European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00049.19Z.1030.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 783,36 EUR (darin 130,56 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen
zu ersetzen.
Begründung:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Liegenschaften. Der (hier) Kläger begann im Jahr 2008 auf seiner Liegenschaft ein Apartmenthaus zu errichten.
Im Vorverfahren nahm die (hier) Beklagte den (hier) Kläger auf Zahlung von 11.658,48 EUR sA und – in der damaligen Klagsschrift mit 1.000 EUR bewertet – Feststellung von dessen Haftung für allfällige derzeit nicht erkennbare Folgeschäden aus dem Bauvorhaben in Anspruch. Sie brachte damals vor, der Bau des Apartmenthauses habe bereits zu Rissen an ihrem Haus geführt und weitere Schäden seien nicht ausgeschlossen. Der Klage wurde mit unangefochten gebliebenem Urteil des Erstgerichts vom 13. 11. 2013 vollinhaltlich stattgegeben.
Am 17. 7. 2018 beantragte der Haftpflichtversicherer des Klägers Einsicht in den Vorakt mit der Begründung, ein eingeholtes Privatgutachten habe nunmehr ergeben, dass die Setzungen und Schäden am Gebäude der Beklagten in keinem Kausalzusammenhang mit der Bauführung des Klägers stünden, weshalb die Möglichkeit einer Wiederaufnahmsklage geprüft werde. Das Erstgericht beschloss am 6. 8. 2018, dem Haftpflichtversicherer die Akteneinsicht zu gewähren. Dagegen erhob die Beklagte Rekurs, woraufhin der Haftpflichtversicherer seinen Antrag zurückzog. Mit Beschluss des Rekursgerichts vom 25. 1. 2019 wurde der Rekurs der Beklagten mangels Beschwer zurückgewiesen und dabei ausgesprochen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige.
Mit seiner Wiederaufnahmsklage begehrt der Kläger gestützt auf den Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO die Aufhebung des Urteils des Erstgerichts vom 13. 11. 2013 und die Abweisung des Zahlungs- und Feststellungsbegehrens. Er bewertete im Rubrum die Wiederaufnahme mit 12.658,48 EUR, somit konformgehend mit der Bewertung der Klage im Vorverfahren.
Das Erstgericht gab der Wiederaufnahmsklage statt.
Das Berufungsgericht änderte mit Urteil vom 25. 4. 2019 das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab, verpflichtete den Kläger zur Tragung der unter einem bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Bewertung des Entscheidungsgegenstands begründete das Berufungsgericht mit den geschätzten Sanierungskosten, die die von den Parteien vorgenommene Bewertung des Feststellungsinteresses mit 1.000 EUR erheblich überstiegen.
Gegen diese Entscheidung brachte der Kläger einen Antrag auf Abänderung des Unzulässigkeitsausspruchs gemäß § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit der ordentlichen Revision ein, hilfsweise erhob er außerordentliche Revision. Den Hauptantrag begründete der Kläger – soweit hier von Interesse – damit, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine neue Bewertung vorzunehmen sei, weil der Entscheidungsgegenstand im Vorverfahren und im Wiederaufnahmeverfahren identisch sei. Gegenständlich sei „der Wert des Streitgegenstands durch die Bewertung des im Vorprozess letztlich ausgedehnten Leistungsbegehrens von 11.658,48 EUR und Feststellungsbegehren mit 1.000 EUR, insgesamt somit 12.658,48 EUR festgelegt“.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht den Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit der ordentlichen Revision zurück. Die Möglichkeit eines Antrags gemäß § 508 Abs 1 ZPO sei auf den Streitwertbereich zwischen 5.000 und 30.000 EUR beschränkt. Bei einem höheren Wert des Entscheidungsgegenstands komme gemäß § 505 Abs 4 ZPO nur eine außerordentliche Revision in Betracht. Dass nach ständiger Rechtsprechung eine Wiederaufnahmsklage keiner neuerlichen Bewertung des Streitgegenstands durch das Rechtsmittelgericht bedürfe, weil der Entscheidungsgegenstand im früheren Verfahren und im Wiederaufnahmeverfahren identisch sei, und daher auch die Revisibilität in beiden Verfahren nach den gleichen Grundsätzen beurteilt werden müsse, gelte dann nicht, wenn im Vorprozess noch keine Bewertung erfolgt sei. Dies sei hier der Fall, weil das erstinstanzliche Urteil im Vorverfahren unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sei. Lediglich aufgrund eines Antrags auf Akteneinsicht durch einen Dritten sei eine Bewertung im Akteneinsichtsverfahren durch das Rekursgericht erfolgt. Diese nachträgliche Bewertung im Rekursverfahren entfalte allerdings keine Wirkung zwischen den Streitteilen im Wiederaufnahmeverfahren. Damit habe das Berufungsgericht den Wert des Entscheidungsgegenstands zu bewerten gehabt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die (inhaltliche) Entscheidung über den Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO aufzutragen.
Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Rekurs ist zulässig. Der Rechtsmittelausschluss des § 508 Abs 4 ZPO betrifft nur Entscheidungen, mit denen das Berufungsgericht die Argumente des Antragstellers, es lägen doch erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, prüft, sie aber nicht für stichhältig hält und deshalb den Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO und die damit verbundene Revision zurückweist (RS0115271). Der Rechtsmittelausschluss gilt nur für die inhaltliche Beurteilung dieser Frage, nicht aber dafür, ob überhaupt ein Fall des § 508 ZPO vorliegt. Verneint das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Zwischenverfahrens nach § 508 ZPO, so greift der Rechtsmittelausschluss des § 508 Abs 4 ZPO nicht ein (RS0112034 [T1, T2]; jüngst 10 Ob 38/19i; Zechner in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 508 ZPO Rz 13).
2. Das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist – anders als vor der ZVN 2009 – zweiseitig (9 Ob 56/15y; RS0112034 [T9]). Die von der Beklagten erstattete Rekursbeantwortung ist damit zulässig.
3. Der Rekurs ist nicht berechtigt.
3.1. Der Wert des Streitgegenstands im Wiederaufnahmeprozess ist grundsätzlich identisch mit dem des Vorverfahrens (RS0042409; RS0042445). An eine abweichende Bewertung wäre der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (RS0042409 [T9] = RS0042445 [T9]). Bei Wiederaufnahmsklagen über vermögensrechtliche Ansprüche, denen nicht reine Geldleistungsbegehren zu Grunde liegen, ist der Entscheidungsgegenstand in zweiter Instanz jedoch dann zu bewerten, wenn es an einer Bewertung im Vorprozess mangelt (RS0042436 [T7]; Zechner in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze2 § 502 ZPO Rz 139; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 500 Rz 6).
3.2. Der Rekurswerber argumentiert nun, Bindung bestehe nicht nur an einen Bewertungsausspruch im Hauptverfahren, sondern auch an einen solchen in einem Verfahren auf Akteneinsicht eines Dritten.
Dagegen spricht, dass Anträge auf Gewährung von Akteneinsicht durch einen Dritten zumindest in der Regel nicht vermögensrechtlicher Natur und daher auch nicht zu bewerten sind (Rassi in Fasching/Konecny 3 § 219 ZPO Rz 79; vgl auch 1 Ob 173/07h; offenlassend 2 Ob 93/19v). Selbst wenn im Einzelfall der Entscheidungsgegenstand im Verfahren auf Akteneinsicht wegen der vermögensrechtlichen Natur der Hauptsache ebenfalls ein vermögensrechtlicher und daher zu bewerten sein sollte, wäre nicht unbedingt am Streitwert der Hauptsache anzuknüpfen. So nimmt 6 Ob 250/98b nicht auf den Streitwert der Verlassenschaft, sondern auf die vermögensrechtliche Natur des Noterbrechts Bezug, das vom Einsichtswerber zur Begründung seines rechtlichen Interesses für die Einsicht in den Abhandlungsakt geltend gemacht wurde. Das ist folgerichtig, weil das Interesse des Einsichtswerbers nicht mit der Höhe des Streitgegenstands im Akt korrelieren muss. Damit hat das Berufungsgericht zutreffend eine Bindung an die nur im Verfahren auf Akteneinsicht erfolgte Bewertung abgelehnt und selbst eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands vorgenommen.
Dem Rekurs war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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