OGH 9Ob2/08x

OGH9Ob2/08x3.3.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Beate H*****, vertreten durch Dr. Christoph Schneider, Rechtsanwalt in Bludenz, gegen die beklagten Parteien 1) F***** GmbH, 2) F***** GmbH & Co, beide *****, beide vertreten durch Dr. Stefan Denifl, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 14.744,59 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2007, GZ 4 R 232/07k-32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 24. Juli 2007, GZ 8 Cg 273/06h-25, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionsgegnerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin kam im Eingangsbereich eines Lebensmittelgeschäfts zu Sturz und erlitt einen Speichenbruch rechts. Das Haus, in dem sich das von einem Dritten betriebene Geschäft befindet, steht im Eigentum der Beklagten. Der Eingangsbereich ist verfliest. Er ist vom Geschäftsbereich räumlich abgetrennt und nicht vom Mietvertrag des Geschäftsbetreibers umfasst.

Bei Nässe besteht auf dem Fliesenboden Rutschgefahr. Im Einvernehmen mit den Beklagten verlegt daher der Geschäftsbetreiber jeden Tag zwei Teppiche. Einer davon schließt an die automatische Schiebetür zum Geschäft an. Am Abend werden diese Teppiche entfernt, um die Reinigung des Fliesenbodens zu ermöglichen. Die Teppiche sind an der Unterseite mit einer rutschfesten Matte versehen, werden aber am Boden nicht befestigt. So ist es möglich, dass sie verrutschen und dass die Fliesen im Bereich unmittelbar vor der Schiebetür zwischen 5 und 10 cm freigelegt werden. Für die Reinigung des Eingangsbereichs ist der Hausmeister der Beklagten zuständig, der täglich öfter Nachschau hält und seiner Aufgabe zufriedenstellend nachkommt. Allerdings wird der Eingangsbereich von 2.000 Kunden pro Tag betreten, sodass es bei Schneelage nicht möglich ist, ihn ständig sauber zu halten.

Am Unfallstag schneite es stark, sodass es im Eingangsbereich nass war. Die Teppiche waren so verschoben, dass sie nicht unmittelbar an die Schiebetür anstießen, sondern ein - wenn auch kleiner - Teil des Fliesenbodens unbedeckt war. Die Klägerin, die gutes Schuhwerk trug und vor dem Gebäude ihre Schuhe abklopfte, rutschte auf den nassen Fliesen aus.

Sie begehrt von den Beklagten Schadenersatz von 14.493,82 EUR sA. In ihrer Klage bezeichnete sie die Beklagten als Betreiber des Geschäfts und warf ihnen eine Verletzung ihrer vorvertraglichen Verpflichtungen vor, weil sie den Geschäftsbereich nicht ausreichend sicher gestaltet hätten. Dies wäre durch einen fix angebrachten Teppich möglich gewesen.

Mit dem Einwand konfrontiert, die Beklagten seien nicht Betreiber des Lebensmittelgeschäfts, brachte die Klägerin vor, dass die Beklagten ihre Pflicht, den Eingangsbereich rutschsicher zu gestalten, an den Betreiber weitergegeben und sich damit eines Gehilfen bedient haben, für den sie einstehen müssten. Es wäre leicht möglich gewesen, den Teppich zu befestigen oder größer zu gestalten. Die Beklagten hätten das Verhalten des Geschäftsbetreibers überwachen und - da ihr Haus in einem hoch gelegenen und schneereichen Fremdenverkehrsort liege - einen Teppichboden fix einbauen müssen.

Die Beklagten bestritten jegliche Sorglosigkeit und warfen der Klägerin vor, den Sturz selbst verschuldet zu haben. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 7.246,91 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus stellte es fest, dass der Fliesenboden im Eingangsbereich den im Baubescheid enthaltenen Auflagen entspreche. Die Fliesen seien aufgeraut und uneben. Bei Nässe bestehe dennoch Rutschgefahr, weshalb der Geschäftsbetreiber die schon oben genannten Teppiche verlege.

