VfGH G269/2016 ua

VfGHG269/2016 ua12.10.2016

Zurückweisung der Individualanträge auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO über die Frist zur Erhebung eines Einspruchs gegen die Anklage mangels Legitimation; Ablehnung der Parteianträge

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc, litd
StPO §84 Abs1, §213 Abs2
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc, litd
StPO §84 Abs1, §213 Abs2

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit den im Wesentlichen gleichlautenden – und daher vom Verfassungsgerichtshof in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen –, auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützten (Individual-)Anträgen wird die Aufhebung der Wortfolge "binnen 14 Tagen" in §213 Abs2, in eventu des Wortes "nicht" in §84 Abs1 Z1 Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631, idF BGBl I 19/2004 begehrt.

Die Antragsteller erachten die angefochtene Wortfolge in §213 Abs2 StPO bzw. das eventualiter angefochtene Wort in §84 Abs1 Z1 StPO wegen Verstoßes gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK, Art47 GRC) sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B‑VG, Art20 GRC) und gegen das "rechtsstaatliche Prinzip" für verfassungswidrig.

II. Rechtslage

1. Die Gesetzesstelle, deren Aufhebung die Antragsteller in ihren jeweiligen Hauptanträgen – übereinstimmend – beantragen, lautet in ihrem rechtlichen Kontext wie folgt (die angefochtene Wortfolge in §213 Abs2 StPO idF BGBl I 19/2004 ist hervorgehoben):

"Einspruch gegen die Anklageschrift

§212. Gegen die Anklageschrift steht dem Angeklagten Einspruch zu, wenn

1. die zur Last gelegte Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist oder sonst ein Grund vorliegt, der die Verurteilung des Angeklagten aus rechtlichen Gründen ausschließt,

2. Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz hinreichend geklärten Sachverhalts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angeklagten auch nur für möglich zu halten und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist,

3. der Sachverhalt nicht soweit geklärt ist, dass eine Verurteilung des Angeklagten nahe liegt,

4. die Anklageschrift sonst an wesentlichen formellen Mängeln leidet (§211)[,]

5. die Anklageschrift ein für die angeklagte Straftat sachlich nicht zuständiges Gericht anruft,

6. die Anklageschrift ein örtlich nicht zuständiges Gericht anruft oder

7. der nach dem Gesetz erforderliche Antrag eines hiezu Berechtigten fehlt.

§213. (1) Das Gericht hat die Anklageschrift dem Angeklagten zuzustellen.

(2) Der Angeklagte hat das Recht, gegen die Anklageschrift binnen 14 Tagen Einspruch bei Gericht zu erheben. Darüber ist er ebenso zu informieren wie über die seine Verteidigung betreffenden Vorschriften.

(3) Befindet sich der Angeklagte zum Zeitpunkt des Einbringens der Anklage in Haft oder wird er zugleich verhaftet, so ist die Anklageschrift, gegebenenfalls mit der Anordnung der Festnahme (§171 Abs1 und 2), sogleich ihm auszufolgen und seinem Verteidiger zuzustellen; die Frist zur Erhebung des Einspruchs richtet sich in diesem Fall nach der zuletzt bewirkten Zustellung.

(4) Verzichtet der Angeklagte auf einen Einspruch oder erhebt er einen solchen nicht fristgerecht, so hat das Gericht, sofern es keine Bedenken gegen seine Zuständigkeit hat, mit Beschluss festzustellen, dass die Anklageschrift rechtswirksam sei, und ohne Verzug die Hauptverhandlung anzuordnen. §199 bleibt unberührt.

(5) Sobald die Anklageschrift rechtswirksam geworden ist, kann die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts des Hauptverfahrens nicht mehr geltend gemacht werden.

(6) Ein Einspruch ist dem Oberlandesgericht vorzulegen. Hat das Gericht Bedenken gegen seine Zuständigkeit, so hat es diese dem Oberlandesgericht unter Angabe der Gründe mitzuteilen, und zwar auch dann, wenn ein Einspruch nicht erhoben wurde. Für ein solches Begehren gelten die Vorschriften über den Einspruch sinngemäß.

