VfGH B364/93

VfGHB364/934.10.1993

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bei Entscheidung über eine Schubhaftbeschwerde ohne Prüfung eines Refoulement-Verbotes; kein Eingehen auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung trotz der aufgrund des bereits abgeschlossenen Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes nicht mehr bestehenden Möglichkeit eines gesonderten Verfahrens zur Überprüfung der Unzulässigkeit der Abschiebung in ein bestimmtes Land

Normen

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art5
EMRK Art13
FremdenG §37
FremdenG §54
FremdenpolizeiG §13a
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art5
EMRK Art13
FremdenG §37
FremdenG §54
FremdenpolizeiG §13a

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Sri Lanka, überschritt nach ihren eigenen Angaben von Sri Lanka über Rußland, Rumänien und Ungarn kommend in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1992 die österreichische Staatsgrenze. Am Vormittag des 12. Dezember 1992 wurde sie mit weiteren Personen von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen und ua. gemäß §14e iVm. §14b Abs1 Z3 bzw. Z4 des - mit Ablauf des 31. Dezember 1992 (vgl. §86 Abs3 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG)) außer Kraft getretenen - Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, idF BG BGBl. 406/1991 (im folgenden: FrPolG), festgenommen. Am 13. Dezember 1992 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen die Beschwerdeführerin einen Schubhaftbescheid gemäß §5 FrPolG zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und der Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung. Dieser Bescheid wird - formularmäßig - damit begründet, die Beschwerdeführerin habe sich nicht gemäß §22 Abs3 des Paßgesetzes mit einem geltenden Reisedokument gemäß den Absätzen 1 und 2 dieser Bestimmung ausweisen können, sie sei im Bundesgebiet ohne ausreichende Barmittel für ihren Unterhalt und ohne Unterstand angetroffen worden sowie damit, es bestehe der Verdacht der Geldfälschung.

2. Unter dem 14. Jänner 1993 - bei der belangten Behörde am nächsten Tag eingelangt - ergriff die weiterhin in Schubhaft befindliche Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsvertreter gemäß §51 FrG Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat Wien, in welcher sie ua. geltend machte, es bestehe Grund für die Annahme, daß ihr in Sri Lanka Gefahren im Sinne des §37 FrG drohten, weshalb ihre Abschiebung dorthin gegen die genannte Bestimmung, die "absoluten Schutz" gewährleiste, verstoße.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat Wien wies diese Beschwerde mit Bescheid vom 20. Jänner 1993 als unbegründet ab und erkannte die Freiheitsentziehung durch die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft für rechtmäßig, ohne sich mit dem Vorbringen über die der Beschwerdeführerin in Sri Lanka behaupteterweise drohenden Gefahren auseinanderzusetzen.

4. Gegen diesen Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates Wien richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und gemäß Art2, 3, 5 und 6 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

5. Der unabhängige Verwaltungssenat Wien als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher er den bekämpften Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. In seinem Erkenntnis vom 19. Juni 1993, B1084/92, hatte sich der Verfassungsgerichtshof mit einem Fall zu befassen, dessen Sachverhalt mit dem hier vorliegenden vergleichbar ist (anders als dort das FrPolG ist hier aber das FrG maßgeblich; vgl. zu den rechtlichen Gesichtspunkten im folgenden II. B.). Er hat dort im einzelnen dargetan und begründet, daß gemäß §13 FrPolG Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot erlassen oder die Ausweisung verfügt worden war, abgeschoben werden konnten. Eine solche Abschiebung stellte sich als Vollstreckungsakt auf Grund eines Aufenthaltsverbotes im Sinne des §3 FrPolG oder einer Ausweisung gemäß §10a FrPolG dar. Gemäß §13a Abs2 FrPolG bestanden aber Abschiebungshindernisse. Demgemäß durfte die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (unter weiteren Voraussetzungen) jedenfalls nur so lange fortdauern, als sie diesen gesetzlichen Schutzzweck erfüllte. Standen einer Abschiebung etwa die Gründe (Abschiebungsverbote) des §13a Abs2 iVm. Abs1 FrPolG entgegen, entfiel der Sicherungszweck der Schubhaft: Nach der Verhängung einer solchen Haft hatte die Polizeibehörde ungesäumt die Abschiebung vorzubereiten und in diesem Zusammenhang - mit der gebotenen Raschheit - zu klären, in welches Land der Fremde abgeschoben werden solle; dabei mußte sie die Bestimmungen des §13a FrPolG, von denen die Rechtmäßigkeit der Schubhaft mit abhing, beachten und anwenden. Trafen auf den nach den Ergebnissen des Administrativverfahrens allein als Aufnahmeland in Betracht kommenden Zielstaat die Voraussetzungen des §13a Abs2 iVm. Abs1 FrPolG zu, entsprach nämlich eine (weitere) Anhaltung des Fremden in Haft nicht dem Gesetz, denn die Schubhaft diente dann nicht mehr der "Sicherung der Abschiebung" im Sinne des FrPolG und war daher unzulässig.

