OGH 9Ob85/21x

OGH9Ob85/21x27.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei * W*, vertreten durch Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei b* gmbh, *, vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, wegen zuletzt 53.085,83 EUR sA und Feststellung (5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 27. Oktober 2021, GZ 11 R 23/21p‑50, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels vom 17. August 2021, GZ 3 Cg 33/20t‑46, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00085.21X.0127.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Die Beklagte veranstaltete auf einer Schisprungschanze ein Rennen, an dem mehr als 1700 Athleten, darunter auch der Kläger, teilnahmen. Ziel der Veranstaltung war es, dass die Teilnehmer die Schisprungschanze zu Fuß laufend so schnell wie möglich von unten nach oben bewältigen sollten. Der Kläger rutschte kurz vor dem Ziel auf den über die quer zur Anlaufspur ausgelegten, aufgrund vorherrschenden Regens nassen Holzbrettern aus, rutschte in der Folge den gesamten Anlauf nach unten, stürzte über den Schanzentisch hinaus und landete am Vorbau der Schanze im Gras, wodurch er schwere Verletzungen erlitt. Die Gefahr eines Ausrutschens und Abgleitens wäre für einen sorgfältigen Sicherheitsmanager im Bereich von Extremsportevents vorhersehbar gewesen, insbesondere, dass es zu einem Schmiereffekt bei längerer Belastung kommt, ebenso, dass es bei einem Abrutschen mit ca 10 km/h verbunden mit einem Absturz zu schweren, sogar lebensbedrohlichen Verletzungen kommen kann. Nicht vorhersehbar war der nach 20 bis 40 Metern des Abrutschens eingetretene Aquaplaning‑Effekt, der ein Hinausrutschen über die Schanze mit 50 bis 60 km/h bewirkt. Absicherungsmaßnahmen wären mit geringem Aufwand möglich gewesen und hätten das Abrutschen des Klägers verhindert.

[2] Das Berufungsgericht bejahte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

[3] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 2 ZPO auf:

[4] 1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass den Veranstalter eines Sportwettbewerbs bei Zahlung eines Startgeldes eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht trifft (s RS0023239). Er muss daher alle notwendigen Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung der Teilnehmer nach Tunlichkeit abzuwenden. Dabei darf die Sorgfaltspflicht zwar nicht überspannt werden; die Grenzen des Zumutbaren sind zu beachten (RS0023487). Im Einzelfall kommt es jedoch immer auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung (RS0023487 [T7]) sowie darauf an, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RS0023726). Je größer die Gefahr, umso höhere Anforderungen an die Sorgfalt sind zumutbar und daher zu stellen (2 Ob 5/20d mwN). Auch das Vorliegen entsprechender behördlicher Genehmigungen kann den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er aufgrund eigener Kenntnis den Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder kennen muss oder er ihm mögliche oder zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (RS0023419, insbesondere auch [T4]). Diesen Beurteilungsrahmen hat das Berufungsgericht nicht verlassen.

[5] Die Beklagte bringt vor, der Aquaplaning‑Effekt und die dadurch erreichte hohe Geschwindigkeit des Klägers wäre nicht vorhersehbar gewesen. Ohne Übertretung einer Schutznorm reiche es nicht aus, dass sich andere Unfälle mit ähnlichen Folgen vorhersehbar ereignen hätten können und verhinderbar gewesen wären. Diese Argumentation verkennt aber, dass sich mit den nach den Feststellungen vorhersehbaren Gefahren und Verletzungen aus einem Absturz bei geringerer Geschwindigkeit kein anderes Unfallgeschehen verwirklicht hätte, sondern es bestenfalls weniger folgenreich gewesen wäre. Dadurch entfielen hier aber die Verkehrssicherungspflichten der Beklagten, bei deren Einhaltung auch die Verletzungen und Schäden des Klägers verhindert worden wären, noch nicht.

[6] 2. Die Frage eines Mitverschuldens ist nur nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0022681 [T8, T10, T11]). Bei der Beurteilung des Fehlverhaltens des Verletzten steht die Frage im Vordergrund, ob er jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung zu verhindern oder abzuwenden (RS0022681 [T15]). Wenn die Vorinstanzen hier noch keine solche Sorglosigkeit des Klägers in eigenen Angelegenheiten sahen, sondern sein Verhalten (Überholen eines anderen Läufers) als regelkonform und nur dem Wettkampfcharakter der Veranstaltung geschuldet erachteten, so ist auch das nicht weiter korrekturbedürftig.

[7] 3. Die Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

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