European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00044.24X.0919.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.486,30 EUR (darin enthalten 581,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin hat als Käuferin mit der Beklagten als Verkäuferin einen Kaufvertrag über eine Liegenschaft abgeschlossen. In der Folge führte die hier Beklagte als Klägerin gegen die hier Klägerin als Beklagte ein Gerichtsverfahren auf Aufhebung bzw Nichtigerklärung des Kaufvertrags unter anderem gestützt auf laesio enormis. In diesem Vorverfahren erklärte die hier Klägerin für den Fall, dass laesio enormis vorliege, „die Bereitschaft zur Aufzahlung der Differenz zwischen dem gemeinen Wert und der von ihr erbrachten Leistung“. Eine Umstellung des Klagebegehrens erfolgte nicht. Dieses wurde letztlich rechtskräftig abgewiesen.
[2] Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin als Hauptbegehren, die Beklagte zu verpflichten, der Einverleibung des Eigentumsrechts der Klägerin an der Liegenschaft, der Reallast einer monatlichen Leibrente zu Gunsten der Beklagten ob dieser Liegenschaft und der Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchsrechts zu Gunsten der Beklagten zuzustimmen. Weiters sei die Beklagte schuldig zu erkennen, die in ihrem Besitz befindlichen Rangordnungsbeschlüsse betreffend die beabsichtigte Veräußerung der Liegenschaft der Klägerin auszuhändigen. Über diese Begehren hat das Erstgericht ungerügt nicht abgesprochen.
[3] Eventualiter begehrt die Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, in einen in das Urteilsbegehren integrierten Nachtrag zum Kaufvertrag einzuwilligen. Aufgrund der erfolgten Zuschreibung des über die Liegenschaft verlaufenden Weges aus dem öffentlichen Gut sowie der Abschreibung eines anderen Grundstücks sei der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossene rechtswirksame Kaufvertrag nicht mehr unmittelbar einverleibungsfähig. Dem Einwand der laesio enormis stehe die materielle Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren entgegen.
[4] Die Beklagte bestreitet. Sie sei nicht verpflichtet, in den Nachtrag zum Kaufvertrag einzuwilligen. Die Klägerin habe darüber hinaus im Vorverfahren ihre Bereitschaft erklärt, in Ausübung der Ersetzungsbefugnis nach § 934 ABGB die Differenz zum gemeinen Wert aufzuzahlen. Die Beklagte habe deshalb die Klägerin aufgefordert, 2.800.000 EUR auf den gemeinen Wert aufzuzahlen. Dieser Aufforderung sei die Klägerin nicht nachgekommen. Für den Fall der nicht fristgerechten Zahlung habe die Beklagte den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Mangels Zahlung sei der Rücktritt wirksam geworden.
[5] Das Erstgericht gab dem Eventualklagebegehren statt ohne über das Hauptbegehren zu entscheiden.
[6] Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten Folge, hob das erstinstanzliche Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Durch die Erklärung der Klägerin im Vorverfahren, iSd § 934 Satz 2 ABGB zur Aufzahlung bereit zu sein, sei einerseits das Aufhebungsrecht der Beklagten zum Erlöschen gebracht und andererseits eine rechtliche Verpflichtung der Klägerin zur Aufzahlung auf den gemeinen Wert begründet worden, sofern der Tatbestand des § 934 ABGB erfüllt sei. Unter dieser Voraussetzung habe weiterhin ein klagbarer Zahlungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin bestanden bzw sei die Beklagte im Falle eines Verzugs der Klägerin mit der Zahlung der Ausgleichsleistung berechtigt gewesen, unter Setzung einer angemessenen Frist vom gesamten Vertrag zurückzutreten. Infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung habe sich das Erstgericht im angefochtenen Urteil mit dem Anspruch der Beklagten auf Aufzahlung und mit ihrem Rücktritt nicht befasst und die notwendigen Beweise nicht aufgenommen bzw die erforderlichen Feststellungen dazu nicht getroffen, weshalb das Ersturteil aufzuheben sei.
