI 143/1867 (im Folgenden: RGG 1867), gegenüber den §§2 und 3 (insbesondere §3 litb) des Gesetzes betreffend die Einrichtung eines Verwaltungsgerichtshofes, RGBl 36/1876 (im Folgenden: VwGG 1876).].

 

Diese Systementscheidung wurde anlässlich der (wenngleich im Übrigen revolutionären) Institutionalisierung der Ersten Republik übernommen. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass mit dem B‑VG erstmals eine Amtsbeschwerde eingeführt, zugleich jedoch – wie sich aus Art131 Abs1 Z1 i.V.m. Art144 Abs1 B‑VG i.d.F. BGBl 1/1920 ergibt – (neuerlich) explizit bekräftigt wurde, dass von der Zuständigkeit des VwGH sämtliche Angelegenheiten ausgeschlossen sind, die in den Kompetenzbereich des VfGH fallen; Letzterer bestand insbesondere aus der umfassenden und zugleich exklusiven Zuständigkeit zu einer alle unterverfassungsgesetzlichen Normsetzungsorgane bindenden Klärung von Verfassungsfragen.

 

Es stellt demnach schon ex ante keine planwidrige Lücke, sondern eine bewusst dahin getroffene Entscheidung des historisch ersten Verfassungsgesetzgebers dar, dass mit einer lediglich auf die Entscheidungszuständigkeit des VwGH beschränkten Amtsbeschwerde keine Verfassungsfragen – sondern (schon seit damals) lediglich die Problematik der einfachgesetzlichen Rechtmäßigkeit des Vollzuges von Bundesgesetzen durch Landesbehörden – thematisiert werden können soll(t)en.

 

2. Vor diesem Hintergrund erweist sich somit diese seither kontiuierlich beibehaltene systematische Kombination – gegenwärtig vor allem: Art133 Abs5 i.V.m. Art144 Abs1 B‑VG – nicht bloß als eine 'normale' Verfassungsbestimmung, sondern die genannten Normen [Nämlich: von Art3 litb RGG 1867 einerseits und §3 litb VwGG 1876 andererseits über Art131 Abs1 Z1 B_VG i.d.F. BGBl 1/1920 einerseits und Art144 Abs1 B‑VG i.d.F. BGBl 1/1920 andererseits; bis zu (nunmehr) Art133 Abs5 B‑VG i.d.g.F. einerseits und Art144 Abs1 B VG i.d.g.F andererseits.] repräsentieren vielmehr (wenngleich kein formelles Baugesetz i.S.d. Art44 Abs3 B‑VG, so doch zumindest) ein Strukturprinzip der österreichischen Verfassung. Dessen Zwecksetzung, die sohin im Zuge der Verfassungsauslegung verbindlich zu beachten ist, besteht offenkundig vornehmlich darin, jedenfalls in Bezug auf höchstrangige Normen eine Judikaturdivergenz sowohl von vornherein als auch nachhaltig zu verhindern [So schon VfGH vom 12.3.2014, B166/2013; in diesem Sinne dürfte wohl auch das Erkenntnis des VfGH vom 28.6.2017, V4/2017, zu verstehen sein.] (sodass es v.a. in Bezug auf sog 'Parallelbeschwerden' nicht bloß dem faktischen Zufall überlassen sein soll, ob der VfGH mit seiner Entscheidung jener des VwGH zuvorkommt [Wie zB VfGH v 29.6.2017, E875/2017, und VwGH vom 6.3.2019, Ro 2018/03/0031, in Bezug auf die sog 'Dritten Piste' am Flughafen Wien‑Schwechat.]).

 

3. Dieser Grundintention und damit dem genannten Strukturprinzip läuft es aber diametral zuwider, wenn ex lege nicht zuverlässig ausgeschlossen ist, dass mit einer Amtsrevision auch oder – wie im vorliegenden Fall – sogar ausschließlich verfassungsrechtliche Fragen geltend gemacht werden können, über die dann der zur Lösung von Verfassungsfragen nach dem Konzept des B‑VG allein letztkompetente VfGH überhaupt nicht entscheiden kann, weil dieser in Amtsrevisionsverfahren schon von vornherein in keiner Weise eingebunden ist.

 

Eine verfassungsstrukturkonforme Interpretation würde es daher jedenfalls gebieten, §28 Abs2 VwGG dahin auszulegen, dass mit einer Anfechtungsumfangserklärung i.V.m. §28 Abs1 Z5 VwGG (Beschwerdegründe) keine Verletzung von verfassungsgesetzlich festgelegten öffentlichen Interessen geltend gemacht werden kann.

 

4. Dasselbe Ergebnis resultiert auch aus europarechtlichem Blickwinkel dann, wenn man weiters beachtet, dass das hier in Rede stehende Systemprinzip zusätzlich die Funktion erfüllt, den zwischenzeitlich gestiegenen Anforderungen der EMRK zu entsprechen: Insoweit hält nämlich der EGMR eine widersprüchliche Judikatur nationaler Höchstgerichte im Lichte des Art6 Abs1 EMRK v.a. deshalb für konventionswidrig, weil dies dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderläuft [Vgl. zB jüngst EGMR vom 23.5.2019, 17257/13.].

 

5. Die Anforderung, dass sowohl mit Amts- als auch mit Revisionen staatsfremder Verfahrensparteien an den VwGH keine Verfassungsfragen herangetragen werden dürfen, führt zu dem zunächst einigermaßen paradox anmutenden Ergebnis, dass wohl die (untergeordneten) Verwaltungsgerichte, nicht aber auch der (gegebenenfalls) letztinstanzlich einschreitende VwGH die Verfassung als Prüfungsmaßstab heranziehen dürfen bzw müssen. Gerade diese Antinomie erscheint aber sowohl systemtheoretisch (VfGH als einzige letztkompetente Institution zur Beurteilung von Verfassungsfragen) als auch europarechtlich (Vermeidung von höchstgerichtlicher Judikaturdivergenz) gleichermaßen konsequent und geboten; sie bedeutet letztlich, dass der VwGH gerade deshalb, weil er im Unterschied zu den VwG, die zwar rechtskräftig, aber eben nicht letztkompetent entscheiden, ein Höchstgericht ist, keine Verfassungsfragen in Form einer allgemein-verbindlichen Feststellungsentscheidung beurteilen darf [Analoges gilt im Übrigen auch im Bereich des Zivil- und des Justizstrafrechts in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem OGH und den ihm vorgeschalteten Untergerichten, wenn Art92 Abs1 B‑VG den OGH zur obersten Instanz – ausschließlich – 'in Zivil- und Strafrechtssachen' beruft. Denn daraus ergibt sich e contrario, dass der OGH nicht letztkompetent ist, in Verfassungsfragen zu entscheiden. Vielmehr kommt im Bereich des Zivil- und Justizstrafrechts primär bzw in vergleichsweise verstärkterem Maß die Verpflichtung zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages gemäß Art89 i.V.m. Art140 B‑VG zum Tragen.].