Verfahren vor dem Oberlandesgericht

§214. (1) Das Oberlandesgericht hat der Oberstaatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, sich zum Einspruch zu äußern; §89 Abs5 letzter Satz gilt. Sodann hat es über den Einspruch in nicht öffentlicher Sitzung zu entscheiden; gegen seine Entscheidung steht ein Rechtsmittel nicht zu.

(2) Treffen dieselben Gründe auch auf eine Person zu, die keinen Einspruch erhoben hat, so hat das Oberlandesgericht so vorzugehen, als ob ein solcher Einspruch vorläge.

(3) Wird der Einspruch von einem Angeklagten erhoben, der sich in Untersuchungshaft befindet, so hat das Oberlandesgericht von Amts wegen über die Haft zu entscheiden. Beschließt das Oberlandesgericht die Fortsetzung der Haft, so gilt §174 Abs3 Z1 bis 5 sinngemäß.

§215. (1) Verspätete Einsprüche und solche, die von einer hiezu nicht berechtigten Person eingebracht wurden, hat das Oberlandesgericht als unzulässig zurückzuweisen.

(2) In den Fällen des §212 Z1, 2 und 7 hat das Oberlandesgericht dem Einspruch Folge zu geben und das Verfahren einzustellen.

(3) In den Fällen des §212 Z3 und 4 hat das Oberlandesgericht die Anklageschrift zurückzuweisen; dadurch wird das Hauptverfahren beendet und das Ermittlungsverfahren wieder eröffnet.

(4) In den Fällen des §212 Z5 und 6 hat das Oberlandesgericht die Sache dem zuständigen Gericht zuzuweisen. Hält es jedoch für möglich, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei, so legt es den Einspruch dem Obersten Gerichtshof vor, der zunächst die Frage der Zuständigkeit zu klären hat, bevor er die Sache dem zuständigen Oberlandesgericht zur Entscheidung über den Einspruch übermittelt.

(5) Das Oberlandesgericht kann auch einzelne Anklagepunkte teils auf die eine, teils auf die andere Art erledigen. Mit seiner Begründung darf es der Entscheidung des erkennenden Gerichts in der Hauptsache nicht vorgreifen.

(6) Liegt keiner der Fälle der Abs2 bis 4 vor, so hat das Oberlandesgericht den Einspruch abzuweisen und die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift festzustellen."

2. Die mittels – ebenfalls übereinstimmender – Eventualanträge der Antragsteller angefochtene Bestimmung lautet auszugsweise (das zur Aufhebung begehrte Wort in §84 Abs1 Z1 StPO idF BGBl I 19/2004 ist hervorgehoben):

"

Fristen

§84. (1) Soweit im Einzelnen nichts anderes bestimmt wird, gilt für die Berechnung der in diesem Gesetz normierten Fristen Folgendes:

1. Fristen können nicht verlängert werden,

2. Tage des Postlaufs sind in die Frist nicht einzurechnen,

3. der Tag, von dem ab die Frist zu laufen hat, zählt nicht,

4. nach Stunden bestimmte Fristen sind von Moment zu Moment zu berechnen,

5. Samstage, Sonntage, gesetzliche Feiertage und der Karfreitag sind ohne Einfluss auf Beginn und Lauf einer Frist; endet eine Frist an einem solchen Tag, so gilt der nächste Werktag als letzter Tag der Frist.

[...]"

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption brachte gegen die vier Antragsteller und zwölf weitere Personen zum Aktenzeichen 12 St 7/16g die – nicht rechtswirksame – Anklageschrift vom 20. Juli 2016 ein. Mit dieser legte sie den Antragstellern sowie weiteren Angeklagten iZm den als "BUWOG" und "Terminal Tower Linz" bekannten Causen unterschiedliche, teils versuchte, teils vollendete Verbrechen und Vergehen in verschiedenen Beteiligungsformen (§12 StGB) zur Last, darunter die Verbrechen der Untreue (§153 Abs1 und Abs3 zweiter Fall StGB) sowie der Geschenkannahme durch Beamte (§304 Abs1 und Abs3 StGB idF BGBl I 134/2004) und die Vergehen der Fälschung eines Beweismittels (§293 Abs1 StGB) sowie der Bestechung (§307 Abs1 Z1 StGB idF BGBl I 153/1998).

