European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00053.17K.0927.000
Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Das angefochtene Berufungsurteil wird aufgehoben.
Das Urteil des Erstgerichts wird aus Anlass der Revision in seiner Urschrift dahin berichtigt, dass es in seinem Spruchpunkt 1. zu lauten hat:
„Es wird festgestellt, dass die klagende Partei als Mitglied des Betriebsrats nicht zur Arbeit am Dienstort I***** verpflichtet ist.“
Die Durchführung der Berichtigung in der Urschrift und in den Ausfertigungen obliegt dem Erstgericht.
Mit der Zustellung der berichtigten Ausfertigungen des Ersturteils beginnt hinsichtlich seines stattgebenden Teils (Spruchpunkt 1.) die Rechtsmittelfrist neu zu laufen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Klägerin ist seit 1. 6. 1994 bei der Beklagten beschäftigt und seit 24. 10. 2013 stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats. Am 12. 11. 2015 wurde der Betriebsrat über die geplante Versetzung der Klägerin von der Dienststelle ***** an die Dienststelle I***** informiert. Am 23. 11. 2015 trat sie unter Protest den Dienst in I***** an.
Mit der vorliegenden Klage bekämpfte die Klägerin diese Versetzung va unter Berufung auf das Beschränkungs‑ und Benachteiligungsverbot des § 115 Abs 3 S 2 ArbVG und begehrte:
„1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin Frau Mag. a D***** B***** ihren Dienstort in ***** als Leitung/Klinisch- und Gesundheitspsychologin im Therapiezentrum ***** der beklagten Partei hat.
2. Eine Versetzung der Klägerin an den Dienstort I***** beeinträchtigt die Klägerin als Mitglied des Betriebsrates in der Ausübung ihrer Tätigkeit und findet somit nicht statt.“
Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung.
Das Erstgericht fasste nachstehenden Urteilsspruch:
„1. Es wird festgestellt, dass eine Versetzung der Klägerin an den Dienstort I***** die Klägerin als Mitglied des Betriebsrates in der Ausübung ihrer Tätigkeit beeinträchtigt.
2. Das Mehrbegehren, es werde festgestellt, dass die Klägerin ihren Dienstort in ***** als Leitung/Klinisch-Gesundheitspsychologin im Therapie-zentrum ***** der beklagten Partei habe, wird abgewiesen.“
In rechtlicher Hinsicht führte es aus, eine verschlechternde Versetzung iSd § 101 ArbVG liege nicht vor, weil der neue Arbeitsplatz für die Klägerin als Ganzes gesehen nicht ungünstiger sei. Es liege jedoch eine Behinderung bzw Störung der Tätigkeit der Klägerin als stv Betriebsratsvorsitzende vor. Nachdem die Beklagte keine wichtigen betrieblichen Gründe für eine Versetzung geführt habe, „die Interessen der Klägerin als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende jedoch eingeschränkt und betroffen sind und eine in der Folge gegen § 115 Abs 3 ArbVG verstoßende Versetzung in arbeitsvertraglicher Hinsicht Rechtsunwirksamkeit nach sich zieht, war spruchgemäß zu entscheiden.“
Das Ersturteil wurde nur von der Beklagten bekämpft. Das Berufungsgericht gab der von ihr gegen Spruchpunkt 1. gerichteten Berufung Folge und wies das Begehren auch in diesem Punkt ab. Rechtshandlungen seien nicht feststellungsfähig. Das für die Feststellungsklage ebenfalls notwendige Rechtsschutzbedürfnis bestehe auch nicht hinsichtlich der (Vor‑)Frage der Wirksamkeit oder materiellen Berechtigung einer Rechtshandlung, auch die rechtlichen Eigenschaften von Tatsachen- und Rechtshandlungen wie etwa die Berechtigung einer Entlassung seien nicht feststellungsfähig. Die Unwirksamkeit einer vertragsändernden Versetzung sei mit dem Begehren, dass der Arbeitnehmer zur Arbeit in der neuen Stellung nicht verpflichtet sei, geltend zu machen. Das ursprünglich erhobene Begehren (mit dem Zusatz „und findet somit nicht statt“) wäre diesen Erfordernissen durchaus gerecht geworden, das Erstgericht habe im Urteilstenor jedoch nur festgestellt, dass eine Versetzung der Klägerin nach Imst sie als Mitglied des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit beeinträchtigt habe, ohne auf den Zusatz Bedacht zu nehmen. Ein in diesem Sinn nicht erledigtes Begehren sei mangels Ergänzungsantrag nach § 423 ZPO oder Berufung der davon betroffenen Partei aus dem Verfahren ausgeschieden und nicht weiter zu beachten. Das vom Berufungsgericht zu entscheidende Klagebegehren, das schlicht die Eigenschaften bzw Konsequenzen einer Rechtshandlung festgestellt haben will, sei aber unzulässig. Schon aus diesem Grund sei auch das verbliebene Klagebegehren abzuweisen gewesen.
In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Wiederherstellung des Ersturteils im Sinn ihres Klagebegehrens; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinn des Eventualbegehrens berechtigt.
Gestützt auf § 503 Z 2 und Z 4 ZPO macht die Klägerin geltend, dass das Berufungsgericht im Hinblick auf ihr klares und vom Berufungsgericht in der Formulierung auch akzeptiertes Rechtsschutzziel von Amts wegen verpflichtet gewesen wäre, den Urteilsspruch dem tatsächlichen Begehren der Klägerin anzupassen. Die Entscheidung verstoße gegen das Überraschungsverbot. Das Ersturteil hätte auch iSd § 419 Abs 3 ZPO berichtigt werden können. Die Klägerin habe einen Anspruch auf inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst.
Folgendes war zu erwägen:
1. Gemäß § 115 Abs 3 ArbVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränkt und wegen dieser, insbesondere hinsichtlich des Entgelts und der Aufstiegsmöglichkeiten, nicht benachteiligt werden. Das Beschränkungs‑ und Benachteiligungsverbot gilt auch hinsichtlich der Versetzung eines Betriebsratsmitglieds.
Der Versetzungsschutz besteht neben jenem des § 101 ArbVG. Eine gegen § 115 Abs 3 ArbVG verstoßende verschlechternde Versetzung zieht in arbeitsvertraglicher Hinsicht ihre Rechtsunwirksamkeit nach sich (Resch in Strasser/Jabornegg/Resch, § 115 ArbVG Rz 99 mwN).
2. Die Unwirksamkeit einer vertragsändernden Versetzung ist vom Arbeitnehmer mit dem Begehren auf Feststellung, dass er zur Arbeit in der neuen Stellung nicht verpflichtet sei, geltend zu machen. Das Begehren auf Unzulässigkeit der Versetzung kommt nicht in Betracht, weil die Rechts‑(un‑)wirksamkeit von Rechtshandlungen nicht feststellungsfähig ist (RIS‑Justiz RS0112755). Für die Geltendmachung des Versetzungsschutzes nach § 115 Abs 3 ArbVG kann nichts anderes gelten.
3. Nach ständiger Rechtsprechung kann das Gericht dem Urteilsspruch eine dem Gesetz entsprechende, vom Feststellungsbegehren der Partei abweichende Fassung geben, wenn er sachlich nicht mehr oder etwas anderes enthält als das Begehren (RIS‑Justiz RS0038852). Das Begehren ist dabei so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klageerzählung vom Kläger gemeint ist; das Gericht hat daher ein nur versehentlich unrichtig formuliertes Klagebegehren richtig zu fassen und den Urteilsspruch an den sachlichen Inhalt des Klagebegehrens anzupassen (8 ObA 232/94 ua).
Die Klägerin strebte nach der Klageerzählung und dem Begehren erkennbar die Feststellung an, dass sie nicht zur Befolgung der Versetzung verpflichtet sei. Die Vorinstanzen erkannten dieses Rechtsschutzinteresse der Klägerin auch, sahen sie sich doch ungeachtet des Hinweises der Beklagten (ON 13 S 2) nicht zu einer Umformulierung oder Verdeutlichung des Klagebegehrens im Sinn der Rechtsprechung veranlasst.
4. Für die Auslegung der Tragweite des Spruchs sind die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0000300). Das Erstgericht hat dem revisionsgegenständlichen Punkt 2. des Klagebegehrens mit Spruchpunkt 1. des Ersturteils stattgegeben, ohne den Zusatz „und findet nicht statt“ aufzunehmen. Aus der rechtlichen Beurteilung geht jedoch hervor, dass das Erstgericht die Versetzung nach § 115 Abs 3 ArbVG als rechtsunwirksam erachtet hat. Damit kann kein Zweifel bestehen, dass der Entscheidungswille des Erstgerichts darauf gerichtet war, dem Klagebegehren in diesem Punkt vollinhaltlich stattzugeben.
