VfGH G16/2017

VfGHG16/201714.6.2017

Zurückweisung des Individualantrages auf Aufhebung (von Bestimmungen) des BG über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr 15, Braunau am Inn, mangels Legitimation

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc, litd
BG über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr 15, Braunau am Inn, BGBl I 4/2017
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc, litd
BG über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr 15, Braunau am Inn, BGBl I 4/2017

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:G16.2017

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit ihrem auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, das Bundesgesetz über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr 15, Braunau am Inn, BGBl I 4/2017, zur Gänze, in eventu "§1, §2 Abs1 erster Satz, §2 Abs2 und §3 Abs3 des Gesetzes BGBl I Nr 4/2017", in eventu "§1 und §3 Abs3 des Gesetzes BGBl I Nr 4/2017", in eventu "§1 des Gesetzes BGBI I Nr 4/2017" als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Das Bundesgesetz über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr 15, Braunau am Inn, BGBl I 4/2017 (im Folgenden: Enteignungsgesetz), in seiner in Geltung stehenden Stammfassung lautet:

"Enteignung

 

§1. Zur dauerhaften Unterbindung der Pflege, Förderung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts oder eines bejahenden Gedenkens an den Nationalsozialismus nimmt der Bund das Eigentum lastenfrei an der Liegenschaft EZ 217 KG 40005 Braunau am Inn in Anspruch.

 

Verpflichtung der Republik Österreich

 

§2. (1) Der Bund verpflichtet sich, die enteignete Liegenschaft in seinem Eigentum zu behalten und diese einer Nutzung zuzuführen, die der dauerhaften Unterbindung der Pflege, Förderung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts oder eines bejahenden Gedenkens an den Nationalsozialismus dient. Den Maßnahmen, die für eine solche Nutzung der Liegenschaft erforderlich sind, stehen gesetzliche und behördliche Beschränkungen zur unveränderten Erhaltung der darauf errichteten Gebäude, die auf bundesgesetzlichen Grundlagen beruhen, nicht entgegen.

(2) Wenn bestimmte Teile der Liegenschaft für die Erfüllung des Zweckes gemäß Abs1 nicht oder nicht mehr benötigt werden, sind diese dem bisherigen Eigentümer oder dessen Rechtsnachfolger zum Erwerb anzubieten.

(3) Dem Bundesministerium für Inneres obliegt die Verwaltung der Liegenschaft.

 

Festsetzung und Leistung der Entschädigung

 

§3. (1) Die Höhe der Entschädigung ist vom Bundesminister für Inneres gegenüber demjenigen, der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bücherlicher Eigentümer gemäß §1 ist, durch Bescheid festzusetzen.

(2) Bei der Festsetzung der Entschädigung und deren Leistung sind hinsichtlich

1. des Gegenstands und Umfangs der Entschädigung die §§4 bis 10,

2. des verwaltungsbehördlichen Verfahrens die §§16, 18 und 19,

3. der Festsetzung der Entschädigung durch das Gericht die §§22 bis 32,

4. der Leistung der Entschädigung die §§33 und 34 und

5. der Verfahrenskosten die §§44 und 45

des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes – EisbEG, BGBl Nr 71/1954, sinngemäß anzuwenden.

(3) Die Übertragung des Eigentums der Liegenschaft im Grundbuch ist amtswegig durch das Grundbuchsgericht mit dem Datum des Inkrafttretens des Gesetzes im Rang der Vormerkung einzuverleiben. Sobald der Bundesminister für Inneres dem Grundbuchsgericht die Leistung der rechtskräftig festgelegten Entschädigung nachgewiesen hat, hat dieses das Eigentum einzuverleiben.

 

Vollziehung

 

§4. Die Vollziehung dieses Bundesgesetzes obliegt hinsichtlich des §3 Abs3 dem Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz, im Übrigen dem Bundesminister für Inneres.

 

Inkrafttreten

 

§5. Dieses Bundesgesetz tritt mit dem Ablauf des Tages seiner Kundmachung in Kraft."

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin bringt vor, Eigentümerin der Liegenschaft EZ 217 KG 40005 Braunau am Inn gewesen zu sein, auf dessen Teilfläche (Grundstück .326/1) das Haus Salzburger Vorstadt Nr 15 errichtet sei. Mit dem seit 14. Jänner 2017 in Geltung stehenden Enteignungsgesetz nehme der Bund das Eigentum an besagter Liegenschaft in Anspruch und verletze dadurch die Antragstellerin in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten insbesondere auf Unversehrtheit des Eigentums.

2. Zur Zulässigkeit ihres Antrags führt die Antragstellerin wörtlich u.a. Folgendes aus:

"Derzeit — und das ist aus Sicht der Antragstellerin für die Zulässigkeit des gegenständlichen Gesetzesprüfungsantrages entscheidend — ist der Bund außerbücherlicher Eigentümer. Durch das antragsgegenständliche Gesetz wird daher jedenfalls direkt und eindeutig in die Rechtssphäre der Antragstellerin insofern eingegriffen, als ihr jegliche Verfügungsbefugnis über ihr Eigentum mit Inkrafttreten des Gesetzes genommen worden ist (damit ist BGBI I Nr 4/2017 als Einzelfall-Maßnahmegesetz ein Paradefall unmittelbarer und direkter Wirksamkeit[…]. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Gesetz, das lediglich in einem Einzelfall, also ohne weitere Konkretisierung und ohne, dass ein anderer Adressat als die Antragstellerin vom Gesetz betroffen wäre, zur Anwendung gelangt.

