OGH 7Ob142/15f

OGH7Ob142/15f16.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin B***** N*****, vertreten durch Mag. Vinzenz Fröhlich ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die Antragsgegnerin Verlassenschaft nach dem am 16. Jänner 2015 verstorbenen Dr. G***** N*****, vertreten durch Dr. Christiane Loidl, Rechtsanwältin in Graz, wegen Feststellung der Vaterschaft, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 23. Juni 2015, GZ 2 R 177/15m‑90, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 27. April 2015, GZ 227 Fam 18/14i‑85, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00142.15F.1016.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Mit Antrag vom 9. 11. 2012 begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass sie von Dr. G***** N***** abstamme.

Die Antragsgegnerin beantragt die Abweisung des Antrags. Dr. G***** N***** habe niemals sexuellen Kontakt mit der Mutter der Antragstellerin gehabt. Im Übrigen habe er am 8. 1. 2013 ‑ vor der an ihn am 5. 6. 2013 erfolgten Zustellung des gegenständlichen Antrags ‑ eine Klage auf Anfechtung der Vaterschaft beim Einzelgericht Thessaloniki in Griechenland eingebracht; das griechische Verfahren sei rechtsanhängig.

Mit Versäumungsurteil vom 16. 1. 2014 zu Nr 1082/2014 erkannte das Einzelgericht von Thessaloniki, dass Dr. G***** N*****, der am 16. 1. 2015 verstorben ist, nicht mit der Antragstellerin verwandt und konkret nicht ihr Vater sei.

Das Erstgericht stellte Dr. G***** N***** als Vater der Antragstellerin fest. Die Mutter der Antragstellerin habe mit ihm im Juli 1967, somit innerhalb von nicht mehr als 300 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Geburt der Antragstellerin Geschlechtsverkehr gehabt. Da er sich mehrfach der Abstammungsuntersuchung entzogen habe, wodurch ein positiver Abstammungsbeweis nicht zu erlangen gewesen sei, sei im vorliegenden Fall aufgrund der sonst drohenden Vaterlosigkeit auf die Vermutungswirkung gemäß § 148 Abs 2 ABGB zurückzugreifen und Dr. G***** N***** als Vater der Antragstellerin festzustellen gewesen. Eine in Griechenland ergangene Entscheidung in Abstammungssachen sei mangels Vorliegens bi‑ oder multilateraler Verträge mit Österreich weder anerkennungsfähig noch vollstreckbar. Es liege somit keine Streitanhängigkeit vor, die Weiterführung des vorliegenden Verfahrens verstoße nicht gegen den Grundsatz „ne bis in idem“.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Wenngleich das Gericht alle Beweise aufzunehmen habe, von denen eine weitere Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts erwartet werden könne, begründe die Nichtdurchführung von Beweisen dann keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, wenn die Beweisaufnahme durch den Beweisführer vereitelt werde. Im vorliegenden Fall sei die Einholung eines DNA‑Gutachtens an der Mitwirkung des präsumtiven Vaters bei der dafür nötigen Probeentnahme gescheitert, weshalb ihm insgesamt der Beweis zur Entkräftung der Vaterschaftsvermutung nicht gelungen sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und das Verfahren für nichtig zu erklären, hilfsweise wird ein Abänderungs‑ und ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin begehrt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisions‑ rekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Außerhalb des Anwendungsbereichs eigenständiger Regeln der internationalen Rechtsanhängigkeit sind im inländischen Zivilprozessrecht die Regeln über die Rechtsanhängigkeit im Hinblick auf das ausländische Verfahren dann anzuwenden, wenn das zu erwartende Urteil im Inland anerkennungsfähig wäre. Ein anhängiges ausländisches Verfahren stellt daher dann ein Prozesshindernis dar, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich anerkannt und vollstreckt werden kann (RIS‑Justiz RS0120264). Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass Entscheidungen ausländischer Gerichte die Einrede der Rechtskraft begründen, wenn sie im Inland anzuerkennen sind (RIS‑Justiz RS0110172 [T3]). Trifft dies zu, entfalten sie Bindungswirkung, die von Amts wegen wahrzunehmen ist (2 Ob 238/13h, 8 Ob 28/15y je mwN).

