VfGH B1912/93

VfGHB1912/9318.6.1994

Kein Verordnungscharakter eines Durchführungserlasses zum FremdenG betreffend die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Bestätigung der Zurückweisung eines Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat; Zulässigkeit der Einbringung eines solchen Antrags auch im Rechtsmittelverfahren

Normen

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
FremdenG §27
FremdenG §54
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
FremdenG §27
FremdenG §54

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 16.200,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein aus dem Kosovo stammender Staatsangehöriger Restjugoslawiens albanischer Abstammung, wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 13. Juli 1993 gemäß §17 Abs1 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), ausgewiesen, weil er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Dagegen erhob der Beschwerdeführer binnen offener Frist Berufung und stellte zugleich einen Antrag gemäß §54 FrG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Restjugoslawien. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 9. August 1993 als unzulässig zurückgewiesen.

2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. September 1993 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Begründend führt die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich aus:

"Im §54 Fremdengesetz ist ausdrücklich das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes angeführt und nicht die Zulässigkeit der Antragstellung bis zur rechtskräftigen Entscheidung.

Die Bezirkshauptmannschaft Baden hat Sie mit Bescheid vom 13.7.1993 gemäß §17 Abs1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen. Der Bescheid wurde Ihnen am 13.7.1993 zugestellt.

Die Erlassung schriftlicher Bescheide hat durch Zustellung bzw. Ausfolgung zu erfolgen. Erlassen ist ein Bescheid ab dem Zeitpunkt, ab dem eine rechtswirksame Zustellung vorliegt. Die Zustellung wird von Ihnen in Ihrer Berufung auch nicht bestritten.

Der Norminhalt des §54 Abs2 kann nur auf Grund einer Zusammenschau mit jenen Bestimmungen, die die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot zum Inhalt haben, erschlossen werden.

Gemäß §27 Abs3 ist der Berufung gegen eine Ausweisung gemäß §17 Abs1 die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Der Berufung gegen die Ausweisung gemäß §17 Abs2 kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu. Bei Fremden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, ist der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot zulässig, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich ist (§27 Abs4). Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung im Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsverfahren bewirkt die Durchsetzbarkeit der verfügten Maßnahmen. Da Fremde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über Ihren Antrag gemäß §54 Abs1 in den betreffenden Staat nicht abgeschoben werden dürfen (§54 Abs4 leg. cit), wäre das Instrument des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung sinnlos. Daraus ergibt sich, daß ein Antrag gemäß §54 Abs1 nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsbescheides eingebracht werden kann."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

In der Folge brachte der Beschwerdeführer einen weiteren Schriftsatz ein, in welchem er ausführte, dem angefochtenen Bescheid sei zudem anzulasten, daß er sich auf eine gesetzwidrige Verordnung, nämlich den Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 18. Juni 1993, Zl. 79.002/52-III/16/93, stütze. Dieser Erlaß, der als Rechtsverordnung zu qualifizieren sei, leide an einem Kundmachungsmangel und an inhaltlicher Gesetzwidrigkeit.

4. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den bekämpften Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

5. Auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes gab der Bundesminister für Inneres eine Stellungnahme ab, in welcher er die Rechtsauffassung der belangten Behörde teilt.

6. Der Beschwerdeführer brachte daraufhin eine Äußerung ein, in welcher er seinen Standpunkt bekräftigt und auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verweist, der die gleiche Rechtsauffassung wie er vertrete.

7. In einer weiteren Äußerung teilte der Beschwerdeführer mit, daß der Bundesminister für Inneres aus Anlaß des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. November 1993, 93/18/0472, Punkt I. des Erlasses vom 18. Juni 1993, Zl. 79.002/52-III/16/93, für "gegenstandslos" erklärt habe. Es werde daher angeregt auszusprechen, daß der genannte Erlaß zur Gänze, in eventu in dessen Punkt I. gesetzwidrig gewesen sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der nach Ansicht des Beschwerdeführers angewendete Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 18. Juni 1993, Zl. 79.002/52-III/16/93, dessen Gegenstand mit "Fremdengesetz; hier: Vollziehung des §54" umschrieben ist, hat folgenden Wortlaut:

"I. Zur Interpretation des §54 FrG:

Gemäß §54 Abs1 FrG hat die Behörde (vgl. §65 Abs1) auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß §37 Abs1 oder 2 bedroht ist.

§54 Abs2 normiert, daß ein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden kann; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

Bei isolierter Betrachtung dieser Bestimmung könnte man zur Auffassung gelangen, daß der Antrag gemäß §54 Abs1 FrG bis zur rechtskräftigen Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes, d.h. also auch noch während eines allfälligen Berufungsverfahrens, eingebracht werden kann.

