European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00052.24Y.0723.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb am 19. 7. 2016 von einer Fahrzeughändlerin ein von der Beklagten hergestelltes und erstmals am 4. 5. 2012 zugelassenes Fahrzeug der Marke VW Sharan TDI Sky 4Motion zum Preis von 28.890 EUR als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 40.000 km. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut. Dass sowohl die darin verbaut gewesene Umschaltlogik als auch das – nach Durchführung des Software‑Updates (weiterhin) implementierte – „Thermofenster“ eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
[2] Der Kaufpreis war für ein gleiches verordnungskonformes Fahrzeug angemessen. Wären einem Käufer im Zeitpunkt des Ankaufs durch die Klägerin fiktiv zwei absolut gleiche Fahrzeuge angeboten worden, eines davon mit verordnungskonformer Software, ein zweites mit einer zumindest vorerst unzulässigen Software, allerdings mit der Zusage, dass es ein verordnungskonformes Software‑Update geben werde, hätte das Fahrzeug mit der vorerst nicht verordnungskonformen Software aus technischer Sicht um etwa 10 % billiger angeboten werden müssen als das verordnungskonforme Vergleichsfahrzeug, um gleich gerne und gleich wahrscheinlich gekauft zu werden. Sollte auch das „Thermofenster“ vom KBA als unzulässig festgestellt werden, so ist aus technischer Sicht davon auszugehen, dass die Beklagte neuerlich ein vom KBA zu überprüfendes Software-Update zur Verfügung stellen würde. Dennoch wäre in diesem Fall (2 x unzulässige Abschalteinrichtung) im Hinblick auf das fiktive Käuferverhalten im Ankaufszeitpunkt von einer fiktiven Wertminderung von mindestens 20 % auszugehen. Hätte die Klägerin gewusst, dass im Fahrzeug ein „Thermofenster“ verbaut ist, das möglicherweise nicht als verordnungskonform anzusehen ist und möglicherweise der Entzug der Zulassung droht, hätte sie um 20 % weniger an Kaufpreis gezahlt.
[3] Die Klägerin benützt das Fahrzeug nach wie vor. Am 10 5. 2023 hatte es einen Kilometerstand von ca 143.000 km. Am österreichischen Gebrauchtwagenmarkt gab es bislang keinen Wertverlust für Fahrzeuge, die vom „Dieselabgasskandal“ betroffen waren und sind. Das Fahrzeug war und ist aus technischer Sicht uneingeschränkt betriebs- und verkehrssicher und fahrbereit.
[4] Die Klägerin begehrte von der Beklagten 8.667 EUR sA an Schadenersatz. Durch die am Fahrzeug eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung betrage die Wertminderung des Fahrzeugs zum Ankaufszeitpunkt 30 % des Kaufpreises. Weiters stellte sie ein Feststellungsbegehren.
[5] Die Beklagte bestritt – soweit für das Revisionsverfahren relevant – den Eintritt eines Schadens und forderte, eine „allfällige Aufwertung des Fahrzeugs durch die technische Maßnahme, welche der Beseitigung der Prüfstandserkennungssoftware gedient habe“, im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen.
[6] Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 5.778 EUR sA (20 % des Kaufpreises) und dem Feststellungsbegehren statt und wies das darüberhinausgehende Leistungs- und Zinsenbegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht wies über Berufung der Beklagten das Feststellungsbegehren ab und bestätigte im Übrigen das Ersturteil. Der Klägerin sei der Nachweis einer Wertminderung von 20 % des Kaufpreises zum Ankaufszeitpunkt des Fahrzeugs gelungen. Bereits durch den überteuerten Kaufpreis habe die Klägerin diesen von der Beklagten zu ersetzenden Schaden erlitten. Das Software-Update stelle schon deswegen keinen gegenüber dem Schadenersatzanspruch der Klägerin anrechenbaren Vorteil dar, weil im Fahrzeug nach wie vor eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sei. Das Feststellungsbegehren sei nicht berechtigt. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil es bislang keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage gebe, ob sich die Klägerin einen Nutzungsvorteil (Benützungsentgelt für die gefahrenen Kilometer) auch dann auf ihren Ersatzanspruch anrechnen lassen müsse, wenn sie nicht den gesamten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs fordere, sondern lediglich den Ersatz der Wertminderung begehre und das Fahrzeug behalte.
[8] Gegen den Zuspruch des Schadenersatzbetrags von 5.778 EUR richtet sich die – von der Klägerin beantwortete – Revision der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision der Beklagten ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil sie keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen kann. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
[10] 1.1. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH C-100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90, 93), ist jedenfalls ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren. Wie bereits vom Obersten Gerichtshof wiederholt entschieden, kann der zu ersetzende Betrag in Übereinstimmung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO vom Gericht nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festgesetzt werden (RS0134498).
[11] 1.2. Das schließt allerdings nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangen kann (RS0134498 [T6]; 8 Ob 109/23x Rz 50 betreffend Nachweis der Wertminderung von 20 %; 4 Ob 27/24k Rz 21 mwN betreffend Wertminderung von 30 %). Der Zuspruch von 20 % aus der Erwägung, das hier der Klägerin in diesem Ausmaß der Nachweis einer Wertminderung gelang, ist aus Sicht des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes nicht zu beanstanden. Ob österreichische Gerichte zweiter Instanz oder deutsche Gerichte eine andere Auffassung vertreten, begründet keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0116241 [T4]; RS0126988).
[12] 1.3. Im Übrigen wirft die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall regelmäßig keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0118891). Wenn das Berufungsgericht aufgrund des festgestellten Sachverhalts davon ausgegangen ist, dass mit der „fiktiven“ Betrachtung des Käuferverhaltens letztlich eine konkrete Wertminderung festgestellt wurde, so ist dies nicht zu beanstanden. Ob (auch) das deutsche Kraftfahrtbundesamt das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt, ist nicht relevant. Unstrittig hat die Beklagte bislang keine Verbesserung des nach wie vor bestehenden Sachmangels am Fahrzeug der Klägerin angeboten.
[13] 1.4. Dass die illegale Software am Gebrauchtwagenmarkt keine Rolle spielt, wäre bei der Bemessung des Schadenersatzes nur dann zu berücksichtigen, wenn keine (konkrete) Wertminderung festgestellt hätte werden können (vgl 2 Ob 3/24s Rz 18). Abgesehen davon hat die Klägerin das Fahrzeug bislang nicht weiterverkauft.
[14] 2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der nach den Vorgaben des EuGH objektiv-abstrakt zu ermittelnde Schaden bereits aufgrund des Kaufvertrags eingetreten (10 Ob 46/23x Rz 16 mwN; 5 Ob 33/24z Rz 13 ua). Bei dieser Berechnung kommt es auf den aktuellen Restwert des Fahrzeugs am Gebrauchtwagenmarkt nicht an (vgl 5 Ob 33/24z Rz 16). Bei objektiv-abstrakter Schadensberechnung ist ein Vorteil nur dann anrechenbar, wenn er am beschädigten Gut selbst entstanden ist (3 Ob 203/23h Rz 21; 5 Ob 33/24z Rz 16 mwN). Soweit die Beklagte die Berücksichtigung einer allfälligen Aufwertung des Fahrzeugs durch die „technische Maßnahme“, die der Beseitigung der Prüfstandserkennungssoftware gedient habe, im Rahmen der Vorteilsausgleichung forderte, genügt der Hinweis, dass das Software‑Update schon deswegen keinen gegenüber dem Schadenersatzanspruch der Klägerin anrechenbaren Vorteil darstellen kann, weil eine unzulässige Abschalteinrichtung weiterhin besteht (vgl 10 Ob 46/23x Rz 24).
[15] Die Revision der Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[16] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).
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