Das Erstgericht bejahte eine Verletzung der die Beklagten als Hauseigentümer treffenden Verkehrssicherungspflicht. Sie hätten damit rechnen müssen, dass die Teppiche verrutschen und die darunter liegenden Fliesen freigelegt werden. Sie wären daher verpflichtet gewesen, durch die geeignete Verlegung der Teppiche deren Verrutschen auch bei sehr hoher Kundenfrequenz auszuschließen. Allerdings treffe die Klägerin ein Mitverschulden am Unfall, weil sie nicht die gehörige Aufmerksamkeit aufgewendet habe. Sie habe daher nur Anspruch auf Ersatz der Hälfte ihres Schadens.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab.

Die Klägerin hatte in ihrer Berufung die Unterlassung der Durchführung eines von ihr beantragten Lokalaugenscheins als Mangel des Verfahrens erster Instanz gerügt. Das Berufungsgericht vertrat dazu die Rechtsauffassung, dass die Klägerin die Unterlassung der Durchführung des Lokalaugenscheins iSd § 196 Abs 1 ZPO schon in erster Instanz hätte rügen müssen. Dazu führe eine den Grundsätzen der ZVN 2002 verpflichtete Interpretation des § 196 ZPO. Da eine solche Rüge nicht erfolgt sei, könne die Klägerin den Mangel im Berufungsverfahren nicht mehr geltend machen.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Berufungsgericht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten. Dass bei einer Frequenz von 2.000 Kunden pro Tag der die Fliesen abdeckende Teppich unter den gegebenen Umständen geringfügig (im Ausmaß von 5 bis 10 cm) verrutschen könne, stelle keine relevante Gefahrenerhöhung dar, zumal die Kunden die Gefahr erkennen und ihr unschwer und auf zumutbare Weise begegnen könnten. Dazu reiche es aus, den ersten Schritt über den freigelegten Bereich von 5 bis 10 cm zu setzen. Andererseits sei es für den Verkehrssicherungspflichtigen nicht zumutbar, während der Betriebszeit ständig zu kontrollieren, ob die Teppiche immer noch bündig mit den Glasschiebetüren abschließen oder allenfalls geringfügig verrutscht sind.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Klägerin ist nicht zulässig.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil seine Rechtsauffassung, der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel hätte in erster Instanz gerügt werden müssen, nicht durch höchstgerichtliche Rechtsprechung gedeckt sei. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, kommt es aber auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 196 ZPO gar nicht an:

Die Klägerin erachtet den von ihr beantragten Lokalaugenschein mit der Begründung als notwendig, dass nur so die Frage der „Rutschfestigkeit der Fliesen" geklärt werden könne.

Dazu ist wie folgt Stellung zu nehmen:

Der Unfall ereignete sich in einem hochgelegenen Wintersportort bei starkem Schneefall und Schneelage. Dass bei dieser Witterung in einen von 2.000 Personen täglich begangenen Eingangsbereich Nässe getragen wird, ist absolut unvermeidbar und kann durch zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden (vgl etwa 7 Ob 75/97y).

Ebenso unvermeidbar ist es auch, dass ein Fliesenboden bei Nässe in gewissem Maße rutschig ist. Diese Erkenntnis, zu der es keines Lokalaugenscheins bedarf, reicht aber zur Bejahung der Haftung der Beklagten für sich allein von vornherein nicht aus, und zwar in erster Linie schon deshalb nicht, weil diesem Umstand durch das - mit dem Geschäftsbetreiber vereinbarte - Auflegen von Teppichen Rechnung getragen wurde. Dazu und zum Verrutschen dieser Teppiche wird im Folgenden noch Stellung zu nehmen sein.

Aus der Beschaffenheit der Fliesen könnte daher nur dann eine Haftung der Beklagten abgeleitet werden, wenn sie an sich aufgrund ihrer ungeeigneten Beschaffenheit nicht die nötige Sicherheit bieten bzw den Bauvorschriften oder der Baubewilligung widersprechen. Derartiges wurde von der Klägerin in erster Instanz nicht in schlüssiger Weise als Haftungsgrund geltend gemacht. Dass überhaupt im Verfahren über Auflagen der Baubehörde gesprochen wurde, geht auf entsprechende Ausführungen des Geschäftsführers der Erstbeklagten zurück, der von einer solchen Auflage sprach, die auch eingehalten worden sei. Feststellungen über solche Auflagen der Baubehörde gibt es aber nicht, ebenso wenig entsprechende Prozessbehauptungen der Parteien; Hinweise in Beweisaussagen können das notwendige Vorbringen nicht ersetzen. Auch der Umstand, dass die Klägerin zu einem von den Beklagten vorgelegten Prüfbericht (der den Fliesen Rutschfestigkeit attestiert) erklärte, damit sei nicht erwiesen, dass entsprechende Fliesen tatsächlich verlegt worden seien, kann konkrete Prozessbehauptungen über erteilte (und nicht eingehaltene) Auflagen nicht ersetzen. Damit bestand aber für die Durchführung eines Lokalaugenscheins keine Veranlassung. Es muss daher nicht näher erörtert werden, dass die Frage, ob die Fliesen allenfalls erteilten Auflagen über ihre Rutschfestigkeit entsprechen, wohl nicht bei einem Lokalaugenschein durch das Gericht, sondern nur durch die Beiziehung eines Sachverständigen hätte geklärt werden können. Dem bereits erörterten Umstand, dass die Fliesen bei Nässe rutschig sind, haben die Beklagten und der Betreiber des Lebensmittelgeschäfts durch ihr Einvernehmen Rechnung getragen, den Eingangsbereich mit Teppichen abzudecken. Nach diesem Einvernehmen hat diese Aufgabe der Betreiber des Geschäfts übernommen, der die Teppiche jeden Tag auflegt und auch wieder entfernt. Dass diese Methode an sich ungeeignet ist, behauptet nicht einmal die Klägerin. Sie macht nur geltend, dass die Teppiche nicht ausreichend fixiert wurden und deshalb das von den Fliesen ausgehende Risiko nicht völlig vermieden wurde.

Nun mag dahin gestellt bleiben, ob - wie das Berufungsgericht meint - in diesem Zusammenhang keine für die Bejahung der Haftung relevante Gefahrenerhöhung eingetreten ist. Selbst wenn man diese Auffassung nicht teilt und mit der Klägerin von einer mit dem Verrutschen der Teppiche um 5 bis 10 cm verbundenen relevanten Gefahr ausgeht, bleibt jedoch der Umstand, dass das Verlegen (und auch das Entfernen) der Teppiche nach dem zwischen den Beklagten und dem Geschäftsbetreiber erzielten Einvernehmen letzterem oblag. Allfällige Sorglosigkeiten im Umgang mit dem Teppich wären daher primär von ihm zu verantworten. Die Beklagten hätte in dieser Situation nur dann eine Verpflichtung zur regelmäßigen Kontrolle und zum Einschreiten getroffen, wenn sie Anhaltspunkte dafür gehabt hätten, dass der Geschäftsbetreiber seiner Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nachkommt. Derartiges wurde aber von der Klägerin nicht einmal behauptet und steht auch nicht fest. Sonstige Umstände, aus denen eine Haftung der Beklagten abgeleitet werden könnte, wurden weder vorgebracht noch festgestellt. Kosten der Revisionsbeantwortung waren nicht zuzusprechen, weil die Revisionsgegnerin auf die Unzulässigkeit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision nicht hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0035962; zuletzt etwa 9 ObA 268/00b; 9 ObA 108/02a).

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