European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124886
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Der Antrag der Mutter auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.
Begründung:
Die beiden minderjährigen Kinder befinden sich in der gemeinsamen Obsorge der Eltern. Die mj Le*, geboren 2005, wird hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut, die mj La*, geboren 2009, wurde bislang hauptsächlich im Haushalt des Vaters betreut.
Das Erstgericht legte diese Form der Betreuung so auch fest.
Das Rekursgericht sprach aus, dass die hauptsächliche Betreuung beider Kinder im Haushalt der Mutter zu erfolgen hat. Beide Eltern seien fähig, die körperlichen Grundbedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen und diese angemessen zu versorgen. In der aktuellen Konfliktsituation gelinge es jedoch beiden Elternteilen unzureichend, die emotionalen Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und diesen nachzukommen, wobei hier besonders der Vater Defizite aufweise. Die Bindungstoleranz beider Eltern sei erheblich eingeschränkt, eher jedoch die des Vaters. La* weise bereits Anzeichen für einen Loyalitätskonflikt auf. Da bei einer Geschwistertrennung die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Schwestern im Sinne des Modellerlernens feindselig-aggressive Konfliktstrategien übernehmen und diese wiederum die Beziehung der Geschwister nachhaltig beeinträchtigen und schädigen würden, lägen im konkreten Fall keine wichtigen Umstände für eine Geschwistertrennung vor. Zudem habe die mj La* zuletzt keine Präferenz hinsichtlich des Ortes ihrer hauptsächlichen Betreuung angeben können.
Rechtliche Beurteilung
In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die mj La* keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Die Frage, welchem Elternteil bei gemeinsamer Obsorge die hauptsächliche Betreuung zukommen soll, kann typischerweise nur nach den Umständen des Einzelfalls getroffen werden. Sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde, kommt der Einzelfallentscheidung keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu (8 Ob 20/15x; 4 Ob 226/16p; RIS‑Justiz RS0130918 [T3]).
Dass die vom Rekursgericht getroffene Entscheidung wegen nicht ausreichender Bedachtnahme auf das Kindeswohl einer höchstgerichtlichen Korrektur durch eine gegenteilige Sachentscheidung bedarf, zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs nicht auf.
Zwar ist richtig, dass auch im Falle einer Entscheidung über den Ort der hauptsächlichen Betreuung des Kindes bei gemeinsamer Obsorge der Eltern im Sinne des § 180 Abs 3 ABGB der Grundsatz der Erziehungskontinuität mitzuberücksichtigen ist (5 Ob 118/17i), doch darf der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung nicht um seiner selbst Willen aufrechterhalten werden, sondern ist dem Wohl des Kindes unterzuordnen (RIS‑Justiz RS0047928). Bei der Beurteilung des Wohles des Kindes darf nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden, sondern es sind auch Zukunftsprognosen zu stellen (RIS‑Justiz RS0048632). Es kommt darauf an, welcher Elternteil in einer Gesamtschau unter Gegenüberstellung der Persönlichkeit, der Eigenschaften und der Lebensumstände besser zur Wahrnehmung des Kindeswohls geeignet ist. Neben dem materiellen Interesse an möglichst guter Verpflegung und guter Unterbringung des Kindes sind auch das Interesse an möglichst guter Erziehung, möglichst sorgfältiger Beaufsichtigung und an möglichst günstigen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen seelischen und geistigen Entwicklung usw zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0047832).
Die Entscheidung des Rekursgerichts entspricht diesen Grundsätzen. Dass für die mj La* diese Kontinuität von ganz besonderer Bedeutung wäre, wird im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht näher begründet und lässt sich auch aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ableiten. Die mj La* konnte sich zuletzt beide Betreuungsmöglichkeiten vorstellen. Die – zutreffende – Beurteilung des Rekursgerichts, dass nach der Rechtsprechung die Trennung von Geschwistern tunlichst vermieden werden soll, weil das gemeinsame Aufwachsen von Geschwistern im selben Haushalt von großem Wert für die Entwicklung der Kinder ist (RIS-Justiz RS0047845; auch [T4]) und gerade im konkreten Fall keine wichtigen Umstände dagegen sprechen, sondern sich vielmehr die Kinder in der aktuellen Konfliktsituation der Eltern gegenseitig eine Stütze geben können, bleibt im Revisionsrekurs unbekämpft.
2. Nach § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG sind nur Mängel des Rekursverfahrens Revisionsrekursgründe. Vom Rekursgericht verneinte Mängel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz bilden auch im Pflegschaftsverfahren keinen Revisionsrekursgrund (RIS‑Justiz RS0050037). Nur die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Mängel können auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint worden sind (RIS‑Justiz RS0121265). Ein solcher liegt hier jedoch nicht vor. Soweit das Erstgericht seine Feststellungen aufgrund mittelbar aufgenommener Beweise getroffen hat, durfte das Rekursgericht diese ergänzen, ohne die in § 52 Abs 2 AußStrG vorgesehene Vorgangsweise einzuhalten (RIS-Justiz RS0122252; RS0126460).
Eine Begründung dafür, weshalb die im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte (ausführliche und umfangreiche) Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe im konkreten Fall keine ausreichende Entscheidungsgrundlage darstellen sollte, enthält der außerordentliche Revisionsrekurs nicht. Ein genereller Grundsatz dahin, dass das Pflegschaftsgericht im Verfahren über die Festsetzung des Kontaktrechts stets einen Sachverständigen beizuziehen hätte, besteht nicht (4 Ob 246/18g; RIS‑Justiz RS0006319 [T7]). Die Prüfung, ob zur Gewinnung der erforderlichen Feststellungen noch weitere Beweise notwendig sind, ist ein Akt der Beweiswürdigung, der auch im Außerstreitverfahren nicht revisibel ist (4 Ob 246/18g; RIS-Justiz RS0043414 [T15]).
Eine Beeinträchtigung der Interessen des Kindeswohls durch die Entscheidungen der Vorinstanzen ist nicht erkennbar. Das Kindeswohl wurde umfassend berücksichtigt (vgl RIS-Justiz RS0030748 [T18]; RS0050037 [T4]).
Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG ist der außerordentliche Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.
Die vor Freistellung durch den Obersten Gerichtshof erstattete „außerordentliche“ Revisionsrekursbeantwortung der Mutter diente nicht im Sinne des § 78 Abs 2 AußStrG der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Dafür gebührt kein Kostenersatz (RIS-Justiz RS0124792; RS0121741).
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