OGH 9ObA18/15k

OGH9ObA18/15k29.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und Mag. Regina Albrecht in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** R*****, vertreten durch Dr. Roman Schiessler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwältinnen GmbH in Wien, wegen 45.701,67 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 30.752,52 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. November 2014, GZ 9 Ra 62/14z‑31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00018.15K.0429.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs‑ oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (9 ObA 81/11v; 9 ObA 60/12g; RIS‑Justiz RS0106298), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte.

2. Während im Fall der Entlassung ein Sachverhalt verwirklicht sein muss, der seinem Gewicht nach die Weiterbeschäftigung des Vertragsbediensteten schlechthin unzumutbar erscheinen lässt, ist bei einer Kündigung nach § 32 Abs 2 Z 1 VBG dies zwar nicht erforderlich, das inkriminierte Verhalten des Dienstnehmers muss jedoch „gröblich“ die Dienstpflichten verletzen, somit über bloß geringfügige Ordnungswidrigkeiten hinausgehen (RIS‑Justiz RS0105940).

Ob eine Dienstpflichtverletzung gröblich ist, hängt aber wiederum von den Umständen des Einzelfalls ab. Allgemein gilt, dass je schwerwiegender die verletzte dienstliche Pflicht wiegt, desto weniger häufig muss die Verletzung erfolgt sein (9 ObA 53/08x). Auch kleinere Dienstpflichtverletzungen können aber bei Beharrlichkeit das Gewicht einer gröblichen Dienstpflichtverletzung erreichen (8 ObA 39/13p).

Soweit die Revision damit argumentiert, dass mangels Definition der Dienstpflichten des Klägers und konkreter Anweisungen, wie diese auszuführen seien, keine Pflichtverletzung vorliegen könne, übergeht sie, dass der Kläger nach den Feststellungen für die Kontrolle der Futterlieferungen verantwortlich war und von seinem unmittelbaren Vorgesetzten auch regelmäßig dazu angehalten wurde, sich um Qualität und Quantität der Futtermittel zu kümmern. Selbst wenn hinsichtlich der Art der Kontrolle keine Vorschriften bestanden und keine spezifischen Mittel zur Verfügung gestellt wurden, war dem Kläger eine stichprobenartige Quantitätsprüfung der Heulieferungen jedenfalls möglich und wären dabei die Minderlieferungen um immerhin ein Drittel der verrechneten Heumenge bemerkt worden.

Davon ausgehend stellt die Ansicht des Berufungsgerichts, dass es eine gröbliche Pflichtverletzung ist, dass der Kläger dieser Kontrollpflicht während seiner gesamten Beschäftigungsdauer als Stallmeister nicht nachgekommen ist, wodurch der Beklagten ein nicht unbeträchtlicher Schaden entstanden ist, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.

3. Auch die Frage, ob der Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 Z 1 VBG unverzüglich geltend gemacht wurde, stellt eine Beurteilung im Einzelfall dar (9 ObA 88/13a mwN). Grundsätzlich ist eine Kündigung nach § 32 VBG unverzüglich auszusprechen, nachdem dem Arbeitgeber der Kündigungsgrund bekannt geworden ist, um zu verhindern, dass der Vertragsbedienstete aus der Unterlassung der sofortigen Kündigung auf einen Kündigungsverzicht durch den Arbeitgeber schließen muss. Dem Arbeitgeber muss aber bei vorerst undurchsichtigem und zweifelhaftem Sachverhalt zugebilligt werden, sich vor Beendigung des Dienstverhältnisses über die Berechtigung einer Kündigung oder Entlassung Klarheit zu verschaffen (vgl RIS‑Justiz RS0029297). Zugleich ist der Dienstgeber verpflichtet, die zur Feststellung erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen (RIS‑Justiz RS0029345).

Bei Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung oder Kündigung durch juristische Personen ist allgemein darauf Bedacht zu nehmen, dass die Willensbildung in der Regel umständlicher ist als bei physischen Personen. Dadurch bedingte Verzögerungen ebenso wie solche, die sich aus der Notwendigkeit der vorherigen Befassung der Personalvertretung ergeben, sind daher anzuerkennen (RIS‑Justiz RS0029328). Dem Dienstgeber ist auch grundsätzlich die Möglichkeit der Einholung einer Rechtsauskunft zuzubilligen.

Im konkreten Fall hatte die Beklagte nicht nur zu prüfen, ob vom externen Lieferanten in Relation zu den verrechneten Mengen zu geringe Lieferungen erfolgten, sondern auch, inwieweit Mitarbeiter der Beklagten an dem Betrug beteiligt waren bzw ihre Pflichten zur Kontrolle vernachlässigten. Dass das Berufungsgericht die mehrfache Kontrolle von Lieferungen auch im Hinblick auf die Abklärung eines systematischen Vorgehens bzw die Unterlassung auch nur stichprobenartiger Kontrollen als gerechtfertigt ansah, ist vor diesem Hintergrund jedenfalls vertretbar.

Dasselbe gilt für die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass ausgehend vom Zeitraum zwischen Abschluss der Erhebungen (Befragung des Lieferanten am 9. 2. 2012) und dem Ausspruch der Entlassung und der Eventualkündigung am 17. 2. 2012, wobei in dieser Zeit Rechtsberatung eingeholt wurde, der Kläger am 13. 2. 2012 vom Dienst freigestellt und der Betriebsrat verständigt wurde, der am 16. 2. 2012 Widerspruch erhob, worauf eine einvernehmliche Lösung mit dem Kläger erörtert wurde, die aber scheiterte, das Kündigungsrecht nicht infolge verspäteter Ausübung untergegangen ist.

Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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