OGH 9Ob50/21z

OGH9Ob50/21z28.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei * E*, vertreten durch Dr. Josef Cudlin, Rechtsanwalt in Krems an der Donau, gegen die beklagte Partei * E*, vertreten durch Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Ehescheidung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 5. Mai 2021, GZ 2 R 30/21f‑49, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 16. Dezember 2020, GZ 7 C 754/19v‑38, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133074

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile haben am 10. 9. 2016 die Ehe in den USA (Kalifornien) geschlossen, dort befand sich auch der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt. Die Klägerin flog im August 2019 nach Österreich und entschied sich während des Aufenthalts, mit dem gemeinsamen Kind nicht mehr zurückzukehren.

[2] Am 27. 8. 2019 gab sie beim Erstgericht eine Scheidungsklage zu Protokoll.

[3] Nachdem sie den Beklagten über die Einbringung der Klage telefonisch informiert hatte, brachte dieser am 16. 9. 2019 eine Scheidungsklage und einen Obsorgeantrag beim zuständigen Zivilgericht in Kalifornien ein. Die Scheidungsklage konnte – auch wenn beides in einem Verfahren geführt wird – der Klägerin bis zur Entscheidung erster Instanz (16. 12. 2020) nicht zugestellt werden, weil sie ihren amerikanischen Rechtsanwalt nur zur Vertretung im Obsorgeverfahren bevollmächtigt hat.

[4] Erst am 20. 3. 2020 wurde dem Beklagten die Scheidungsklage der Klägerin zugestellt.

[5] Das Erstgericht bejahte über Einrede des Beklagten zwar seine internationale Zuständigkeit, wies die Klage der Klägerin aber wegen internationaler Streitanhängigkeit zurück.

[6] Das Rekursgericht gab dem dagegen gerichteten Rekurs der Klägerin mit einer Maßgabebestätigung nicht Folge. Zusammengefasst führte es aus, außerhalb des Anwendungsbereichs eigenständiger Regeln der internationalen Rechtshängigkeit (zB Art 19 EuGVVO II) seien im inländischen Zivilprozess die Regeln über die Rechtshängigkeit (Streitanhängigkeit) im Hinblick auf das ausländische Verfahren dann anzuwenden, wenn das zu erwartende ausländische Urteil im Inland anerkennungsfähig wäre. Ein anhängiges ausländisches Verfahren stelle daher dann ein Prozesshindernis dar, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich anerkannt und vollstreckt werden könne. Dass die Parteien und der Streitgegenstand des vom Beklagten in den USA eingebrachten Antrags auf Auflösung der Ehe einerseits und der von der Klägerin im gegenständlichen Verfahren erhobenen Scheidungsklage identisch seien, sei zwischen den Parteien nicht strittig. Ein Grund, der in den USA zu erwartenden Entscheidung nach Maßgabe des § 97 Abs 2 AußStrG die Anerkennung zu verweigern, liege nicht vor.

[7] Ob die negative Prozessvoraussetzung der Streitanhängigkeit vorliegt, sei nach österreichischem Recht zu beurteilen, weil vor österreichischen Gerichten grundsätzlich nur inländisches Verfahrensrecht zur Anwendung komme. Streitanhängigkeit des gegenständlichen Scheidungsverfahrens sei erst mit der Zustellung der Scheidungsklage der Klägerin an den Beklagten am 20. 3. 2020 eingetreten. Somit komme es darauf an, ob und wann es im Auflösungsverfahren in den USA zum Eintritt der Rechtshängigkeit komme.

[8] Unter Erörterung der Entscheidung 8 Ob 18/08x hielt es das Rekursgericht nicht für entscheidend, welches Verfahren zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit im Inland weiter fortgeschritten sei. Ein Verfahren in der Sache selbst sei aber auch noch nicht geführt worden. Die Rechtshängigkeit des amerikanischen Eheauflösungsverfahrens sei auch im vorliegenden Fall nur nach der dortigen lex fori zu bestimmen. Diese sei gemäß Rule 3 der Federal Rules of Civil Procedure (bereits) durch Einreichung der Klage beim zuständigen Gericht – und somit bereits vor Zustellung der Klage („Service of Summons“) an den Beklagten – begründet worden. Es liege daher das Prozesshindernis der internationalen Rechtshängigkeit vor. Der Revisionsrekurs sei zur Frage zulässig, ob die internationale Streitanhängigkeit auch dann nach der lex fori zu beurteilen sei, wenn die im Ausland eingebrachte Klage später als jene im Inland eingebracht worden sei.

[9] In ihrem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt die Klägerin die ersatzlose Behebung der Beschlüsse der Vorinstanzen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs der Klägerin nicht zulässig, weil er keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO aufzeigt.

[12] 1. Die Klägerin möchte für die Beurteilung der Rechtshängigkeit zunächst berücksichtigt wissen, dass das österreichische Verfahren bereits weiter als das in den USA anhängige Verfahren fortgeschritten sei.

