OGH 7Ob75/97y

OGH7Ob75/97y4.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herma S*****, vertreten durch Dr.Peter Hajek, Rechtsanwalt in Eisenstadt, gegen die beklagten Parteien 1.) Dr.Luzia R*****, 2.) Albert T*****,

3.) Mag.Martina H*****, und 4.) Mag.Michaela H*****, alle vertreten durch Beck & Dörnhöfer, Rechtsanwälte OEG in Eisenstadt, wegen S 421.800,-- sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 19.November 1996, GZ 12 R 153/96z-30, womit das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 19.August 1996, GZ 1 Cg 188/95i-21, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 24.732,-- (darin enthalten S 4.122,-- USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten sind je zu einem Viertel Miteigentümer eines Hauses in E***** mit der Adresse H*****straße *****, in dem ein Lungenfacharzt als Mieter seine Ordination betreibt. Am 20.12.1994 um ca 9:30 Uhr stürzte die Klägerin in der Einfahrt dieses Hauses. Sie wollte ihren am 25.11.1974 geborenen, nicht behinderten Sohn zum Arzt begleiten. Sie selbst hatte keinen Termin beim Arzt und auch nicht vor, sich untersuchen zu lassen.

Von der Hauptstraße aus betritt man das Haus durch ein großes, zweiflügeliges Tor, das zu einer überdachten Einfahrt führt. Die Einfahrt ist zuerst ca 1 m lang mit regelmäßigen, rechteckigen Fliesen verfliest. Daran schließt ein Kopfsteinpflaster an, dessen Steine sich mehrfach gesetzt und große Zwischenräume gebildet haben. Das Pflaster sowie die Fliesen sind bei Nässe rutschig.

Der 19.12.1994 war bei geschlossener Bewölkung ganztägig niederschlagsfrei. Am 20.12.1994 griffen Schneefälle eines Italientiefs von Südwesten her allmählich auf Österreich über. Die Lufttemperatur lag zwischen - 2 Grad Celsius und ca + 1 Grad Celsius. Es herrschte ganztägig geschlossene Bewölkung. Um ca 8:30 Uhr setzte Schneefall von geringer Intensität ein, der bis gegen 11:00 Uhr andauerte. Die Niederschlagsmenge lag unter der Meßgenauigkeit. Wegen der geringen Niederschlagsintensität blieb der Schnee erst zwischen 9:00 und 10:00 Uhr erkennbar am Gehsteig liegen. Die Schneehöhe war aber auch bei Ende des Schneefalles gegen 11:00 Uhr deutlich geringer als 0,5 cm. Aufgrund der sehr geringen Niederschlagsmenge kann ein Vertragen der Feuchtigkeit vom Gehsteig in die Hauseinfahrt nur im geringen Ausmaß stattgefunden haben.

Der Einfahrtsbereich des Hauses war im Unfallszeitpunkt nicht vereist. Die Fliesen und das daran anschließende Kopfsteinpflaster waren jedoch von den Schuhen der von der Straße die Hauseinfahrt betretenden Personen feucht.

Die für das Haus bestellte Hausbesorgerin übt ihre Tätigkeit nebenberuflich aus. Sie verläßt um ca 6:00 Uhr das Haus und kommt erst nach der Arbeit wieder zurück. Wenn es während des Tages schneit, ist es ihr unter Umständen möglich, die Arbeitsstelle zwecks Schneeräumung zu verlassen. In der Einfahrt wurde noch nie gestreut. Es befindet sich dort auch keine Matte, kein Fetzen oder Schuhabstreifgitter. Erst vor der Ordination liegt ein Gitter zum Schuheabstreifen. Ob der Gehsteig zum Unfallszeitpunkt geräumt war, kann nicht festgestellt werden.

Die Klägerin, die hohe Winterschuhe mit einer Ledersohle trug, rutschte ein bis zwei Schritte nach dem Einfahrtstor auf den nassen Fliesen aus. Sie rutschte mit dem rechten Fuß nach vor und kippte um. Sie erlitt hiebei einen Bruch des rechten Außenknöchels sowie einen knöchernen Ausriß des vorderen Syndesmosenbandes vom Außenknöchel und einen Abbruch eines hinteren Schienbeinteiles.

Die Klägerin begehrt ein Schmerzengeld von S 300.000,--, weiters für in ihrem Unternehmen (Würstelstand) beschäftigte Ersatzkräfte S 69.600,--, für Haushaltshilfen insgesamt S 47.200,-- und an pauschalen Unkosten S 5.000,--, insgesamt somit S 421.800,-- sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Folgen des Unfallsereignisses. Sie behauptet, daß die Sturzstelle stark vereist gewesen sei. Es sei nicht gestreut gewesen. Sie sei infolge der Glätte auf den unebenen Pflastersteinen gestürzt. Den Beklagten bzw deren Leuten sei es zumutbar gewesen, gegen derartige Vereisungen Vorsorge zu treffen. Es hätte den Beklagten bzw deren Leuten bewußt gewesen sein müssen, daß Feuchtigkeit, Schnee und Eis durch das Schuhwerk der Passanten in die stark frequentierte Hauseinfahrt getragen werden und sich dort Eis bilden könne.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestritten die behauptete Eisbildung. Im Hinblick auf den regen Fußgängerverkehr sei nicht zu verhindern, daß das Pflaster in der Einfahrt durch nasses Schuhwerk feucht oder naß werde. Weiters wurde das Klagebegehren auch der Höhe nach - mit Ausnahme des Schmerzengeldbetrages, soweit er S 100.000,-- übersteigt - bestritten.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von S 220.600,-- sA, gab dem Feststellungsbegehren statt und wies das Mehrbegehren von S 201.200,-- sA ab. Es vertrat die Ansicht, daß die Beklagten sowohl aufgrund der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht als auch aufgrund des Mietvertrages mit dem Lungenfacharzt, der als Nebenpflicht den sicheren Zustand der Zugänge umfasse, zur Haftung heranzuziehen seien. Diese Pflichten bestünden gegenüber all jenen Personen, die befugterweise die Ordinationsräume aufsuchten, demnach auch gegenüber Begleitpersonen. Darauf, ob diese unbedingt erforderlich seien, komme es nicht an. Im Rahmen der "vertraglichen" Sorgfaltspflicht seien besondere Anforderungen zu stellen, die über jene der "deliktischen" Verkehrssicherungspflicht hinausgingen. Es sei zu beachten, daß vorwiegend ältere, oft auch gebrechliche Personen die Ordination eines Arztes aufsuchten. Der Hausbesorgerin, für deren Verschulden die Beklagten gemäß § 1313 a ABGB heranzuziehen seien, sei vorzuwerfen, daß kein Versuch unternommen worden sei, Patienten vor der in die Hauseinfahrt getragenen Feuchtigkeit zu warnen und dort etwa Fußabstreifer, Fußmatten oder ähnliches aufzulegen und allenfalls Sägespäne oder sonstiges saugfähiges Material aufzustreuen. Es sei auch keinerlei Kontrolle erfolgt, weil die Hausbesorgerin nur nebenberuflich tätig sei. Das Schmerzengeld sei mit S 130.000,-- angemessen. Für pauschale Unkosten sei ein Betrag von S 1.000,--, für Ersatzkräfte von S 69.600,-- und für Haushaltshilfen von S 20.000,-- zuzuerkennen. Das Feststellungsbegehren sei im Hinblick auf nicht auszuschließende Dauerfolgen berechtigt.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin, die sich gegen die Teilabweisung beim Schmerzengeld wendet, nicht Folge, der Berufung der Beklagten hingegen Folge und änderte das Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung ab. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Eine vertragliche Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin sei zu verneinen. Es liege höchstens ein Naheverhältnis der Klägerin zu einer Nebenleistungspflicht der Beklagten gegenüber dem Mieter vor, nämlich die Zugänge zur Ordination in sicherem Zustand zu halten. Dies genüge jedoch nicht zur Begründung einer vertraglichen Haftung. Die Beklagten hätten den Kontakt der Klägerin mit der vertraglichen Nebenleistung nicht vorhersehen können und seien ihr gegenüber nicht zur Fürsorge verpflichtet. Man müsse nicht damit rechnen, daß erwachsene Patienten ohne ersichtlichen Grund zu einem Arztbesuch von Angehörigen begleitet würden. Eine Haftung der Beklagten für ein allfälliges Fehlverhalten der Hausbesorgerin gemäß § 1313 a ABGB sei daher zu verneinen. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob ein Verstoß der Hausbesorgerin gegen Sorgfaltpflichten vorliege. Eine derartige Beurteilung sei im übrigen noch nicht möglich, weil aus den Feststellungen des Erstgerichtes nicht hervorgehe, ob die Fliesen bloß feucht oder naß gewesen seien, weil ein feuchter Fliesenbelag noch nicht unbedingt so rutschig sein müsse, daß von der Hausbesorgerin entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen hätten werden müssen. Die Revision sei zulässig, weil die hier vorliegende Konstellation noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes ist weder der Hausbesorgerin noch den Beklagten selbst ein fahrlässiges Handeln vorzuwerfen. Das Hereintragen von Nässe in den Einfahrtsbereich war nahezu unvermeidbar. Dieser Vorgang läßt sich auch durch das Auflegen von Matten oder Tüchern im Eingangsbereich nicht verhindern. Aufgestreutes saugfähiges Material vermindert nicht zwangsläufig die Rutschigkeit des Bodens; es kann unter Umständen vielmehr sogar die Gefahr des Ausgleitens fördern. Aufgelegte Matten oder Tücher bergen die Gefahr des Stolperns in sich. Selbst oftmaliges Aufwischen kann nicht gänzlich verhindern, daß der Boden im Eingangsbereich immer wieder von neuem feucht wird oder überhaupt feucht bleibt, wenn bei nasser Witterung ständig Personen aus und ein gehen und sich am unmittelbar anschließenden Gehsteig Schnee, Schneematsch oder Nässe gebildet hat.

Der Schuldvorwurf der Klägerin ging auch nicht in diese Richtung. Es wurde auch nicht behauptet, daß der Fliesenbelag an sich gefährlich gewesen sei oder gar Bauvorschriften nicht entsprochen habe oder daß sich das Mietobjekt entgegen § 1096 ABGB nur deshalb nicht in gebrauchsfähigen Zustand befunden habe, weil der Eingangsbereich mit einem derartigen Belag versehen sei oder daß die Beklagten eben dadurch eine besondere Gefahrenlage geschaffen hätten, der sie durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen Rechnung tragen hätten müssen (wobei hier letztlich wohl nur der Austausch des Bodenbelages zielführend wäre). Den Beklagten wurde vielmehr ausschließlich vorgeworfen, daß eine Vereisung vorgelegen sei, gegen die nichts unternommen worden sei. Da sich die Behauptung, der Eingangsbereich sei vereist gewesen, als unrichtig herausgestellt hat und nicht erkennbar ist, worin das Verschulden der Hausbesorgerin oder der Beklagten an der Verletzung der Klägerin sonst gelegen sein soll, kommt eine Haftung der Beklagten für eigenes Fehlverhalten oder das Fehlverhalten der Hausbesorgerin nach § 1313 a ABGB von vorneherein nicht in Betracht. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob hier § 1313 a ABGB Anwendung fände, ob die Klägerin in den Schutzbereich des zwischen den Beklagten und dem Lungenfacharzt abgeschlossenen Mietvertrages einzubeziehen ist und ob die Beklagten auch gegenüber der Klägerin Verkehrssicherungspflichten trafen. Im Gegensatz zur Ansicht des Erstgerichtes sind diese Fragen auch für den anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab nicht entscheidend.

Die schwankende Terminologie des Erstgerichtes, das den Zustand der Fliesen sowohl als "feucht" als auch als "naß" beschrieb, vermag an diesen Erwägungen nichts zu ändern. Der Übergang der beiden Begriffe ist fließend. Eine objektive Abgrenzungsmöglichkeit liegt hier nicht vor. Daß der Eingangsbereich mit einem Wassserfilm überzogen oder gar überschwemmt gewesen wäre, ist nach den Feststellungen des Erstgerichtes ohnehin auszuschließen. Unabhängig davon steht jedenfalls fest, daß die Fliesen zum Unfallszeitpunkt - sei es infolge eines Zustandes, der noch als "feucht" oder eines solchen, der bereits als "naß" zu bezeichnen wäre - rutschig waren. Dies bedeutet aber noch nicht, daß hier eine besondere, über das übliche Maß hinausgehende Gefahrenquelle vorgelegen wäre, zumal die meisten Bodenbeläge bei Nässe glatter sind und die Rutschgefahr größer ist als bei Trockenheit. Eine derartige Einsicht war auch von der Klägerin zu erwarten, an der es gelegen gewesen wäre, entsprechende Vorsicht walten zu lassen.

Da den Beklagten somit (auch) kein Verstoß gegen allgemeine Verkehrssicherungspflichten anzulasten ist (anders als etwa in dem in der Entscheidung 10 Ob 2048/96s behandelten Fall, bei dem die Begleitperson eines Patienten im Gangbereich stürzte), war das klagsabweisende Urteil des Gerichtes zweiter Instanz zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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