European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00105.18H.0227.000
Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte war von 1. 12. 2014 bis 31. 7. 2017 bei der Klägerin beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstnehmerkündigung.
Pkt 12. des Dienstvertrags vom 1. 12. 2014 sah ua für den Fall einer Dienstnehmerkündigung vor:
„Soweit der Rückersatz von Ausbildungskosten im Kollektivvertrag nicht geregelt und im Einzelfall darüber keine Vereinbarung getroffen ist, sind die von der [Klägerin] getragenen Ausbildungskosten zurückzuzahlen, sofern seit Beendigung der Veranstaltung höchstens 3 Jahre vergangen sind … Die Rückzahlungsverpflichtung verringert sich aliquot (anteilig) berechnet vom Zeitpunkt der Beendigung der jeweiligen Ausbildung bis zum Ende der vereinbarten Bindungsdauer von drei Jahren (§ 83 KV).“
Die §§ 82 und 83 des Kollektivvertrags für die Angestellten der gewerblichen Kreditgenossenschaften (idF: KV) vom 5. 5. 1966 in der (jedenfalls seit 1. 2. 2006 unveränderten) Fassung vom 1. 4. 2014 lauten:
§ 82 Vorbemerkungen
Die V*****akademie veranstaltet … Kurse, Seminare und Tagungen im Rahmen der Bildungskonzeption durch
(a) Grundlehrgang,
(b) Aufbaulehrgang,
(c) Ausbildung in Service und Beratung,
(d) Ausbildung in qualifizierter Beratung und Betreuung und
(e) Ausbildung in Leitung und Führung.
§ 83 (1) – (2) …
(3) Der Dienstgeber ist berechtigt, die Ausbildungskosten – ausgenommen bei Veranstaltungen, die zum Grundlehrgang zählen – zurückzuverlangen, wenn der Mitarbeiter innerhalb der im Nachstehenden angeführten Zeiträume durch Selbstkündigung […] ausscheidet […] Die Rückzahlung erfolgt bei Kursen, Seminaren und Tagungen:
1. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit b zählen, bis zum Ablauf eines Jahres ab Ablegung der Prüfung zu 100 %,
2. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit c zählen, bis zum Ablauf eines Jahres nach Ende des jeweiligen Kurses, des Seminares bzw. der Tagung zu 100 %, sodann bis zum Ablauf des zweiten Jahres zu 50 %,
3. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit d zählen, bis zum Ablauf eines Jahres nach Ende des jeweiligen Kurses, des Seminares bzw. der Tagung zu 100 %, sodann bis zum Ablauf des zweiten Jahres zu 75 % und schließlich bis zum Ablauf des dritten Jahres zu 50 %,
4. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit e zählen, bis zum Ablauf des zweiten Jahres ab Ablegung der diesbezüglichen Prüfung zu 100 %, sodann bis zum Ablauf des dritten Jahres zu 75 % und schließlich bis zum Ablauf des vierten Jahres zu 50 % der Ausbildungskosten.
Der Beklagte absolvierte von 12. bis 14. 10. 2016 und von 23. bis 25. 11. 2016 das Seminar „Kundenkontakte aktiv gestalten“. Am 6. 10. 2016 hatte er eine „Seminarbuchung“ unterfertigt, die einen Seminarpreis von 1.545 EUR anführte und folgenden Inhalt aufwies: „Laut Empfehlung des ÖGV sollen die Mitarbeiter auf den Ausbildungsrücksatz gemäß Kollektivvertrag aufmerksam gemacht werden. Wir weisen Sie daher darauf hin, dass die Seminarkosten samt den anfallenden Fahrt- und Aufenthaltskosten gem. den Bestimmungen des Kollektivvertrages von uns zurückgefordert werden können.“
Von 3. bis 6. 4. 2017 nahm der Beklagte am Seminar „Veranlagung 1“ teil. Dafür hatte er am 19. 1. 2017 eine gleichlautende Seminarbuchung mit einem Preis von 1.151 EUR unterfertigt.