 

6. Um den Anforderungen nach System- und Europarechtskonformität gerecht zu werden, dürfte es daher geboten erscheinen, dass nicht nur im Wege der Auslegung, sondern vielmehr schon durch eine entsprechend exakte Formulierung unmittelbar ex lege sichergestellt ist, dass mit Amtsrevisionen keine in die Verfassungssphäre reichenden öffentlichen Interessen geltend gemacht werden können.

 

C.4. Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatliche Grundprinzip (Durchbrechung der Rechtskraft)

 

1. Wie bereits ausgeführt, verkörpert das Instrumentarium der Amtsrevision aus rechtssystematischer Sicht eine Möglichkeit der Durchbrechung der Rechtskraft von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte.

 

Eine besondere Bedeutung erlangt dieser Aspekt in der Praxis vor allem in solchen Konstellationen, in denen es seitens des VwG verabsäumt wurde, auch den in Art133 Abs6 Z3 B‑VG genannten sowie den nach Art133 Abs8 B‑VG einfachgesetzlich revisionsermächtigten Organen eine Ausfertigung der Entscheidung zuzustellen o.Ä. In derartigen Fällen beginnt nämlich die Frist zur Erhebung der Amtsrevision erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme der VwG-Entscheidung zu laufen [Ständige Rechtsprechung; vgl zB VwGH vom 15.3.2013, 2012/17/0569; vom 23.3.2000, 98/20/0282; vom 25.3.1999, 98/20/0283.], selbst wenn eine solche de facto erst Jahre später nach dem Zeitpunkt der Zustellung an die übrigen Verfahrensparteien erfolgen sollte.

 

2. Vor allem in der Judikatur des EuGH wird dem Institut der Rechtskraft eine besonders hohe Bedeutung beigemessen.

 

Dies zeigt sich schon vornehmlich daran, dass rechtskräftige Individualakte die einzige Form von Rechtsakten verkörpern, denen gegenüber der – ansonsten umfassend wirkende – Vorrang des Unionsrechts nicht mit strikter Absolutheit zum Tragen kommt [Vgl. grundlegend schon EuGH vom 16.3.2006, C‑234/04 , und zuletzt vom 29.7.2019, C‑620/17 .].

 

3. Eine insgesamt sowohl sachgerechte als auch verhältnismäßige Handhabung des Instrumentariums der Amtsbeschwerde erfordert es daher, dass schon von vornherein, d.h. aber: auf allgemein-verbindlicher und sohin gesetzlicher Ebene sichergestellt ist, dass die damit – auch – verbundene Durchbrechung der Rechtskraft nur innerhalb enger Grenzen tatsächlich effektiv zu werden vermag.

 

Mit diesen Anforderungen dürfte es allerdings kaum vereinbar sein, dass in §28 Abs2 VwGG die Zulässigkeitsbedingungen für eine Amtsrevision bloß mit der vagen Formulierung einer 'Erklärung über den Umfang der Anfechtung' umschrieben werden und es davon ausgehend in der Praxis hinreicht, substanzlos und pauschal 'wegen Rechtswidrigkeit Revision zu erheben'.

 

Die Bestandskraft einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes ist nämlich unter diesen Umständen für einen Durchschnittsbürger nicht ausreichend vorhersehbar und berechenbar.

 

4. Schließlich ist insoweit auch zu bedenken, dass der vom EGMR entwickelte Grundsatz, dass ein 'overruling' – besonders dann, wenn es um Freiheitsstrafen und die persönliche Schuld eines Beschuldigten geht – nur aufgrund einer eigenständig-unmittelbaren Beweisaufnahme (wie diese in einem Revisionsverfahren vor dem VwGH i.d.R. gerade nicht erfolgt) einer Institution, die den Anforderungen eines Gerichtes i.S.d. Art6 Abs1 EMRK entspricht, zulässig ist [Vgl. jüngst EGMR vom 16.7.2019, 38797/17.].

 

Dies bedingt zugleich eine dementsprechende Einschränkung der Möglichkeiten einer Rechtskraftdurchbrechung.

 

Daher ergibt sich auch daraus, dass eine bloß zur Sicherstellung der objektiven Rechtmäßigkeit vorgesehene Möglichkeit der Durchbrechung der Rechtskraft kein absolut, nämlich grundrechtliche Gewährleistungen schon von vornherein überwiegendes öffentliches Interesse verkörpert. Vielmehr müssen berücksichtigungswürdige öffentlichen Interessen nicht nur in grundrechtlichen Eingriffsvorbehalten ausreichend verankert, sondern auch bereits im Verfahren vor dem VwG entsprechend nachdrücklich von der Behörde vertreten worden und dadurch 'Sache des Beschwerdeverfahrens' geworden sein.

 

5. Die Anordnung des §28 Abs2 VwGG müsste demnach auch vor diesem Hintergrund wiederum bedeuten, dass die Zulässigkeit der Revision nicht im Hinblick auf subjektive Rechte, sondern auf Rechtswidrigkeit in Bezug auf objektive Interessen, insoweit aber in gleicher Weise spezifisch zu konkretisieren ist [Vgl. oben, III.C.2.3.] und sich in diesem Zusammenhang weder auf im Verfahren vor dem VwG gar nicht tangierte noch auf solche Fragen beziehen darf, die von Verfassungs wegen in die Letztentscheidungskompetenz des VfGH fallen und somit i.S.d. Art133 Abs5 B‑VG nicht zur Zuständigkeit des VwGH gehören [Im Unterschied zu den erstinstanzlichen Verwaltungsgerichten und den unterinstanzlichen Zivil- und Strafgerichten einerseits dürfen der VwGH und der OGH andererseits deshalb nicht über Verfassungsfragen entscheiden, weil auf der Ebene der höchstinstanzlichen Gerichte zum einen aus innerstaatlich‑verfassungsrechtlicher Sicht insoweit eine exklusive Zuständigkeit des VfGH besteht und zum anderen aus europarechtlichem Blickwinkel im Falle einer Judikaturdivergenz zwischen den Höchstgerichten eine Verletzung des fairen Verfahrens (Rechtssicherheit) i.S.d. Art6 Abs1 EMRK bzw Art47 Abs1 EGRC vorläge.].

 

C.5. Bedenken im Hinblick auf die Wahrung des Anscheins eines gerichtlichen Verfahrens, v.a. Äquidistanz zu den Verfahrensparteien (Art6 EMRK, Art47 EGRC).

