OGH 9Ob38/11w

OGH9Ob38/11w27.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. E***** K*****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. M***** W*****, vertreten durch Mag. Nikolaus Bauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 31.000 EUR) und 1.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. März 2011, GZ 15 R 6/11d-16, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 11. November 2010, GZ 25 Cg 61/10i-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.821,24 EUR (darin 303,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 25. 8. 2009, GZ 2 P 297/98g-S175, wurde dem Kläger die Obsorge für seinen Sohn, den mj M***** K*****, geboren ***** 1994, entzogen und der Mutter A***** A***** alleine übertragen. Noch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Obsorgeverfahrens erhob der Kläger die vorliegende Schadenersatzklage, mit der er die Beklagte, die im Obsorgeverfahren als gerichtliche Sachverständige für Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie gutachtlich tätig geworden war, belangte. Die Beklagte habe am 15. 10. 2008 vorsätzlich ein unrichtiges Gutachten erstattet, um den Standpunkt der Mutter zu fördern. Die Erstattung dieses Gutachtens und dessen Aufrechterhaltung bei der Tagsatzung vom 7. 5. 2009 durch die Beklagte habe zur Folge gehabt, dass die Zwangssituation des Minderjährigen bei der Mutter perpetuiert worden und die Obsorge schließlich mit Beschluss vom 25. 8. 2009 der Mutter übertragen worden sei. Der Kläger begehre deshalb die gerichtliche Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger für den Ersatz sämtlicher Schäden und Nachteile hafte, die aus der Tatsache resultieren, dass dem Kläger als alleinigem Sorgeberechtigten sein Sohn über den 31. 10. 2008 hinaus entzogen worden sei; diese Feststellung betreffe insbesondere solche Schäden des Klägers, die durch schulische Minderleistungen des Minderjährigen sowie allfällige Kosten für psychologische Behandlungen des Minderjährigen sowie den durch die Verlängerung der Entziehung erforderlich gewordenen Verfahrensaufwand im Obsorgeverfahren sowie Kindesunterhalt für Zeiträume nach dem 21. 3. 2009 verursacht seien. Nach erstgerichtlicher Erörterung des rechtlichen Interesses an der begehrten Feststellung dehnte der Kläger sein Klagebegehren um ein Leistungsbegehren in der Höhe von 1.000 EUR sA aus; hievon entfielen 400 EUR auf Unterhaltszahlungen des Klägers an den Minderjährigen für Jänner 2010 und 600 EUR auf Kosten für Rechtsmittel im Obsorgeverfahren. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (21. 9. 2010) war das Obsorgeverfahren noch nicht rechtskräftig beendet, nachdem der Kläger unter anderem den Rechtsmittelsenat des Rekursgerichts als befangen abgelehnt hatte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Die ordentliche Revision ließ es gemäß § 502 Abs 1 ZPO zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) - nicht zulässig. Auch der Kläger zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Das Klagebegehren kann auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Haftung gerichtlich bestellter Sachverständiger beurteilt werden. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Nach ständiger Rechtsprechung haftet ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem gerichtlichen Verfahren schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Parteien gegenüber persönlich und unmittelbar nach §§ 1295, 1299 ABGB für den dadurch verursachten Schaden (6 Ob 634/77v = SZ 50/98; 3 Ob 93/05f; 6 Ob 85/07d; 8 Ob 69/08t; RIS-Justiz RS0026319, RS0026360 ua). Ob einer Partei durch ein schuldhaftes Fehlverhalten des Sachverständigen ein Schaden entstanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die Entscheidung im Anlassverfahren für sie günstiger ausgefallen wäre, wenn der Sachverständige dort ein in allen von ihm begutachteten Fragen richtiges Gutachten abgegeben hätte (3 Ob 284/01p; RIS-Justiz RS0026360 ua). Im Regelfall kommt es daher darauf an, ob die Unrichtigkeit des beanstandeten Gutachtens ausschlaggebend für die die Partei beschwerende gerichtliche Entscheidung war (8 Ob 505/86; 1 Ob 263/02m; 4 Ob 228/05s; 8 Ob 6/09d ua). Unter Umständen kann eine Haftung für die aus einem Gutachten resultierenden Schäden auch dann bestehen, wenn dieses Gutachten nicht der gerichtlichen Entscheidung zugrundegelegt wurde (vgl 2 Ob 180/08x ua). Um einen derartigen Fall geht es jedoch hier nicht.

Das gegenständliche Feststellungsbegehren stellt auf die Schäden und Nachteile aus der Entziehung der Obsorge ab. Damit kann in Bezug auf die Beklagte - anders als bei der Mutter des Minderjährigen, von der der Kläger behauptet, dass sie ihm den Sohn physisch entzogen habe, indem sie diesen nach Ausübung des Ferienbesuchsrechts nicht mehr an ihn zurückgestellt habe - nur eine gerichtliche Entscheidung gemeint sein, die bezüglich der Obsorge auf dem Gutachten der Beklagten beruht. Damit ist aber das Feststellungsbegehren, ungeachtet der zum Teil anders lautenden Behauptungen, mit der pflegschaftsgerichtlichen Entscheidung vom 25. 8. 2009 verbunden, mit der dem Kläger die Obsorge für seinen Sohn entzogen und der Mutter übertragen wurde. Die Berechtigung des Klagebegehrens ist daher davon abhängig, dass die vom Kläger behauptete Unrichtigkeit des Gutachtens ausschlaggebend für diese Obsorgeentscheidung war. Der Versuch des Klägers, das schädigende Ereignis auf einen Zeitpunkt vor der Obsorgeentscheidung vom 25. 8. 2009 vorzuverlegen, ist nicht zielführend, weil das Gutachten der Beklagten erst in dieser Entscheidung seinen Niederschlag fand. Dass schon vorher eine auf dem Gutachten der Beklagten beruhende andere Entscheidung des Pflegschaftsgerichts ergangen wäre, etwa eine ausdrückliche Ablehnung der Durchsetzung der früheren Obsorgeregelung, ist nicht hervorgekommen. Auch die vom Kläger behauptete „Perpetuierung“ der Entziehung des Minderjährigen (durch die Mutter) fand - soweit es die gutachtliche Tätigkeit der Beklagten betrifft - erst in der Obsorgeentscheidung ihren Niederschlag.

Die gegenständliche Klageführung zielt im Ergebnis darauf ab, das bei Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Obsorgeverfahren mit dem Schadenersatzprozess zu überholen. Die Richtigkeit der pflegschaftsgerichtlichen Beurteilung der Obsorge im Obsorgeverfahren soll noch vor dessen rechtskräftigem Abschluss in einem parallel gegen die Sachverständige geführten Schadenersatzprozess von den Gerichten überprüft werden. Ob aber das Sachverständigengutachten der Beklagten für die gerichtliche Entscheidung über die Obsorge ausschlaggebend war, steht erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über die Obsorge endgültig fest. Vor der rechtskräftigen Entscheidung über die Obsorge ist die Beurteilung des Einflusses des Gutachtens auf die Frage der Obsorge nicht möglich. Die Klageführung erfolgte daher verfrüht. Dass das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit eines Sachverständigen erst mit Abschluss des Verfahrens endgültig feststeht, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits zu 8 Ob 30/07f hervorgehoben. Weiters wurde in dieser Entscheidung erkannt, dass es vor dem Abschluss des Anlassverfahrens an einer wesentlichen Voraussetzung für eine „vorbeugende Feststellungsklage“ fehlt, nämlich dass sich das schädigende Ereignis, das einen konkreten Schaden hätte auslösen können, bereits ereignet hat. Das Erstgericht hat diese Sichtweise mit den Parteien ausdrücklich erörtert. Eine Überraschung des Klägers durch die gerichtliche Entscheidung ist daher ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Klägers genügt es nicht, dass das beanstandete Gutachten der Beklagten bei Einbringung der Schadenersatzklage bereits vorlag, weil es hier nicht um eine Schädigung durch das Gutachten als solches, sondern um eine behauptete Schädigung durch Beeinflussung der gerichtlichen Obsorgeentscheidung durch ein unrichtiges Gutachten geht.

Die vom Kläger aufgrund der vorstehenden Erörterung des Erstgerichts offenbar befürchtete Abweisung des Feststellungsbegehrens veranlasste ihn zu einer Ausdehnung des Klagebegehrens um ein Leistungsbegehren über 1.000 EUR sA. Dazu machte er geltend, es seien bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Obsorgeverfahrens „Schäden“ eingetreten, die mit dem Leistungsbegehren geltend gemacht würden. Als Schäden qualifiziert der Kläger die Rechtsmittelkosten im Zusammenhang mit der gerichtlichen Entziehung der Obsorge und den für Jänner 2010 an den Sohn geleisteten Unterhalt. Sowohl bezüglich der Kosten der Rechtsmittel gegen die Obsorgeentscheidung als auch bezüglich des nach der erstinstanzlichen Obsorgeentscheidung an den bei der Mutter befindlichen Sohn geleisteten Unterhalt kommt aber, wie schon beim Feststellungsbegehren, der Zusammenhang mit der Obsorgeentscheidung zum Tragen. Danach hängt die Haftung der Beklagten als Sachverständiger - vor dem Hintergrund des Klagevorbringens, dass die Beklagte mit einem vorsätzlich unrichtigen Gutachten die gerichtliche Obsorgeentscheidung beeinflusst habe - davon ab, dass ihr angeblich unrichtiges Gutachten für die gerichtliche Entscheidung ausschlaggebend war. Diese Beurteilung ist aber vor dem rechtskräftigen Abschluss des Obsorgeverfahrens nicht möglich. Das Berufungsgericht verneinte daher - abstellend auf den Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz - zutreffend das Vorliegen eines der Beklagten zurechenbaren schädigenden Ereignisses, das die geltend gemachten Schäden hätte auslösen sollen (vgl 8 Ob 30/07f in RIS-Justiz RS0040838 [T15]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts steht mit der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden im Einklang. Danach ist es zwar nicht erforderlich, dass bis zum Schluss der Verhandlung bereits ein Schaden eingetreten wäre; das schädigende Ereignis, dass den konkreten Schaden auslösen soll, muss sich aber bereits ereignet haben (vgl RIS-Justiz RS0040838 [ab T6] ua). Die vom Kläger geltend gemachte Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn folgt aus dem Gesetz (§ 140 ABGB); die Verpflichtung, seinem Rechtsanwalt die Vertretungskosten zu ersetzen, aus einem Vertrag. Zu Schäden können die Aufwendungen des Klägers, ungeachtet der Frage der Ersatzfähigkeit der Vertretungskosten gegenüber einem Verfahrensgegner, erst dann werden, wenn ein der Beklagten zurechenbares schädigendes Ereignis vorliegt. Als solches kommt nach der Lage des Falls erst eine rechtskräftige Entscheidung über die Obsorge in Frage, für die ein vorsätzlich unrichtiges Gutachten der Beklagten ausschlaggebend war.

Auf die weiteren Überlegungen des Berufungsgerichts zum öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege in Bezug auf die Tätigkeit von Sachverständigen kommt es nach der Lage des Falls nicht an. Es kommt hier auch nicht auf die Erörterungen zur Detaillierung des Klagevorbringens zum Leistungsbegehren an. Die diesbezüglichen Einwände des Revisionswerbers können daher ebenfalls dahingestellt bleiben.

Der vom Kläger behauptete Verschuldensgrad der Beklagten vermag an den Überlegungen zum mangelnden rechtskräftigen Abschluss des Obsorgeverfahrens nichts zu ändern. Es geht hier selbstverständlich nicht darum, einer Sachverständigen „noch möglichst lange Gelegenheit zu geben, ihre strafrechtswidrige Tätigkeit fortzuführen“. Während aber auch ein Schadenersatzprozess keine Möglichkeit bietet, (tatsächlich) irreversible Schäden rückgängig zu machen, bieten die Verfahrensvorschriften im Obsorgeverfahren dem Gericht und den Parteien durchaus eine geeignete Handhabe, durch entsprechendes Vorbringen und geeignete Fragestellungen allfällige Schwächen eines Sachverständigengutachtens aufzuzeigen und auf ein ordnungsgemäß begründetes Gutachten hinzuwirken. Der Revisionswerber wird insoweit insbesondere auf § 35 AußStrG iVm § 362 ZPO verwiesen (Rechberger in Rechberger, AußStrG § 35 Rz 1; Rechberger in Rechberger, ZPO³ §§ 360-362 Rz 4, 6 f ua).

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Klägers zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Revisionsgegnerin hat zutreffend auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers hingewiesen und deren Zurückweisung beantragt (RIS-Justiz RS0035979 ua).

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