[7] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob der Anspruch des verkürzten Anfechtungsklägers auf Aufzahlung bis zum gemeinen Wert erlösche, wenn er bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des verkürzenden Anfechtungsgegners das Klagebegehren aufrecht erhalte, die Klage nicht auf Geldzahlung umstelle und das Aufhebungsbegehren abgewiesen werde, oder ob er weiterhin berechtigt sei, Klage auf Zahlung des Ausgleichs zu erheben bzw bei Zahlungsverzug unter Setzung einer angemessenen Nachfrist vom gesamten Vertrag zurückzutreten.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. In eventu wird der Antrag gestellt, die Entscheidung dahingehend abzuändern, dass dem modifizierten Hauptbegehren der Klägerin stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Beklagte beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Rekurs der Klägerin unzulässig, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung geklärt sind.
[11] 1.1. Wurde gegen die Nichterledigung eines Sachantrags weder durch Ergänzungsantrag nach § 423 ZPO noch durch Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 ZPO Abhilfe gesucht, scheidet dieser Anspruch aus dem Verfahren aus (RS0041490 ua).
[12] 1.2. Die Klägerin macht geltend, dass Rechtsprechung dazu fehle, ob bei Nichtvorliegen einer Beschwer für die Einbringung einer Berufung, ein solcher Verfahrensmangel im Rahmen einer Berufungsbeantwortung zu rügen wäre.
[13] Dabei übersieht sie, dass, werden von einer Partei neben dem Hauptantrag noch Eventualanträge gestellt, der Partei das Beschwerdeinteresse nicht schon deshalb abzusprechen ist, weil sie mit einem Eventualantrag Erfolg hatte (RS0037615). Ihre formelle Beschwer liegt in der Abweisung des Hauptantrags (RS0043917 [T4]). Dies muss aber ebenso gelten, wenn über das Hauptbegehren überhaupt nicht abgesprochen wurde.
[14] 1.3. Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung, ein Kläger dann nicht durch die Abweisung des Hauptbegehrens beschwert ist, wenn ihm mit dem Eventualbegehren ohnehin all das zugesprochen wird, was Gegenstand des Hauptbegehrens war. In einem solchen Fall wurde ja in Wahrheit – ungeachtet der Formulierung des Urteilsspruchs – dem Hauptbegehren stattgegeben und – sofern das Eventualbegehren umfassender war – dem Kläger darüber hinaus noch mehr zugesprochen, das Hauptbegehren ist als minus im Eventualbegehren enthalten. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob das vorliegend der Fall ist, da das nichts daran ändern würde, dass das gesondert gestellte Hauptbegehren aus dem Verfahren ausgeschieden ist und nur mehr das (dieses allenfalls mitumfassende) Eventualbegehren verfahrensgegenständlich ist.
[15] 2.1. § 934 ABGB räumt demjenigen, der bei zweiseitig verbindlichen Geschäften nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem anderen gegeben hat, von diesem an gemeinem Wert erhalten hat, das Recht ein, die Aufhebung und die Herstellung in den vorigen Stand zu fordern. Nach Satz 2 leg cit kann aber der andere Teil das Geschäft dadurch aufrecht erhalten, dass er den Abgang bis zum gemeinen Wert zu ersetzen bereit ist. Er hat seine diesbezügliche Bereitschaft spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu erklären (RS0021626 [T1]), da bis zur Klärung des wahren Wertes von Leistung und Gegenleistung oft noch gar nicht beurteilt werden kann, ob das Aufhebungsbegehren berechtigt ist und welchen Betrag der Verkürzende anzubieten hat. Die konkrete Bezifferung des vom verkürzenden Vertragsteil angebotenen Aufzahlungsbetrags wird nach der Rechtsprechung nicht gefordert. Oft erlangt der Beklage erst mit dem Ersturteil Kenntnis vom (festgestellten) gemeinen Wert der Sache zum Verkaufszeitpunkt (9 Ob 10/20s). Wurde aber ein Vertrag wegen Verletzung über die Hälfte mit rechtskräftigem Rechtsgestaltungsurteil für aufgelöst erklärt, so könnte er durch nachträgliches Anbieten des Preisunterschieds nicht wieder Gültigkeit erlangen (6 Ob 618/92).