Mit der auf § 83 KV sowie Pkt 12 des Dienstvertrags gestützten Klage begehrte die Klägerin 4.325,18 EUR sA an Seminarkosten sowie an den Beklagten ausbezahlten Nächtigungskosten, Kilometergeld und Taschengeld zuzüglich 20 % USt zurück. § 2d AVRAG gelange gemäß § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG nicht zur Anwendung, da im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung (18. 3. 2006) eine kollektivvertragliche Regelung über den Ausbildungskostenrückersatz bestanden habe. Sowohl im Dienstvertrag als auch in den separaten Seminarvereinbarungen sei auf den Kollektivvertrag hingewiesen worden. Der Kollektivvertrag sei dem Beklagten auch im Intranet zugänglich gewesen. Die Kollektivvertragliche Bestimmung des Abschnitts C Prüfungsordnung, entspreche in Zusammenschau mit dem Dienstvertrag den gesetzlichen Vorgaben. Es handle sich weder um eine allgemeine Vorwegvereinbarung, noch um eine, was die gesetzlichen Erfordernisse betreffe, unzureichende Vereinbarung. Der Beklagte habe auch Informationen über die Höhe des Rückzahlungsbetrags gehabt. Die Klägerin zahle vorab einen Bildungsbeitrag an die V*****akademie, von dem die Kosten für die konsumierten Seminare abgezogen würden. Die verrechneten Seminarkosten seien der Klägerin daher tatsächlich entstanden. Der Beklagte habe durch die Seminarbesuche Spezialkenntnisse erworben, die bei anderen Arbeitgebern verwertbar seien.
Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und wandte ein, die unterfertigten Seminarbuchungen seien intransparent, weil aus ihnen nicht hervorgehe, in welcher Höhe und in welchem Falle die Seminarkosten zurückgefordert worden könnten. Eine Vereinbarung, die keine Aliquotierung vorsehe, sei zur Gänze nichtig. § 83 KV und Pkt 12. des Dienstvertrags würden daran nichts ändern, weil sie lediglich allgemeine Vorwegvereinbarungen seien, die für eine Rückforderung nicht ausreichten, zumal aus der Einzelvereinbarung (Seminarbuchung) nicht ersichtlich sei, um welche Seminare im Sinn des § 82 KV es sich gehandelt habe. Außerdem seien im Dienstvertrag vier Kollektivverträge erwähnt, sodass unklar sei, welcher gemeint sei. Für § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG sei die jeweils anzuwendende Fassung des Kollektivvertrags entscheidend, sodass § 2d AVRAG anwendbar bleibe. Der Klägerin seien durch die bei der V*****akademie abgehaltenen Seminare auch keine Kosten entstanden; es handle sich um konzerninterne Verschiebungen von Beträgen, sodass auch keine USt angefallen sei. Durch die konzerninterne Fortbildung seien die Berufschancen des Beklagten am Arbeitsmarkt nicht gestiegen, Seminarinhalt sei nur die Betreuung der eigenen Kunden der Klägerin gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Gemäß § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG habe der bestehende Kollektivvertrag keine Einschränkung erfahren, § 2d AVRAG sei nicht anwendbar. Auf eine nach dem Inkrafttreten des § 2d AVRAG vereinbarte Fassung des Kollektivvertrags komme es nicht an. Die §§ 82, 83 KV enthielten eine zulässige Regelung des Ausbildungskostenrückersatzes, wobei der Hinweis auf den Kollektivvertrag im Dienstvertrag ausreichend sei. In welche Kategorie des § 82 KV die Ausbildungen gefallen seien, sei nicht relevant, weil das Dienstverhältnis innerhalb eines Jahres nach Ende der Ausbildung geendet habe und damit in allen Fällen 100 % der Ausbildungskosten zurückzuzahlen seien.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Nach der Übergangsbestimmung des § 19 Abs 1 Z 32 AVRAG zu der am 29. 12. 2015 in Kraft getretenen Novelle des § 2d Abs 3 Z 2 und 3 AVRAG würden bereits bestehende Kollektivverträge– anders als bei Inkrafttreten des BGBl I 2006/36 – nicht mehr unberührt bleiben. Das Schutzniveau werde einheitlich auf das in § 2d AVRAG normierte angehoben. Da für jede Ausbildung eine eigene Rückersatzvereinbarung abzuschließen sei, sei für den Abschlusszeitpunkt auf die nach dem 29. 12. 2015 erfolgten Seminarbuchungen abzustellen, die daher unter die Neuregelung fielen. Ob der bloße Verweis auf den Kollektivvertrag in der Seminarbuchung überhaupt eine zulässige Aliquotierungsvereinbarung darstellen würde, könne wegen der Anwendbarkeit des § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG auf sich beruhen. Der Kollektivvertrag enthalte auch nur einen „Rahmen“ für mögliche Aliquotierungen (vgl 9 ObA 94/12g). Andererseits seien danach nach allen vier Modellen innerhalb des ersten Jahres im Fall des Klägers 100 % der Ausbildungskosten zurückzubezahlen. Die Rechtswirksamkeit einer Vereinbarung von solchen Zufälligkeiten wie dem Beendigungszeitpunkt abhängig zu machen, entspreche nicht dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit und -sicherheit. Letztlich sei die nach den kollektivvertraglichen Vorgaben vereinbarte Rückzahlungsverpflichtung auch mit § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG nicht vereinbar, weil sie nur eine jährliche Aliquotierung vorsehe. Eine davon abweichende Ausgestaltung der zeitlichen Aliquotierung des Rückerstattungsbetrags sei unzulässig und führe zur Unwirksamkeit der gesamten Rückzahlungsvereinbarung.
Die Revision sei zur Auslegung des § 19 Abs 1 Z 32 AVRAG im Verhältnis zu § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG und zur Frage, ob bei einer unzureichenden Aliquotierungsabrede eine Teilnichtigkeit vorliege und eine Anpassung an das gesetzlich geforderte Niveau Platz greifen solle, zulässig.
In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig , aber nicht berechtigt .
1. Der Ausbildungskostenrückersatz wurde mit dem BGBl I 2006/36 in § 2d AVRAG einer gesetzlichen Regelung zugeführt. Seither ist eine Rückerstattung nur hinsichtlich Ausbildungskosten nach Abs 1 in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zulässig (§ 2d Abs 2 S 1 AVRAG).
2. § 2d Abs 3 AVRAG sah in jener Fassung vor, dass eine Verpflichtung zur Rückerstattung von Ausbildungskosten insbesondere dann nicht besteht, wenn
„ 3. die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot, berechnet vom Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer, vereinbart wird.“
Die Übergangsregelung des § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG lautete:
„18. Die §§ … 2d samt Überschriften in der Fassu ng des Bundesgesetzes BGBl I Nr 36/2006 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft und gelten für nach dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes neu abgeschlossene Vereinbarungen über … den Ausbildungskostenrückersatz. Im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bestehende Normen der kollektiven Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz werden durch die Regelungen dieses Bundesgesetzes nicht berührt.“
Diese Bestimmung wurde in der Entscheidung 9 ObA 20/11y, DRdA 2012/23 (krit Wanderer ), dahin ausgelegt, dass kollektivvertragliche Regelungen zum Ausbildungskostenrückersatz, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung des § 2d AVRAG schon bestanden haben, selbst dann in Geltung bleiben, wenn sie vom Schutzniveau des § 2d AVRAG abweichen. Solche Alt-Kollektivnormen sollten dabei auch für Neuvereinbarungen gelten, die noch in den Geltungsbereich einer Alt-Kollektivnorm fielen und den Ausbildungskostenrückersatz nur individualvertraglich konkretisierten. Für in diesem Sinn „alte“ Klauseln galten daher weiterhin die von der Rechtsprechung bis dahin aufgestellten Beschränkungen ( Reissner in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 2d AVRAG Rz 4 mwN). Die Individualvereinbarung war nur dann an § 2d AVRAG zu messen, wenn der Kollektivvertrag keine „Durchregelung“ enthielt und seinerseits eine Individualvereinbarung notwendig machte (s 9 ObA 94/12g zu einer kollektivvertraglichen Anforderung an die jährliche Rückverrechnungsminderung von „mindestens 20 %“).