2. Der Einbringung dieser – 825 Seiten umfassenden – Anklageschrift ging ein jahrelanges Ermittlungsverfahren voraus.

Die Anklageschrift wurde den Antragstellern vom Landesgericht für Strafsachen Wien zugestellt, was den Lauf der 14-tägigen Frist zur Erhebung eines Einspruches gegen diese auslöste (§213 Abs1 und 2 StPO).

3. Innerhalb dieser Frist brachten alle vier Antragsteller beim Landesgericht für Strafsachen Wien zunächst einen Antrag auf Verlängerung dieser Frist ein; mit Ausnahme des Antragstellers zu G269/2016 erhoben sie sodann – nach ihren eigenen Angaben fristgerecht, aber rudimentär – Einspruch gegen die Anklageschrift gemäß §§212 ff. StPO, in welchem sie neuerlich eine Fristverlängerung begehrten. In beiden Eingaben wurde auch die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG begehrt.

4. Des Weiteren wandten sich alle vier Antragsteller mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützten (Individual-)Anträgen selbst an den Verfassungsgerichtshof, weil sie die gemäß §213 Abs2 StPO zur Einspruchserhebung zur Verfügung stehende (gemäß §84 Abs1 Z1 StPO mangels anderslautender Bestimmungen nicht verlängerbare) Frist von 14 Tagen insbesondere vor dem Hintergrund des großen Umfanges von Anklageschrift und Ermittlungsverfahren für verfassungswidrig, weil zu kurz, erachten: Innerhalb dieser Zeitspanne sei es nicht möglich, einen auch nur annähernd vollständigen bzw. substantiierten Anklageeinspruch zu verfassen.

5. Die vorgenannten (Pkt. III.3.), an das Landesgericht für Strafsachen Wien gerichteten Fristerstreckungsanträge wurden von diesem jeweils mit Beschluss vom 19. August 2016 zurückgewiesen. Dagegen haben die Antragsteller jeweils Beschwerde erhoben und aus deren Anlass unter einem gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG beim Verfassungsgerichtshof Parteianträge (ebenfalls auf Aufhebung der eingangs angeführten Wendungen in den §§213 Abs2 und 84 Abs1 Z1 StPO) eingebracht (die nicht Gegenstand dieses Verfahrens, sondern des zu G295/2016 ua. protokollierten Verfahrens sind).

6. In ihren (Individual-)Anträgen heben die Antragsteller zunächst den außergewöhnlich großen Umfang des Ermittlungsverfahrens hervor, wobei sie auf die bisherige Verfahrensdauer von rund sieben Jahren, den Umfang des Ermittlungsaktes (3234 Ordnungsnummern in 206 Bänden; in elektronischer Form rund 40 Gigabyte) und die 825-seitige Anklageschrift hinweisen.

6.1. Hinsichtlich der Antragslegitimation führen die Antragsteller aus, dass die zeitliche Einschränkung des Rechtes, die Anklageschrift zu beeinspruchen, zweifelsfrei als Rechtseingriff zu qualifizieren sei, der sich jedenfalls auch nachteilig auswirke, weil eine zeitliche Limitierung der Möglichkeit, einen Einspruch zu erheben, "schlechter" sei als eine unbefristete Möglichkeit, die Nichtverlängerbarkeit "schlechter" als eine Verlängerbarkeit. Zudem stehe diese (kurze) Frist der Ausarbeitung eines entsprechend fundierten Einspruches entgegen, weshalb das Hauptverfahren nicht abgewendet werden könne, was die Rechtsposition der Antragsteller fraglos benachteilige.

6.2. Der Rechtseingriff wirke auch unmittelbar, sohin ohne dass es eines dazwischengeschalteten Rechtsaktes bedürfe, weil das Einspruchsrecht nach Ablauf der Frist des §213 Abs2 StPO ex lege erlösche.

6.3. Der Rechtseingriff sei zudem eindeutig bestimmt; die Frist betrage exakt 14 Tage, eine Verlängerung sei kategorisch ausgeschlossen; auch sei der Eingriff aktuell, weil die Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof während des Laufes der Frist für die Erhebung des Einspruches erfolge.