[16] 2.2. Macht der Verkürzende von der ihm gesetzlich eingeräumten wahlweisen Ermächtigung durch seine Erklärung Gebrauch, bringt er damit den Aufhebungs- und Sachrückübertragungsanspruch der Verkürzten zum erlöschen (6 Ob 618/92; 6 Ob 612/93; 8 Ob 567/93). Damit kann nicht mehr mit Rechtsgestaltungsurteil die Vertragsaufhebung unter Einräumung eines schon konsumierten Wahlrechts ausgesprochen werden. Dem Verkürzten steht nur mehr ein Anspruch auf Leistung des auf den gemeinen Wert fehlenden Abgangs zu (vgl 6 Ob 612/93).
[17] 2.3. Nach der Rechtsprechung hat sich der Verkürzte im Verfahren dann, wenn Verfahrensgegenstand nicht eine Leistungsklage ist, darüber zu erklären, ob er das Klagebegehren aufrecht hält oder es in eine Leistungsklage ändert. Diese Klagsänderung ist sodann, da sie materiell‑rechtlich begründet ist, ohne Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 235 ZPO zuzulassen (8 Ob 567/93 mwN).
[18] 2.4. Das Wahlrecht des Verkürzenden nach § 934 Satz 2 ABGB stellt ein gesetzliches Gestaltungsrecht dar (vgl P. Bydlinski in KBB7 § 934 ABGB, Rz 4). Ein Gestaltungsrecht wird regelmäßig durch formlose empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt, wird mit deren Zugang an den Empfänger wirksam und erlischt mit seiner Ausübung (RS0013923). Mit Ausübung des Gestaltungsrechts wird die andere Leistung neuer Schuldinhalt (vgl 5 Ob 139/22k zu § 906 ABGB).
[19] 2.5. Materiell‑rechtlich führt daher die Erklärung zur Aufzahlung bereit zu sein, wie ausgeführt dazu, dass der Verkürzte nicht mehr mit Rechtsgestaltungsurteil die Vertragsaufhebung sondern nur noch die Zahlung des Ausgleichsbetrags fordern kann. Deshalb ist ein auf Vertragsaufhebung gerichtetes Begehren abzuweisen. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin hat das jedoch keinen Einfluss auf den Anspruch des Verkürzten auf Zahlung des Ausgleichsbetrags, der durch die Ausübung des Gestaltungsrechts Vertragsinhalt wird. Einer Geltendmachung dieses Anspruchs steht auch keine Bindungswirkung einer solchen klagsabweisenden Entscheidung entgegen, da die Frage, ob eine Verkürzung über die Hälfte vorliegt, nur die Vorfrage für die Berechtigung des Anspruchs – sei es auf Vertragsaufhebung oder Zahlung des Ausgleichsbetrags – darstellt und keine Identität des Streitgegenstands vorliegt.
[20] Allein dass dem Kläger die Möglichkeit zu einer Umstellung der Klage einzuräumen ist, führt nicht dazu, dass mangels Umstellung nicht verfahrensgegenständliche Ansprüche wie der Anspruch auf Zahlung des Ausgleichsbetrags materiell‑rechtlich erlöschen.
[21] 2.6. Soweit die Revision aus der Entscheidung 6 Ob 618/92 ableiten will, dass mangels Umstellung des Klagebegehrens abschließend über das Vorliegen von laesio enormis abgesprochen wurde, lässt sich das dieser Entscheidung nicht entnehmen. Sie verweist vielmehr nur darauf, dass bei einem auf Vertragsaufhebung gestützten Zahlungsbegehren ein gegenüber dem Aufzahlungsbetrag allfälliges Mehrbegehren abzuweisen wäre.
[22] 3. Die verjährungsrechtlichen Auswirkungen der Erklärung zur Aufzahlung müssen derzeit mangels entsprechenden Vorbringens und Feststellungen nicht geprüft werden. Auch zur Beurteilung, ob überhaupt laesio enormis vorliegt, die Klägerin zur Zahlung eines Ausgleichsbetrags verpflichtet ist, die Beklagte berechtigt unter Setzung einer Nachfrist zur Zahlung des Ausgleichsbetrags vom Vertrag zurückgetreten ist bzw ob und wann der Kaufpreis überhaupt fällig ist, fehlt jegliche Tatsachengrundlage, weshalb das Berufungsgericht auch eine Verfahrensergänzung aufgetragen hat.
[23] 4. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Der Rekurs der Klägerin ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[24] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen (RS0123222 [T8]).
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