2.1 Der wichtigste Grund für die Beachtung ausländischer Rechtsanhängigkeit ist das Bestreben, widersprechende Entscheidungen soweit möglich zu verhindern. In kollisionsrechtlicher Hinsicht ist das Vorliegen der negativen Prozessvoraussetzung der Streitanhängigkeit nach österreichischem Recht zu prüfen, weil vor österreichischen Gerichten nur inländisches Verfahrensrecht zur Anwendung zu kommen hat. Dieser Grundsatz gilt nur für die unmittelbare Anwendung von Verfahrensvorschriften, also im hier interessierenden Zusammenhang für die Frage, welche verfahrensrechtliche Beurteilung bei Bejahung des Prozesshindernisses geboten ist. Ob hingegen in einem anderen Land nach den Prozessvorschriften Rechtsanhängigkeit gegeben ist, stellt eine bloße Vorfragenbeurteilung und somit keine unmittelbare Anwendung ausländischen Verfahrensrechts dar. Die Frage, ob und wann Rechtsanhängigkeit im Ausland eingetreten ist, ist nach ausländischem lex fori zu beantworten (8 Ob 18/08t).

2.2 Die Verletzung der Streitanhängigkeit begründet Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0039233) und hat zur Zurückweisung der zweiten Klage zu führen (8 Ob 18/08t). Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit wird nunmehr auch im Verhältnis Klage/außerstreitiger Sachantrag bejaht (RIS‑Justiz RS0126868 [T6]).

2.3 Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob die Klage vor dem Einzelgericht Thessaloniki mit Gerichtsanhängigkeit (8. 1./9. 4. 2013) oder mit der nachfolgenden Zustellung der Klage an die Antragstellerin (8. 5. 2013) eingetreten ist: Nach § 12 Abs 1 AußStrG ist nämlich ein Verfahren anhängig, sobald unter anderem ein Antrag auf seine Einleitung bei Gericht gestellt wird. Im Außerstreitverfahren werden demnach an die Anhängigkeit des Verfahrens Rechtsfolgen geknüpft, der Begriff „Streitanhängigkeit“ ist dem Außerstreitverfahren fremd ( Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 12 Rz 1).

Der vorliegende Antrag wurde bereits am 9. 11. 2012, und damit vor Einbringung und Zustellung der griechischen Klage bei Gericht eingebracht. Das Verfahren vor dem Einzelgericht Thessaloniki kann damit für das gegenständliche Verfahren nicht das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit begründen.

2.4 Die Streitanhängigkeit wurde somit von den Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend verneint. Keine Beachtung wurde aber der Frage einer allfälligen Bindungswirkung des bereits vorliegenden Urteils des Einzelgerichts Thessaloniki geschenkt.

3.1 Der Oberste Gerichtshof hat bereits geklärt, dass die Anerkennungsregeln nach §§ 91a ff AußStrG, die mit den FamRÄG 2009 BGBl I 2009/75 ab 1. 1. 2010 für die Anerkennung ausländischer Adoptionsentscheidungen eingeführt wurden und sich an §§ 97 ff AußStrG (ausländische Eheentscheidungen) und den §§ 112 ff AußStrG (ausländische Obsorgeentscheidungen) orientieren ‑ aufgrund der besonderen Sachnähe ‑ als geeignete Analogiegrundlage zur Anerkennung von ausländischen Entscheidungen in Abstammungsangelegenheiten heranzuziehen sind, zumal diese neben den Adoptionssachen zu den kindschaftsrechtlichen Statussachen zählen (2 Ob 238/13h, 8 Ob 28/15y).

3.2 Nach § 91a Abs 1 Satz 2 AußStrG kann die Anerkennung als Vorfrage selbständig beurteilt werden, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Damit wurde für rechtskräftige ausländische Adoptionsentscheidungen der Grundsatz der Inzidentanerkennung gesetzlich verankert (2 Ob 238/13h, 8 Ob 28/15y). Aufgrund des gebotenen Analogieschlusses gilt dies ebenso für rechtskräftige ausländische Entscheidungen über die Abstammung des Kindes (8 Ob 28/15y).

§ 91d AußStrG verweist zwar auf den Vorrang anderslautender Bestimmungen des Völkerrechts, die jedoch in Angelegenheiten der Abstammung zu Griechenland nicht existieren. Auch die unionsrechtlichen Bestimmungen (vgl Art 1 Abs 2 Brüssel I ‑ VO, Art 1 Abs 3a Brüssel IIa ‑ VO, Art 1 EuEheKindVO) sind auf das Vaterschafts‑Feststellungsverfahren nicht anwendbar.

