VfGH B1382/93

VfGHB1382/9310.10.1994

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Abweisung einer Beschwerde gegen die weitere Anhaltung in einer zur Sicherung der Zurückschiebung verhängten Schubhaft; Zulässigkeit der Zurückschiebung nur in das unmittelbar vorhergehende Einreiseland; Verpflichtung zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückschiebung daher nur in jenes Land und nicht auch in andere Länder; keine Verletzung im Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Folter; keine iSd Art3 EMRK relevante Bedrohung des Beschwerdeführers bei Zurückschiebung nach Ungarn; keine Verletzung der Verpflichtung zur Entscheidung über Schubhaftbeschwerden binnen einer Woche; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch die einer Gesetzlosigkeit gleichkommende fehlerhafte Beurteilung der Zurückschiebungsmöglichkeiten durch die belangte Behörde

Normen

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art3
PersFrSchG 1988 Art1 ff
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
FremdenpolizeiG §10
FremdenG §35
FremdenG §37
FremdenG §41
FremdenG §52
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art3
PersFrSchG 1988 Art1 ff
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
FremdenpolizeiG §10
FremdenG §35
FremdenG §37
FremdenG §41
FremdenG §52

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Libanon, reiste am 10. April 1993 von Ungarn kommend mit einem verfälschten ungarischen Reisepaß in Österreich ein und wollte am selben Tag in die Bundesrepublik Deutschland weiterreisen. Anläßlich der Paßkontrolle wurde die Verfälschung von den deutschen Grenzbehörden entdeckt und der Beschwerdeführer am nächsten Tag den österreichischen Behörden übergeben. Auf Grund eines richterlichen Haftbefehls wurde er festgenommen und in das landesgerichtliche Gefangenenhaus Ried im Innkreis eingeliefert. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 21. April 1993 wurde über ihn mit Wirkung seiner Entlassung aus der gerichtlichen Anhaltung (Untersuchungs- oder Strafhaft) die Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung verhängt. Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 21. April 1993 persönlich übernommen. Am 22. April 1993 wurde er wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß §§223 Abs2 und 224 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt und es wurde die Untersuchungshaft beendet. Unter einem wurde der Schubhaftbescheid in Vollzug gesetzt.

Am 28. April 1993 stellte der Beschwerdeführer einen Asylantrag, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom nächsten Tag abgewiesen wurde. In seiner diesbezüglichen Einvernahme hatte er angegeben, daß er bei einer Zurückschiebung in den Libanon Gefahr liefe, von Mitgliedern einer Untergrundpartei, der er selbst angehört habe, getötet zu werden. Er sei weder von der Polizei noch von staatlichen Organisationen, wohl aber von einer weiteren Untergrundbewegung festgehalten und gefoltert worden. In Ungarn sei er nicht verfolgt worden.

Unter dem 2. Juni 1993 - beim unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im folgenden: UVS) am nächsten Tag eingelangt - erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß §51 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), mit dem Antrag, der UVS möge seine Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklären, insbesondere feststellen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für seine weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorlägen, sowie dem Bund den Ersatz der Verfahrenskosten auferlegen.

Begründend führte der Beschwerdeführer aus, daß eine Zurückschiebung nur in ein Nachbarland Österreichs zulässig sei, sohin in seinem Falle nach Ungarn. Mangels eines tauglichen Schubabkommens sei dies jedoch faktisch unmöglich. Sollte er dennoch dorthin zurückgeschoben werden, müßte er mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in sein Heimatland Libanon abgeschoben zu werden. Er wäre damit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung iSd. §37 Abs1 FrG ausgesetzt.

Am 11. Juni 1993 wurde der Beschwerdeführer laut Bericht des Gendarmeriepostens Ried im Innkreis über Zypern in den Libanon "abgeschoben".

2. Der UVS wies die an ihn gerichtete Beschwerde mit Bescheid vom 16. Juni 1993 als unbegründet ab und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Kostenersatz. Begründend führte der UVS aus:

"Gemäß §41 Abs1 FrG ist die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft zulässig, sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Die Vorläuferbestimmung des §5 FrPG kannte demgegenüber noch keine Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung, sondern nur zur Sicherung der Abschiebung.

Nach §35 Abs1 FrG können Fremde von der Behörde zur Rückkehr ins Ausland verhalten werden (Zurückschiebung), wenn sie entweder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen 7 Tagen betreten werden oder innerhalb von 7 Tagen nach Einreise in das Bundesgebiet von der Republik Österreich aufgrund eines Schubabkommens oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mußten. Hingegen erlaubt §36 Abs1 FrG, daß Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar ist, von der Behörde zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung) unter weiteren Voraussetzungen, die hier nicht relevant sind. Nach der Systematik des FrG handelt es sich sowohl bei der Zurückschiebung als auch bei der Abschiebung um verfahrensfreie Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthaltes und zur Beförderung ins Ausland (vgl. das Inhaltsverzeichnis zum FrG). Während die Abschiebung ua der Durchsetzung eines Ausweisungsbescheides gemäß §17 FrG dient, ist die Zurückschiebung eine selbständige Zwangsmaßnahme, die erkennbar den Zweck verfolgt, den illegal eingereisten Fremden, der nie zum Aufenthalt in Österreich berechtigt war und binnen 7 Tagen festgenommen wurde, auf rasche Weise zum Verlassen des Bundesgebietes zu verhalten. Vergleicht man die Ausweisungstatbestände des §17 Abs2 FrG mit den Voraussetzungen der Zurückschiebung, so fällt auf, daß bis auf den Sonderfall eines unrechtmäßigen Aufenthaltes gemäß §17 Abs2 Z6 in allen anderen Fällen zunächst ein rechtmäßiger Aufenthalt in irgendeiner Form dem unrechtmäßigen Aufenthalt vorausgeht (vgl. E zur RV des FrG, 692 BlgNR 18. GP, 37). Wer unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist ist und binnen einem Monat betreten wird kann zufolge §17 Abs2 Z6 FrG nur mit Bescheid ausgewiesen und in weiterer Folge abgeschoben werden. Sämtliche Ausweisungstatbestände stellen auf die Verwirklichung innerhalb eines Monates nach der Einreise ab. Bei Überschreitung dieser Frist kann ein Fremder lediglich aufgrund eines Aufenthaltsverbotes gemäß §18 FrG zur Ausreise verpflichtet werden.

Daß zwischen der Zurückschiebung und der Abschiebung in bezug auf die in Frage kommenden Staaten zu unterscheiden wäre, kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Die Wendungen 'zur Rückkehr ins Ausland verhalten' (§35 Abs1 FrG) und 'zur Ausreise verhalten' (§36 Abs1 FrG) lassen bei objektiver Auslegung keinen relevanten Unterschied erkennen, wenn auch einzuräumen ist, daß der Gesetzgeber besser eine einheitliche Ausdrucksweise wählen hätte sollen. Der Begriff Rückkehr ins Ausland ist so weit gehalten, daß darunter nicht bloß ein Nachbarstaat und schon gar nicht bloß der Nachbarstaat, von dem die Einreise erfolgte, verstanden werden kann. Der Gesetzgeber hätte sich insofern leicht festlegen können. Eine derartige rechtliche Beschränkung der Zurückschiebung auf Nachbarstaaten erscheint auch von vornherein nicht sinnvoll, weil dadurch die Durchführbarkeit einer Zurückschiebung stark eingeschränkt wäre. Dazu kommt, daß Österreich nicht etwa nur mit angrenzenden Nachbarstaaten Schubabkommen abgeschlossen hat. Vielmehr bestehen auch Übereinkommen mit Ländern wie Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande und Polen (vgl. E der RV FrG, 692 BlgNR 18. GP, 32).

Die Beschwerde beruft sich auf die E der RV des FrG (vgl. 692 BlgNR 18. GP, 47), die zur Zurückschiebung nach §35 FrG erklären, daß sie vollinhaltlich dem §10 Abs1 des FrPG entspreche und daß im Einleitungssatz lediglich eine Umschreibung der Zurückschiebung - analog zur Definition der übrigen Maßnahmen - vorgenommen worden ist, wobei deutlich gemacht wurde, daß es sich um eine Maßnahme handelte, die behördlicher Anordnung bedarf.

Nach §10 Abs1 FrPG konnten Fremde ohne Verzug zurückgeschoben werden, wenn die wörtlich gleichen Voraussetzungen nach Z1 und 2 des §35 Abs1 FrG erfüllt waren.

§10 Abs2 FrPG ordnete zum Unterschied von der heutigen Regelung an, daß die Zurückschiebung über die Bundesgrenze unverzüglich zu erfolgen hat und eine Anhaltung des Fremden aus diesem Grunde für mehr als 48 Stunden unzulässig ist. Derartige zeitliche Beschränkungen sieht die geltende Regelung nicht vor. Im Gegenteil! §41 Abs1 FrG sieht nunmehr im Unterschied zum §5 Abs1 FrPG auch die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung vor. Dies kann nur bedeuten, daß die engen zeitlichen Schranken der Zurückschiebung nach §10 FrPG entfallen sollten, um dem Instrument der Zurückschiebung einen viel weiteren Anwendungsbereich als bisher zu eröffnen.

Der Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten zur FrPG-Novelle BGBl. 1990/190 spricht zwar in bezug auf die neugeregelte Zurückschiebung von zwei Voraussetzungen:

'einerseits muß es zulässig sein, den Fremden im Bundesgebiet festzunehmen, andererseits muß eine Rücknahmeverpflichtung eines Nachbarstaates bestehen' (vgl. 1213 BlgNR 17. GP, 4). Mit der Rücknahmeverpflichtung eines Nachbarstaates ist aber keine rechtliche sondern nur eine tatsächliche Voraussetzung gemeint, zumal für die Durchführung der Zurückschiebung ab dem Zeitpunkt der Festnahme lediglich 48 Stunden zur Verfügung standen. Zum Zwecke der Zurückschiebung durfte ein Fremder nach dem FrPG nicht länger angehalten werden. Innerhalb dieser kurzen Frist kamen daher von vornherein nur Nachbarstaaten für die Zurückschiebung in Betracht. Bei Nichteinhaltung der Frist konnte nur die Schubhaft verhängt und ein Ausweisungsverfahren nach §10a FrPG eingeleitet werden.

Der Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten verdeutlicht in weiterer Folge, daß auch der Gesetzgeber des FrPG zwischen der Zurückschiebung und der Abschiebung bezüglich der Bestimmungsländer keinen Unterschied machen wollte (vgl. 1213 BlgNR 17. GP, 4 aE):

'Die Haft ist sowohl mit Art5 Abs1 litf MRK als auch mit Art2 Abs1 Z7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, vereinbar, da in beiden Verfassungsnormen der Begriff 'Ausweisung' für die fremdenrechtliche Außerlandesschaffung steht; eine solche liegt auch bei der Zurückschiebung vor. Auch die Konstruktion als Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ist verfassungsrechtlich zulässig, da - wie bereits ausgeführt - die durch das 7. Zusatzprotokoll (ArtI Z1) gewährten Rechte nur im Falle des rechtmäßigen Aufenthaltes zustehen; Voraussetzung für die Zulässigkeit der Zurückschiebung ist aber ein rechtswidriger Aufenthalt im Bundesgebiet.'

Damit ist klargestellt, daß auch der Gesetzgeber des FrPG mit der Zurückschiebung lediglich eine Form der fremdenrechtlichen Außerlandesschaffung regeln wollte. Die Einschränkung einer zulässigen Zurückschiebung auf Nachbarstaaten kann den Materialien nicht entnommen werden.

Auch der Hinweis der Beschwerde auf rechtsstaatliche Überlegungen zur Richtigkeit der vorgeschlagenen Auslegung überzeugt nicht. Wie die Beschwerde erwähnt, ist das Refoulementverbot gemäß §37 FrG sowohl bei der Zurückschiebung als auch bei der Abschiebung zu beachten. Da die Zurückschiebung eine verfahrensfreie Maßnahme ist, die keinen vorangehenden Bescheid voraussetzt, ist natürlich kein Feststellungsverfahren analog dem §54 FrG vorgesehen. Ein Zurückschiebungsaufschub entsprechend dem Abschiebungsaufschub nach §37 Abs2 FrG ist ebenfalls nicht vorgesehen. Nach §37 Abs3 FrG darf der Fremde erst zurückgeschoben werden, nachdem er Gelegenheit hatte, entgegenstehende Gründe darzulegen. Die Zurückschiebung ist stets von der Behörde unter Beachtung des Refoulementverbotes anzuordnen. Aus §37 FrG ergibt sich, daß die Zurückschiebung in den Fällen des Abs1 und Abs2 stets unzulässig ist, während die Abschiebung gemäß §37 Abs4 FrG in den Fällen des Abs2 leg.cit. zulässig sein kann. Ist die Zurückschiebung unzulässig oder tatsächlich unmöglich, muß der Fremde im Hinblick auf §48 Abs2 FrG längstens nach zwei Monaten aus der Schubhaft freigelassen werden, während die Schubhaft im Falle eines Feststellungsverfahrens gemäß §54 FrG insgesamt sogar sechs Monate aufrechterhalten werden kann.

Der Gesetzgeber hat für die Fälle der illegal eingereisten Fremden, die innerhalb der kurzen Zeit von 7 Tagen festgenommen werden können, das Instrument der Zurückschiebung im Interesse einer möglichst raschen Außerlandesschaffung ausgebaut. Solchen Fällen kann daher sogleich mit verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt begegnet werden (vgl. §40 FrG). Ein Feststellungsverfahren im Sinne des §54 FrG ist daher schon begrifflich mit einer solchen Maßnahme unvereinbar. Kann die Zurückschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden, so kommt es zumindest de facto zu einem Aufschub.

Wird entgegen dem §37 Abs1 und Abs2 FrG zurückgeschoben, kann gegen die Durchsetzung der Zurückschiebung mit verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt die Maßnahmenbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG bzw. §67a Abs1 Z2 AVG ergriffen werden (vgl. dazu das Erk. des O.ö. Verwaltungssenates, VwSen-420034/6/Gf/La vom 8.6.1993).

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß bereits die der Beschwerde zugrundeliegende Prämisse, zwischen Abschiebung und Zurückschiebung in bezug auf die möglichen Bestimmungsländer einen Unterschied zu machen, unzutreffend ist. Nicht diese Auslegung führt zu einer unzulässigen Verkürzung des Rechtsschutzes, sondern der Gesetzgeber hat klar und deutlich zwischen der Außerlandesschaffung im Wege der Zurückschiebung und der Außerlandesschaffung im Wege des Ausweisungsbescheids mit anschließender Abschiebung unterschieden. Die Unterschiede sind somit in der Systematik des Gesetzes begründet. Ein rechtsschutzloser Zustand liegt aber auch bei der Zurückschiebung nicht vor. Da im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen der Zurückschiebung unstrittig vorlagen und diese ihrer Art nach unabhängig vom in Aussicht genommenen Bestimmungsland zulässig ist, durfte der Bf auch zur Sicherung der Zurückschiebung in Schubhaft angehalten werden. Es bedarf beim gegebenen Sachverhalt keiner näheren Begründung für die Annahme, daß sich der Bf ohne Schubhaft voraussichtlich dem fremdenpolizeilichen Zugriff entzogen hätte.

Zum weiteren Vorbringen des Bf, wonach Ungarn wegen des Vorbehalts zur Genfer Flüchtlingskonvention kein sicherer Drittstaat sei, ist anzumerken, daß von Ungarn immerhin erwartet werden kann, keine Abschiebungen entgegen Art3 MRK vorzunehmen. Im übrigen ist der Bf darauf zu verweisen, daß im Schubhaftprüfungsverfahren gemäß §51 Abs1 iVm §43 Abs1 FrG die Frage, in welchen Staat der Bf abgeschoben werden wird und damit das Refoulementverbot grundsätzlich nicht zu prüfen ist (so schon zum Beschwerdeverfahren gemäß §5a FrPG VwGH 4.9.1992, 92/18/0116). Die Prüfung dieser Fragen hat vielmehr im fremdenrechtlichen Verfahren stattzufinden. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der gemäß Art3 iVm. Art13 EMRK

verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte sowie der

verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf persönliche Freiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Der UVS als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher der bekämpfte Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des FrG lauten:

"Zurückschiebung

§35. (1) Fremde können von der Behörde zur Rückkehr ins Ausland verhalten werden (Zurückschiebung), wenn sie

  1. 1. unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen sieben Tagen betreten werden;
  2. 2. innerhalb von sieben Tagen nach Einreise in das Bundesgebiet von der Republik Österreich auf Grund eines Schubabkommens (§4 Abs4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mußten.

(2) Die Zurückschiebung kann im Reisedokument des Fremden ersichtlich gemacht werden.

...

Verbot der Abschiebung, Zurückschiebung und

Zurückweisung

§37. (1) Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

(2) Die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art33 Z1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

(3) Ein Fremder der sich auf eine der in Abs1 oder 2 genannten Gefahren beruft, darf erst zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden, nachdem er Gelegenheit hatte, entgegenstehende Gründe darzulegen. In Zweifelsfällen ist die Behörde vor der Zurückweisung vom Sachverhalt in Kenntnis zu setzen.

(4) ...

(5) ...

(6) ...

...

Feststellung der Unzulässigkeit

der Abschiebung in einen bestimmten Staat

§54. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß §37 Abs1 oder 2 bedroht ist.

(2) Der Antrag kann nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

(3) Über Berufungen gegen Bescheide, mit denen die Zulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat festgestellt wurde, ist binnen Wochenfrist zu entscheiden, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(4) Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag darf der Fremde in diesen Staat nicht abgeschoben werden. Nach Abschiebung des Fremden in einen anderen Staat ist das Feststellungsverfahren als gegenstandslos einzustellen."

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen diese Bestimmungen bisher keine verfassungsrechtlichen Bedenken (s. zu §35 FrG VfGH 16.6.1994, B1117/93, B1119/93, und zu §37 bzw. §54 FrG VfGH 4.10.1993, B364/93, 16.6.1994, B1117/93, B1119/93, 16.6.1994, B1774/93, 18.6.1994, B1912/93, 2.7.1994, B2233/93); solche sind auch aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde nicht entstanden.

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt, weil die belangte Behörde das Vorliegen eines Refoulement-Verbotes iSd. §37 FrG nicht geprüft habe.

2.2. Dieser Beschwerdevorwurf ist nicht begründet:

2.2.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987).

2.2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat zwar in seinem Erkenntnis vom 16.6.1994, B1774/93, unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung ausgeführt, daß angesichts des in §54 FrG vorgesehenen gesonderten Verfahrens auf Grundlage des FrG die Überprüfung der Unzulässigkeit der Abschiebung in ein bestimmtes Land jedenfalls für den Fall der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht mehr im Rahmen der Prüfung einer Schubhaftbeschwerde durch den UVS zu erfolgen hat.

Ferner hat der Verfassungsgerichtshof in seinem weiteren Erkenntnis vom 16.6.1994, B1117/93, B1119/93, näher dargelegt und begründet, daß die Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung und somit auch ein Verstoß gegen die in §37 FrG normierten Zurückschiebungsverbote im Rahmen einer Beschwerde gegen die Zurückschiebung als Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG geltend gemacht werden kann.

Im vorliegenden Fall wurde jedoch zur Sicherung der Zurückschiebung die Schubhaft verhängt und vollzogen, und es wurde eine Schubhaftbeschwerde eingebracht, in welcher die Unzulässigkeit der Zurückschiebung im Hinblick auf die Garantien des Art3 EMRK iVm. §37 Abs1 FrG behauptet und näher dargetan wurde. Auch bestand, da ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nicht eingeleitet worden ist, für diesen keine Möglichkeit, gemäß §54 FrG einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat zu stellen. Der Verfassungsgerichtshof ist deshalb der Auffassung, daß hier alle jene Überlegungen sinngemäß gelten, die er schon in seinem Erkenntnis vom 19.6.1993, B1084/92, angestellt hat (vgl. auch VfGH 4.10.1993, B364/93, u.a.).

Das bedeutet, daß die Behörde im Administrativverfahren jedenfalls der Frage nachzugehen hat(te), ob einer Zurückschiebung das Refoulement-Verbot des §37 Abs1 FrG entgegenstand. Da, wie im folgenden dargetan (s. unten Pkt. II.4.5.), eine Zurückschiebung nur in jenes Land zulässig ist, aus welchem der Fremde eingereist ist, ist der UVS daher gehalten, sich mit dem Einwand des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, daß eine Zurückschiebung in dieses Land nicht zulässig sei.

Wie sich aus dem auch dem UVS vorgelegenen Administrativakt ergibt, hatte der Beschwerdeführer sowohl im Asylverfahren als auch im fremdenpolizeilichen Verfahren behauptet, im Libanon politisch verfolgt zu werden. In seiner Schubhaftbeschwerde an den UVS ergänzte er dieses Vorbringen dahingehend, daß er auch bei einer Zurückschiebung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd. §37 Abs1 FrG ausgesetzt wäre, weil er mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, diesfalls in seinen Heimatstaat Libanon abgeschoben zu werden (s. oben Pkt. I.1.).

Da im vorliegenden Fall nur eine Zurückschiebung nach Ungarn (in jenes Land, aus welchem der Beschwerdeführer nach Österreich einreiste) zulässig war (vgl. dazu im folgenden Pkt. II.4.5.), war der UVS nicht gehalten, auf die behauptete Unzulässigkeit der Zurückschiebung in den Libanon einzugehen. Hingegen ging der UVS im angefochtenen Bescheid auf die Zulässigkeit der Zurückschiebung des Beschwerdeführers nach Ungarn unter dem maßgeblichen Aspekt des §37 Abs1 FrG ein und entzog sich also insoweit nicht einem Abspruch über die Rechtmäßigkeit der Schubhaft.

Der Beschwerdeführer wurde deshalb durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG verletzt.

Bei diesem Ergebnis war auf die Frage nicht einzugehen, ob in bezug auf den Libanon ein Zurückschiebungshindernis iSd. §37 Abs1 FrG iVm. Art3 EMRK vorliegt, bzw. darauf, ob die Gefahr der Verfolgung durch eine Untergrundorganisation als solches Zurückschiebungshindernis zu werten ist.

3. Die Entscheidung des UVS aber, daß die Zurückschiebung nach Ungarn aus der Sicht des §37 Abs1 FrG zulässig ist, verletzt den Beschwerdeführer nicht in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden:

Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich in seinem Erkenntnis vom 4.10.1994, B986/94 u.a. Zlen, ausgesprochen hat, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beachten, daß Ungarn am 6. November 1990 die EMRK unterzeichnet und am 5. November 1992 ratifiziert hat. Weiters wurden Erklärungen gemäß Art25 und 46 EMRK abgegeben und somit das Recht auf eine Individualbeschwerde an die Europäische Kommission für Menschenrechte und die obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte anerkannt (s. die Kundmachung BGBl. 527/1994, vgl. weiters EuGRZ 1992, 219, sowie EuGRZ 1994, 350 f.). Damit ist aber zunächst davon auszugehen, daß von Ungarn die EMRK, insbesondere auch deren Art3 beachtet wird, zumal behauptete Verletzungen der EMRK durch Organe dieses Staates mit Beschwerde in Straßburg bekämpft werden könnten.

Dem UVS kann ferner aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er zur Auffassung gelangte, daß der Beschwerdeführer stichhaltige Gründe für die Annahme, daß er in Ungarn konkret Gefahr liefe, einer durch Art3 EMRK verpönten Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, nicht glaubhaft machen konnte. Ungeachtet dessen, daß das Vorliegen solcher konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen ist, ist für diese Beurteilung der Umstand nicht unmaßgeblich, daß bislang gehäufte Verstöße der umschriebenen Art gegen Art3 EMRK (vgl. Art3 Abs2 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBl. 492/1987, wonach bei der Feststellung, ob stichhaltige Gründe für die Annahme drohender Folter vorliegen, auch der Umstand zu berücksichtigen ist, daß im betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht) durch Ungarn nicht bekannt geworden sind. Es war deshalb auch aus diesem Blickwinkel dem Beschwerdevorbringen nicht beizutreten.

Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie im vorliegenden Fall davon ausging, daß der Beschwerdeführer in Ungarn nicht iSd. §37 Abs1 FrG bedroht sei.

4.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid weiters im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt, weil die Verhängung der Schubhaft über den Beschwerdeführer zum Zwecke seiner Zurückschiebung in sein Heimatland Libanon - und nicht nach Ungarn, woher die Einreise erfolgt sei - unzulässig gewesen sei. Zudem habe der UVS nicht binnen Wochenfrist entschieden.

4.2. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde - wie hier des UVS - , mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im folgenden: BVG persFr.), und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfGH 7.3.1994, B115/93).

4.3. Daß der angefochtene Bescheid nicht in Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes ergangen ist, wurde bereits dargelegt (s. oben Pkt. II.1.2.).

4.4. Der Beschwerdevorwurf, der belangte UVS hätte spätestens innerhalb einer Woche über die eingebrachte Schubhaftbeschwerde entscheiden müssen, diese Frist jedoch nicht eingehalten, ist nicht begründet:

Im vorliegenden Fall ist die gemäß §51 FrG erhobene Schubhaftbeschwerde am 3. Juni 1993 beim UVS eingelangt; an diesem Tag befand sich der Beschwerdeführer in Schubhaft. Gemäß Art6 Abs1, letzter Satz, BVG persFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG hat die Entscheidung (des UVS) binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet. Diese Wochenfrist endete im vorliegenden Fall gemäß §33 Abs2 AVG am 11. Juni 1993, weil der 10. Juni 1993 ein gesetzlicher Feiertag (Fronleichnam) war. Am 11. Juni 1993 jedoch wurde der Beschwerdeführer in den Libanon "zurückgeschoben". Der Verfassungsgerichtshof vermag keinen Verstoß gegen die genannte Verfassungsbestimmung bzw. keine denkunmögliche Anwendung des FrG darin zu erblicken, daß der UVS annahm, unter diesen Voraussetzungen habe die Anhaltung des Beschwerdeführers "vorher" iSd. Art6 Abs1, letzter Satz, BVG persFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG geendet.

4.5. Die belangte Behörde hat aber in der Beurteilung der Zurückschiebungsmöglichkeiten einen so schweren Fehler begangen, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist:

4.5.1. Die Möglichkeit der Zurückschiebung, wie sie nunmehr in §35 FrG verankert ist, war bereits in der Stammfassung des §10 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. 75/1954 (im folgenden: FrPolG), vorgesehen. Diese Bestimmung lautete:

"§10. Fremde, die die Bundesgrenze unbefugt überschritten haben, können formlos über die Bundesgrenze zurückgeschoben werden, wenn sie unmittelbar nach dem Grenzübertritt im Grenzgebiet angetroffen werden."

Die Wendung "über die Bundesgrenze zurückgeschoben" legt die Auffassung nahe, daß die Zurückschiebung eines Fremden nach §10 FrPolG in der Stammfassung nur in jenes Land, von dem aus er die Grenze überschritten hatte, erfolgen konnte (s. auch die Erläuternden Bemerkungen 186 BlgNR 7. GP, 6, sowie den Bericht des Ausschusses für Verfassung und für Verwaltungsreform 238 BlgNR 7. GP, 2). Dem entsprechend wurde die Auffassung vertreten, daß der Fremde nach illegalem Grenzübertritt am nächsten besetzten Grenzübergang wieder in das Land, "aus dem er gekommen ist", zurückgeschoben werden mußte (in diesem Sinne auch Hermann - Hackauf - Sellner, Paß-, Fremdenpolizei- und Asylrecht,

3. Aufl. (1986) 84 (Anm. 1 zu §10)).

4.5.2. Mit der FrPolG-Novelle BGBl. 190/1990 erhielt §10 FrPolG folgende Fassung:

"Zurückschiebung

§10. (1) Fremde können ohne Verzug zurückgeschoben werden, wenn sie

  1. 1. unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen sieben Tagen betreten werden;
  2. 2. innerhalb von sieben Tagen nach Einreise in das Bundesgebiet von der Republik Österreich auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarung oder internationaler Gepflogenheit rückgenommen werden mußten.

(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Fremde binnen sieben Tagen nach der Einreise festzunehmen, wenn sie unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind oder gemäß Abs1 Z2 rückgenommen werden mußten. Der Festgenommene ist innerhalb von 12 Stunden der Behörde zu übergeben. Die Zurückschiebung über die Bundesgrenze hat unverzüglich zu erfolgen; eine Anhaltung des Fremden aus diesem Grunde für mehr als 48 Stunden ist unzulässig."

Den Erläuterungen zu dem dieser Novelle zugrundeliegenden Initiativantrag (322/A, II-9754 BlgNR 17. GP, im wesentlichen wiedergegeben im Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten, 1213 BlgNR 17. GP) ist zu entnehmen, daß die Novelle eine "Erweiterung der Möglichkeiten, illegal die Grenze überschreitende Fremde zurückzuschieben", zum Ziel hatte (1213 BlgNR 17. GP, 1). Zu §10 FrPolG wird ausgeführt (Seite 4):

"Nach geltendem Recht ist eine Zurückschiebung eines Fremden nur dann zulässig, wenn er unmittelbar nach dem (illegalen) Grenzübertritt im Grenzgebiet angetroffen wird. Dies bedeutet selbst bei extensiver Interpretation der Begriffe 'unmittelbar' und 'Grenzgebiet', daß nach Ablauf von etwa zwei bis drei Stunden nach dem Grenzübertritt und/oder nach Zurücklegung einer Entfernung von etwa 50 km von der Grenze das Instrument der Zurückschiebung nicht mehr zur Verfügung steht. Illegale Grenzgänger, die später und/oder in größerer Entfernung von der Bundesgrenze angetroffen werden, was insbesondere bei Geschleppten regelmäßig der Fall sein wird, können nur mehr unter den Voraussetzungen des Aufenthaltsverbotes zum Verlassen des Bundesgebietes verhalten werden. Damit ergibt sich aber im Verhältnis zur Sichtvermerksversagung und zu den ihr angeglichenen Gründen für die Zurückweisung ein Wertungswiderspruch. Dieser soll durch Ausweitung der Möglichkeit zur Zurückschiebung beseitigt werden.

Der Entwurf geht von einem Zeitraum von sieben Tagen aus, der für die Zulässigkeit der Zurückschiebung entscheidend sein soll. Wird ein Fremder binnen sieben Tagen nach illegalem Grenzübertritt im Bundesgebiet betreten oder muß er innerhalb von sieben Tagen nach der - wenn auch legalen - Einreise nach Österreich von einem Nachbarstaat zurückgenommen werden (Schubabkommen), soll es zulässig sein, diesen Fremden zurückzuschieben. Hiezu bedarf es allerdings des Vorliegens zweier Voraussetzungen: einerseits muß es zulässig sein, den Fremden im Bundesgebiet festzunehmen, andererseits muß eine Rücknahmeverpflichtung eines Nachbarstaates bestehen. Die Befugnis zur Festnahme wird in Abs2 vorgesehen. Demnach sollen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ... befugt sein, Fremde, die entweder illegal eingereist sind oder rückübernommen werden mußten, innerhalb des Zeitraumes von sieben Tagen nach der Einreise in das Bundesgebiet festzunehmen. Diese Fremden sind binnen 12 Stunden der Fremdenpolizeibehörde zu übergeben, die die Zurückschiebung zu veranlassen hat. Für die Durchführung der Zurückschiebung stehen ab dem Zeitpunkt der Festnahme insgesamt 48 Stunden zu Verfügung. Länger darf ein Fremder zum Zwecke der Zurückschiebung nicht angehalten werden. Kann diese Frist nicht eingehalten werden, so muß der Fremde aus der Haft entlassen oder es muß die Schubhaft verhängt und ein Ausweisungsverfahren (siehe §10a) eingeleitet werden.

Die Rückübernahmeverpflichtung der Nachbarstaaten ist durch entsprechende Abkommen sichergestellt oder wird noch sicherzustellen sein.

Die Haft ist sowohl mit Art5 Abs1 litf MRK als auch mit Art2 Abs1 Z7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, vereinbar, da in beiden Verfassungsnormen der Begriff 'Ausweisung' für die fremdenrechtliche Außerlandesschaffung steht; eine solche liegt auch bei der Zurückschiebung vor. Auch die Konstruktion als Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ist verfassungsrechtlich zulässig, da - wie bereits ausgeführt - die durch das 7. Zusatzprotokoll (ArtI Z1) gewährten Rechte nur im Falle des rechtmäßigen Aufenthaltes zustehen; Voraussetzung für die Zulässigkeit der Zurückschiebung ist aber ein rechtswidriger Aufenthalt im Bundesgebiet."

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist somit nicht nur dem Wortlaut des §10 FrPolG idF des Bundesgesetzes BGBl. 190/1990 (arg. "Zurückschiebung über die Bundesgrenze" in Abs2), sondern insbesondere auch den Materialien zu dieser Novelle (arg. "Rücknahmeverpflichtung eines Nachbarstaates") zu entnehmen, daß lediglich die (insbesondere zeitlichen) Voraussetzungen für eine Zurückschiebung, nicht aber der Kreis der Zielstaaten erweitert werden sollten (vgl. Manfred Nowak, Verschärfung des österreichischen Fremdenrechts, in: Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat, 17. Tagung der ÖJK vom 24. bis 27. Mai 1990 in Weißenbach am Attersee (1991) 175 ff. (185 f.); vgl. auch VfSlg. 13044/1992).

Gemäß §10 FrPolG war sohin eine Zurückschiebung eines Fremden nur in den Staat zulässig, aus dem er unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist war.

4.5.3. Im FrG ist die Zurückschiebung in §35 geregelt (s. zum Wortlaut dieser Bestimmung oben Pkt. II.1.1.). In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (692 BlgNR 18. GP, 47) wird zu §35 ausgeführt, daß diese Bestimmung "vollinhaltlich" dem §10 Abs1 FrPolG entspreche. Im Einleitungssatz sei lediglich eine Umschreibung der Zurückschiebung - analog zur Definition der übrigen Maßnahmen - vorgenommen und deutlich gemacht worden, daß es sich um eine Maßnahme handle, die behördlicher Anordnung bedürfe.

Daraus leitet der Verfassungsgerichtshof ab, daß auch nach dem FrG eine Zurückschiebung eines Fremden nur in den Staat zulässig ist, aus dem er unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist ist (vgl. auch Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Fremdenpolizeirecht (1993) 21, 24, 30 f.).

4.5.4. Die von der belangten Behörde dagegen ins Treffen geführten Argumente überzeugen nicht:

Nach Auffassung der belangten Behörde könne dem Gesetz nicht entnommen werden, daß zwischen Zurückschiebung und Abschiebung im Hinblick auf die in Frage kommenden Staaten zu unterscheiden wäre. Der Verfassungsgerichtshof ist indes der Auffassung, daß bereits der Wortlaut des §35 Abs1 ("Fremde können von der Behörde zur Rückkehr ins Ausland verhalten werden (Zurückschiebung), wenn ...") nahelegt, daß für eine "Rückkehr" ins Ausland nur derjenige Staat in Frage kommt, aus welchem die Einreise erfolgte. Im Gegensatz dazu ist die Abschiebung in §36 Abs1 FrG dahingehend geregelt, daß Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar ist, von der Behörde ganz allgemein "zur Ausreise verhalten" werden können. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde liegt daher zwischen §35 und §36 FrG sehr wohl ein "relevanter Unterschied" im Hinblick auf die in Frage kommenden Zielstaaten. Inwieweit aber Zurückschiebung und Abschiebung in anderer Hinsicht tatsächlich Gemeinsamkeiten aufweisen, kann für die hier maßgebliche Frage außer Betracht bleiben.

Die Argumentation der belangten Behörde, daß Österreich nicht etwa nur mit angrenzenden Nachbarstaaten Schubabkommen abgeschlossen habe, sondern auch mit Staaten wie Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Polen, geht schon deshalb ins Leere, weil diese Schubabkommen nicht zwischen Zurückschiebung und Abschiebung iSd. FrG unterscheiden.

Es trifft zu, daß gemäß §41 FrG die Schubhaft - im Gegensatz zum FrPolG - nunmehr auch zur Sicherung der Zurückschiebung verhängt werden kann. Bestünde diese Möglichkeit nicht, wäre die Anhaltung eines Fremden gemäß §44 Abs1 FrG - wie nach §10 Abs2 FrPolG - nur für 48 Stunden zulässig. Für die Frage, in welchen Staat der Fremde zurückgeschoben werden kann, ist dies deshalb unerheblich, weil auch eine Zurückschiebung in den Staat, aus dem der Fremde eingereist ist, in vielen Fällen nicht binnen 48 Stunden durchführbar sein wird - der Fremde müßte dann nach 48 Stunden freigelassen werden. Aus der Möglichkeit, in diesen Fällen die Schubhaft zu verhängen, kann daher nicht geschlossen werden, daß eine Zurückschiebung auch in andere Staaten zulässig ist.

Wenn schließlich nach Auffassung der belangten Behörde eine rechtliche Beschränkung der Zurückschiebung auf den Staat, aus dem der Fremde unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist ist, "von vornherein nicht sinnvoll" erscheint, weil dadurch die Durchführbarkeit der Zurückschiebung stark eingeschränkt werde, wird damit lediglich die Frage der Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung aufgeworfen.

4.5.5. Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer aus Ungarn eingereist. Eine Zurückschiebung war daher ausschließlich nach Ungarn zulässig. Dennoch hatte die Fremdenpolizeibehörde in Aussicht genommen, ihn in den Libanon "zurückzuschieben": Wie sich aus dem auch dem UVS vorgelegenen Administrativakt ergibt, hat die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis bereits am 17. Mai 1993 die Libanesische Botschaft in Wien um Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer ersucht, welches am 25. Mai 1993 übersendet wurde. Spätestens ab dem 17. Mai 1993 diente die Schubhaft daher einer unzulässigen Zurückschiebung.

4.6. Indem die belangte Behörde dies verkannte und die Beschwerde gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung insgesamt als unbegründet abwies, hat sie das Gesetz (§§35 und 41 iVm. §§51 f. FrG) denkunmöglich angewendet und den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.

5. Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Der Kostenausspruch stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte