OGH 9Ob52/03t

OGH9Ob52/03t7.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Johann S*****, Bankprüfer, *****, vertreten durch Dr. Kurt Zangerl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Barbara S*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Februar 2003, GZ 4 R 13/03w-27, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Während die Wertung, ob die wesentliche Grundlage für die Fortführung der Ehe bei einem Teil subjektiv zu bestehen aufgehört hat, dem irrevisiblen Tatsachenkomplex zuzurechnen ist (SZ 70/19), stellt die Frage, ob die Ehe objektiv unheilbar zerrüttet ist, eine auf Grund der Feststellungen zu entscheidende Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0043432; zuletzt 1 Ob 45/02b). Unheilbare Ehezerrüttung im Sinn des § 49 EheG ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben, wobei es genügt, dass der Kläger die eheliche Gesinnung verloren hat (RIS-Justiz RS0056832; zuletzt 1 Ob 45/02b). Die Frage, wann die unheilbare Zerrüttung der Ehe eintrat, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (5 Ob 132/00y; 1 Ob 45/02b) und kann daher - von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen - die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen. Von einer krassen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht kann aber hier nicht die Rede sein, zumal zum von der zweiten Instanz angenommenen Zeitpunkt der Zerrüttung (Beginn 1999) der Kläger bereits jeden Ehewillen verloren hatte und auch die Beklagte bereits aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war und ihre neue Wohnung nach ihren Bedürfnissen umbaute. Der in der Revision vorgebrachte Einwand, die Streitteile hätten noch im September 1998 einen Urlaub miteinander verbracht, macht die Rechtsauffassung der zweiten Instanz nicht unvertretbar, zumal feststeht, dass sich unmittelbar nach dem Urlaub die familiäre Situation zuspitzte und die Beklagte aus der Wohnung auszog. Schließlich ist die Beklagte selbst in erster Instanz von einer völligen Zerrüttung der Ehe bereits im November 1998 ausgegangen (S 3 in ON 6).

Wird die Ehe wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft geschieden (§ 55 EheG) und hat der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet, so ist dies auf Antrag des Beklagten im Urteil auszusprechen (§ 61 Abs 3 EheG). Nach der Rechtsprechung muss bei beiderseitigem Zerrüttungsverschulden das des Klägers erheblich schwerer sein (EFSlg 69.265, 69.266) und es muss als ehezerstörend empfunden worden sein. Dabei kann es sich aber auch um verfristete oder verziehene Eheverfehlungen handeln (4 Ob 2031/96x). Für den Verschuldensausspruch ist maßgebend, ob dem Ehegatten eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist, nicht aber, ob ein Scheidungstatbestand verwirklicht wurde (EFSlg 46.254; EFSlg 60.284; EFSlg 69.269; 4 Ob 2031/96x). Nach dem auch bei der Beurteilung des Zerrüttungsverschuldens anzuwendenden allgemeinen Grundsatz des § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG muss bei beiderseitigem Verschulden der Ehegatten das Verschulden eines der Ehegatten fast völlig in den Hintergrund treten, damit ein überwiegendes Verschulden des anderen Teiles angenommen werden kann (EFSlg 46.261; EFSlg 60.286; 4 Ob 2031/96x).

Auch die Abwägung des beiderseitigen Verschuldens an der Zerrüttung ist eine Frage des Einzelfalls, die nur im Fall einer unvertretbaren Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte. Eine solche Fehlbeurteilung vermag die Revisionswerberin aber nicht aufzuzeigen.

Primärer Grund für die Zerrüttung der Ehe waren nach den Feststellungen die ständigen Streitigkeiten zwischen den Parteien im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten im Umgang mit der pubertierenden Tochter. Ein Überwiegen des Verschuldens eines der Ehepartner an diesen Streitigkeiten ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Durch das Unterbleiben zusätzlicher Feststellungen zu diesem Thema kann sich die Revisionswerberin nicht als beschwert erachten. Zwar hat sie dem Kläger in ihrem Prozessvorbringen ohne nähere Präzisierung die Untergrabung ihrer Autorität gegenüber der Tochter bzw. die einseitige Parteinahme für diese vorgeworfen; sie hat aber dazu (jedenfalls im allein maßgeblichen Prozessvorbringen) konkrete Tatsachenbehauptungen nicht aufgestellt und auch in ihrer Berufung das Fehlen konkreter Feststellungen dazu (welcher?) nicht gerügt. Der in der Berufung abermals nur global erhobene Vorwurf, die (nicht festgestellte) Untergrabung ihrer Autorität sei zwar "angesprochen", nicht aber berücksichtigt worden, ändert daran nichts.

Auch mit dem Hinweis, das Berufungsgericht habe das Fehlverhalten des Klägers nach dem mit Anfang 1999 angenommenen Zeitpunkt der Zerrüttung nicht berücksichtigt, zeigt die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer neuen Verfehlung und der Zerrüttung im Allgemeinen nicht vorhanden ist, wenn die Ehe so tief zerrüttet ist, dass eine weitere Zerrüttung nicht mehr eintreten konnte (RIS-Justiz RS0056939; RIS-Justiz RS0056921; zuletzt 1 Ob 45/02b). Ob noch eine Vertiefung der Zerrüttung als möglich anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht revisibel ist.

Damit erweist sich aber auch der nunmehr in der Revision erhobene Einwand, den Beklagten treffe schon wegen der in seiner ersten Scheidungsklage erhobenen unwahren Behauptungen das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung, als erfolglos. Auch diese Klage wurde nämlich zu einem Zeitpunkt erhoben, zu dem die Ehe sowohl nach dem Vorbringen der Parteien als auch nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes unheilbar zerrüttet war.

Dass das Erstgericht zu den Geschehnissen im Jänner 1999 in der Ordination des Arztes der Beklagten keine Feststellungen getroffen hat, trifft zu, kann der Revision aber nicht zum Erfolg verhelfen, weil das Berufungsgericht die dazu im Vorprozess getroffenen Feststellungen - nur auf diese beruft sich die Revisionswerberin - ohnedies gewürdigt, aber in vertretbarer Weise als nicht entscheidend erachtet hat. Der Kläger hat nach diesen (vom ihm im Übrigen bestrittenen) Feststellungen damals - vom Arzt um eine offene Erklärung über seine weiteren Absichten ersucht - wahrheitsgemäß erklärt, er wolle die Ehe nicht fortführen; als der Arzt wegen des psychischen Zustandes der Beklagten erklärt hat, sie solle die Nacht nicht alleine verbringen, habe der Kläger ihren Wunsch, in der Ehewohnung zu nächtigen, abgelehnt. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, dieses Verhalten sei ein Spiegelbild des bereits fortgeschrittenen Zerrüttungsgrades der damals bereits seit einiger Zeit getrennt lebenden Eheleute, das zu keiner zusätzlichen Zerrüttung mehr geführt habe, ist angesichts des beiderseitigen Vorbringens über die damals bereits bestandene unheilbare Zerrüttung der Ehe jedenfalls nicht unvertretbar und daher nicht revisibel.

Das Vorbringen der Rekurswerberin über die bindende Wirkung der rechtskräftigen (abweisenden) Entscheidung über die erste, auf § 49 EheG gestützte Ehescheidungsklage des Klägers, ist von vornherein verfehlt, weil es beim hier zu beurteilenden Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG nicht darum geht, ob die Beklagte schuldhaft die damals geltend gemachten Scheidungstatbestände verwirklicht hat, sondern darum, ob den Kläger das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Letzteres hat das Berufungsgericht in vertretbarer und mit dem Urteil im Vorprozess nicht in Widerspruch stehender Weise verneint, zumal sich als primäre Zerrüttungsursache die ständigen Streitigkeiten der Parteien im Zusammenhang mit der Erziehung der pubertierenden Tochter herausgestellt haben, bei denen aber - wie ausgeführt - ein überwiegendes Verschulden eines der Ehepartner nicht hervorgekommen ist.

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