Wie es im angeführten Erkenntnis weiter heißt, war demgemäß die dem unabhängigen Verwaltungssenat gesetzlich aufgetragene Prüfung der Rechtmäßigkeit der Schubhaft unter Ausklammerung der Frage nach der Zulässigkeit der in Aussicht genommenen Abschiebung gar nicht möglich. Vielmehr hatte die Behörde im Administrativverfahren jedenfalls der Frage nachzugehen, ob einer Abschiebung in das in Aussicht genommene Zielland (oder in ein hilfsweise konkret in Betracht gezogenes sonstiges Land) das Refoulement-Verbot des §13a FrPolG entgegenstand.

Unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung wies der Verfassungsgerichtshof weiters darauf hin, daß §5a FrPolG dem Schubhäftling das Recht einräumte, den unabhängigen Verwaltungssenat als Beschwerdeinstanz mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme/Anhaltung anzurufen. Demgemäß hatte diese unabhängige Behörde die Frage der (formellen wie materiellen) Rechtmäßigkeit der Anhaltung nach jeder Richtung hin zu untersuchen und jedwede unterlaufene Gesetzwidrigkeit festzustellen und aufzugreifen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung kam der unabhängige Verwaltungssenat nicht nach, wenn er einem Beschwerdeführer die Prüfung der Frage verweigerte, ob alle gesetzlichen Schubhaftvoraussetzungen erfüllt seien, indem er in Verkennung seiner nach dem FrPolG festgelegten Zuständigkeitsgrenzen der verfehlten Rechtsauffassung anhing, im Beschwerdeverfahren sei es rechtlich unerheblich, ob die Abschiebung, deren Vorbereitung die Schubhaft diente, nach §13a FrPolG überhaupt zulässig war. Vielmehr hatte der unabhängige Verwaltungssenat in Wahrnehmung seiner umfassenden Haftprüfungskompetenz darüber zu befinden, ob alle formellen und inhaltlichen Voraussetzungen einer Anhaltung des Beschwerdeführers vorerst zutreffen. Dazu zählte jedenfalls auch die Frage, ob im konkreten Fall ein gesetzliches Abschiebungsverbot bestand. Hatte die Fremdenpolizeibehörde das Zielland bereits festgelegt, so war der unabhängige Verwaltungssenat gehalten, sich mit dem Einwand eines Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, daß eine Abschiebung in dieses Land nicht zulässig sei, heißt es im genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes weiter.

B.1. Anders als in dem dem genannten Erkenntnis zugrunde liegenden, gemäß dem FrPolG zu entscheidenden Beschwerdefall ist hier das FrG maßgeblich. §54 dieses Gesetzes sieht nun zwar hinsichtlich der Feststellung der insbesondere im Hinblick auf Art2, 3, 5 und 13 EMRK grundrechtlich bedeutsamen Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat ein gesondertes Verwaltungsverfahren vor, sodaß nunmehr auf Grundlage der neuen Rechtslage an sich die Überprüfung der Unzulässigkeit einer Abschiebung in ein bestimmtes Land nicht mehr im Rahmen der Prüfung einer Schubhaftbeschwerde durch den unabhängigen Verwaltungssenat zu erfolgen hat.

Doch kann gemäß §54 Abs2 FrG ein solcher Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden, worüber der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen ist. Gegen diese Bestimmung hegt der Verfassungsgerichtshof aus Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie würde aber im Falle des Fehlens entsprechender Übergangsregelungen (s. jedoch dazu im folgenden) in allen jenen Fällen, in denen ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bereits vor Inkrafttreten des FrG (mit 1. Jänner 1993) abgeschlossen worden ist, eine rechtzeitige Antragstellung durch die betroffene Person verhindern. Im Hinblick auf die erwähnten Regelungen der EMRK muß die Prüfung der Frage möglich sein, ob ein Refoulement-Verbot besteht oder nicht.

2.1. Die Übergangsbestimmungen des FrG (vgl. hier insbesondere §88) enthalten zu §54 keine besonderen Anordnungen. Ihnen ist nicht zu entnehmen, daß das FrG eine - verfassungswidrige - Einschränkung der Verpflichtung der Behörde zur Prüfung eines behaupteten Verbotes der Abschiebung in einen bestimmten Staat vorsähe. Daraus ergibt sich, daß auch nach der neuen Rechtslage für jene Fälle, in denen die Möglichkeit der Antragstellung im Sinne des §54 Abs1 FrG nicht bestand, hinsichtlich der Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates zur Prüfung eines Refoulement-Verbotes sinngemäß jene Erwägungen gelten, die der Verfassungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis (dessen Inhalt im wesentlichen oben wiedergegeben ist) auf Grundlage des FrPolG angestellt hat.

Das bedeutet, daß die Behörde im Administrativverfahren jedenfalls der Frage nachzugehen hat(te), ob einer Abschiebung in das in Aussicht genommene Zielland (oder in ein hilfsweise konkret in Betracht gezogenes sonstiges Land) das Refoulement-Verbot des (§13a FrPolG bzw. nunmehr des) §37 FrG entgegenstand. Hat die Fremdenpolizeibehörde das Zielland bereits festgelegt, so ist der unabhängige Verwaltungssenat daher gehalten, sich mit dem Einwand eines Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, daß eine Abschiebung in dieses Land nicht zulässig ist.

2.2. Wie sich aus dem auch dem unabhängigen Verwaltungssenat vorgelegenen Administrativakt ergibt, hatte die Beschwerdeführerin behauptet, daß sie "keinesfalls zurück nach Sri Lanka will, weil ich Angst habe, dort getötet zu werden." (Einvernahme vor dem fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien am 18. Dezember 1992). In dem vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eingebrachten Schriftsatz vom 14. Jänner 1993 wurde - ebenso wie im Asylverfahren - vorgebracht, daß die Beschwerdeführerin als Angehörige der tamilischen Minderheit Verfolgung durch die Regierungsarmee ausgesetzt war, wobei die Situation der Beschwerdeführerin in Sri Lanka näher dargelegt wurde. In der Schubhaftbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat wurde dieses Vorbringen wiederholt und konkretisiert. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten hat das fremdenpolizeiliche Büro der Bundespolizeidirektion Wien bereits am 8. Jänner 1993 (vgl. das Schreiben vom 8. Jänner 1993, Zl. IV-746.586/FrB/92, an das Bundesministerium für Inneres) seine Absicht dokumentiert, die Beschwerdeführerin in ihr Heimatland abzuschieben. Dessen ungeachtet ging die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sri Lanka unter dem maßgeblichen Aspekt des §37 FrG nicht näher ein. Sie entzog sich also - ungeachtet der Formulierung des Spruches des Bescheides - einem Abspruch über die Rechtmäßigkeit der Schubhaft, lehnte folglich gesetzwidrig eine Sachentscheidung ab und verletzte die Beschwerdeführerin dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG (VfSlg. 11958/1989, VfGH 12.3.1992, B1334/91, 19.6.1993, B1084/92).

2.3. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne daß es notwendig war, auf das Beschwerdevorbringen selbst noch weiter einzugehen.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953, vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 2.500,-- auf Umsatzsteuer.

2. Diese Entscheidung konnnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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