 

1. Um die Anforderungen, die das Unionsrecht an ein Gericht stellt, zu erfüllen, muss die entsprechende Institution nach der Judikatur des EuGH eine Reihe von Merkmalen – wie vor allem: gesetzliche Grundlage, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen, Unabhängigkeit etc. – erfüllen. Im Besonderen ist hinsichtlich der Unabhängigkeit zwischen dem Innen- und dem Außenverhältnis zu unterscheiden. In letzterem Bereich muss sichergestellt sein, dass die Funktion in völliger Autonomie ausgeübt werden kann, was vor allem eine hierarchische Eingliederung, die Erteilung einer Anordnungsbefugnis oder die Möglichkeit einer Abberufung durch staatliche Stellen zuverlässig ausschließen muss. Soweit es die innere Unabhängigkeit betrifft, darf objektiv kein Zweifel daran bestehen, dass das Gericht die Stellung eines neutralen Dritten einnimmt, der keine eigenständigen Interessen am Ausgang des Rechtsstreits hat und den Verfahrensparteien mit gleichem Abstand (Äquidistanz) begegnet. Ist weiters nicht zweifelsfrei ausgeschlossen bzw gewährleistet, dass objektiv besehen keine Funktionsvermischung zwischen der Stellung einer Verfahrenspartei und jener des Recht sprechenden Organes erfolgt, so weist diese Einrichtung nicht die Qualifikation eines Gerichtes auf [Vgl. zusammenfassend EuGH v 21.1.2020, C‑274/14 .].

 

In ähnlicher Weise legt auch der EMGR besonderen Wert darauf, dass ein Gericht nicht zugleich auch die Funktion einer Anklagebehörde ausüben darf bzw bereits ein dementsprechender Anschein die Garantie eines fairen Verfahrens gemäß Art6 Abs1 EMRK verletzt [Vgl. EGMR v 20.9.2016, 926/08, und zuletzt vom 22.10.2019, 24377/15.].

 

2. Damit lässt sich nicht in Einklang bringen, dass Amtsrevisionen schon von Gesetzes wegen bzw die entsprechenden gesetzlichen Regelungen so gehandhabt werden, dass diese im Ergebnis weniger strengen Voraussetzungen unterliegen als Revisionen von staatsfremden Normadressaten.

 

Dadurch entstünde nämlich der Eindruck, dass öffentlichen Interessen allein schon aufgrund dieser ihrer Natur ein prinzipieller Vorrang eingeräumt wird.

 

3. Einer derartigen Sonderstellung steht zudem von vornherein entgegen, dass die EMRK von der prinzipiellen Systementscheidung getragen ist, dass ein Eingriff in deren grundrechtliche Gewährleistungen stets nur dann und insoweit zulässig ist, als eine entsprechende Gewichtung ergibt, dass und inwieweit diese von öffentlichen Interessen überragt werden (vgl zB die materiellen Gesetzesvorbehalte gemäß Art8 Abs2, Art9 Abs2, Art10 Abs2 und Art11 Abs2 EMRK); andernfalls müssen die öffentlichen Interessen zurückstehen. Analoges gilt auch für die Grundrechtsgewährleistungen der EGRC (vgl Art52 EGRC).

 

Soll die österreichische Verfassung nunmehr – d.h.: seit der B‑VG-Novelle BGBl I 51/2012 – tatsächlich den europarechtlichen Anforderungen entsprechen, bedarf es also in jedem konkreten Anlassfall jeweils einer Abwägung zwischen grundrechtlich geschützter Interessensphäre einerseits und objektiven öffentlichen Interessen andererseits (und nicht einer aprioristischen Bevorzugung der Letzteren), wobei die prozessualen Zugangsbedingungen für die Erlassung einer derartigen verfahrensmäßigen Feststellungsentscheidung schon dem Anschein nach jeweils für beide konträren Verfahrensparteien gleichwertig (gleichgewichtig) ausgestaltet sein müssen.

 

Eine andere Sichtweise würde dem gegenüber den Gerichtsstatus des VwGH schon von Vornherein in Frage stellen.

 

4. Schließen es demnach sowohl die EMRK als auch die EGRC aus, dass der VwGH – soll dieser seiner Gerichtsqualität i.S.d. Art6 Abs1 EMRK bzw des Art47 Abs1 EGRC nicht verlustig gehen – im Zuge eines Amtsrevisionsverfahrens den Vertretern des öffentlichen Interesses näher steht als den sonstigen Verfahrensparteien bzw soll schon jeglicher dementsprechende äußere Anschein vermieden werden, dann muss aber eine dementsprechende Äquidistanz schon von Gesetzes wegen zweifelsfrei klargestellt sein, erst recht aber auch effektiv praktiziert werden.

 

Auch vor diesem Hintergrund dürfte daher die im Grunde inhaltsleere Umschreibung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Amtsrevision in §28 Abs2 VwGG den verfassungs- und europarechtlichen Anforderungen nicht genügen, zumal es ja gerade dieser Umstand de facto ermöglicht, dass insoweit die bloß pauschale Angabe, wegen Rechtswidrigkeit Revision zu erheben, bereits als hinreichend angesehen wird, während demgegenüber eine von einer staatsfremden Person erhobene Revision ungleich anspruchsvollere Anforderungen erfüllen muss.

 

D. Unzulänglichkeit einer bloß verfassungs- und/oder unionsrechtskonformen Interpretation

 

1. Zwar würde es dem Wortlaut des §28 Abs2 VwGG nicht entgegenstehen, wenn die Vollzugsebene diese Bestimmung in der zuvor dargestellten, zugleich verfassungs- und europarechtskonformen Weise auslegt. Allerdings bietet allein diese bloß theoretisch-systematische Möglichkeit keine substantielle Garantie dafür, dass eine solche Vorgangsweise stets und in jedem Einzelfall auch tatsächlich praktiziert wird.

 

Die aufgrund mehrerer, zuvor näher aufgezeigter Gesichtspunkte ex ante zu vermutende Verfassungswidrigkeit dieser Norm liegt ersichtlich vielmehr gerade darin, dass sie äußerst unpräzise formuliert ist und somit schon von vornherein divergierende Interpretationsvarianten zulässt – darunter eben auch solche, die sowohl der Absicht des Gesetzgebers als auch dem Gebot der verfassungs- und europarechtskonformen Interpretation zuwiderlaufen.

 

2. Insoweit dürfte es daher im Ergebnis nicht nur an einer gesetzlichen Grundlage, die den allgemeinen Anforderungen des Art18 Abs1 B‑VG und den besonderen Erfordernissen des Art7 Abs1 EMRK bzw des Art49 Abs1 EGRC, sondern auch des Art6 Abs1 EMRK bzw des Art47 Abs1 EGRC entspricht, überhaupt fehlen oder diese müsste zufolge ihrer mangelnden materiellen Richtungsweisung bzw wegen ihrer vorgreifenden Bevorzugung öffentlicher Interessen zumindest als unsachlich und/oder als unverhältnismäßig qualifiziert werden.

 

3. Die bloß theoretische Möglichkeit, dass sich in einzelnen Anlassfällen auch im Wege der Auslegung das zutreffende (d.h. verfassungsrechtlich gebotene) Ergebnis erzielen lässt, vermag daher das rechtsstaatliche Erfordernis einer hinreichend präzisen gesetzlichen Grundlage, die den Normadressaten in die Lage versetzt, das staatliche Handeln stets verlässlich vorhersehen und berechnen zu können, nicht zu ersetzen – noch dazu, wenn der Inhalt dieser Auslegung gerade von dem zur Sicherung der Einheitlichkeit der Verfassungsinterpretation letztkompetenten Organ mangels prozessualer Einbindung desselben nicht verbindlich vorgegeben werden kann."

