OGH 9ObA196/93

OGH9ObA196/9313.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag Dr. Walter Zeiler und Mag Kurt Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Bernd H*****, Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei V*****, vertreten durch Dr.Gottfried Eypeltauer ua Rechtsanwälte in Linz, wegen 42.717 S sA, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. April 1993, GZ 8 Ra 111/92-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.Juni 1992, GZ 22 Cga 30/92-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.623,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 603,84 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bis 31.12.1987 bei der beklagten Partei beschäftigt. Er war dort Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates des "Werks J*****". Sein Dienstverhältnis endete wie das der anderen dort tätigen Dienstnehmer durch einvernehmliche Auflösung. Die beklagte Partei zahlte damals Urlaubsentschädigungen und -abfindungen sowie Abfertigungen aus. Seit 1.1.1988 ist der Kläger ebenso wie die Mehrzahl der anderen ehemaligen Dienstnehmer der beklagten Partei an diesem Standort Dienstnehmer der V***** GmbH. Das Werk J***** hatte seit 1970 kein positives Ergebnis erzielt und war von der Schließung bedroht. Um eine Schließung abzuwenden, kamen die Unternehmensleitung der beklagten Partei sowie die Vorsitzenden des Arbeiter- und Angestelltenbetriebsrates (in letzterer Funktion der Kläger selbst) sowie weitere Betriebsratsmitglieder bereits am 4.12.1987 überein, daß sich die Arbeitsentgelte in den Dienstverhältnissen zum neuen Dienstgeber am Kollektivvertragsniveau orientieren sollten und sämtliche für das Werk J***** in Geltung stehenden Betriebsvereinbarungen aufzulösen seien, darunter auch die Betriebsvereinbarung über die Pensionszuschußrichtlinien. Lediglich die zur Pension Heranstehenden sollten in den Genuß einer Regelung kommen, für die bereits ein Betriebsvereinbarungsentwurf mit der Bezeichnung "Pensionsrichtlinien 1987" oder "Pensionszuschußrichtlinien 1987" vorlag. In einem Aktenvermerk hielt der Personalsachbearbeiter der beklagten Partei unter dem Titel "Pensionsrichtlinien 1987" fest, daß diejenigen, die bis 30.11.1988 in Pension gehen würden, Leistungen nach Maßgabe der "Betriebsvereinbarung 1987" erhalten sollten.

Am 15.12.1987 wurde für das Werk J***** eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, in der es unter anderem heißt:

"Die vertragsschließenden Parteien vereinbaren die einvernehmliche Auflösung sämtlicher Arbeitsordnungen, Betriebsvereinbarungen sowie sonstige (richtig sonstiger) Vereinbarungen und Absprachen, die zwischen den Betriebsratskörperschaften des Werkes J*****, dem Zentralbetriebsrat oder einer sonstigen bevollmächtigten Institution mit der Unternehmensleitung der V*****, der VE***** oder einer ihrer Rechtsvorgänger abgeschlossen wurden, welche das Werk J***** betreffen, sowie sämtliche sonstigen in ihrer Geltung auf das Werk J***** ausgedehnten Vereinbarungen und Konzernrichtlinien mit 31.12.1987. Jede Form einer Fortwirkung aller Betriebsvereinbarung auf zukünftige Dienstverhältnisse wird ausgeschlossen.

Insbesondere handelt es sich dabei um die

VE*****-Betriebsvereinbarungen über

Richtlinien über Gewährung von Pensionszuschüssen 15.09.78

V*****-Betriebsvereinbarungen über

Pensionszuschüsse Dezember 1984

Änderung der Pensionszuschußrichtlinien 1987.

Die Aufzählung ist demonstrativ und berücksichtigt nicht, daß einzelne aufgezählte Betriebsvereinbarungen bereits außer Kraft getreten sein können bzw nur teilweise für das Werk J***** gelten.

........"

Die Richtlinien für die Gewährung von Pensionszuschüssen an die Dienstnehmer der V***** AG vom Dezember 1984 hatten auch für das Werk J***** Geltung und traten am 30.12.1984 in Kraft. Nach dieser Betriebsvereinbarung (siehe SZ 61/274, 275) waren Pensionszuschüsse an Belegschaftsmitglieder zu gewähren, die die Voraussetzungen für eine ASVG-Pension erworben und 15 Dienstjahre im Konzern verbracht hatten. Die Richtlinien enthielten einen Widerrufsvorbehalt, insbesondere für den Fall der nachhaltigen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens.

Am 18.12.1987 wurde eine zwischen der Unternehmensleitung der beklagten Partei und dem für die Werke L***** einschließlich J***** ermächtigten Zentralbetriebsrat der beklagten Partei abgeschlossene Betriebsvereinbarung unterfertigt, die (rückwirkend) mit 1.12.1987 in Kraft trat. In der Präambel dieser Betriebsvereinbarung wurde auf die schlechte wirtschaftliche Lage des Unternehmens hingewiesen, die es ihm trotz der in Aussicht gestellten Mittelzuführungen nicht ermögliche, die Pensionsrückstellung ohne Kürzung der Ansprüche im handelsrechtlich erforderlichen Maß zu bilden. Sodann wurde das Außerkrafttreten aller in der V***** AG in Geltung stehenden, zwischen Unternehmensleitung und Belegschaftsvertretung getroffenen Vereinbarungen betreffend die Gewährung von Pensionszuschüssen mit Wirksamkeit vom 30.11.1987 vereinbart.

Punkt 4 (Titel: aktive Mitarbeiter) dieser Betriebsvereinbarung sieht unter anderem folgendes vor:

"4.1. Für Mitarbeiter, die am 31.12.1987 in einem aktiven Dienstverhältnis zum Unternehmen stehen und gemäß Punkt II.3. der "Richtlinien für die Gewährung von Pensionszuschüssen an die Dienstnehmer der V***** AG", Fassung Dezember 1984, eine Anwartschaft auf die Leistungen im Sinne dieser Richtlinien erworben haben, gelten die Richtlinien mit den in Beilage 4 zitierten Einschränkungen weiter. Nach der Bestimmung des Punktes IV.1. dieser Richtlinien in der durch Beilage 4 geänderten Fassung wird auf Basis des sich nach den neuen Bestimmungen ergebenden Pensionszuschusses ein Abfindungsbetrag nach....ermittelt. Die in der Folge konsumierten Dienstjahre sowie allfällige Bezugsänderungen führen zu keiner Änderung in der Höhe des so ermittelten monatlichen Zuschusses.

Das Unternehmen behält sich ausdrücklich vor, den auf den so ermittelten Pensionszuschuß basierenden Abfindungsbetrag.... in eine noch zu gründende Pensionskassa oder in eine ähnliche Versorgungseinrichtung einzubringen bei gleichzeitigem Wegfall der in dieser Betriebsvereinbarung übernommenen Verpflichtungen des Unternehmens.

Für den Fall, daß eine Pensionskassa im Sinne dieser Bestimmung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen für eine Auszahlung des Pensionszuschusses gemäß den zitierten Richtlinien vorliegen, nicht existiert, erhält der gemäß den zitierten Richtlinien Anspruchsberechtigte eine einmalige Abfindung gemäß...."

In Beilage 4 zu dieser Betriebsvereinbarung wurde unter anderem die Berechnungsbasis für die Höhe des Zuschusses mit 6 % der Bemessungsgrundlage bis zur Höchstbeitragsgrundlage zur Pensionsversicherung nach dem ASVG und mit 12 % für den diesen Höchstbetrag übersteigenden Teil der Bemessungsgrundlage (statt bisher 10 % bzw 20 %) festgesetzt.

Die beklagte Partei zahlte die Leistungen nach dieser Betriebsvereinbarung an alle Arbeitnehmer des Werkes J***** aus, die zwischen dem 1.1.1988 und dem 30.11.1988 in den Ruhestand traten, nicht aber an die weiterhin in diesem Werk für den neuen Arbeitgeber tätigen Arbeitnehmer.

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Zahlung der der Höhe nach unbestrittenen Abfindungssumme von 42.717 S an die Pensionskasse, der der nunmehrige Arbeitgeber des Klägers angehört, zu verpflichten und stützt sein Begehren auf die Betriebsvereinbarung vom 18.12.1987.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Betriebsvereinbarung vom 18.12.1987 sei für ihre ehemaligen Dienstnehmer im Werk J***** mit Betriebsvereinbarung vom 15.12.1987 außer Kraft gesetzt worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kläger habe zum Stichtag 31.12.1987 eine Anwartschaft auf Leistung nach den Pensionszuschußrichtlinien bzw auf den Abfertigungsbetrag erworben.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Die Betriebsvereinbarung vom 15.12.1987 sei als spezielle, nur das Werk J***** betreffende Norm anzusehen. Die für die gesamte V***** AG geltende generelle Betriebsvereinbarung vom 18.12.1987 könne neben der älteren speziellen Norm ebenso gelten, wie wenn sich beide Bestimmungen im selben Normwerk befunden hätten, es sei denn, es handle sich bei der späteren Norm um eine Kodifikation. Im vorliegenden Fall sei die Anwendung der generellen Norm bereits in der speziellen Norm im vorhinein ausgeschlossen worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Ebenso wie Kollektivverträge sind Betriebsvereinbarungen in ihrem normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen

gelten (§§ 6 und 7 ABGB), auszulegen (Arb 9997 = ZAS 1983/2

[Fischer]; Arb 10.864 = ZAS 1991/3 [Marhold]). Die Normadressanten,

denen nur der Text der Betriebsvereinbarung zur Verfügung steht, müssen sich darauf verlassen können, daß die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat. In erster Linie ist daher der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text der Betriebsvereinbarung ergebende Absicht der Parteien zu berücksichtigen (siehe Kuderna, Die Auslegung kollektivrechtlicher Normen und Dienstordnungen sowie deren Ermittlung im Prozeß, DRdA 1975, 161 ff [167 und 169]; Arb 10.815 = SZ 62/135 mwH; zuletzt 9 Ob A 603/92, 9 Ob A 605/93 und 9 Ob A 142/93).

Geht man vom klaren Text der Betriebsvereinbarung vom 15.12.1987 aus, dann sollten - um eine Entlastung des Unternehmens zu bewirken und eine Fortführung des Werkes J***** zu ermöglichen - mit 31.12.1987 ua sämtliche bestehenden betrieblichen Pensionsregelungen mit 31.12.1987 aufgehoben werden, insbesondere auch die V*****-Richtlinie (Betriebsvereinbarung) vom Dezember 1984 über Pensionszuschüsse; die nachträgliche Änderung dieser für das Werk J***** ab 31.12.1987 bereits aufgehobenen generellen Regelung konnte daher auch dann nicht zu einer neuerlichen Einbeziehung der Arbeitnehmer des Werkes J***** (ab 31.12.1987) führen, wenn diese im Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung vom 15.12.1987 lediglich formell noch nicht perfekte generelle Änderung der Pensionszuschußrichtlinien nicht erwähnt worden wäre. Da aber die erst drei Tage später durch Unterfertigung perfektionierte Betriebsvereinbarung vom 18.12.1987 über die generelle Änderung der Pensionszuschußrichtlinien ein rückwirkendes Inkrafttreten schon mit 1.12.1987 vorsah, wäre ohne Aufnahme eines entsprechenden Hinweises in die Betriebsvereinbarung vom 15.12.1987 die Auffassung vertretbar gewesen, daß diese Regelung von der Auflösungsvereinbarung nicht erfaßt und daher auf die Arbeitnehmer des Werkes J***** auch über den 31.12.1987 hinaus anzuwenden sei. Durch die ausdrückliche Nennung auch dieser drei Tage später rückwirkend in Kraft gesetzten generellen Betriebsvereinbarung im Katalog der mit Betriebsvereinbarung vom 15.12.1987 einvernehmlich aufgelösten Regelungen wurde daher klargestellt, daß auch diese Betriebsvereinbarung ungeachtet ihres rückwirkenden Inkrafttretens in anderen Betrieben auf die Belegschaft des Werkes J***** über den 31.12.1987 hinaus nicht mehr anwendbar war.

Zu Unrecht argumentiert der Revisionswerber weiters, daß ihm die beklagte Partei einen bereits entstandenen Anspruch nach dessen Anfall entzogen habe. Da nach Punkt 4.1. der Betriebsvereinbarung vom 18.12.1987 für aktive Mitarbeiter, die - wie der Kläger - mehr als 15 Dienstjahre zurückgelegt und damit eine Anwartschaft im Sinne der Pensionszuschußrichtlinien vom Dezember 1984 erworben hatten, die Richtlinien über die Gewährung von Pensionszuschüssen - unter Herabsetzung der Berechnungsgrundlage und Einfrieren der mit 31.12.1987 erreichten Anwartschaft - weiter gelten sollten, war die beklagte Partei nach dieser Betriebsvereinbarung in erster Linie verpflichtet, den betreffenden Arbeitnehmern in Erfüllung der sich aus den modifizierten Richtlinien ergebenden direkten Leistungszusage in Zukunft bei Anfall der ASVG-Pension anstelle der geschuldeten Pensionszuschüsse eine einmalige Abfindung zu gewähren, sofern sie nicht vorher von dem ihr in der Betriebsvereinbarung eingeräumten Recht Gebrauch machen sollte, sich von dieser direkten Leistungsverpflichtung durch Einbringung des Abfindungsbetrages in eine zu gründende Pensionskasse zu befreien. Da aber sowohl die Betriebsvereinbarung vom Dezember 1984 als auch die sie abändernde Betriebsvereinbarung vom 18.12.1987 für die Arbeitnehmer des Werkes J***** mit 31.12.1987 aufgehoben wurden, steht dem Kläger ein nach diesen Betriebsvereinbarungen erst nach diesem Zeitpunkt entstandener Anspruch auf Abgeltung des Pensionszuschusses durch die entsprechende Abfindungszahlung nicht mehr zu.

Soweit der Revisionswerber schließlich damit argumentiert, daß Pensionszuschuß bzw Abfindungsbetrag Leistungen seines vormaligen Arbeitgebers seien, die nicht von der beklagten Partei stammten und daß der Verfall der Vermögenszuwendung eines Dritten an den Arbeitnehmer auch schon vor Inkrafttreten des BPG sittenwidrig gewesen sei, übersieht er offenbar, daß er nicht seinen nunmehrigen Arbeitgeber, sondern seinen ehemaligen Arbeitgeber, der als durch die Pensionsregelung Verpflichteter auch Partner der Betriebsvereinbarungen vom 15.12. und 18.12.1987 war, in Anspruch genommen hat.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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