Damit hat aber das Erstgericht vorerst Feststellungen zu treffen, ob das Urteil des Einzelgerichts Thessaloniki in Rechtskraft erwuchs. Die Antragstellerin brachte lediglich vor, die Erhebung eines Rechtsmittels zu beabsichtigen, ob ein solches tatsächlich eingebracht wurde, ist ebenso wenig festgestellt wie der Ausgang eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens.

3.3 Sollte die Entscheidung des griechischen Gerichts rechtskräftig sein, wäre zu prüfen, ob ihrer Anerkennung einer der in § 91a Abs 2 und 3 AußStrG genannten Versagungsgründe entgegensteht.

Nach § 91a Abs 2 AußStrG ist die Anerkennung der Entscheidung zu verweigern, wenn 1. sie dem Kindeswohl oder anderen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht; 2. das rechtliche Gehör einer der Parteien nicht gewahrt wurde, es sei denn, sie ist mit der Entscheidung offenkundig einverstanden; 3. die Entscheidung mit einer österreichischen oder einer früheren, die Voraussetzungen für eine Anerkennung in Österreich erfüllenden Entscheidung unvereinbar ist; 4. die erkennende Behörde bei Anwendung österreichischen Rechts international nicht zuständig gewesen wäre.

Gemäß § 91a Abs 3 AußStrG ist die Anerkennung weiters jederzeit auf Antrag jener Person zu verweigern, deren Zustimmungsrechte nach dem anzuwendenden Recht nicht gewahrt wurden, insbesondere weil sie keine Möglichkeit hatte, sich am Verfahren des Ursprungsstaats zu beteiligen.

3.3.1 Weil die ordre‑public‑Klausel eine systemwidrige Ausnahme darstellt, wird allgemein sparsamster Gebrauch gefordert (RIS‑Justiz RS0110743, RS0077010), eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebensowenig wie der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften. Gegenstand der Verletzung müssen vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein. Zweite wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel ist, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht (RIS‑Justiz RS0110743). Mangels Ermittlung des griechischen Rechts durch die Vorinstanzen kann zu dieser Frage noch keine Stellung genommen werden.

3.3.2 Der verfahrensrechtliche ordre public soll sicherstellen, dass die Parteien die Möglichkeit hatten, sich am Verfahren zu beteiligen. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist somit eine besondere Ausprägung des verfahrensrechtlichen ordre public. Sie soll die Antragstellerin davor schützen, dass die ausländische Entscheidung ohne ihre Beteiligung erlassen wurde. Es muss daher sichergestellt sein, dass für die Antragstellerin die Möglichkeit bestanden hat, sich effektiv am Verfahren zu beteiligen (8 Ob 28/15y mwN). Ob die Antragstellerin ausreichend Möglichkeit hatte, sich am griechischen Verfahren zu beteiligen, in dem letztlich ein Versäumungsurteil erging, kann mangels Feststellungen gleichfalls nicht beantwortet werden.

3.3.3 Eine andere (rechtskräftige) Entscheidung über die Vaterschaft, mit der die Anerkennung der griechischen Entscheidung nicht vereinbar wäre (§ 91a Abs 2 Z 3 AußStrG), ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

3.3.4 Nach § 91a Abs 2 Z 4 AußStrG ist zu prüfen, ob die erkennende Behörde bei Anwendung österreichischen Rechts international nicht zuständig gewesen wäre. Nach österreichischem Recht ergibt sich die internationale Zuständigkeit für Abstammungsverfahren aus § 108a Abs 3 JN. Sie ist unter anderem gegeben, wenn das Kind, der Mann, um dessen Vaterschaft es geht, oder die Mutter des Kindes österreichischer Staatsbürger ist. Bei „spiegelbildlicher“ Anwendung dieser Bestimmung im Sinn der „österreichischen Jurisdiktionsformel“ (2 Ob 238/13h mwN; RIS‑Justiz RS0002369 [T1]) war die internationale Zuständigkeit des griechischen Gerichts gegeben, weil der Mann, um dessen Vaterschaft es geht, griechischer Staatsbürger war.

4. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben, die Entscheidungen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen. Bevor die formelle Frage des Prozesshindernisses der Rechtskraft der griechischen Entscheidung geklärt ist, erübrigt sich eine meritorische Prüfung.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 78 Abs 1 zweiter Satz AußStrG.

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