Nach Auffassung des Bundesministeriums für Inneres ist in diesem Zusammenhang allerdings eine systematische Interpretation angebracht:

Der Norminhalt des §54 Abs2 kann nur auf Grund einer Zusammenschau mit jenen Bestimmungen, die die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot zum Inhalt haben, erschlossen werden.

Gemäß §27 Abs3 ist der Berufung gegen eine Ausweisung gemäß §17 Abs1 die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Der Berufung gegen eine Ausweisung gemäß §17 Abs2 kommt aufschiebende Wirkung (ex lege) nicht zu.

Bei Fremden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, ist der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot zulässig, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich ist (§27 Abs4).

Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung im Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsverfahren bewirkt die Durchsetzbarkeit der verfügten Maßnahmen. Da Fremde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen Antrag nach §54 Abs1 FrG in den betreffenden Staat nicht abgeschoben werden dürfen (§54 Abs4 leg.cit.), wäre das Instrument des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung sinnlos. Es kann aber dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er beim Beschluß des Fremdengesetzes sinnlose bzw. unwirksame Bestimmungen schaffen sollte.

Daraus ergibt sich, daß ein Antrag gemäß §54 Abs1 FrG nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsbescheides eingebracht werden kann.

Ein Rechtsschutzdefizit ist für den Betroffenen dennoch nicht anzunehmen, weil das in §37 FrG normierte Refoulement-Verbot selbstverständlich in allen Fällen in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist und §36 Abs2 leg.cit. überdies das Institut des Abschiebungsaufschubes vorsieht, wenn die Abschiebung unzulässig ist oder aus tatsächlichen Gründen unmöglich erscheint.

II. Zur praktischen Vorgangsweise bei der Anwendung des §54:

1. Manuduktionspflicht:

Die Manuduktionspflicht (§54 Abs2 2. Satz FrG, §13a AVG) gebietet es nicht, jeden Fremden in einem Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes über die Möglichkeit der Antragstellung gemäß §54 FrG in Kenntnis zu setzen. Eine solche Information ist allerdings in jenen Fällen erforderlich, in denen sich auf Grund des Vorbringens des Fremden ein Hinweis darauf ergeben hat, daß er im Zielstaat der Abschiebung einer Bedrohung im Sinne von §37 Abs1 oder 2 FrG ausgesetzt sein könnte.

2. Antragstellung durch Fremde, die nicht Asylwerber sind:

In jenen Fällen, in denen über einen Antrag gemäß §54 FrG abzusprechen ist, ohne daß ein asylrechtlicher Bescheid vorliegt, können jene Anträge abgewiesen werden, in denen der Fremde lediglich allgemeine, auf den potentiellen Abschiebungsstaat bezogene Angaben macht, ohne eine konkrete Bedrohung seiner Person vorzubringen.

Werden konkrete Bedrohungen vorgebracht und ist zu ihrer Beurteilung eine Einschätzung der Menschenrechtssituation im potentiellen Abschiebungsstaat erforderlich, so empfiehlt sich eine direkte Kontaktaufnahme mit der nächstgelegenen Außenstelle des Bundesasylamtes, welche über eine Zusammenstellung von Herkunftsländerinformationen verfügt und diese unverzüglich übermitteln wird.

Bei größeren Fremdenpolizeibehörden wird auf Wunsch auch eine Ablichtung der im Asylverfahren üblicherweise verwendeten Herkunftsländerinformationen zur Verwendung der Behörde übermittelt.

3. Antragstellung durch Asylwerber:

Im Fall der Antragstellung durch einen Asylwerber wird es sich als zweckmäßig erweisen, die Entscheidung der Asylbehörde über den Asylantrag abzuwarten. In dringenden Fällen, insbesondere in Haftsachen, empfiehlt sich eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit der verfahrensführenden Außenstelle des Bundesasylamtes, die in diesen Fällen das Verfahren beschleunigen und umgehend einer Entscheidung zuführen wird.

Liegt eine Entscheidung der Asylbehörde vor, aus der hervorgeht, daß der Fremde im potentiellen Abschiebungsstaat keine Bedrohung im Sinne von §37 Abs2 FrG zu befürchten hat, so kann diese Entscheidung zur Grundlage der bescheidmäßigen Feststellung gemäß §54 FrG gemacht werden.

Die Asylbehörde ist angewiesen, in solchen Fällen keine Formalentscheidung zu treffen, sondern auch die Verfolgungssituation des Asylwerbers im Herkunftsland bzw. im potentiellen Abschiebungsstaat einzugehen.

4. Bezeichnung eines bestimmten Staates:

Der Fremde hat bei der Antragstellung gemäß §54 FrG einen bestimmten Staat zu bezeichnen. Ist dies ein anderer Staat als jener, in den er abgeschoben werden soll, so steht dieser Antrag einer Abschiebung nicht entgegen. Gemäß §54 Abs4 FrG ist nach einer allfälligen Abschiebung das Verfahren als gegenstandslos einzustellen.

Gibt der Fremde mehrere Staaten an, so muß in der Entscheidung über seinen Antrag ausschließlich auf jenen Staat eingegangen werden, in den die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden soll. Die Erörterung von Einwendungen im Zusammenhang mit anderen Staaten ist nicht erforderlich.

5. Beweiswürdigung:

Hat der Fremde nur allgemeine Einwendungen zur Situation im potentiellen Abschiebungsstaat vorgebracht, nicht jedoch Umstände, die seine persönliche Bedrohung im Sinne von §37 Abs1 oder 2 FrG untermauern, sollte dies sinnvollerweise in der Begründung des Bescheides zum Ausdruck kommen. Soweit sich angebotene Beweise lediglich auf die allgemeine Situation in diesem Staat beziehen und daher nicht relevant sind, könnte auch dieser Umstand in der Begründung des Bescheides Erwähnung finden.

Soweit die vom Fremden vorgebrachten Einwendungen keine glaubwürdigen Vorbringen enthalten, die die Annahme rechtfertigen, daß er im Zielstaat der Abschiebung gemäß §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht ist, sollte dies jedenfalls in der Begründung des Bescheides entsprechend zum Ausdruck gebracht werden.

Zusatz für die Sicherheitsdirektionen:

Es ergeht die Einladung, alle Bezirksverwaltungsbehörden entsprechend anzuweisen.

Die erforderliche Anzahl von Rundschreiben ist angeschlossen."

1.2. Der Beschwerdeführer führt aus, daß der Erlaß infolge seiner Versendung an die Sicherheitsdirektionen, Bundespolizeidirektionen und an das Bundesasylamt die notwendige Publizität erlangt habe und präjudiziell sei, weil die belangte Behörde ihn bei Erlassung des angefochtenen Bescheides tatsächlich angewendet habe: Auf S 4 des angefochtenen Bescheides werde der Kern von Punkt I. des Erlasses wörtlich wiedergegeben. Der Erlaß begnüge sich nicht mit einer unverbindlichen Bekanntgabe der Rechtsansicht des Bundesministers zur Vollziehung des §54 FrG, sondern lege die bei der Vollziehung anzuwendende Vorgangsweise für alle diese Behörden verbindlich fest. Der Erlaß greife in die Rechtssphäre der Betroffenen ein, weil er das Gesetz bindend auslege und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen, nämlich für Fremde, gegen die ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes anhängig ist, unmittelbare Geltung beanspruche. Auch die Tatsache, daß der Bundesminister für Inneres inzwischen erklärt habe, daß Punkt I. des Erlasses "... gegenstandslos (ist)", spreche für dessen Verordnungscharakter, weil diese imperative Feststellung ansonsten nicht notwendig gewesen wäre. Die gegen die inhaltliche Gesetzmäßigkeit des Erlasses bestehenden Bedenken werden in der Folge im einzelnen ausgeführt.

1.3. Der Verfassungsgerichtshof vermag sich der Auffassung des Beschwerdeführers jedoch nicht anzuschließen:

1.3.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8647/1979, 11472/1987, 13021/1992, VfGH 9.12.1993, V59,60/93) ist für die Qualität als Verordnung nicht der formelle Adressatenkreis und die äußere Bezeichnung und auch nicht die Art der Verlautbarung, sondern der Inhalt des Verwaltungsaktes maßgebend.

Voraussetzung für die Qualifizierung eines als "Erlaß" bezeichneten Verwaltungsaktes als Verordnung ist u.a., daß seine Formulierungen imperativ gehalten sind (und sich nicht etwa in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen), indem sie das Gesetz bindend auslegen (VfSlg. 5905/1969), und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar Geltung beanspruchen (dazu zB VfSlg. 4759/1964, 8649/1979, 8807/1980, 9416/1982, 10170/1984, 10518/1985, 11467/1987, 13021/1992, VfGH 9.12.1993, V59,60/93).