Für die Antragstellerin besteht auch keine andere zumutbare Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof zuzuführen. In Betracht kommen nach amtswegiger grundbücherlicher Vormerkung (wann immer diese erfolgt, so sie überhaupt erfolgt) des Eigentumserwerbs durch den Bund die Erhebung eines aussichtslosen Rekurses und Antragstellung gemäß §62a Abs1 VfGG; dieses Rechtsmittel vermag aber an der nachteilig veränderten Rechtsposition der Antragstellerin schon mit Inkrafttreten des Gesetzes BGBl I Nr 4/2017 nichts zu ändern, weil der Bund unmittelbar durch das Gesetz bereits außerbücherlich Eigentum erworben hat. Gemäß §1 BGBl I Nr 4/2017 hat er das Eigentum an der Liegenschaft EZ 217 KG 40005 Braunau am Inn mit Inkrafttreten des Gesetzes bereits in Anspruch genommen. Darüber hinaus ist die grundbücherliche Vormerkung als bloßer Beschluss auch keine 'vor einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedene Rechtssache' iSd §62a Abs1 VfGG und vermag ein Rekurs gegen die Vormerkung das durch §1 BGBl I Nr 4/2017 entzogene Eigentum nicht zurückzuführen."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der die Zulässigkeit des Antrags bestritten und den geltend gemachten Bedenken entgegengetreten wird. Zur Zulässigkeit führt sie wörtlich u.a. Folgendes aus:

"[…] Das Bezirksgericht Braunau hat mit Beschluss vom 16. Februar 2017 die Vormerkung des Eigentumsrechts der Republik Österreich im Grundbuch eingetragen. Das Bezirksgericht Braunau hat dabei das EnteignungsG angewendet: Die Vormerkung erfolgt auf Grund des §3 Abs3 EnteignungsG, der seinerseits auf die 'Übertragung des Eigentums' abstellt. Der Übergang des Eigentums auf den Bund ist in §1 EnteignungsG angeordnet. Beide Bestimmungen sind daher im Verfahren vor dem Bezirksgericht Braunau präjudiziell.

[…] Gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Braunau steht der Antragstellerin gemäß §122 iVm. §123 des Grundbuchsgesetzes (GBG) das Rechtsmittel des Rekurses binnen 30 Tagen ab wirksamer Zustellung zur Verfügung […]. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG iVm. §62a VfGG kann eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

[…] Für die Antragstellerin besteht damit die Möglichkeit, aus Anlass der Einbringung des Rekurses, einen Parteiantrag auf Normenkontrolle gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG zu stellen und in diesem ihre Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des (§1) EnteignungsG darzulegen."

4. Die Antragstellerin erstattete eine Replik.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann eröffnet, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist (oder anhängig war), das dem Betroffenen Gelegenheit bietet (bzw. bot), eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (zB VfSlg 13.871/1994, 15.786/2000, 17.110/2004, 17.276/2004, 18.370/2008).

Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt (vgl. VfGH 12.10.2016, G269/2016 ua.). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (zB VfSlg 8312/1978, 19.674/2012; vgl. auch VfGH 19.2.2016, V150/2015 ua.; 12.10.2016, G269/2016 ua.).

3. Die Bundesregierung führt aus, dass die Antragstellerin das Rechtsmittel des Rekurses gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Braunau am Inn vom 16. Februar 2017 auf Bewilligung der Vormerkung des Eigentumsrechts an oben näher bezeichneter Liegenschaft erhoben hat und aus diesem Anlass im Wege eines Antrags gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ihre Bedenken gegen das in diesem Verfahren angewendete Gesetz an den Verfassungsgerichtshof herantragen könne.

Es muss hier nicht entschieden werden, ob es in jedem Fall zumutbar wäre, das Rechtsmittel des Rekurses gegen einen Beschluss auf Bewilligung der Vormerkung des Eigentumsrechtes zu erheben, bloß mit dem Ziel, Bedenken gegen das der Enteignung zugrunde liegende Gesetz an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, hatte doch die Antragstellerin die Möglichkeit, sowohl einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof durch das gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG antragsberechtigte Bezirksgericht Braunau am Inn anzuregen (vgl. auch VfGH 8.3.2017, G425/2016) als auch aus Anlass eines gegen die Entscheidung des Bezirksgerichts Braunau am Inn erhobenen Rechtsmittels im Wege eines Antrags gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ihre Bedenken gegen die Norm an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen; letzteren Weg hat die Antragstellerin schon beschritten (siehe das unter der Geschäftszahl G53/2017 protokollierte Verfahren). Bei dieser prozessualen Situation würde eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes eintreten, welche mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Individualanträgen nach den Art139 und 140 B‑VG im Sinne der oben angeführten Judikatur nicht im Einklang stünde.

4. Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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