OGH 10Ob286/99b

OGH10Ob286/99b16.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr, Dr. Steinbauer, Dr. Hopf und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ilse Romana M*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr. Reinhard Anderle, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Stadt L*****, vertreten durch den Bürgermeister Dr. Franz D*****, dieser vertreten durch Zamponi, Weixelbaum & Partner Rechtsanwälte OEG in Linz, wegen S 350.000,-- sA und Feststellung (Streitwert S 20.000,--), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 28. Mai 1999, GZ 4 R 61/99i-53, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der mit dem Arzt oder - wie hier - mit dem Träger des Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten (SZ 63/152; SZ 62/154; SZ 59/18 uva). In welchem Umfang der Patient aufgeklärt werden muss, damit er die Tragweite seiner Erklärung, in eine Behandlung einzuwilligen, überschauen kann, ist eine stets an Hand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage (EvBl 1995/149; SZ 62/154; SZ 55/114 uva; RIS-Justiz RS0026763). Der Umfang der Aufklärung muss hiebei auf Grund gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung nach den Umständen des Einzelfalles unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes beurteilt werden (vgl RdM 1996/25 mwN uva). Daraus folgt, dass der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht grundsätzlich eine Frage des Einzelfalles und damit einer außerordentlichen Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zugänglich ist. Die Vorinstanzen haben die dafür von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze bei ihrer Entscheidung berücksichtigt.

Die Klägerin hat als Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht geltend gemacht, dass sie von den behandelnden Ärzten nicht über die mit der Anlegung eines Spaltgipsverbandes allenfalls verbundenen Gefahren, insbesondere das Risiko des Auftretens einer Nekrose, und auch nicht über mögliche alternative Behandlungsmethoden aufgeklärt worden sei.

Nach der Rechtsprechung dürfen die an den Arzt gestellten Aufklärungsanforderungen nicht überspannt werden (RdM 1994/1; JBl 1991, 316 mwN ua). Im Allgemeinen ist der Arzt nicht verpflichtet, den Kranken auf alle nur erdenklichen nachteiligen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung hinzuweisen, sofern mit solchen Folgen bei Würdigung des Anlassfalles nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und der ärztlichen Erfahrung nicht gerechnet werden muss (JBl 1991, 316; SZ 62/18; JBl 1982, 491 uva), weil in diesem Fall die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie bei einem verständigen Patienten an seinem Entschluss, in die Behandlung einzuwilligen, nichts ändern (RZ 1973/167 ua).

Nach den Feststellungen ist das Auftreten einer Nekrose nur bei Anlegung eines geschlossenen Gipsverbandes als übliche Komplikation zu werten. Bei Anlegen eines Spaltgipsverbandes - wie im vorliegenden Fall - kann es hingegen nur in außergewöhnlichen Situationen (zB bei gleichzeitig bestehender psychischer Erkrankung des Patienten sowie bei Auftreten eines Infekts) zu Druckschäden im Gipsverband kommen. Den die Klägerin behandelnden Ärzten der beklagten Partei war im Zeitpunkt der Anlegung des Spaltgipsverbandes in der Nacht vom 26. 8. auf den 27. 8. 1992 das Vorliegen einer Infektion oder einer psychischen Erkrankung bei der Klägerin nicht bekannt und musste ihnen nach dem festgestellten Sachverhalt auch nicht bekannt sein. Soweit die Klägerin in ihrer Revision das Fehlen einer Feststellung über das Vorliegen einer schweren seelischen Krise in Form einer hysterischen Charakterneurose laut Befundzusammenstellung vom 1. 9. 1992 rügt, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass dieser psychiatrische Konsiliarbefund (vgl S 5 in ON 5) vom 1. 9. 1992 stammt und daher zum Zeitpunkt der erwähnten Behandlung der Klägerin noch gar nicht vorgelegen sein kann und zum anderen dieser Befund nur ausweist, dass bei der dem Ersteller dieses Befundes gut bekannten Klägerin immer wieder schwerere seelische Krisen bestehen, hinter denen eine schwere hysterische Charakterneurose stehe. Das Vorliegen einer akutellen psychischen Erkrankung im Zeitpunkt der gegenständlichen Behandlung wurde von der Klägerin im Verfahren nicht geltend gemacht und es wurde auch seinerzeit weder von der Klägerin noch von ihrem Rechtsvertreter eine diesbezügliche Erwähnung gegenüber den behandelnden Ärzten gemacht. Wenn die Vorinstanzen bei der gegebenen Sachlage eine Aufklärungsverpflichtung der behandelnden Ärzte hinsichtlich der nach der ärztlichen Erfahrung bei Anlegen eines Spaltgipsverbandes praktisch auszuschließenden Möglichkeit des Auftretens einer Nekrose verneint haben, kann darin keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Der Arzt muss auch nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten mit dem Patienten erörtern, er muss aber den Patienten, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische Verfahren informieren, wenn jeweils unterschiedliche Risken, eine verschieden starke Intensität des Eingriffs, differierende Folgen, insbesondere in der Schmerzbelastung, oder verschieden hohe Erfolgssicherheiten damit verbunden sind (vgl MGA, ABGB35 ENr 236 zu § 1299 mwN ua).

Im vorliegenden Fall handelte es sich nach den Feststellungen bei den möglichen alternativen Behandlungsmethoden (Umschläge und Salbenbehandlung, Anlegen einer Gipsschiene bzw stationäre Behandlung) um keine adäquaten Behandlungsmethoden. Im übrigen hätte die Klägerin nach den Feststellungen auch bei Aufklärung über diese möglichen alternativen Behandlungsmethoden der von den behandelnden Ärzten tatsächlich zur Anwendung gebrachten Heilbehandlung durch Anlegen eines Spaltgipsverbandes ihre Zustimmung erteilt. Eine Haftung der beklagten Partei aus diesem Grunde wurde daher von den Vorinstanzen ebenfalls zutreffend verneint.

Zur Sicherstellung einer komplikationslosen Heilung bedurfte es im Falle der Klägerin auch des Wissens darüber, dass bei Zunahme der Schmerzen, Gefühlsstörung, Durchblutungsstörung und bei Temperaturerhöhung unverzüglich das Krankenhaus aufzusuchen ist. Es konnte zwar nicht festgestellt werden, dass die Klägerin am 26. 8. 1992 mündlich ausdrücklich darüber aufgeklärt worden wäre, dass sie bei Auftreten von Schmerzen sofort das Krankenhaus aufsuchen solle. Die Vorinstanzen sind jedoch davon ausgegangen, dass die Klägerin über dieses entscheidungsrelevante Wissen bereits verfügte, weil sie darauf bereits in der Vergangenheit bei der Anlegung von Gipsverbänden ausdrücklich hingewiesen wurde und sie auch den ihr anlässlich ihrer Behandlung im AKH L***** im Zeitraum von Mai bis August 1992 wiederholte Male ausgefolgten Ambulanzblätter den deutlich sichtbaren Hinweis entnehmen konnte, dass sie sich bei Auftreten von Komplikationen (Blutung, Schmerzen, Fieber usw) sofort an die Unfallambulanz oder an den nächsten erreichbaren Arzt wenden soll. Auch in dieser an den konkreten Umständen des Einzelfalles ausgerichteten rechtlichen Beurteilung kann keine vom Revisionsgericht aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung erblickt werden.

Die außerordentliche Revision war somit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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