5. Bei Diskrepanz zwischen Gewolltem und Erklärtem besteht die Möglichkeit einer Urteilsberichtigung (§ 419 ZPO). Die Urteilsberichtigung findet ihre theoretische Grundlage in der Tatsache, dass der materielle Gehalt der Entscheidung durch den Entscheidungswillen des Gerichts bestimmt wird. Die offenbare Unrichtigkeit, die einer
Berichtigung iSd §
419 Abs 1 ZPO zugänglich ist, darf daher nur die Wiedergabe des zur Zeit der Entscheidung bestehenden Entscheidungswillens des erkennenden Gerichts nach außen betreffen (s RIS‑Justiz RS0041489). Die Urteilsberichtigung nach §
419 ZPO ist zulässig, wenn das, was ausgesprochen wurde, offensichtlich nicht dem Willen des Gerichts zur Zeit der Fällung der Entscheidung entsprochen hat und sich dies aus dem ganzen Zusammenhang und insbesondere aus den Entscheidungsgründen ergibt (RIS‑Justiz RS0041418; s auch RS0041362). Bei Auslassungen, die zu einer gänzlichen oder teilweisen Nichterledigung des Begehrens führen, ist nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen einer Urteilsberichtigung nach § 419 ZPO zu unterscheiden, ob das Gericht tatsächlich auch über den Anspruch mitentscheiden wollte oder nicht. Ist feststellbar, dass das Gericht auch über diesen Anspruch mitentscheiden wollte, kann die Nichterledigung durch Urteilsberichtigung behoben und die Entscheidung durch Berichtigung ergänzt werden. Die Absicht, auch über den fehlenden Teil zu entscheiden, muss ausreichend deutlich nach außen getreten sein (s Bydlinski in Fasching/Konecny 2 § 419 ZPO Rz 7, 8; RIS‑Justiz RS0041818).
Wie dargelegt, war dies hier der Fall, weil aus dem Ersturteil als Entscheidungswille des Erstgerichts zweifellos hervorgeht, dass es die Versetzung wegen Beeinträchtigung der Tätigkeit der Klägerin iSd § 115 Abs 3 ArbVG als unwirksam erachtete und daher mit dem Spruch zum Ausdruck bringen wollte, dass die Klägerin der Versetzung nicht Folge zu leisten hat.
6. Das Berufungsgericht verwies darauf, dass die Nichterledigung eines Sachantrags einen rügepflichtigen Verfahrensmangel bilde und ein idS nicht erledigtes Begehren, sofern die Parteien keinen Ergänzungsantrag nach § 423 ZPO gestellt hätten und die davon betroffene Partei auch kein Rechtsmittel erhoben habe, aus dem Verfahren ausscheide. Dies trifft jedoch nur dann zu, wenn das Klagebegehren einer entsprechenden quantitativen Teilung zugänglich ist, da nur dann ein Teil durch Unterbleiben der Entscheidung darüber selbständig aus dem Verfahren ausscheiden kann (zB 9 ObA 96/09x zu Pensionsleistung für weiteren Monat). Das war hier nicht der Fall, weil das Klagebegehren in seiner Gesamtheit nur als einheitliches Begehren dahin zu verstehen war, dass die Klägerin nicht zur Befolgung der Versetzung verpflichtet sein sollte.
7. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung gefällt, ohne auf die Möglichkeit einer Umformulierung des Klagebegehrens und einer Urteilsberichtigung iSd § 419 ZPO ausreichend Bedacht zu nehmen. Da dieser Umstand geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern, war der Revision im Sinn des Eventualbegehrens Folge zu geben und das Berufungsurteil aufzuheben.
8. Eine Berichtigung kann nach § 419 Abs 3 ZPO auch in höherer Instanz angeordnet werden, worunter nicht die Erteilung einer Anweisung, sondern die Berichtigung durch das Gericht höherer Instanz selbst zu verstehen ist; nur der Vollzug der Berichtigung obliegt dem ursprünglich erkennenden Gericht (RIS‑Justiz RS0041727 [T2]; RS0041527; zuletzt 8 ObS 5/13p mwN). Im vorliegenden Fall war daher vom erkennenden Senat die Berichtigung von Spruchpunkt 1. des Ersturteils mit der Maßgabe anzuordnen, dass dieser Spruchpunkt den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen (oben Pkt. 2.) entspricht. Die Durchführung der Berichtigung in der Urschrift und den Ausfertigungen hat durch das Erstgericht zu erfolgen. Die Beklagte hat in der Folge die Gelegenheit, ihre bereits erhobene Berufung zu ergänzen (in welchem Fall beide Schriftsätze als Einheit aufzufassen wären) oder durch eine neue zu ersetzen (s 8 Ob 1/15b mwN), wobei hinsichtlich des klagsstattgebenden Teils (Spruchpunkt 1.) mit der Zustellung der berichtigten Ausfertigungen des Ersturteils die Rechtsmittelfrist neu zu laufen beginnt.
9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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