Dem vorliegenden Fall liegt eine solche Alt-Kollektivnorm zugrunde. Zwar wurde der Kollektivvertrag für die Angestellten der gewerblichen Kreditgenossenschaften vom 5. 5. 1966 nach Einführung des § 2d AVRAG mehrfach novelliert. Dies betraf jedoch nicht die hier in Rede stehenden Bestimmungen der §§ 82 und 83 KV. Auch nach der Inkrafttretensbestimmung des Art III KV („mit 1. Juni 1966“) ist von keiner Neuerlassung des Kollektivvertrags auszugehen. Die §§ 82, 83 KV sind daher als „im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bestehende Normen der kollektiven Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz“ iSd § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG anzusehen.
3. § 2d Abs 3 AVRAG wurde mit BGBl I 2015/152 novelliert. Darin wurde angeordnet, dass § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG zu lauten hat:
„3. die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot, berechnet für jedes zurückgelegte Monat vom Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer, vereinbart wird.“
Die Übergangsbestimmung des § 19 Abs 1 Z 32 AVRAG lautet:
„§ 2 Abs. 2 Z 9, Abs. 5 und 6, § 2c, § 2d Abs. 3 Z 2 und 3 und § 2e samt Überschriften in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 152/2015 treten mit dem der Kundmachung dieses Bundesgesetzes folgenden Tag (29. 12. 2015, Anm) in Kraft und gelten für nach dem Inkrafttreten neu auszustellende Dienstzettel oder neu abgeschlossene Vereinbarungen über eine Konkurrenzklausel oder über den Ausbildungskostenrückersatz; ...“
4. Anders als die Übergangsbestimmung des § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG trifft der Gesetzestext des § 19 Abs 1 Z 32 AVRAG daher keine Aussage zum Schicksal bestehender kollektivvertraglicher Normen. Das spricht hier aber nicht für deren Fortgeltung:
Nach § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG sollten im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bestehende Normen der kollektiven Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz durch die Regelungen „dieses Bundesgesetzes“ nicht berührt werden. Die Bestimmung ist ausschließlich auf die Einführung des § 2d AVRAG durch das BGBl I 2006/36 bezogen und gewinnt auch nur aus dieser ihre Bedeutung, sodass etwa spätere Kollektivnormen gleichwohl dem gesetzlichen Standard des § 2d AVRAG in jener Fassung zu entsprechen hatten. Mit BGBl I 2015/152 wurde § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG – wenngleich die Bestimmung materiell nur um „für jedes zurückgelegte Monat“ erweitert wurde – in seiner Gesamtheit neu gefasst und in Z 32 das Inkrafttreten der Neufassung geregelt. Die Inkrafttretensbestimmung der Z 18 S 1 leg cit ist damit obsolet geworden.
5. Für eine Absicht des Gesetzgebers dahin, dass § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG dennoch weiter Bestand haben sollte, Alt-Kollektivnormen sohin auch durch Regelungen eines späteren Bundesgesetzes nicht berührt werden sollten, bedürfte es konkreter Anhaltspunkte. Solche sind jedoch nicht erkennbar. Die die Novelle 2015 erläuternde RV, 903 BlgNR XXV. GP S 3, führt aus:
„Weiters wird in § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG klargestellt, dass in der Rückzahlungsvereinbarung zwingend zu vereinbaren ist, dass sich der vereinbarte Rückzahlungsbetrag anteilig für jeden im Arbeitsverhältnis nach erfolgreicher Beendigung der Ausbildung zurückgelegten Monat anteilig verringert. Eine davon abweichende Ausgestaltung der zeitlichen Aliquotierung des Rückerstattungsbetrages (etwa eine jährliche Aliquotierung) ist aufgrund des zwingenden Charakters dieser Bestimmung unzulässig und hat die Unwirksamkeit der (gesamten) Rückzahlungsvereinbarung zur Folge. …
§ 2d Abs 3 Z 2 und 3 AVRAG tritt mit dem der Kundmachung dieses Bundesgesetzes folgenden Tag in Kraft und findet Anwendung auf nach dem Inkrafttreten neu abgeschlossene Vereinbarungen. Die geänderten Bestimmungen sind somit auch im Fall von Arbeitsverhältnissen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens aufrecht sind, zu beachten. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende kollektivvertragliche Regelungen des Ausbildungskostenersatzes, die eine davon abweichende Aliquotierung der Rückersatzverpflichtung vorsehen (etwa eine Aliquotierung nach Jahren), sind im Fall von neu geschlossenen Rückersatzvereinbarungen unbeachtlich. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass nach der Rechtsprechung des OGH für jede Ausbildung eine eigene Rückersatzvereinbarung zu treffen ist.“
Zufolge der ErlRV war sich der Gesetzgeber der Thematik bestehender kollektivvertraglicher Regelungen zum Ausbildungskostenrückersatz, die eine für den Arbeitnehmer ungünstigere Aliquotierung vorsehen, bewusst, wenn er sie für neu zu schließende Rückersatzvereinbarungen als „unbeachtlich“ ansah. Damit wurde aber auch zum Ausdruck gebracht, dass bereits vor der Novelle 2015 abgeschlossene Rückersatzvereinbarungen ihre Wirksamkeit nicht verlieren sollten. Die Frage, ob auch eine vor Inkrafttreten des § 2d AVRAG idF BGBl I 2006/36 eingeführte Alt-Kollektivnorm weiterhin eine mögliche Anspruchsgrundlage für die Rückersatzpflicht sein kann, wenn es nach Maßgabe der Alt-Kollektivnorm keiner Individualvereinbarung bedurfte oder diese im Sinn der dargelegten Rechtsprechung nicht dem 2006 eingeführten Standard des § 2d AVRAG entsprechen musste, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Da die Erläuterungen aber doch von der Vorstellung des Gesetzgebers getragen sind, dass der Rückersatzpflicht in jedem Fall eine eigene Vereinbarung für jede Ausbildung zugrunde liegen muss, kann es gerade nicht als Wille des Gesetzgebers angesehen werden, dass eine Rückersatzpflicht nach der Novelle 2015 noch auf eine vor dem Inkrafttreten des § 2d AVRAG geschaffene Alt-Kollektivnorm gestützt werden kann, wenn vor der Novelle 2015 gar keine oder nur eine unzureichende Individualvereinbarung getroffen wurde. Dass anlässlich dieser Novelle keine mit Z 18 S 2 leg cit vergleichbare Regelung getroffen wurde, spricht daher dafür, dass das Inkrafttreten des BGBl I 2015/152 bereits bestehende Kollektivverträge mit Ausbildungskostenrückersatzklauseln insoweit nicht mehr unberührt gelassen hat.
