European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00029.15B.0320.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1.1 Wie die Klägerin auch selbst einräumt, ist die Beurteilung, ob ein Kündigungsgrund verwirklicht wurde, regelmäßig eine Frage des Einzelfalls. Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte (RIS‑Justiz RS0106298; RS0103201 ua). Dies ist hier nicht der Fall.
1.2 Nach den Feststellungen hat die Klägerin, eine Volksschullehrerin, trotz ihrer ausdrücklichen Ermahnung durch den Dienstgeber vom 5. 4. 2013 ihre Aufsichtspflicht gegenüber den von ihr unterrichteten Volksschülern fortgesetzt und dauerhaft verletzt, weil Kinder nach wie vor während der Unterrichtsstunden die Klasse verließen, sodass die Direktorin der Volksschule teilweise vor der Klasse sitzen musste, um Kinder am Verlassen der Klasse der Klägerin zu hindern. Darüber hinaus hielt sich die Klägerin ‑ mit Ausnahme der Inanspruchnahme von Beratungsgesprächen ‑ weisungswidrig nicht an den mit ihr vereinbarten Maßnahmenkatalog zur Verbesserung ihrer Unterrichtstätigkeit. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Klägerin unter Berücksichtigung dieses Gesamtverhaltens durch ihr Fehlverhalten vom 26. 4. 2013 den Kündigungsgrund der gröblichen Dienstpflichtverletzung gemäß § 32 Abs 2 Z 1 VBG 1948 (iVm § 2 LVG, BGBl 1966/172) verwirklichte (vgl 9 ObA 106/14z mwH), stellt keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.
1.3 Umfang und Intensität der Aufsichtspflicht eines Lehrers über zur Betreuung anvertraute Kinder bestimmen sich stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse (Alter und Entwicklung) sowie der jeweiligen Tätigkeit des zu beaufsichtigenden Kindes (RIS‑Justiz RS0027323). Höhere Anforderungen an die Aufsichtspflicht sind dann zu stellen, wenn nach den konkreten Verhältnissen, sei es nach den Eigenschaften des Aufsichtsbefohlenen, sei es nach der konkreten Gefahrenlage, mit der Möglichkeit eines schädigenden Verhaltens des Aufsichtsbefohlenen gerechnet werden muss (1 Ob 91/08a zur Aufsichtspflicht eines Lehrers; RIS‑Justiz RS0027463). Die Klägerin hat am 26. 4. 2013 sieben Kinder ihrer 2. Volksschulklasse unbeaufsichtigt in der Garderobe des Turnsaals zurückgelassen und diese erst nach einem entsprechenden Hinweis der Direktorin über die erneute Verletzung ihrer Aufsichtspflicht dort abgeholt. Das Berufungsgericht wertete diesen Vorfall dahin, dass sich auch daraus ergebe, dass die Klägerin ihrer Aufsichtspflicht gemäß § 51 Abs 3 SchUG (nach wie vor) nicht nachkommen wollte. Dem hält die Klägerin unter Hinweis auf die Entscheidungen 8 Ob 115/00w und 1 Ob 670/78 (nur teilweise veröffentlicht in EFSlg 31.513 und 31.520) entgegen, dass ‑ insbesondere in der Garderobe ‑ auch Volksschulkinder nicht immer beaufsichtigt werden müssten. Sie zeigt damit vor dem besonderen Hintergrund, dass bereits zuvor immer wieder Kinder die Klasse während des Unterrichts der Klägerin eigenmächtig verlassen haben ‑ in einem Fall wurden zwei Kinder von der Direktorin noch während der Unterrichtszeit bereits bei der Bushaltestelle außerhalb des Schulgebäudes angetroffen und wieder zurückgeholt ‑, keine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen im Fall der Klägerin auf.
1.4 Die Beklagte hat die Kündigung entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin auch nicht nur auf den Vorfall vom 26. 4. 2013, sondern auf die darüber hinausgehende mehrfache Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Klägerin und damit auf ihr Gesamtverhalten gestützt (ON 5, ON 11). Die Revisionswerberin führt selbst aus, dass der Kündigungsgrund der gröblichen Dienstpflichtverletzung iSd § 32 Abs 2 Z 1 VBG 1948 durch die wiederholte Nichtbefolgung von Weisungen des Vorgesetzten verwirklicht werden kann (14 Ob 209/86). Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass die Klägerin den mit der Direktorin vereinbarten bzw von dieser angewiesenen Maßnahmenkatalog nicht eingehalten hat, stellt sie in der Revision nicht in Frage.
2.1 Ob die Beklagte den Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 Z 1 VBG unverzüglich geltend gemacht hat, stellt ebenfalls eine Beurteilung im Einzelfall dar, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (RIS‑Justiz RS0031571 ua; 9 ObA 88/13a). Verzögerungen im Ausspruch der Kündigung von Vertragsbediensteten können insoweit anerkannt werden, als sie in der Sachlage, also in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls sachlich begründet sind (RIS‑Justiz RS0029273; 8 ObA 57/13k).
2.2 Die Revisionswerberin übergeht bei ihren Überlegungen, dass ihre Suspendierung nicht deshalb erfolgte, weil für die Beklagte noch Unklarheit bestanden hätte, ob das Verhalten der Klägerin einen Kündigungsgrund verwirklicht. Die Außerdienststellung der Klägerin am 30. 4. 2013 erfolgte vielmehr infolge eines Berichts der Volksschuldirektorin vom selben Tag, aus dem sich die neuerliche Aufsichtspflichtverletzung vom 26. 4. 2013 und damit verbunden eine Gefährdung der Sicherheit der der Klägerin anvertrauten Schüler (§ 51 Abs 3 Satz 2 SchUG) ergab. Gegenstand des Berichts war aber auch ein weiterer Vorfall vom 29. 4. 2013, wonach die Klägerin auf das ‑ durch den Lärm in der Klasse bedingte mehrfache ‑ Erscheinen der Direktorin in der Klasse nicht reagierte, sondern ihren Unterricht fortsetzte, obwohl manche der Kinder am Boden lagen und laut schrien. Wenn das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund trotz der von der Klägerin erhobenen Behauptung, sie habe von der Beklagten noch die Möglichkeit einer Stellungnahme erhalten und trotz der irrtümlichen Nichtabfertigung des ersten Kündigungsschreibens in rechtlicher Hinsicht davon ausgeht, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt Anlass gehabt habe, aus der Verzögerung der Beklagten zu schließen, dass diese die Kündigungsabsicht nicht umsetzen wollte, so ist dies nicht unvertretbar. Unmittelbar nach Erkennen des Irrtums, dass das erste Kündigungsschreiben nicht abgefertigt worden war, wurde von Beklagtenseite ein zweites, inhaltsgleiches Kündigungsschreiben an die Klägerin gesandt.
3. Die Klägerin hat die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, dass die Beklagte das nach den §§ 9, 10 PVG zuständige Personalvertretungsorgan von der beabsichtigten Kündigung verständigt hat, in der Berufung nicht bekämpft, sodass sie diesen ‑ selbständigen Streitpunkt ‑ in der Revision nicht mehr geltend machen kann (RIS‑Justiz RS0043480 [T22]).
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.
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