OGH 9Ob41/11m

OGH9Ob41/11m30.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** P*****, Pensionistin, *****, vertreten durch die RA Dr. Franz P. Oberlercher & RA Mag. Gustav H. Ortner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Spittal/Drau, gegen die beklagte Partei L***** K*****, vertreten durch die Dr. Ernst Maiditsch M.B.L. HSG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, wegen 51.961,90 EUR sA und Feststellung (Streitwert 7.000 EUR; Gesamtstreitwert 58.961,90 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. April 2011, GZ 2 R 191/10s-87, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 28. September 2010, GZ 49 Cg 9/08a-83, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei, die mit 2.023,74 EUR (darin 337,29 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage des Umfangs der ärztlichen Aufklärungspflicht bei verschiedenen zur Wahl stehenden Hüftprothesen mit unterschiedlicher Lockerungstendenz insbesondere während der ersten drei Monate noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Dieser Begründung schloss sich die Revisionswerberin offenbar an, erstattete aber im Übrigen zur Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO kein besonderes Vorbringen. Demgegenüber bestritt die Revisionsgegnerin ausdrücklich die Zulässigkeit der Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte deren Zurückweisung.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Der Oberste Gerichtshof hat in zahlreichen Entscheidungen Grundsätze über Erforderlichkeit und Umfang der ärztlichen Aufklärung entwickelt, die das Berufungsgericht beachtet hat. Danach umfasst der mit dem Arzt oder Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten (RIS-Justiz RS0038176 ua). Die Anforderungen an den Umfang der Aufklärung des Patienten über mögliche schädliche Auswirkungen können nicht einheitlich, sondern nur nach den Gesichtspunkten gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung, den Umständen des Einzelfalls und den Besonderheiten des Krankheitsbildes Rechnung tragend, ermittelt werden (RIS-Justiz RS0026529 ua). Die an den Arzt gestellten Aufklärungsanforderungen dürfen nicht überspannt werden (10 Ob 286/99b ua). Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 begründet (RIS-Justiz RS0026529 ua).

Bei der Klägerin bestand eine dringende Operationsindikation (Reoperation der rechten Hüftprothese). Die Klägerin wurde von einer Assistenzärztin über die Gefahr der vorzeitigen Lockerung der neuen Prothese aufgeklärt und darauf hingewiesen, dass die Prothese im Fall einer Lockerung neuerlich ausgetauscht werden muss. Streit herrscht nun zwischen den Parteien darüber, ob die Aufklärung ausreichend war. Dies wurde von den Vorinstanzen bejaht. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass auch ein Pfannenausriss Folge einer Instabilität sei bzw eine Lockerung des verwendeten Implantats iwS darstelle und daher unter die erfolgte ärztliche Aufklärung über die Gefahr der vorzeitigen Lockerung der neuen Prothese subsumiert werden könne, ist nach der Lage des Falls vertretbar und stellt keine gravierende Fehlbeurteilung dar. Wenn bereits eine geringfügige Lockerung der Prothese dazu führt, dass sie neuerlich ausgetauscht werden muss, gilt dies erst recht für einen Ausriss. Die Konsequenz der Notwendigkeit des für den Patienten unangenehmen Austausches des Implantats bleibt grundsätzlich dieselbe.

Die Klägerin wurde im Rahmen einer am 28. 1. 2005 vorgenommenen Reoperation, nachdem es bei der im Jahr 1997 implantierten Hüftgelenkstotalendoprothese zu einem Bruch der Kunststoffschale gekommen war, mit einer neuen Prothese versorgt. Dass dabei vom Operateur aufgrund seiner intraoperativen Beurteilung ein zementfreies Produkt verwendet wurde, war in Anbetracht der bei der Klägerin gegebenen Situation nicht nur medizinisch gerechtfertigt, sondern angezeigt, weil mit diesem Implantat grundsätzlich auf Jahre hinaus die beste Versorgung der Klägerin gegeben gewesen wäre. Demgegenüber sind zementierte Implantate zwar unmittelbar nach der Operation belastungsstabil, weisen aber im Fall der Verwendung bei einer Reoperation bereits nach sechs Monaten eine erhöhte Lockerungstendenz auf. Demgegenüber verwachsen zementfreie Implantate mit dem Knochen zu einer biologischen Einheit, sodass auch bei einer Reoperation eine vorzeitige Lockerung nach dem Ablauf von längstens drei Monaten höchst unwahrscheinlich ist. Bei dieser Ausgangssituation kann nicht von zwei gleichwertigen Behandlungsmethoden gesprochen werden, zwischen denen die Klägerin die Wahl gehabt hätte. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, ist daher die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin ausreichend ärztlich aufgeklärt wurde, vertretbar.

Zu den weiteren Überlegungen der Revisionswerberin wurde die Revision vom Berufungsgericht nicht zugelassen. Die Revisionswerberin setzt sich auch insoweit nicht mit den Voraussetzungen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auseinander. Die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Revisionsgegnerin hat ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979 ua).

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