6. Die Klägerin kann sich aber auf keine wirksame Rückersatzvereinbarung berufen:
Dass die Seminarbuchungen vom 6. 10. 2016 und vom 19. 1. 2017 keine Vereinbarungen über die Rückersatzpflicht darstellten, entspricht dem von der Klägerin selbst vertretenen Standpunkt und ist zutreffend, weil dem Beklagten mit den Buchungen lediglich der jeweilige Seminarpreis mit dem Hinweis auf eine Rückersatzpflicht laut Kollektivvertrag mitgeteilt und von ihm mit seiner Unterfertigung „zur Kenntnis genommen“ wurde. Eine neue Willensübereinkunft beider Vertragspartner über die Schaffung einer Rückersatzpflicht des Beklagten kann darin noch nicht gesehen werden. Sie hielte aber auch der von der Rechtsprechung geforderten Klarheit über die Bedingungen der Rückersatzpflicht (s 9 Ob 125/11i; 8 ObA 92/11d; 9 ObA 7/18x) nicht stand: Dem Beklagten wurde nicht mitgeteilt, in welche der vier im Kollektivvertrag genannten, von der jeweiligen Ausbildungsart abhängigen Rückzahlungsmodelle die gebuchten Seminare fielen. Die Seminare sind auch ihrer Art nach nicht ohne Weiteres einer der Kategorien des § 82 lit a) bis e) KV zuordenbar, sodass dem Beklagten nur mögliche Rückerstattungsvarianten bekannt sein konnten. Dass die Rückzahlungsverpflichtung hier bei einer Kündigung innerhalb des ersten Jahres nach Beendigung der Ausbildung in allen vier Modellen 100 % beträgt, spielt unter Transparenzaspekten keine Rolle, weil die Wirksamkeit der Vereinbarung unabhängig vom tatsächlichen Beendigungszeitpunkt beurteilt werden muss.
Soweit die Klägerin meint, mit dem Beklagten bereits im Dienstvertrag vom 11. 12. 2014 abschließend eine wirksame Vereinbarung über den Ausbildungskostenrückersatz getroffen zu haben, ist ihr schon deshalb nicht zu folgen, weil daraus entgegen der Rechtsprechung (s RIS-Justiz RS0127499) keine Höhe der zu ersetzenden Ausbildungskosten hervorgeht. Daneben kann dahin gestellt bleiben, dass sich Pkt 12. des Dienstvertrags nur auf solche Ausbildungskosten bezieht, „soweit der Rückersatz von Ausbildungskosten im Kollektivvertrag nicht geregelt … ist“ und letzteres nach dem Standpunkt der Klägerin nicht zutrifft.
7. Scheitert eine Rückzahlungspflicht des Beklagten hier aber an einer (ausreichend klaren) Vereinbarung, kommt es auf die von der Klägerin vertretene Ansicht, dass die Vereinbarung im Wege einer Vertragsergänzung auf das gesetzlich geforderte Aliquotierungsniveau anzupassen sei (so Binder/Mair in Binder/Burger/Mair , AVRAG 3 § 2d Rz 43), nicht mehr an. Dazu sei nur angemerkt, dass sich der Entfall einer Rückerstattungspflicht schon aus dem klaren Wortlaut des § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG ergibt („Eine Verpflichtung zur Rückerstattung von Ausbildungskosten besteht insbesondere dann nicht, wenn die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot ... vereinbart wird“). Auch die Rechtsprechung sah eine Vereinbarung über den Rückersatz von Ausbildungskosten, die die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot, berechnet vom Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer, ausweist, als nichtig und zur Gänze unwirksam an (RIS-Justiz RS0124682). Die Novelle BGBl I 2015/152 hat daran nichts geändert. In objektiv-teleologischer Hinsicht gelten die schon zu 9 ObA 126/08g geäußerten Bedenken, dass sich Arbeitnehmer durch die unvermindert dargestellte gesetzwidrige Rückersatzverpflichtung und die damit bewirkte Rechtsunsicherheit abhalten lassen könnten, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln, nicht anders bei einer gesetzwidrigen Aliquotierung, weil auch die fälschliche Annahme überlanger „Abarbeitungsstufen“ mobilitätshemmend sein kann. Schließlich steht die klare gesetzgeberische Vorstellung (ErlRV, 903 BlgNR XXV. GP S 3: „Unwirksamkeit“) einer entsprechenden Vertragsergänzung auf die gesetzlich zulässige Aliquotierung entgegen.
8. Zusammenfassend kann sich die Klägerin hier nicht auf eine wirksame Vereinbarung iSd § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG berufen. Ihrer Revision war daher keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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