European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00082.21F.0902.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Ein Kündigungsgrund liegt ua dann vor, wenn der Vertragsbedienstete seine Dienstpflicht gröblich verletzt, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt (§ 32 Abs 2 Z 1 VBG) oder er ein Verhalten setzt oder gesetzt hat, das nicht geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben aufrechtzuerhalten, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt (§ 32 Abs 2 Z 6 VBG).
[2] Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs‑ oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298 [T7, T14]). Dies gilt auch für die Frage, ob sich ein Vertragsbediensteter durch ein konkretes Verhalten einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflicht schuldig macht, durch die er das Vertrauen für den Dienst einbüßt (RS0105940 [T8]). Der Kläger zeigt in seiner außerordentlichen Revision keine korrekturbedürftige Überschreitung des dem Berufungsgericht bei dieser rechtlichen Beurteilung zukommenden Beurteilungsspielraums iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, das die Berechtigung der Kündigung bejaht hat.
[3] 1. Auch die in der außerordentlichen Revision bemühte Berücksichtigung des Umfelds, des Milieus und der Arbeitsbedingungen, unter denen der Kläger als Lehrer an einer Berufsschule ausschließlich weibliche Schüler unterrichtet hat, die aufgrund ihrer schweren Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt eine überbetriebliche Ausbildung erhalten haben, lässt keine andere Beurteilung seines Verhaltens zu. Gerade im schulischen Bereich, dem für die geistige und emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ein großer Stellenwert zukommt, ist besondere Sensibilität zu fordern. Lehrkräfte üben im Hinblick auf die Aufgabenstellung der Schule eine Vorbildfunktion aus. An sie sind daher erhöhte Anforderungen zu stellen (8 ObA 39/13p [Pkt 4.2]; 9 ObA 106/14z). Die im einzelnen festgestellten Verhaltensweisen des Klägers lassen nicht nur den erforderlichen Respekt gegenüber den Schülerinnen vermissen, sondern lassen auch nicht erkennen, welchen pädagogischen Zweck der Kläger damit verfolgte. Zudem wurde nicht festgestellt, dass die Verhaltensweisen des Klägers dem „besonders schwierigen“ Verhalten der Schüler bzw „ihrer Persönlichkeitsstruktur“ geschuldet waren. Von einem Lehrer muss auch dann ein respektvoller Umgang und korrekter Umgangston erwartet werden können, wenn einzelne Schülerinnen nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen oder gar durch provokantes Auftreten herausstechen. Vom Kläger konnte erwartet werden, auch in diesem Umfeld und in solchen Situationen die nötige Sensibilität an den Tag zu legen, sich der Situation angemessen zu verhalten und den Schülerinnen ein entsprechendes Vorbild abzugeben, nicht aber mit persönlichen und die Schülerinnen entwürdigenden Bemerkungen zu reagieren. Weshalb in Bezug auf das korrekte Verhalten eines Lehrers in einer „konfessionellen Privatschule“ andere Grundsätze gelten sollten als in einer Berufsschule, ist nicht erkennbar.
[4] 2. Nach der Rechtsprechung kann bei der Beurteilung, ob ein Verhalten des Vertragsbediensteten einen Kündigungsgrund erfüllt, im Rahmen der dafür erforderlichen Gesamtbetrachtung auch auf Verfehlungen des Vertragsbediensteten zurückgegriffen werden, auf die die Kündigung nicht gestützt wurde oder etwa infolge Verzichts auf die Ausübung des Kündigungsrechts zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr gestützt werden kann (vgl RS0081891; RS0110657 [T1]). Dass nur ein Verhalten in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen ist, wenn es zuvor dazu eine Ermahnung gab, lässt sich auch aus der Entscheidung 8 ObA 19/13x nicht ableiten. Abgesehen davon hat die Schuldirektorin den Vorfall Ende 2018, auf den die außerordentliche Revision abstellt, keineswegs gebilligt, sondern dem Kläger eine Änderung seines Verhaltens unter Verweis auf eine pädagogisch sinnvolle Maßnahme nahegelegt.
[5] 3. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das in seiner Gesamtheit zu betrachtende, herabwürdigende Verhalten des Klägers gegenüber seinen Schülerinnen gehe aufgrund des hohen Stellenwerts der Entwicklung der schutzbedürftigen Schülerinnen über bloß geringfügige Ordnungswidrigkeiten hinaus, sodass eine gröbliche Verletzung der Dienstpflichten iSd § 32 Abs 2 Z 1 VBG zu bejahen ist (vgl RS0105940 [T2]), bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
[6] 4. Richtig ist, dass eine Kündigung nach dem VBG vom Arbeitgeber unverzüglich auszusprechen ist, nachdem ihm der Kündigungsgrund bekannt geworden ist (RS0028543), widrigenfalls er das Kündigungsrecht verliert (RS0029273). Nach ständiger Rechtsprechung ist aber die Rechtzeitigkeit einer Entlassung nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwand des Arbeitnehmers zu prüfen (9 ObA 17/15p; RS0029249 [T6]). Die bloße Anführung der Daten der Begehung des Entlassungsgrundes und des Ausspruchs der Entlassung genügen hierfür nicht (RS0029249 [T11]). Der Kläger hat in erster Instanz allgemein lediglich vorgebracht, dass die Kündigungsgründe verspätet genannt worden seien, und präzisiert, dass der Vorfall Ende 2018 wegen Verletzung des Unverzüglichkeitsgrundsatzes keine Berücksichtigung finden dürfe. Mit dem von ihm erstmals in der außerordentlichen Revision erhobenen Einwand der Verspätung des Kündigungsausspruchs vom 26. 7. 2019 wegen der der Beklagten bereits am 19. 6. 2019 bekannt gewordenen Vorwürfe verstößt er gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO.
[7] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
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