Normen
B-VG Art85
EMRK 6. ZP Art1
EMRK Art3
EMRK Art60
FremdenG §37
B-VG Art85
EMRK 6. ZP Art1
EMRK Art3
EMRK Art60
FremdenG §37
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden sowie nicht zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet zu werden, verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Über den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der "Bundesrepublik Jugoslawien" albanischer Abstammung (Kosovo-Albaner), war mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 10. November 1993 ein bis zum 10. November 1996 befristetes Aufenthaltsverbot gemäß §18 Abs1 und Abs2 Z7 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), verhängt worden. Während des diesbezüglichen Verfahrens brachte er einen Antrag gemäß §54 FrG auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien" ein. Über diesen Antrag stellte die Bundespolizeidirektion Salzburg mit Bescheid vom 29. Dezember 1993 fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in der "Bundesrepublik Jugoslawien" iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht sei. Die dagegen rechtzeitig erhobene Berufung wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg mit Bescheid vom 26. Jänner 1994 abgewiesen und der bekämpfte Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg bestätigt.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher - nach Darlegung behaupteter einfachgesetzlicher Rechtswidrigkeiten des angefochtenen Bescheides - die Verletzung in den gemäß Art3 EMRK und Art1 des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher der Antrag gestellt wird, die Beschwerde abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. In der Beschwerde wird unter "spezifisch-verfassungsrechtliche Ausführungen" vorgebracht, dem Beschwerdeführer drohe bei seiner Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien" die Todesstrafe. Er habe gegen "Artikel 214 des serbischen Republikstrafrechtes" verstoßen, wofür in Kriegszeiten die Todesstrafe verhängt werden könne. Eine Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien", welche aufgrund des angefochtenen Bescheides jederzeit möglich wäre, würde den Beschwerdeführer sohin der Gefahr aussetzen, dort der Todesstrafe unterworfen zu werden. Durch den angefochtenen Bescheid werde der Beschwerdeführer sohin in seinem gemäß Art1 des 6. Zusatzprotokolls zu EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht zur Todesstrafe verurteilt zu werden, verletzt. Die belangte Behörde habe sich weiters im angefochtenen Bescheid in keiner Weise mit der tatsächlichen politischen Situation der Albaner im Kosovo auseinandergesetzt. Ebensowenig sei eine Auseinandersetzung mit jenen konkreten Gefahren, denen Wehrdienstverweigerer albanischer Abstammung in der "Bundesrepublik Jugoslawien" ausgesetzt seien, erfolgt. Somit habe die belangte Behörde über den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß §37 Abs1 und 2 FrG abgesprochen, ohne jenen Sachverhalt geprüft zu haben, dessen Kenntnis notwendig sei, um beurteilen zu können, ob die Tatbestandsvoraussetzungen nach den zitierten Gesetzesbestimmungen gegeben seien. Die belangte Behörde habe daher nur zum Schein eine Sachentscheidung getroffen. Sie habe dadurch den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Schließlich werde der Beschwerdeführer bei einer Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien" auch in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987).
Dies ist hier nicht der Fall; die belangte Behörde hat über die Berufung des Beschwerdeführers vielmehr in der Sache entschieden. Art83 Abs2 B-VG gewährleistet aber nicht die Gesetzmäßigkeit des Inhaltes des angefochtenen Verwaltungsaktes; vielmehr wird die Zuständigkeit der Behörde und damit das Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine unrichtige behördliche Entscheidung allein (s. dazu unten Pkt. II.4.) nicht berührt (VfSlg. 10379/1985).
3. In das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) wird durch den angefochtenen Bescheid nicht eingegriffen (s. VfGH 2.7.1994, B2233/93).
4.1. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus (vgl. VfSlg. 13314/1992, VfGH 19.6.1993, B1084/92, 4.10.1993, B364/93, 16.6.1994, B1774/93, 2.7.1994, B2233/93, 4.10.1994, B986/94 ua. Zlen), daß die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuliefern - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, daß der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (EGM 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314 ff. (319); 20.3.1991, Cruz Varas ua., EuGRZ 1991, 203 ff. (211); 30.10.1991, Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 ff. (309); vgl. auch die Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte 15.3.1984, Memis, EuGRZ 1986, 324 ff. (325); 5.4.1993, ÖJZ 1994, 57 ff. (58)).
Gleiches hat nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes sinngemäß auch für das gemäß Art1 des 6. ZP EMRK iVm. Art85 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht zu gelten, nicht zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet zu werden (VfGH 14.12.1994, B711/94).
§54 FrG sieht im Zusammenhang mit Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat ("Refoulement-Verbot") iS des §37 Abs1 FrG ein besonderes Verfahren vor (vgl. VfGH 4.10.1993, B364/93). Ein Bescheid, mit dem gemäß §54 FrG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß §37 Abs1 FrG in einen bestimmten Staat festgestellt wird, betrifft den Schutzbereich des Art3 EMRK sowie des Art1 des 6. ZP EMRK iVm. Art85 B-VG (VfGH 2.7.1994, B2233/93, 4.10.1994, B986/94 ua. Zlen, 14.12.1994, B711/94).
Gleich dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wird das gemäß Art1 des 6. ZP EMRK iVm. Art85 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet zu werden, durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn der Bescheid in Anwendung eines den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (VfGH 14.12.1994, B711/94).
4.2. Der angefochtene Bescheid stützt sich insbesondere auf §37 iVm. §54 FrG.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die §§37 und 54 FrG wurden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden (vgl. VfGH 4.10.1993, B364/93, 16.6.1994, B1117/93, B1119/93, 16.6.1994, B1774/93, 18.6.1994, B1912/93, 2.7.1994, B2233/93, 4.10.1994, B986/94 ua. Zlen, 14.12.1994, B711/94).
4.3. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte dieser die gemäß Art3 EMRK sowie gemäß Art1 des 6. ZP EMRK iVm. Art85 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nur dann verletzen, wenn er auf einer den genannten Grundrechten widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruhte oder wenn der Behörde bei der nach §54 iVm. §37 Abs1 FrG vorzunehmenden Prognose grobe Verfahrensfehler unterlaufen wären.
4.3.1. Bereits in seinem Feststellungsantrag gemäß §54 FrG hatte der Beschwerdeführer vorgebracht, in seinem Heimatland wegen Wehrdienstverweigerung als politischer Gegner eingestuft zu werden und aufgrund seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe mit einer besonders hohen Strafe rechnen zu müssen. "Gemäß §202 Abs1 jugoslawisches Strafgesetzbuch" drohe ihm wegen Wehrdienstverweigerung eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren. Es bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, daß er Gefahr liefe, in seinem Heimatland unmenschlicher Behandlung unterworfen zu werden, bzw. daß sein Leben bedroht wäre.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Feststellungsbescheid ergänzte er dieses Vorbringen unter Hinweis auf Berichte des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge (UNHCR), Amnesty International und des "International Helsinki Komitees" sowie ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Freiburg dahingehend, daß die Armee der "Bundesrepublik Jugoslawien" laufend schwerste Menschenrechtsverletzungen an Soldaten und Zivilisten albanischer Herkunft begehe. Der "für Wehrdienstverweigerung relevante Artikel 214 des serbischen Republikstrafrechts" sehe in Kriegszeiten auch die Verhängung der Todesstrafe vor. Es komme im Kosovo bei Wehrdienstverweigerung sogar ohne Gerichtsverfahren zu willkürlichen Erschießungen. Somit stehe - auch wenn die Asylbehörden über seinen Asylantrag negativ entschieden hätten - fest, daß seine Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien" unzulässig sei, da anzunehmen sei, daß er dort Gefahr liefe, unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, und sein Leben und seine Freiheit aus Gründen seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe bedroht wären.
4.3.2. Die belangte Behörde begründet den angefochtenen Bescheid im Kern wie folgt:
"Grundsätzlich wird festgestellt, daß Ihr Asylverfahren seit 3.12.1993 rechtskräftig negativ ist und Sie damit nicht als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention anzusehen sind. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist eine begründete aktuelle Furcht vor Verfolgung, die jedoch im asylrechtlichen Verfahren verneint wurde und Sie sich in einer Niederschrift bei der Bundespolizeidirektion Salzburg am 9.11.1993 im Beisein eines Dolmetschers mit den angedrohten fremdenpolizeilichen Maßnahmen einverstanden erklärten.
Von Ihnen werden in der Berufung die Folgen einer Militärverweigerung angesprochen, die Sie jedoch im Falle einer Abschiebung automatisch nicht zu befürchten hätten. Auch wenn anzunehmen ist, daß Sie im Falle der Folgeleistung des Einberufungsbefehles eventuell lebensbedrohenden Gefährdungen ausgesetzt werden könnten, spricht dies jedenfalls nicht für eine von den Behörden Ihres Heimatstaates ausgehende konkrete, speziell auf Ihre Person zielende Repressionshandlung. Die in der Berufung angeführten Erkenntnisquellen werden seitens der ho. Behörde in keinster Weise angezweifelt, jedoch wird eine unter Umständen strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung nicht als unmenschliche Strafe zu werten (sein)."
4.3.3. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß der belangten Behörde insofern ein grober Verfahrensfehler unterlaufen ist, als sie sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, es bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, daß er Gefahr liefe, in seinem Heimatland unmenschlicher Behandlung unterworfen zu werden, bzw. daß sein Leben bedroht wäre, nicht in ernsthafter Weise auseinandergesetzt hat. Im angefochtenen Bescheid wird vielmehr ausgeführt, daß der Beschwerdeführer die Folgen einer Militärdienstverweigerung "im Falle einer Abschiebung automatisch nicht zu befürchten" hätte. Auch eine unter Umständen strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung sei nicht als unmenschliche Strafe zu werten.
Der Verfassungsgerichtshof vermag zunächst nicht zu erkennen, weshalb der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung die Folgen der Militärdienstverweigerung "automatisch nicht zu befürchten" hätte. Vielmehr zielt das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung gerade dahin, glaubhaft zu machen, daß ihm bei seiner Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien" die Todesstrafe drohe.
In gleicher Weise hätte die belangte Behörde aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers prüfen müssen, ob dieser bei einer Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien" konkret Gefahr liefe, dort - auch ohne daß formell die Todesstrafe verhängt wird - infolge Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung iS des Art3 EMRK zu Tode zu kommen.
Der belangten Behörde ist somit ein grober Verfahrensfehler iS der Ausführungen unter Pkt. II.4.1. unterlaufen.
4.4. Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden sowie nicht zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet zu werden, verletzt worden.
5. Der Bescheid war deshalb aufzuheben.
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt
sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.500,-
- an Umsatzsteuer enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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