1.3.2. Diese Voraussetzung trifft auf den in Rede stehenden Erlaß des Bundesministers für Inneres - anders als auf den Erlaß, dessen Gesetzwidrigkeit mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Dezember 1993, V59,60/93, festgestellt worden ist - nicht zu:

So wird in der Einleitung des Erlasses ausgeführt, daß "im Zusammenhang mit der Vollziehung des §54 FrG ... an das Bundesministerium für Inneres mehrere Anfragen hinsichtlich der Interpretation dieser Bestimmung sowie hinsichtlich der praktischen Vorgangsweise herangetragen worden" seien, sodaß die folgenden Ausführungen des Bundesministers für Inneres als Antwort auf diese - offenbar aus Anlaß konkreter Fälle erfolgten - Anfragen anzusehen sind.

Nach Wiedergabe des Gesetzestextes findet sich unter Punkt I., vierter bis neunter Absatz, des Erlasses eine Passage, welche mit den Worten "Nach Auffassung des Bundesministeriums für Inneres ist in diesem Zusammenhang allerdings eine systematische Interpretation angebracht:" eingeleitet wird, in der Folge - unter Abwägung von Gründen und Gegengründen - diese systematischen Erwägungen vorträgt und mit der argumentativen Schlußfolgerung endet, "Daraus ergibt sich, daß ein Antrag gemäß §54 Abs1 FrG nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsbescheides eingebracht werden kann."

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht der Ansicht, daß diese Formulierungen imperativ im Sinne seiner oben zitierten Rechtsprechung gehalten sind. Vielmehr wird hier lediglich die Rechtsansicht des Bundesministers für Inneres wiedergegeben und den untergeordneten Behörden zur Kenntnis gebracht, ohne daß diese Auslegung für sie - rechtlich - bindend wäre. Darauf weist auch der Umstand hin, daß der Bundesminister für Inneres Punkt I. des Erlasses für "gegenstandslos" erklärte (und damit seine Rechtsansicht revidierte) und nicht - wie dies bei einem Erlaß normativen Inhaltes erforderlich wäre - "aufgehoben" hat.

Auch die Formulierungen "... können jene Anträge abgewiesen

werden ...", "... so empfiehlt sich eine direkte Kontaktaufnahme

mit der nächstgelegenen Außenstelle des Bundesasylamtes ...",

"... so kann diese Entscheidung zur Grundlage der bescheidmäßigen

Feststellung gemäß §54 gemacht werden." und "... sollte dies

sinnvollerweise in der Begründung des Bescheides zum Ausdruck kommen." in den folgenden Abschnitten des Erlasses sprechen gegen einen normativen Charakter desselben.

Auch der am Ende des Erlasses angeführte "Zusatz für die Sicherheitsdirektionen: Es ergeht die Einladung, alle Bezirksverwaltungsbehörden entsprechend anzuweisen.", vermag dessen Verbindlichkeit nicht zu begründen, weil durch diesen Zusatz die Rechtslage von Fremden, die einen Antrag nach §54 FrG gestellt haben, nicht verändert wird. Der Inhalt des Zusatzes erschöpft sich vielmehr in der Einladung an die Sicherheitsdirektionen, Rechtsakte zu erlassen, verpflichtet diese aber nicht, der Sache nach dem Inhalt des Erlasses zu folgen. Der Verfassungsgerichtshof hat in ähnlichem Zusammenhang ausgesprochen, daß ein von einem Verwaltungsorgan an unterstellte Verwaltungsorgane gerichteter Auftrag des Inhalts, eine Verordnung zu erlassen, selbst (noch) keine - vor dem Verfassungsgerichtshof anfechtbare - Verordnung ist (VfSlg. 12581/1990).

1.3.3. Da es sich bei dem Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 18. Juni 1993, Zl. 79.002/52-III/16/93, daher nicht um eine Verordnung im Sinne des Art139 B-VG handelt(e), kann er nicht - wie der Beschwerdeführer anregt - Gegenstand eines Verordnungsprüfungsverfahrens gemäß Art139 Abs1 B-VG sein.

1.4. Bedenken gegen die den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlaß des Beschwerdeverfahrens nicht entstanden (s. zu §54 FrG VfGH 4.10.1993, B364/93, 16.6.1994, B1117/93, B1119/93, 16.6.1994, B1774/93).

1.5. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde stelle §54 FrG nicht auf den Zeitpunkt des Erlassens eines erstinstanzlichen Bescheides betreffend eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot ab. Dieser Antrag sei vielmehr während des gesamten Verfahrens bis zu seiner rechtskräftigen Entscheidung zulässig. Das Berufungsverfahren sei Teil dieses Verfahrens, sodaß sich schon allein aus dem Gesetzeswortlaut ergebe, daß noch während des Berufungsverfahrens Feststellungsanträge gestellt werden könnten. Die belangte Behörde hätte daher der Berufung des Beschwerdeführers Folge geben und der erstinstanzlichen Behörde die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens auftragen müssen. Indem die belangte Behörde dies verkannt und eine Sachentscheidung verweigert habe, habe sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

2.2. Dem treten sowohl die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift als auch der Bundesminister für Inneres in seiner Äußerung entgegen. Vom Bundesminister für Inneres wird insbesondere ausgeführt, daß - folge man der Auffassung des Beschwerdeführers - die in §27 Abs3 und 4 FrG vorgesehene Möglichkeit, einer Berufung gegen eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, "wirkungslos" wäre, da Fremde gemäß §54 Abs4 FrG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen Antrag nach §54 Abs1 FrG in den betreffenden Staat nicht abgeschoben werden dürfen. Es könne aber dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er beim Beschluß des FrG "sinnlose bzw. unwirksame" Bestimmungen schaffen wollte. §54 Abs4 FrG spreche im Gegensatz zu Abs2 dieser Bestimmung von einer "rechtskräftigen Entscheidung". Es sei daher anzunehmen, daß die unterschiedliche Formulierung von Abs2 und Abs4 auch inhaltliche Bedeutung habe.

2.3. §54 FrG lautet:

"Feststellung der Unzulässigkeit

der Abschiebung in einen bestimmten Staat

§54. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß §37 Abs1 oder 2 bedroht ist.

(2) Der Antrag kann nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

(3) Über Berufungen gegen Bescheide, mit denen die Zulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat festgestellt wurde, ist binnen Wochenfrist zu entscheiden, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(4) Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag darf der Fremde in diesen Staat nicht abgeschoben werden. Nach Abschiebung des Fremden in einen anderen Staat ist das Feststellungsverfahren als gegenstandslos einzustellen."

2.4. Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht:

2.4.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987).

2.4.2. Solches ist hier der Fall:

2.4.2.1. Gegen die von der belangten Behörde und vom Bundesminister für Inneres vertretene Rechtsauffassung spricht zunächst der Wortlaut des §54 Abs2 FrG, wonach ein Antrag nach §54 Abs1 FrG nur "während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden" kann. Mangels einer anderen gesetzlichen Anordnung ist davon auszugehen, daß diese Wendung nicht nur das erstinstanzliche Verfahren, sondern vielmehr das gesamte Verfahren, also auch das Rechtsmittelverfahren miteinschließt. Den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (692 BlgNR 18. GP, S 55) ist insofern Gegenteiliges nicht zu entnehmen, insbesondere findet die vom Bundesminister für Inneres aus der unterschiedlichen Formulierung von Abs2 und Abs4 des §54 FrG abgeleitete Interpretation keine Stütze.

2.4.2.2. Auch die von der belangten Behörde und vom Bundesminister für Inneres ins Treffen geführten systematischen Erwägungen, die eine solche Einschränkung der Antragsmöglichkeit auf das erstinstanzliche Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gebieten würden, überzeugen nicht:

Dem Umstand, daß einer Berufung gegen eine Ausweisung oder gegen ein Aufenthaltsverbot gemäß §27 Abs3 und 4 FrG unter gewissen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung aberkannt werden kann, kommt für die Frage, bis wann ein Antrag nach §54 Abs1 FrG zulässigerweise gestellt werden kann, nicht die von der belangten Behörde und vom Bundesminister für Inneres zugemessene Bedeutung zu. Wird während des Berufungsverfahrens betreffend eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot ein Antrag gemäß §54 Abs1 FrG gestellt, so bleibt die Ausweisung bzw. das Aufenthaltsverbot dennoch durchsetzbar; lediglich die Abschiebung in den im Antrag bezeichneten Staat ist ab diesem Zeitpunkt gemäß §54 Abs4 FrG ausgeschlossen. Umgekehrt steht ein während des erstinstanzlichen Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gestellter Antrag gemäß §54 Abs1 FrG der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß §27 Abs3 und 4 FrG nicht entgegen (so auch VwGH 11.11.1993, 93/18/0472). Hinzu kommt, daß nicht jeder von der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes betroffene Fremde einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß §54 FrG stellt, sodaß die Annahme der belangten Behörde und des Bundesministers für Inneres, bei einem solchen Verständnis des §54 Abs2 FrG sei "das Instrument des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung wirkungslos", auch unter diesem Aspekt unbegründet ist.

2.5. Indem die belangte Behörde dies verkannte und zu Unrecht eine Zurückweisung ausgesprochen hat, hat sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3. Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung

stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Die vom Beschwerdeführer für die Erstattung eines weiteren Schriftsatzes begehrten Kosten waren zuzusprechen, da dieser im vorliegenden Fall zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.700,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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