 

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrags nicht bestreitet, aber den im Antrag dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken in der Sache wie folgt entgegentritt:

"III. In der Sache:

 

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

 

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf das demokratische Grundprinzip (Art1 B‑VG) iVm. dem allgemeinen (Art18 Abs1 B‑VG) und dem spezifisch strafrechtlichen (Art7 Abs1 EMRK und Art49 Abs1 GRC) Legalitätsprinzip:

 

1.1. Nach Ansicht des antragstellenden Gerichtes besteht zwischen der mit §28 Abs2 VwGG verfolgten gesetzgeberischen Absicht und der praktischen Handhabung dieser Bestimmung eine erhebliche Divergenz. Für den durchschnittlichen Normadressaten bedeute dies, dass sich der Inhalt dieser Rechtsvorschrift als nicht hinreichend klar erweist. Insbesondere sei nämlich aus dessen Blickwinkel nicht präzise erkennbar, in welchem Umfang er eine ihn begünstigende Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in Anspruch nehmen könne, wenn diese seitens der Amtspartei pauschal, zugleich aber in nach der Judikatur zulässiger Weise (bloß) 'wegen Rechtswidrigkeit' angefochten wird. Um nicht das Risiko einer unter Umständen kostenaufwändigen Rückabwicklung einzugehen, müsse er daher in der Regel zuwarten, bis der Verwaltungsgerichtshof über die Amtsrevision entschieden hat, was bei grundsätzlichen Rechtsfragen geraume Zeit in Anspruch nehmen könne.

 

Handle es sich im Besonderen um ein Verwaltungsstrafverfahren, dann bleibe zudem über einen längeren Zeitraum hinweg fraglich, ob letztlich überhaupt eine bzw gegebenenfalls eine höhere Strafe zum Tragen kommen werde. Insbesondere in Rechtsbereichen wie jenen des Anlassfalles (Glücksspielgesetz) stünden dabei durchaus hohe Geldstrafen (hier: 84.000 Euro) im Raum, wobei in der Praxis gerade im Bereich dieser Materie die festgesetzten Ersatzfreiheitsstrafen häufig auch tatsächlich schlagend würden, sodass deren (Gesamt-)Höhe (hier: mehr als 5 1/2 Wochen) nicht nur das Rechtsgut der persönlichen Freiheit (Art5 EMRK, Art6 GRC) als solches empfindlich, sondern vor allem auch mittelfristig notwendige unternehmerische Dispositionen (Art1 1. ZPEMRK, Art15 bis 17 GRC) in einem nicht mehr zu vernachlässigenden Ausmaß beeinträchtige.

 

In diesem Kontext seien aber die Erfolgsaussichten einer Amtsrevision vorweg hauptsächlich deswegen kaum seriös einzuschätzen, weil sich schon deren Zulässigkeitsvoraussetzungen im Grunde auf eine einzige – und eben höchst vage – Gesetzeswendung ('Erklärung über den Umfang der Anfechtung') reduzierten.

 

1.2. Nach Ansicht der Bundesregierung verkennt das antragstellende Gericht mit den vorstehenden Ausführungen, dass sich die angefochtene Bestimmung nicht an die Rechtsunterworfenen (an den 'durchschnittlichen Normadressaten'), sondern an das zur Erhebung der Amtsrevision befugte Organ richtet. Zu fragen wäre richtigerweise, ob der Inhalt der angefochtenen Bestimmung so ausreichend bestimmt ist, dass dieses Organ sein Verhalten danach richten kann, und nicht, so wie es das antragstellende Gericht tut, danach, ob die angefochtene Bestimmung es dem 'durchschnittlichen Normadressaten' ermöglicht, Prognosen oder Mutmaßungen über die voraussichtliche Verfahrensdauer, die Erfolgsaussichten der erhobenen Amtsrevision(en) oder einen mehr oder weniger wahrscheinlichen Verfahrensausgang anzustellen. Dass die angefochtene Bestimmung in dieser – allein maßgeblichen – Hinsicht zu unbestimmt wäre, wird vom antragstellenden Gericht jedoch nicht einmal behauptet. Die ständige – und zu keinerlei Zweifeln über den Inhalt der Gesetzesbestimmung Anlass gebende – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §28 Abs2 VwGG wird im Antrag ja nicht bloß erwähnt, sondern sogar ausführlich erörtert.

 

1.3. Die vom antragstellenden Gericht gegen die angefochtene Bestimmung im Hinblick auf das Legalitätsprinzip erhobenen Bedenken sind daher nach Ansicht der Bundesregierung nicht begründet.

 

2. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes (Art7 B‑VG bzw Art2 StGG) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art49 GRC), im Hinblick auf das 'verfassungsrechtliche Strukturprinzip der Konzentration der Verfassungsgerichtsbarkeit beim VfGH (Art133 Abs5 B‑VG)', im Hinblick auf das 'Rechtsstaatliche Grundprinzip (Durchbrechung der Rechtskraft)' und im Hinblick auf die 'Wahrung des Anscheins eines gerichtlichen Verfahrens, v.a. Äquidistanz zu den Verfahrensparteien' (Art6 EMRK, Art47 GRC):

 

2.1. Auf das Wesentliche zusammengefasst, erachtet es das antragstellende Gericht für verfassungsrechtlich (und unionsrechtlich) bedenklich, dass das zur Erhebung einer Amtsrevision legitimierte Organ im Gegensatz zu den zur Erhebung einer Revision wegen Verletzung in Rechten legitimierten Parteien nicht dazu verpflichtet sei, (bestimmte) Revisionspunkte anzugeben und sich damit zugleich auf diese Revisionspunkte zu beschränken (vgl §28 Abs1 Z4 VwGG). Die von diesem Organ stattdessen abzugebende 'Erklärung über den Umfang der Anfechtung' wiederum könne nach §28 Abs2 VwGG derart 'substanzlos-pauschal[...]' ausfallen, dass

 

'im VwGG keine bereits auf Gesetz beruhende Beschränkung oder zumindest Präzisierung der Gründe für eine Amtsrevision (nämlich zumindest hinsichtlich jener öffentlichen Interessen, die durch die VwG-Entscheidung tangiert werden) vorgesehen ist (sodass vor dem VwGH mangels gesetzlicher Konkretisierung vielmehr jede unterlaufene Rechtsverletzung oder unrichtige Gesetzesanwendung geltend gemacht werden kann) [...].' […]

 

In der Folge unternimmt das antragstellende Gericht im Rahmen der Darlegung seiner verfassungsrechtlichen Bedenken […] verschiedenste Versuche, die durch die 'mangelhafte sprachliche Präzisierung des §28 VwGG' bedingte 'Privilegierung der staatlichen Rechtsmittellegitimation' interpretativ auf ein von ihm verfassungsrechtlich für zulässig und geboten erachtetes Maß zu reduzieren, um abschließend doch zum Ergebnis der 'Unzulänglichkeit einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Interpretation' dieser Bestimmung […] zu gelangen.

 

2.2. Der Frage, welche inhaltlichen bzw formalen Voraussetzungen eine Revision gemäß §28 VwGG erfüllen muss, um nicht als unzulässig zurückgewiesen zu werden, logisch vorgeordnet ist allerdings die Frage, was vom Revisionswerber gegen das angefochtene Erkenntnis überhaupt mit Erfolg vorgebracht werden kann. Wer zur Erhebung der Revision gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes berechtigt ist und weswegen diese Entscheidung von den Revisionsberechtigten angefochten werden kann, wird in §28 VwGG jedoch nicht geregelt, sondern lediglich stillschweigend vorausgesetzt.

 

2.3. Dass die von einer Partei wegen Verletzung in Rechten erhobene Revision zum Teil anderes enthält, ja enthalten muss, als eine Amtsrevision, ist nun ebenso richtig wie trivial: Es ist nämlich eine geradezu zwangsläufige Folge des Umstandes, dass diese Revisionen aus jeweils unterschiedlichen Gründen erhoben werden können. Art133 Abs6 B‑VG bestimmt nämlich Folgendes:

 

'(6) Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes kann wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben:

1. wer durch das Erkenntnis in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet;

2. die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht;

3. der zuständige Bundesminister in den im Art132 Abs1 Z2 genannten Rechtssachen.'

 

Demnach kann die Revision, von wem auch immer, ausnahmslos nur 'wegen Rechtswidrigkeit' erhoben werden; als zusätzliche und einschränkende Voraussetzung tritt jedoch für die Parteirevision – und nur für diese – hinzu, dass sie nur von einer Person erhoben werden kann, die durch das Erkenntnis in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet (wobei diese Rechtsverletzung zumindest möglich sein muss). Dass mit der Amtsrevision jede Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes geltend gemacht werden kann, wohingegen mit der Parteirevision (nur) solche Rechtswidrigkeiten geltend gemacht werden können, die sich zugleich auch als eine Verletzung in (subjektiven) Rechten darstellen, ist also im B‑VG selbst begründet. Wenngleich Art133 Abs6 B‑VG somit für die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Fragen, die sich im Anlassfall stellen, von entscheidender Bedeutung ist, setzt sich der Antrag mit dem Inhalt dieser Bestimmung nicht entsprechend auseinander.

 

Was es zur Funktion der Amtsrevision (der belangten Behörde) im Übrigen sonst noch zu sagen gäbe, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner – auch im Antrag zitierten – Grundsatzentscheidung VwSlg 19.337 A/2016 bereits getan.

 

2.4. Mit den vorstehenden Feststellungen könnte es nach Ansicht der Bundesregierung im Grunde bereits sein Bewenden haben: Denn wenn in der Amtsrevision schon von Verfassung wegen einerseits mehr geltend gemacht werden kann als in der Parteirevision (nämlich jede Rechtswidrigkeit) und andererseits eine Verletzung des die Amtsrevision erhebenden Organs 'in seinen Rechten' darin nicht geltend gemacht werden kann (weil ein Organ nicht Rechtsträger ist und schon aus diesem Grund nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein kann), dann ist es nur konsequent, wenn nicht geradezu unvermeidlich, dass das Verfahrensrecht diesen verfassungsgesetzlich vorgegebenen Unterschieden auch durch unterschiedliche Regelungen in Bezug auf die von der jeweiligen Revision zu erfüllenden Inhaltserfordernisse Rechnung trägt. Denn dadurch wird, pointiert formuliert, nicht 'Gleiches ungleich' behandelt, sondern 'Ungleiches' sachlich differenziert geregelt.

 

2.5. Auch für die Amtsrevision eine Gliederung in einzelne 'Revisionspunkte' vorzuschreiben, ergäbe etwa vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art133 Abs6 B‑VG schon deswegen keinen Sinn, weil bei der Amtsrevision sowohl eine Beschränkung auf einzelne Rechtswidrigkeiten als auch eine Verletzung in (subjektiv-öffentlichen) Rechten von vornherein nicht in Betracht kommt. Anders bei der Parteirevision: Hier ist eine Bezeichnung der 'Revisionspunkte' unverzichtbar, weil dadurch der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt wird, an den der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder des angefochtenen Beschlusses gemäß §41 Abs1 VwGG gebunden ist. Dass die Amtspartei keine 'Revisionspunkte' zu bezeichnen braucht, bedeutet freilich nicht, dass sie die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht begründen müsste: Denn §28 Abs1 Z5 VwGG gilt für Amts- und Parteirevision gleichermaßen. Es ist daher auch unzutreffend, wenn das antragstellende Gericht die Auffassung vertritt, die Amtspartei bräuchte die Gründe für die Erhebung der Revision nach dem VwGG nicht zu präzisieren.

 

2.6. Was wiederum die Obliegenheit der Amtspartei betrifft, gemäß §28 Abs2 VwGG eine Erklärung über den Umfang der Anfechtung abzugeben, übersieht das antragstellende Gericht, dass der Umfang, in dem eine Entscheidung angefochten werden muss, damit die sie belastende Rechtswidrigkeit vollständig beseitigt werden kann, von der Amtspartei nicht einfach willkürlich festgelegt werden kann. Welchen Umfang die Anfechtungserklärung zu diesem Zweck haben muss, ist vielmehr bereits durch den Inhalt der Entscheidung, die angefochten werden soll, weitgehend unveränderlich vorgegeben. Müsste die Entscheidung zu diesem Zweck etwa (wegen Untrennbarkeit) ihrem gesamten Umfang nach aufgehoben werden – so wie dies in der Regel der Fall sein wird –, dann könnte die Amtspartei in ihrer Anfechtungserklärung gar keine umfängliche Einschränkung der Anfechtung vornehmen, selbst wenn sie dies wollte. Das dürfte auch der eigentliche Grund dafür sein, warum der Umfang der Anfechtung in der Praxis in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle von der Amtspartei nicht eingeschränkt wird, sondern eine pauschale Anfechtung der Entscheidung (sc. ihrem gesamten Umfang nach) 'wegen Rechtswidrigkeit' erfolgt.

 

2.7. Wenn vom antragstellenden Gericht nun im Antrag verschiedenste Versuche unternommen (jedoch letztlich verworfen) werden, die dort so bezeichnete 'Privilegierung der staatlichen Rechtsmittellegitimation' (sic!) auf ein verfassungsrechtlich für zulässig und geboten erachtetes Maß zu reduzieren, dann wird von ihm damit der Sache nach keine Interpretation des §28 Abs2 VwGG, sondern vielmehr eine solche des Art133 Abs6 B‑VG vorgenommen: Denn Umfang und Reichweite der 'staatlichen Rechtsmittellegitimation' (also, mit anderen Worten, wogegen und weswegen Amtsrevision erhoben werden kann) sind dort – abschließend – geregelt. §28 Abs2 VwGG normiert hingegen nur ein spezielles Inhaltserfordernis für jenen Schriftsatz, mit dem das staatliche Organ von dieser seiner 'Rechtsmittellegitimation' Gebrauch macht. Diese Bestimmung ermächtigt die Amtspartei also mitnichten dazu, die Entscheidung verfassungswidrigerweise auch aus anderen Gründen als der 'Rechtswidrigkeit' im Sinne des Art133 Abs6 B‑VG anzufechten, sondern verpflichtet sie lediglich dazu, den Umfang der Anfechtung, ausgehend von der im Einzelfall vorliegenden Rechtswidrigkeit, festzulegen (und gegebenenfalls auf trennbare Teile des Spruchs der Entscheidung einzuschränken).

 

2.8. Da das gemäß Art133 Abs6 Z2 und 3 B‑VG zur Erhebung der Amtsrevision ermächtigte Organ gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wegen (jeder) Rechtswidrigkeit Revision erheben kann, muss ihm das (einfachgesetzliche) Prozessrecht auch die Möglichkeit einräumen, dies in der Revision ohne jede wie immer geartete Einschränkung auf bestimmte öffentliche Interessen, Teilaspekte oder Ähnliches vorzutragen. Mit seiner so genannten 'verfassungskonformen Interpretation' unterstellt das antragstellende Gericht §28 Abs2 VwGG in Wahrheit einen – im Hinblick auf Art133 Abs6 B‑VG – verfassungswidrigen Inhalt, weil bestimmte Rechtswidrigkeiten von der Amtspartei diesfalls nur noch eingeschränkt oder womöglich überhaupt nicht geltend gemacht werden könnten. Und wenn das antragstellende Gericht vermeint, mit erheblichem interpretatorischem Aufwand das Ergebnis vermeiden zu müssen, dass mit der Amtsrevision 'jede unterlaufene Rechtsverletzung oder unrichtige Gesetzesanwendung geltend gemacht werden kann' […], dann kann ihm nur erwidert werden, dass Art133 Abs6 B‑VG genau das verlangt.

 

2.9. Aus alledem folgt schließlich, dass der angefochtene §28 Abs2 VwGG nicht Sitz der vom antragstellenden Gericht behaupteten Verfassungswidrigkeit sein kann, sondern nur Art133 Abs6 B‑VG dies theoretisch sein könnte. Art133 Abs6 B‑VG wurde vom antragstellenden Gericht jedoch nicht angefochten."

 

4. Die Partei des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erstattete als beteiligte Partei eine Äußerung, in der sie sich im Wesentlichen den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich anschließt.

5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erstattete eine Replik, in der es im Wesentlichen den Argumenten der Bundesregierung entgegentritt und die im Antrag vorgebrachten Bedenken bekräftigt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung die Präjudizialität des §28 Abs2 VwGG nicht in Zweifel. Es ist auch für den Verfassungsgerichtshof nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität des §28 Abs2 VwGG im Rahmen der Vorentscheidung über die Zulässigkeit der vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängigen ordentlichen Revisionen zweifeln ließe.

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

Der Antrag ist nicht begründet.

2.1. Gemäß Art133 Abs6 Z2 B‑VG kann die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde sowie gemäß Art133 Abs6 Z3 B‑VG der zuständige Bundesminister in Angelegenheiten des Art132 Abs1 Z2 B‑VG gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Revision wegen behaupteter Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Darüber hinaus kann die Möglichkeit der Amtsrevision durch Bundes- oder Landesgesetz gemäß Art133 Abs8 B‑VG vorgesehen werden.

Von dieser Möglichkeit, eine Amtsrevision durch den zuständigen Bundesminister vorzusehen, hat der Bundesgesetzgeber in Angelegenheiten, die in mittelbarer Bundesverwaltung von den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern vollzogen und im Rechtsmittelweg von den Landesverwaltungsgerichten entschieden werden, in vielen Bereichen Gebrauch gemacht (vgl etwa den Überblick bei Lechner-Hartlieb/Urban, Verwaltungsgerichtsbarkeit neu – Besondere Bestimmungen in den Materiengesetzen, in: Baumgartner [Hrsg.], Jahrbuch Öffentliches Recht 2014, 2014, 117 [126 ff.]).

Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass es sich bei der Amtsrevision – gerade auch in Ansehung des fehlenden Einflusses der obersten Organe der Verwaltung auf die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte – um ein Instrument zur Sicherung der Einheit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung handle (Pürgy, Verantwortungsverteilung zwischen Verwaltungsbehörde und Verwaltungsgericht für die Richtigkeitsgewähr von Verwaltungsakten?, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Korrektur fehlerhafter Entscheidungen durch die Verwaltungs- und Abgabenbehörde, 2017, 319 [333]), das einem verfassungsrechtlich anerkannten Interesse der Verwaltung an der Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltungsgerichte Rechnung trage (Grabenwarter/Fister, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit6, 2019, 310 f.).

2.2. Gemäß §28 Abs1 VwGG hat eine (Partei-)Revision "die Bezeichnung des angefochtenen Erkenntnisses oder des angefochtenen Beschlusses" (Z1), "die Bezeichnung des Verwaltungsgerichts, das das Erkenntnis bzw den Beschluss erlassen hat" (Z2), "den Sachverhalt" (Z3), "die Bezeichnung der Rechte, in denen der Revisionswerber verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte)" (Z4), "die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt" (Z5), "ein bestimmtes Begehren" (Z6) sowie "die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Revision rechtzeitig eingebracht ist" (Z7), zu enthalten.

Gemäß (dem angefochtenen) §28 Abs2 VwGG tritt "[b]ei Revisionen gegen Erkenntnisse, die nicht wegen Verletzung in Rechten erhoben werden, […] an die Stelle der Revisionspunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung".

Der Verwaltungsgerichtshof prüft in der Folge im Rahmen eines Amtsrevisionsverfahrens die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gemäß §41 VwGG nur im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung.

2.3. Die Amtspartei kann vor dem Verwaltungsgerichtshof uneingeschränkt (Amts-)Revision wegen behaupteter Rechtswidrigkeit erheben (VwGH 21.8.2014, Ro 2014/11/0060; 19.1.2016, Ra 2015/01/0133). Die Amtspartei kann somit die verwaltungsgerichtliche Entscheidung dahingehend bekämpfen, ob diese rechtsrichtig ergangen ist; eine inhaltliche Beschränkung bei der Abgabe der Anfechtungserklärung wird dabei nicht normiert. Es steht dementsprechend der Amtspartei offen, Revisionsgründe (§28 Abs1 Z5 VwGG) sowohl hinsichtlich der Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, der inhaltlichen Rechtswidrigkeit als auch bezüglich der Rechtswidrigkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, das der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegt, geltend zu machen (vgl §42 Abs2 VwGG).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dem Gebot der Erklärung über den Umfang der Anfechtung nach §28 Abs2 VwGG bereits dann entsprochen, wenn die Revision die Angabe enthält, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit angefochten werde (vgl zB VwSlg 18.884 A/2014; VwGH 19.2.2018, Ro 2018/12/0001; 28.2.2019, Ra 2018/12/0002).

2.4. Zum behaupteten Verstoß gegen Art1 B‑VG, Art18 B‑VG, Art7 EMRK und Art49 GRC:

2.4.1. Das antragstellende Gericht hegt gegen die angefochtene Bestimmung des §28 Abs2 VwGG zunächst das Bedenken, die Rechtsvorschrift sei unbestimmt. Da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine "substanzlos-pauschale" Anfechtungserklärung (die etwa laute: "wegen Rechtswidrigkeit wird Revision erhoben") hinreiche, um das Erfordernis des §28 Abs2 VwGG zu erfüllen, sei für die übrigen Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht nicht erkennbar, in welchem Umfang die Amtspartei die verwaltungsgerichtliche Entscheidung anfechte; insbesondere im Verwaltungsstrafverfahren bliebe bis zur Entscheidung über die Amtsrevision durch den Verwaltungsgerichtshof fraglich, ob die von der (vor dem Verwaltungsgericht) belangten Behörde verhängte Geldstrafe (bzw Ersatzfreiheitsstrafe) zum Tragen komme. Darin erblickt das antragstellende Gericht einen Verstoß des §28 Abs2 VwGG gegen das demokratische Grundprinzip der Bundesverfassung gemäß Art1 B‑VG, das Legalitätsprinzip gemäß Art18 Abs1 B‑VG sowie das Verbot der Rückwirkung strafrechtlicher Bestimmungen gemäß Art7 EMRK und Art49 GRC.

2.4.2. Der Verfassungsgerichtshof teilt die unter dem Blickwinkel des Art1 B‑VG, Art18 B‑VG, Art7 EMRK und Art49 GRC geäußerten Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich gegen §28 Abs2 VwGG nicht.

Das Legalitätsprinzip des Art18 Abs1 iVm Art83 Abs2 B‑VG verpflichtet den Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl zB VfSlg 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994, 16.794/2003, 17.086/2003, 18.639/2008) gerade in Bezug auf die Verwaltungsbehörden- und Gerichtszuständigkeit zu einer präzisen, strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden Regelung. Eine Zuständigkeitsfestlegung muss klar und unmissverständlich sein; das gilt auch für eine vergleichbar zentrale Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit einschließlich der Voraussetzungen für die Anrufung des Verwaltungsgerichthofes (vgl VfSlg 19.965/2015).

Anders als das antragstellende Gericht meint, widerspricht §28 Abs2 VwGG nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine (hinreichende) Determinierung. Die Bestimmung des §28 Abs2 VwGG regelt klar und unmissverständlich, dass bei der Amtsrevision an die Stelle der Revisionspunkte nach §28 Abs1 Z4 VwGG die Erklärung über den Umfang der Anfechtung tritt. Die Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass es bei der Amtsrevision – anders als bei der Parteirevision – nicht um die Geltendmachung subjektiver Rechte geht. Aus diesem Grund kommt die Angabe der Revisionspunkte nach §28 Abs1 Z4 VwGG bei der Amtsrevision gar nicht in Frage bzw ist diese gesetzliche Voraussetzung nicht anwendbar (zB VwGH 28.2.2019, Ra 2018/12/0002).

In Anbetracht des klaren Wortlautes des §28 Abs2 (iVm §28 Abs1) VwGG – und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – erweisen sich die Bedenken des antragstellenden Gerichtes im Lichte des Art18 B‑VG als unzutreffend. Die angefochtene Bestimmung ist einer Auslegung zugänglich, sodass das Vollzugshandeln iSd Art18 B‑VG hinreichend bestimmt ist. Der Umstand, dass Verfahrensparteien im Fall einer Amtsrevision erst mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes abschließend wissen, ob eine Verwaltungsstrafe zu Recht verhängt wurde oder nicht, ist dem Rechtsbehelf der (Amts-)Revision immanent und vermag einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art18 B‑VG, Art7 EMRK sowie Art49 GRC nicht zu begründen.

Inwieweit die angefochtene Bestimmung dem Art1 B‑VG widersprechen könnte, ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar.

2.5. Zum behaupteten Verstoß gegen Art7 B‑VG sowie Art2 StGG und gegen das "rechtsstaatliche Grundprinzip (Durchbrechung der Rechtskraft)":

2.5.1. Das antragstellende Gericht behauptet weiters einen Verstoß des §28 Abs2 VwGG gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art7 B‑VG und Art2 StGG. §28 Abs2 VwGG bewirke eine unsachliche Privilegierung der Amtsrevision gegenüber der Parteirevision. Da im Verwaltungsgerichtshofgesetz keine Beschränkung oder Präzisierung der Gründe für eine Amtsrevision vorgesehen sei, könne die Amtspartei jede dem Verwaltungsgericht unterlaufene Rechtsverletzung geltend machen. Demgegenüber müsse in der Parteirevision gemäß §28 Abs1 Z4 VwGG bezeichnet sein, in welchen Rechten sich die revisionswerbende Partei als verletzt erachte. Nach Rechtsauffassung des antragstellenden Gerichtes sei es selbst unter dem Gesichtspunkt, dass die Amtsrevision die objektive Rechtmäßigkeit zu wahren bezweckt, sachlich nicht gerechtfertigt, dass die Amtspartei die von der mittels Amtsrevision bekämpften Entscheidung des Verwaltungsgerichtes tangierten öffentlichen Interessen nicht bezeichnen müsse. Dies bewirke auch eine unzulässige Durchbrechung der Rechtskraft der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und damit eine Verletzung des rechtsstaatlichen Grundprinzips.

2.5.2. Der Verfassungsgerichtshof erachtet die unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes geäußerten Bedenken aus folgenden Gründen als unzutreffend:

Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist der vom antragstellenden Gericht angestellte Vergleich zwischen der Parteirevision und der Amtsrevision nicht geeignet, eine Gleichheitswidrigkeit des §28 Abs2 VwGG aufzuzeigen. Die Gegenüberstellung der Regelungen über die (Form-)Erfordernisse der Parteirevision (§28 Abs1 Z4 VwGG) einerseits und der Amtsrevision (§28 Abs2 VwGG) andererseits lässt die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Rechtsbehelfen außer Betracht:

Während die Parteirevision die Verletzung eines subjektiven Rechtes voraussetzt und damit dem (individuellen) Rechtsschutz der betroffenen Partei dient, handelt es sich bei der Amtsrevision um ein – in Art133 Abs6 B‑VG vorgesehenes – Instrument zur Sicherstellung der Einheit der Gesetzmäßigkeit der Vollziehung. Die Amtsrevision dient somit der objektiven Rechtsrichtigkeit, die von der revisionswerbenden Behörde gelöst vom individuellen Parteieninteresse geltend gemacht wird (vgl VwGH 29.3.2019, Ro 2018/02/0028).

Dieser Unterschied zeigt sich auch etwa daran, dass anders als bei einer Parteirevision, bei welcher der Wegfall des Rechtsschutzinteresses zur Zurückweisung der Revision führt, bei einer Amtsrevision ein Rechtsschutzinteresse nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht wegfallen kann (vgl VwGH 5.9.2013, 2013/09/0091; 15.4.2016, Ra 2014/02/0058; 29.3.2019, Ro 2018/02/0028). Auch das Eintrittsrecht des obersten Organs anstelle der Behörde bzw des staatlichen Organs im Verfahren über die Amtsrevision gemäß §22 VwGG zeigt, dass die Amtsrevision und die Parteirevision unterschiedlichen Zwecken dienen.

Vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51/2012, wechselte die Verwaltungsbehörde mit Eintritt in das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof von der Rolle des hoheitlichen Entscheidungsträgers zu der (prinzipiell gleichberechtigten) Prozesspartei im Gerichtsverfahren. Dieser "Wechsel" wurde mit Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit nach vorne verlagert: Die Verwaltungsbehörde wird bereits mit Eintritt in das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zur Verfahrenspartei. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Revisionsverfahren nicht mehr einen unmittelbar der Verwaltung zurechenbaren Akt, sondern die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu kontrollieren.

Die Funktion der Amtsrevision hat sich gegenüber der früheren Amtsbeschwerde nicht geändert: Es ging auch vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 bei der Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht darum, dass sich die Verwaltungsbehörde "verteidigt", sondern um das Hinwirken auf eine objektiv rechtmäßige Entscheidung. Der belangten Behörde kam auch hier primär die Funktion zu, auf eine aus Sicht der Verwaltung objektiv rechtmäßige Entscheidung hinzuwirken und die hinter dem angefochtenen Bescheid stehenden öffentlichen Interessen zu vertreten. Dieses Verständnis der Parteistellung der Verwaltungsbehörde im Bescheidbeschwerdeverfahren vor 2014 ist auf ihre Parteistellung im Revisionsverfahren übertragbar (Oswald, Die Parteien im Verfahren vor dem VwGH, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, 2015, 225 [231 ff.]).

Vor diesem Hintergrund ist es sachlich begründet, dass die revisionswerbende Amtspartei gemäß §28 Abs2 VwGG anstatt subjektiver Rechte den Umfang der Anfechtung zu bezeichnen hat. Der Verfassungsgerichtshof hält – anders als das antragstellende Gericht – auch die Bezeichnung bestimmter öffentlicher Interessen im Rahmen der Amtsrevision für verfassungsrechtlich nicht geboten.

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass bei der Amtsrevision gemäß §28 Abs2 VwGG das inhaltliche Erfordernis der Anfechtungserklärung an die Stelle der Revisionspunkte gemäß §28 Abs1 Z4 VwGG tritt; dessen ungeachtet ist die "wegen Rechtswidrigkeit" erhobene Amtsrevision von der revisionswerbenden Partei zu begründen. Gemäß §28 Abs1 Z5 VwGG hat die Parteirevision genauso wie die Amtsrevision die Gründe zu enthalten, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt.

Soweit sich daher das Antragsvorbringen der Sache nach gegen die Vorgangsweise des Verwaltungsgerichtshofes bei Anwendung des Gesetzes wendet, ist – wie auch das antragstellende Gericht einräumt – darauf zu verweisen, dass der Verfassungsgerichtshof nach Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG alleine über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen, nicht aber über allfällige Vollzugsfehler bei der Handhabung der angefochtenen Bestimmung zu befinden hat.

Das Vorbringen des antragstellenden Gerichtes vermag somit einen Verstoß des §28 Abs2 VwGG gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsprinzip nicht aufzuzeigen.

2.6. Zum behaupteten Verstoß gegen Art6 EMRK und Art47 GRC:

2.6.1. Das antragstellende Gericht äußert weiters das Bedenken, es sei mit den Garantien der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit nach Art6 EMRK und Art47 GRC unvereinbar, dass Amtsrevisionen "weniger strengen Voraussetzungen unterliegen als Revisionen von staatsfremden Normadressaten". §28 Abs2 VwGG ermögliche eine bloß pauschale Angabe, wegen Rechtswidrigkeit Amtsrevision zu erheben, wohingegen in einer Parteirevision "ungleich anspruchsvollere Anforderungen" zu erfüllen seien.

2.6.2. Wie bereits unter Punkt 2.5.2. dargelegt, bewirkt die angefochtene Regelung des §28 Abs2 VwGG keine Privilegierung der Amtsrevision gegenüber der Parteirevision. Die angefochtene Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Amtsrevision zum Zweck der Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit der Vollziehung – nicht zum Schutz subjektiver Rechte – vorgesehen ist. Es ist für den Verfassungsgerichtshof weder erkennbar, dass es sich bei der Anforderung des §28 Abs1 Z4 VwGG um eine im Unterschied zur Anfechtungserklärung nach §28 Abs2 VwGG "ungleich anspruchsvollere Anforderung" handelt, noch dass die Regelung des §28 Abs2 VwGG die Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit beeinträchtigen könnte.

Die unter dem Blickwinkel des Art6 EMRK und Art47 GRC geäußerten Bedenken gehen sohin ins Leere.

2.7. Zum behaupteten Verstoß gegen Art133 Abs5 B‑VG:

2.7.1. Das antragstellende Gericht trägt in seinem Antrag weiters das Bedenken vor, die angefochtene Bestimmung des §28 Abs2 VwGG bewirke einen Verstoß gegen das "verfassungsrechtliche Strukturprinzip der Konzentration der Verfassungsgerichtsbarkeit beim VfGH (Art133 Abs5 B‑VG)". Nach Rechtsauffassung des antragstellenden Gerichtes könne in Anbetracht der Rechtslage nicht ausgeschlossen werden, dass mit einer Amtsrevision auch verfassungsrechtliche Fragen vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemacht werden.

2.7.2. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes lässt sich aus §28 Abs2 VwGG nicht folgern, dass im Wege der Amtsrevision Rechtsverletzungsbehauptungen iSd Art144 B‑VG oder die Verfassungswidrigkeit einer generellen Norm geltend gemacht werden können. Ein solches Vorbringen ist von vornherein nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision zu begründen (vgl zB VwGH 27.6.2017, Ra 2017/12/0042 mwN). Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch für die Revision einer Amtspartei, deren Beschwerde gemäß Art144 B‑VG an den Verfassungsgerichtshof mangels Verletzung in einem subjektiven Recht unzulässig wäre. Ist die Amtspartei nicht legitimiert, die Verfassungswidrigkeit mittels Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof geltend zu machen, bewirkt die Behauptung der Verfassungswidrigkeit umso weniger die Zulässigkeit der Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof (zB VwGH 18.5.2020, Ra 2019/12/0042). Freilich bliebe es einer Amtspartei aber unbenommen, im Rahmen einer Amtsrevision anzuregen, der Verwaltungsgerichtshof wolle einen Normenprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof stellen, wozu dieser berechtigt bzw bei Vorliegen von Bedenken sogar (von Amts wegen) verpflichtet ist.

2.8. Der Verfassungsgerichtshof kann dem antragstellenden Gericht auch darin nicht folgen, dass der angefochtene §28 Abs2 VwGG das rechtsstaatliche Grundprinzip der Bundesverfassung verletzt.

V. Ergebnis

1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §28 Abs2 VwGG erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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