OGH 9ObA69/20t

OGH9ObA69/20t29.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** L*****, gegen die beklagte Partei Fonds K*****, vertreten durch Dr. Peter Döller, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. April 2020, GZ 10 Ra 14/20g‑10, womit das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 16. Oktober 2019, GZ 17 Cga 69/19v‑5 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00069.20T.0929.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist beim Beklagten seit dem Jahr 2002 beschäftigt. Vom 8. 9. 2003 bis zum 7. 9. 2004 absolvierte sie im Einvernehmen mit dem Beklagten eine im Interesse beider liegende Ausbildung zur diplomierten Gesundheits‑ und Krankenpflegerin mit einer Gesamtstundenanzahl von 430 Stunden. Die Klägerin wurde während ihrer Ausbildung unter Fortzahlung des Entgelts durch den Beklagten vom Dienst freigestellt. Zuvor hatten die Parteien im August 2003 eine Ausbildungsvereinbarung abgeschlossen. Darin verpflichtete sich der Beklagte zur Tragung der Ausbildungskosten und grundsätzlich dazu, die Klägerin zum Zweck der Ausbildung vom Dienst freizustellen, wobei aber auch vereinbart war, dass die Klägerin zur Ausbildung 270 Stunden in der Form beiträgt, „dass in den Jahren 2003 bis 2007 dafür je 54 Stunden Urlaub mit Beginn des Urlaubsjahres abgebucht werden“.

Vom Urlaubsanspruch der Klägerin wurden in den Jahren 2003 bis 2007 je 54 Stunden abgezogen. Aufgrund der Abbuchung der 54 Stunden mit Beginn jedes Urlaubsjahres schienen die gegenständlichen Stunden nicht auf dem Urlaubskonto auf.

DasErstgericht gab der inhaltlich auf Feststellung eines offenen Urlaubsanspruchs von 270 Stunden gerichteten Klage statt. Der vereinbarte Beitrag der Klägerin zur Ausbildung verstoße gegen § 12 UrlG. Es werde der Zweck des Urlaubs – die individuelle Erholung – unterlaufen, um die Kosten der Ausbildung für den Beklagten zu reduzieren. Zudem sei in der Ausbildungsvereinbarung keine zulässige Urlaubsvereinbarung zu erblicken, weil sie lediglich die jährliche Urlaubsdauer von 54 Stunden, nicht aber deren zeitliche Lagerung bestimme. Der Verjährungseinwand gehe fehl, weil ein angetretener Urlaub stets auf den ältesten nicht verbrauchten und noch nicht verjährten Urlaubsrest anzurechnen sei, sodass eine Verjährung erst dann eintreten könne, wenn mindestens drei Jahre lang überhaupt kein Urlaub verbraucht wurde. Die Klägerin habe aber jährlich weit mehr als 54 Stunden Urlaub konsumiert.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil (auch) unter Verweis auf die Richtigkeit der erstinstanzlichen Ausführungen und ließ die ordentliche Revision zu „weil eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität vorliegt“.

In seiner wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils im klagsabweisenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungs‑ und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Eine Revisionsbeantwortung wurde von der Klägerin nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist der Oberste Gerichtshof an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Revision ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Ein Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO, ob die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist oder nicht, ist gemäß § 500 Abs 3 letzter Satz ZPO kurz zu begründen. Hier ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision zu, „weil eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität vorliegt“, ohne auszuführen, um welche Rechtsfrage es sich dabei handeln soll. Damit liegt bloß scheinbar eine Begründung vor. Der Umstand, dass das Berufungsgericht entgegen § 500 Abs 3 letzter Satz ZPO die Zulassung der Revision nicht begründet hat, wirft aber keine erhebliche Rechtsfrage auf und macht die Revision nicht aus diesem Grund zulässig (5 Ob 88/09s; 5 Ob 89/09p). Das Fehlen der Begründung ist im Ergebnis folgenlos (Obermaier in Höllwerth/Ziehensack, ZPO‑TaKom § 500 Rz 10).

2. Der Revisionswerber releviert als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, dass sich das Berufungsgericht mit der von ihm in der Berufung erhobenen Verfahrens‑ und Tatsachenrüge inhaltlich nicht auseinandergesetzt habe. Er habe sich mit diesen Berufungsgründen gegen die sich in den erstinstanzlichen Feststellungen findende Aussage „Es gab zu keiner Zeit eine Vereinbarung über den tatsächlichen Verbrauch und den Zeitpunkt des Verbrauchs des gegenständlichen Urlaubs.“ gewandt. Das Berufungsgericht habe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Berufungsgründen abgelehnt, weil es eine unrichtige Rechtsansicht vertreten habe, nämlich dass selbst dann, wenn – wie vom Beklagten vertreten – eine solche Vereinbarung hier tatsächlich angenommen werden sollte, diese wegen Verletzung des UrlG unwirksam wäre.

Wie auch aus der Revision ersichtlich stützt sich der Revisionswerber mit seinem Anliegen, es hätte festgestellt werden müssen, dass zwischen den Streitteilen sehr wohl vereinbart gewesen sei, „dass im Ausbildungszeitraum 8. 9. 2003 bis 7. 9. 2004 während der Dauer der einzelnen Ausbildungsveranstaltungen von der Klägerin Urlaub im Gesamtausmaß von 270 Stunden verbraucht wird“ und „dass der Klägerin entgegenkommend nicht der gesamte, während der Ausbildung konsumierte Urlaub sofort vom Urlaubskonto abgebucht wird, sondern in den Jahren 2003 bis 2007 gestaffelt mit je 54 Stunden ab Beginn jeden Arbeitsjahres“, auf die Ausbildungsvereinbarung vom August 2003. Ob die Ausbildungsvereinbarung auch eine Urlaubsvereinbarung in sich schließt, stellt aber eine Rechtsfrage dar. Die vom Beklagten in der Berufung bekämpfte erstgerichtliche Aussage zu diesem Thema ist eine diesbezügliche (dislozierte) rechtliche Beurteilung und keine Feststellung, gegen die mit Verfahrens‑ oder Tatsachenrüge vorgegangen werden konnte. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wegen Nichterledigung der Verfahrens‑und Tatsachenrüge kann damit schon im Ansatz nicht vorliegen, weshalb aber hieraus auch nicht die Zulässigkeit der Revision abgeleitet werden kann.

3. Als „zentrale rechtliche Frage des gegenständlichen Verfahrens“ betrachtet der Revisionswerber jene, „ob mit der Ausbildungsvereinbarung vom 21. 8. 2003 eine zulässige Vereinbarung über den Verbrauch von Urlaub zu Ausbildungszwecken abgeschlossen worden war“. Eine Vereinbarung über den Verbrauch von Urlaub (§ 4 Abs 1 UrlG) dient der Festlegung der Urlaubszeit. Der Abschluss einer Urlaubsvereinbarung bedarf einer übereinstimmenden Willenserklärung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Beginn und das Ende des Erholungsurlaubs; diese Erklärung kann ausdrücklich aber auch schlüssig erfolgen (RS0077452, RS0077447). Ob im konkreten Einzelfall eine konkludente Urlaubsvereinbarung zustandegekommen ist, ist – außer wenn dem Berufungsgericht eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0043253). Wenn die Vorinstanzen in der Vereinbarung vom August 2003 keine Urlaubsvereinbarung iSd § 4 Abs 1 UrlG erblickten, so ist diese Beurteilung jedenfalls vertretbar, lässt die Vereinbarung doch im Dunkeln, welche Ausbildungsstunden die Klägerin im Rahmen ihres „Urlaubs“ absolvieren sollte.

4. Der Revisionswerber vertritt die Ansicht, mit der Ausbildungsvereinbarung sei lediglich ein Urlaubsvorgriff vorgenommen worden. Dazu vertritt er unter Bezugnahme auf die Entscheidung 9 ObA 32/14t die Ansicht, es sei zulässig, Urlaubsverbrauch auch zu Ausbildungszwecken zu vereinbaren.

Die ins Treffen geführte Entscheidung betraf einen anders gelagerten Sachverhalt. Dort hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Zeit einer Fortbildung einen zusätzlichen Urlaub gewährt. Wenn es wie hier um den regulären gesetzlichen Urlaubsanspruch geht, so muss es dem Arbeitnehmer freistehen, den Urlaub völlig nach Belieben zu verbringen. Urlaub soll dem Arbeitnehmer durch den vorübergehenden Entfall der arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen nämlich in erster Linie einen Freiraum zur Selbstbestimmung geben, damit er sich erholen kann (vgl RS0077253; RS0077260 [T1]; Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 2 UrlG Rz 6; Drs, Urlaubsrecht11 § 1 Rz 8; Mayr/Erler, UrlG3 § 1 Rz 1). Wenn der Arbeitnehmer wie hier geschehen aufgrund einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber gerade nicht mehr frei ist, womit er die Urlaubszeit verbringt, fehlt es an dem dem Urlaub immanenten Freiraum, weshalb eine solche Zeit nicht als Urlaub im Sinn des UrlG gewertet werden kann. Die Klägerin war aufgrund der Ausbildungsvereinbarung schon deshalb nicht mehr frei, die 270 Stunden Urlaub für Tätigkeiten nach freiem Gutdünken zu verwenden, weil sie in der Ausbildungsvereinbarung die Pflicht übernahm, unter bestimmten Umständen dem Beklagten Kostenersatz zu leisten, so bei Nichterreichung des Ausbildungsziels zum vorgesehenen Zeitpunkt bzw bei Fehlen einer Bestätigung, zumindest zu 75 % während der Ausbildungszeit anwesend gewesen zu sein.

5. Nicht verbrauchte Urlaube (Urlaubsreste) können so lange auf weitere Urlaubsjahre übertragen werden, als sie nicht verjährt sind. Diese Übertragung ist an keine besonderen Voraussetzungen gebunden (RS0077513 [T1]). Von dieser ständigen Rechtsprechung gingen die Vorinstanzen zutreffend aus. Ob dieser Anrechnungsgrundsatz im konkreten Fall dazu führt, dass letztlich keine Verjährung eingetreten ist, ist eine Frage des Einzelfalls und begründet daher – von einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Dem Beklagten gelingt in seiner Revision nicht, eine solche Fehlbeurteilung aufzuzeigen.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

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