[13] 1.1. Der wichtigste Grund für die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit ist das Bestreben, widersprechende Entscheidungen soweit möglich zu verhindern. In kollisionsrechtlicher Hinsicht ist das Vorliegen der negativen Prozessvoraussetzung der Streitanhängigkeit nach österreichischem Recht zu prüfen, weil vor österreichischen Gerichten nur inländisches Verfahrensrecht zur Anwendung zu kommen hat. Dieser Grundsatz gilt nur für die unmittelbare Anwendung von Verfahrensvorschriften, also im hier interessierenden Zusammenhang für die Frage, welche verfahrensrechtliche Beurteilung bei Bejahung des Prozesshindernisses geboten ist. Ob hingegen in einem anderen Land nach den Prozessvorschriften Rechtsanhängigkeit gegeben ist, stellt eine bloße Vorfragenbeurteilung und somit keine unmittelbare Anwendung ausländischen Verfahrensrechts dar (8 Ob 18/08t [Pkt 3.2.], 7 Ob 142/15f [Pkt 2.1.]).

[14] 1.2. Die Frage, ob eine vor einem ausländischen Gericht eingebrachte Klage das Prozesshindernis der internationalen Rechtshängigkeit begründet, wurde bereits in der Entscheidung 8 Ob 18/08t (Pkt 3.) unter Darlegung des Meinungsstandes in der Literatur erörtert. Zu diesem zählten auch die von der Klägerin zitierten Ansichten, die einen Vergleich des jeweiligen Verfahrensstandes vorschlagen und das weiter fortgeschrittene Verfahren (Heiderhoff, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtsanhängigkeit im Ehescheidungsverfahren [1998], 193) bzw für eine ausländische Rechtshängigkeit einen der (dort:) deutschen Rechtshängigkeit vergleichbaren Verfahrensstand (Linke, Zur Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens vor deutschen Gerichten, IPrax 1992, 229) als maßgeblich erachten.

[15] Die Entscheidung 8 Ob 18/08t (= RS0123716) folgte nicht diesem Ansatz, sondern hielt fest, dass die Frage, ob und wann Rechtshängigkeit im Ausland eingetreten sei, grundsätzlich nach der ausländischen lex fori zu beantworten ist. An dieser Grundaussage wurde auch in der Folge festgehalten (8 Ob 116/11h; 7 Ob 142/15f). Dafür wurde erwogen, dass die Frage, bei welchem Gericht die Sache rechtsanhängig geworden ist, am ehesten von beiden Gerichten gleich beantwortet wird – ein im Interesse des internationalen Entscheidungsgleichklangs jedenfalls wünschenswertes Ergebnis. Einer Beurteilung der ausländischen Rechtshängigkeit ausschließlich nach österreichischem Zivilprozessrecht steht dogmatisch entgegen, dass dadurch eine nach ausländischem Recht zu bejahende Rechtshängigkeit ignoriert wird. Dieses Ergebnis lässt sich mit dem Grundgedanken nicht vereinen, dass ein Verfahren über ein im Ausland zu erwartendes und anerkennungsfähiges Urteil ein Prozesshindernis darstellt.

[16] 1.3. Nach 8 Ob 18/08t gilt dieser Grundsatz jedenfalls dann uneingeschränkt, wenn die nach der ausländischen lex fori bereits mit Einbringung Rechtshängigkeit bewirkende Klage auch zeitlich vor der inländischen Klage eingebracht wurde. Ob der umgekehrte Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz zuließe oder unter Umständen der Einwand der Arglist zu gewähren sei, bedurfte in jener Entscheidung zwar keiner abschließenden Auseinandersetzung. Ein Abstellen auf den vergleichsweise fortgeschritteneren Verfahrensstand wurde darin aber jedenfalls abgelehnt. Dass damit nicht zuletzt erhebliche Rechtsunsicherheit verbunden wäre, zeigt auch das vorliegende Verfahren, in dem bisher im Wesentlichen die Einreden ua verfahrensgegenständlich waren, in der Sache selbst aber noch nicht verhandelt wurde. Andere Aspekte zeigt die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht auf.

[17] 2. Dass – wie die Klägerin weiter meint – die „einseitige Berücksichtigung“ amerikanischer Rechtsvorschriften den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung (§ 97 Abs 1 S 1 AußStrG) widerspreche, ist nicht ersichtlich. Ihre Argumentation geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Frage der Streitanhängigkeit (Rechtshängigkeit) in beiden Ländern nach den gleichen Kriterien (Klagseinbringung oder Zustellung) beurteilt werden müsse, womit jeweils das österreichische Gericht zuständig sei. Diese Prämisse trifft aber nicht zu.

[18] 3. Auch ist kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 97 Abs 2 Z 2 AußStrG) erkennbar. Diesbezüglich vermisste bereits das Rekursgericht Anhaltspunkte dafür, dass die amerikanischen Verfahrensbestimmungen eine Fortsetzung des Auflösungsverfahrens gegen die Klägerin auch dann ermöglichen würden, wenn ihr das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht wirksam zugestellt wurde, oder dass das Auflösungsverfahren ohne ihre weitere Beteiligung fortgesetzt worden wäre. Gegen die Ausführung des Rekursgerichts, dass das Verfahren in den USA bislang offenbar lediglich über die Obsorge und das Kontaktrecht, nicht aber über die Auflösung der Ehe fortgesetzt wurde, richtet sich die Klägerin auch nicht.

[19] 4. Der Umstand, dass der Beklagte die Scheidungsklage in den USA erst überreichte, nachdem er von der Einbringung der Scheidungsklage der Klägerin in Österreich verständigt worden war, reicht nach den Maßstäben der Rechtsprechung (vgl RS0026271, RS0026265 [T8, T29]) ohne weitere Anhaltspunkte nicht für die Bejahung von Arglist des Beklagten aus.

[20] 5. Der Revisionsrekurs der Klägerin ist danach zurückzuweisen.

[21] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte