OGH 9ObA81/19f

OGH9ObA81/19f23.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl und Herbert Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** P*****, vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 28.960 EUR brutto abzüglich 509 EUR netto sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 2019, GZ 7 Ra 93/18z‑41, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00081.19F.0723.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. § 3 Abs 1 AVRAG ordnete an, dass dann, wenn ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber übergeht, dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt.

Für das Vorliegen eines Übergangs im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG ist die Wahrung der Identität der Einheit entscheidend (RS0110832 [T11]). Die „wirtschaftliche Einheit“ ist dabei nicht mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff ident (sie umfasst ja auch „Unternehmen“ und „Betriebsteile“), sondern orientiert sich an der organisatorischen Zusammenfassung von Betriebsmitteln zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit (9 ObA 17/18t). Für die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs nach § 3 AVRAG kommt es überdies nicht auf das Vorliegen eines Rechtsgeschäfts an, sondern es ist der faktische Übertragungsvorgang entscheidend (RS0110832 [T20]).

Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen (RS0082749 [T23]). Dabei ist im Sinn eines beweglichen Systems eine Gesamtbewertung der einzelnen Umstände vorzunehmen, zumal der Betriebsübergang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen ist. Derartige Umstände sind beispielsweise die Übernahme der materiellen und immateriellen Betriebsmittel und des Großteils der Belegschaft, die allfällige Ähnlichkeit der vor und nach der Übernahme verrichteten Tätigkeit, der Übergang der Kundschaft und die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit (RS0082749 [T3]).

Ob letztlich ein Betriebsübergang iSd § 3 Abs 1 AVRAG vorliegt, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (RS0124074).

Die übereinstimmende Beurteilung der Vorinstanzen, die einen Betriebsübergang zwischen der früheren Arbeitgeberin (bzw deren Rechtsnachfolger) der Klägerin auf die Beklagte bejaht haben, bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zum Betriebsübergang nach § 3 Abs 1 AVRAG.

Da sowohl in den Wettlokalen der vormaligen Arbeitgeberin der Klägerin als auch nunmehr in jenen der Beklagten von Kunden Wetten abgegeben werden konnten bzw können, steht der Beurteilung der starken Ähnlichkeit dieser Unternehmenstätigkeiten vor und nach dem Betriebsübergang durch die Vorinstanzen die bloß formal unterschiedliche Gewerbeausübung (Vermittlung von Wettabschlüssen bzw Wettkundenvermittlungstätigkeit) nicht entgegen. Entscheidend ist im konkreten Fall vielmehr, dass die Beklagte die bisherige Geschäftstätigkeit der vormaligen Arbeitgeberin der Klägerin in den übernommenen Wettlokalen im Wesentlichen beibehalten hat und sich diese (Anbieten von Wetten) durch die teilweise Übernahme der Standorte im Wesentlichen an den gleichen Kundenkreis richtet (vgl Gahleitner in ZellKomm³ § 3 AVRAG Rz 13). Die Kunden früherer „Wett-Punkt-Lokale“ suchen jetzt die Wettlokale der Beklagten auf. Soweit die Beklagte diese vom Erstgericht getroffene und in der Berufung unbekämpft gebliebene Feststellung in ihrer außerordentlichen Revision als bloße Vermutung des Erstgerichts abtut, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0042903 [T5]). Dass keine Kundendaten übertragen wurden, schadet nicht, weil auch die Übernahme der Laufkundschaft ein wesentliches Indiz für einen Betriebsübergang ist (Gahleitner in ZellKomm³ § 3 AVRAG Rz 14).

Auch der Einwand der Beklagten, sie habe mit den Vermietern neue Mietverträge hinsichtlich der von ihr geführten Wettlokale abgeschlossen, steht der maßgeblichen faktischen Übernahme der Standorte nicht entgegen. Überdies umfasste der „Kaufvertrag“ über 26 „Wett-Punkt-Lokale“ explizit nicht nur die Wirtschaftsgüter, sondern auch die Rechtsverhältnisse, die zum Betrieb dieser Standorte gehören. Dass die Beklagte diese „Wett-Punkt-Lokale“ nicht direkt von der ehemaligen Betreiberin bzw Eigentümerin, sondern von einem anderen dazwischen geschalteten Unternehmen erwarb, ändert an der faktischen Betriebsübernahme ebenfalls nichts, darf doch die rechtliche Konstruktion, die dem Betriebsinhaberwechsel zugrunde liegt, nicht zur Umgehung der Zwecke des AVRAG führen (RS0082749 [T13]). Die bloß vorübergehende Betriebsunterbrechung durch Renovierungs- und Umbaumaßnahmen steht einem Betriebsübergang ebenfalls nicht entgegen (RS0082749 [T5, T17]).

Die Beklagte hat nach den Feststellungen – wenn auch unter Abschluss neuer Arbeitsverträge, so doch zumindest faktisch – mehrere Mitarbeiter ehemaliger „Wett-Punkt-Lokale“ übernommen. Auch aus der Karenzierung der Klägerin lässt sich für die Beklagte nichts gewinnen, weil das Arbeitsverhältnis während dieser Zeit fortbestand. Die Klägerin wurde von der Beklagten schließlich auch überwiegend in Wettlokalen eingesetzt, die die Beklagte erworben und fortgeführt hat.

2. Das Erstgericht ist vom Vorliegen einer Vereinbarung gemäß § 15h Abs 1 MSchG idF BGBl 2004/64 (§ 40 Abs 26 MSchG) iVm § 15p MSchG ausgegangen. Bei der Neufestlegung der Arbeitszeit sei die Beklagte auf die Bedürfnisse der Klägerin, die vor Arbeitsbeginn unter Hinweis auf die Geburt ihres zweiten Kindes zunächst Elternteilzeit in Anspruch nehmen habe wollen, sich zuletzt aber entschlossen habe, Vollzeit zu arbeiten, eingegangen. Die vom Erstgericht darauf gegründete Klagsstattgabe hat die Beklagte in ihrer Berufung nicht aufgegriffen. Die Beklagte hat in der Berufung lediglich damit argumentiert, dass sich die Klägerin nicht auf den Kündigungsschutz des § 15n Abs 1 MSchG stützen könne, weil es angesichts der Mitteilung der Klägerin, letztlich doch eine Vollzeitbeschäftigung annehmen zu wollen, an der iSd § 15n Abs 1 MSchG erforderlichen Bekanntgabe gefehlt habe. Ein Eingehen auf die erstmals in der außerordentlichen Revision aufgegriffenen und als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Fragen zur– fehlenden – Vereinbarung abweichender Dienstzeiten aus Betreuungsgründen ist dem Obersten Gerichtshof daher verwehrt (7 Ob 97/18t Pkt 2.; RS0043480 [T22]).

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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