Schließlich stehe den Antragstellern kein anderer zumutbarer Weg offen, ihre Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, da die mit den Fristverlängerungsanträgen und den Einsprüchen verbundenen Anregungen bzw. Begehren, das Landesgericht für Strafsachen Wien respektive das Oberlandesgericht Wien möge einen Antrag nach Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG stellen, keinen (hinreichend) zumutbaren Weg darstellten; derartige Fristverlängerungsanträge sehe die Strafprozessordnung nicht vor, weshalb auch keine Zuständigkeit zur Entscheidung über solche Anträge normiert sei. Allein der Umstand, dass eines der beiden angerufenen Gerichte einen Normenprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen könnte, würde die Einbringung eines in der Rechtsordnung nicht vorgesehenen Antrages nicht zu einem zumutbaren Weg machen; andernfalls stünde immer ein solcher "Umweg" zur Verfügung, der darin bestünde, bei einem unzuständigen Gericht oder einer unzuständigen Behörde einen der Rechtsordnung fremden Antrag zu stellen, um von einem gesetzlich angeordneten Rechtseingriff ausgenommen zu werden. Auch eine andere Möglichkeit (etwa ein anderer Rechtsbehelf) zur Bekämpfung dieser Frist bestehe nicht.

6.4. Der Antragsteller zu G276/2016 weist überdies – in Anlehnung an das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zur damals nicht verlängerbaren Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (VfSlg 15.786/2000) – darauf hin, dass allenfalls die Möglichkeit bestünde, einen "leeren" oder unvollständigen Einspruch zu erheben bzw. einen Fristerstreckungsantrag zu stellen; der Antragsteller laufe dann aber Gefahr, dass die Anklageschrift rechtswirksam werde, ohne dass er seine Bedenken gegen die Frist hätte dartun können, wenn sich das Strafgericht mangels entsprechender Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung nicht an den Verfassungsgerichtshof wenden oder der Verfassungsgerichtshof die Bedenken nicht teilen sollte. Vor dem Hintergrund des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichthofes fehle diesem – vom Antragsteller lediglich "aus anwaltlicher Vorsicht" beschrittenen – Weg die Zumutbarkeit, da damit das Risiko eines endgültigen Verlustes jeglichen Rechtsschutzes im strafgerichtlichen Verfahren verbunden sei.

7. Die Bundesregierung hat zu G276/2016 eine Äußerung erstattet (auf die in den Verfahren zu G269/2016 und G280/2016 verwiesen wurde), in der sie die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den erhobenen Bedenken entgegentritt.

Zur Zulässigkeit bringt die Bundesregierung vor, dass den Antragstellern ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung stünde, den sie durch Stellung ihrer Anträge auf Fristerstreckung auch beschritten hätten; diese von den Antragstellern anhängig gemachten gerichtlichen Verfahren, in denen §213 Abs2 und §84 Abs1 Z1 StPO präjudiziell seien, würden ihnen daher ermöglichen, ihre verfassungsrechtlichen Bedenken durch Anregung einer Antragstellung nach Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Anders als in der dem Erkenntnis VfSlg 15.786/2000 zugrunde liegenden Konstellation lägen auch kei-ne besonderen, außergewöhnlichen Umstände vor, die trotz Anhängigkeit der erwähnten Verfahren die Einbringung von Individualanträgen ausnahmsweise zulässig machen würden, weil in den vorliegenden Fällen kein vergleichbarer endgültiger Verlust jeglichen Rechtsschutzes im strafgerichtlichen Verfahren drohe (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"Der Antragsteller bringt selbst vor, dass er einen Einspruch gegen die Anklageschrift bereits fristgerecht erhoben hat. Dass dieser Einspruch nach Ansicht des Antragstellers mangels ausreichender Vorbereitungszeit nicht näher begründet werden habe könne[n], schadet […] nicht. Ein rechtzeitig erhobener Einspruch kann nicht unzulässig sein, weil keine gesetzlichen Form- oder Inhaltserfordernisse für die Ausführung des Einspruches bestehen. Vielmehr hat das Oberlandesgericht aus Anlass eines jeden Einspruches die Zulässigkeit der Anklage in jede Richtung zu prüfen [...]. Der Rechtsbehelf des Einspruches gegen die Anklageschrift nach §212 StPO unterscheidet sich schon deswegen von Grund auf vom Rechtsmittel der – im Verfahren VfSlg 15.786/2000 gegenständlichen – Nichtigkeitsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche Verurteilung [...].

Der vom Antragsteller zum Zweck der Herantragung seiner Bedenken an den Verfassungsgerichtshof eingebrachte Fristerstreckungsantrag kann daher – im Fall, dass das angerufene Gericht bzw. der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken nicht teilt – einen Verlust des Rechtsschutzes, nämlich der Möglichkeit der Erhebung des Einspruches gegen die Anklageschrift nicht kausal verursachen […]."

Überdies hätten die Antragsteller den Anfechtungsumfang zu eng abgegrenzt.

8. Darauf haben die Antragsteller zu G269/2016, zu G276/2016 (weitgehend gleichlautend) und zu G280/2016 repliziert.

IV. Zur Zulässigkeit

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B‑VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit nach Art140 B‑VG gestellten Individualanträgen wiederholt ausgeführt hat, ist dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von einem Gesetz Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet, nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände der Partei das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (zB VfSlg 8312/1978, 11.045/1986, 11.823/1988, 19.064/2010, 19.674/2012; vgl. auch VfGH 19.2.2016, V150, 151/2015).

2. Durch die Anträge an das Landesgericht für Strafsachen Wien, die 14-tägige Frist zur Erhebung eines Einspruches gegen die Anklageschrift zu verlängern, haben die Antragsteller – wie auch die Bundesregierung ausgeführt hat – ein gerichtliches Verfahren anhängig gemacht, in dem die angefochtenen Bestimmungen präjudiziell sind (vgl. die in dieser Rechtssache ergangenen Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. August 2016) und aus dessen Anlass das angerufene Gericht amtswegig eine Prüfung dieser Gesetzesbestimmungen durch den Verfassungsgerichtshof zu veranlassen hätte, sofern es die Bedenken teilte (vgl. Art89 Abs2 B‑VG). Dass das Landesgericht für Strafsachen Wien keinen derartigen Antrag an den Verfassungsgerichtshof gerichtet hat, da es sich den Bedenken der Antragsteller nicht anschloss, vermag an der Zumutbarkeit dieses Weges nichts zu ändern. Auch das mittlerweile von allen Antragstellern mittels Beschwerde gemäß §87 StPO angerufene Gericht zweiter Instanz ist, wenn es Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Regelung hegen sollte, zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof verpflichtet.

Angesichts dessen liegt eine prozessuale Situation vor, die zu einer – oben (Pkt. IV.1.) angeführten – mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Individualanträgen nach Art140 B‑VG nicht im Einklang stehenden Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes führen würde (vgl. zB VfSlg 19.064/2010, 19.674/2012).

3. Überdies bestand für die Antragsteller ein – von jenen zu G276/2016, G280/2016 und G302/2016 ebenfalls in Anspruch genommener – Weg, die Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, darin, im (anhängigen) gerichtlichen Verfahren zur Entscheidung über die eingebrachten Einsprüche gegen die Anklageschrift eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof durch das Gericht anzuregen. Bei Beurteilung der Rechtzeitigkeit der erhobenen Einsprüche sind die von den Antragstellern für verfassungswidrig erachteten Bestimmungen jedenfalls anzuwenden.

Der Einwand des Antragstellers zu G269/2016 in seiner Replik zur Äußerung der Bundesregierung, auch in diesem Weg bestünde kein "zumutbarer Umweg", da er einen solchen Einspruch nicht erhoben habe, weshalb ihm der "endgültige Rechtsverlust" im Falle einer Unzulässigkeit seines Individualantrages drohe, überzeugt nicht; die Erhebung eines Einspruches, in dessen Zuge allenfalls auch die Stellung eines Antrages nach Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG angeregt werden könnte, ist jedenfalls (wie auch die Einsprüche der übrigen Antragsteller zeigen) zumutbar, zumal ein Einspruch gegen die Anklageschrift weder eine bestimmte Form aufweisen noch eine Begründung enthalten muss.

4. Außergewöhnliche Umstände, welche die Einbringung eines Individualantrages ausnahmsweise zulässig machen könnten, liegen hier (anders als in dem dem Erkenntnis VfSlg 15.786/2000 zugrunde liegenden Fall; vgl. auch VfSlg 16.772/2002) angesichts dessen, dass im aktuellen Verfahrensstadium keineswegs ein endgültiger Verlust jeglichen Rechtsschutzes droht, nicht vor.

V. Ergebnis

1. Die vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützten Anträge sind auf Grund der obigen Ausführungen mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte