OGH 9Ob102/22y

OGH9Ob102/22y16.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner und Mag. Korn sowie MMag. Sloboda in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Mag. Wolfgang Lackner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. M* S* und 2. C* S*, beide *, beide vertreten durch Krüger/Bauer Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 33.300 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. Oktober 2022, GZ 1 R 87/22b‑13, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Linz vom 11. August 2022, GZ 66 Cg 2/22w‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00102.22Y.0216.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 33.300 EUR samt 4% Zinsen seit 5. 7. 2019 binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 8.482,32 EUR (darin 1.413,72 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, den beklagten Parteien die mit 3.487 EUR (darin 378 EUR USt und 1.219 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.563,96 EUR (darin  339,66 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Über Vermittlung der Klägerin, einer gewerblichen Immobilienmaklerin, besichtigten die Beklagten im Beisein des Geschäftsführers der Klägerin am 1. 2. 2019 eine zum Verkauf stehende Wohnung. Der Geschäftsführer erklärte den Beklagten, dass ein Maklervertrag notwendig sei, 14 Tage Zeit für einen Rücktritt bestehe und dass im Erfolgsfall 3 % Provision zuzüglich USt anfielen. Die Klägerin informierte die Beklagten weder auf Papier noch mit ihrer Zustimmung auf einem anderen dauerhaften Datenträger über ihr Rücktrittsrecht nach dem FAGG und händigte auch kein Muster‑Widerrufsformular aus.

[2] Am 5. 2. 2019 bekundete der Erstbeklagte per E‑Mail Interesse an der Wohnung und ersuchte die Klägerin um Übermittlung diverser Unterlagen, unter anderem einer Aufschlüsselung der Betriebskosten, des Standes der Reparaturrücklagen und der monatlichen Kosten für den Reparaturfonds, eines Wohnungsplans und Energieausweises sowie um Informationen über etwaige Belastungen. In der Folge erklärten sich die Beklagten bereit, für die Wohnung einen Kaufpreis von 800.000 EUR zu zahlen. Der Verkäuferin der Wohnung war dieses Angebot zu niedrig. Da der Geschäftsführer der Klägerin den Eindruck hatte, dass 800.000 EUR das maximale Angebot der Beklagten war, aus seiner Sicht dieses Angebot aber völlig unrealistisch war, um eine Einigung mit der Verkäuferin zu finden und er zu dieser Zeit viel Arbeit hatte, konzentrierte er sich auf andere Kaufinteressenten. Darüber hinaus hatte er von der Verkäuferin und der Hausverwaltung nur wenige Unterlagen erhalten. Auch aus diesen Gründen verlief seitens der Klägerin die Kommunikation mit den Beklagten auch schleppend und es kam zu Verzögerungen. Hätten die Beklagten der Klägerin ein Angebot über 925.000 EUR übermittelt, hätte die Klägerin sofort reagiert.

[3] Am 3. 3. 2019 ersuchte der Erstbeklagte um Bekanntgabe eines weiteren Besichtigungstermins und bat die Klägerin erneut um die Übermittlung von Unterlagen, insbesondere um einen Betriebskostennachweis sowie einen Wohnungsplan.

[4] Die Klägerin sandte den Beklagten im März 2019 vom Bauamt ausgehobene Pläne der Wohnung sowie die Betriebskostenabrechnung zu und informierte sie über ein die Wohnung betreffendes offenes Darlehen. Informationen über die Höhe des Instandhaltungsfonds und darüber, ob Sanierungen am Haus geplant sind, sowie aktuelle Wohnungspläne konnte die Klägerin nicht übermitteln, weil sie diesbezügliche Unterlagen nicht beschaffen konnte. Die Beklagten standen aber unter zeitlichem Druck, eine Wohnung zu kaufen.

[5] Am 19. 3. 2019 teilte der Erstbeklagte der Klägerin schriftlich mit: „... möchten wir jede weitere Zusammenarbeit mit Ihnen in Bezug auf die Wohnung in der B*straße * abbrechen. Die Freude am Kauf dieser Wohnung ist uns sprichwörtlich vergangen, daher benötigen wir keine weiteren Informationen mehr hierzu. Sollten wir an einem anderen Objekt interessiert sein, geben wir Ihnen Bescheid. …“

[6] Mit E-Mail vom 21. 3. 2019 entschuldigte sich der Geschäftsführer der Klägerin für die Verzögerung und teilte mit, dass die Eigentümerin nicht gleich einem Kaufpreis von 800.000 EUR zustimmen werde und ein strategisches Vorgehen gefragt sei. Er machte auch einen Vorschlag zur weiteren Vorgehensweise. Die Beklagten reagierten auf dieses E-Mail nicht mehr.

[7] In der Folge kam es am 5. 4. 2019 ohne Beteiligung der Klägerin zu einer neuerlichen Wohnungsbesichtigung mit der Verkäuferin. Von dieser erhielten sie auch einen Wohnungsplan. Mitte April 2019 einigte sich die Verkäuferin mit den Beklagten über den Kaufpreis der Wohnung in Höhe von 850.000 EUR zuzüglich 75.000 EUR für das Mobiliar. Am 5. 7. 2019 erfolgte die Vertragsunterzeichnung.

[8] Erst einige Monate später erfuhr die Klägerin von diesem Kaufvertrag. Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. 12. 2019 forderte sie die Beklagten zur Bezahlung ihres Provisionsanspruchs auf.

[9] Mit Schreiben vom 14. 1. 2020 erklärten die – nunmehr anwaltlich vertreten – Beklagten, für den Fall, dass ein Maklervertrag zustande gekommen sein sollte, den Vertragsrücktritt gemäß § 11 Abs 1 iVm § 12 Abs 1 FAGG, weil es die Klägerin unterlassen habe, sie über ihr Rücktrittsrecht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG zu informieren. Damit wollten die Beklagten den Provisionsanspruch der Klägerin abwenden.

[10] Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Bezahlung einer Provision in Höhe von 33.300 EUR sA. Die Beklagten hätten sie als Immobilienmaklerin mit der Vermittlung einer Wohnung beauftragt und ihre Leistungen in Anspruch genommen. Der Kauf der Wohnung sei erfolgreich vermittelt worden und sie sei daher verdienstlich geworden. Mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Kaufvertrags vom 5. 7. 2019 stehe ihr ein Anspruch auf die vereinbarte und ortsübliche Erfolgsprovision von 3 % des Kaufpreises von 925.000 EUR zu. Nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG sei den Beklagten kein Rücktrittsrecht zugestanden, weil sie von der Klägerin ausdrücklich ein vorzeitiges Tätigwerden verlangt hätten. Zudem habe die Klägerin nur wegen der rechtswidrigen Umgehungsversuche der Beklagten ihren schriftlichen Aufklärungspflichten nach dem FAGG nicht nachkommen können. Selbst für den Fall, dass das Rücktrittsrecht nicht weggefallen sei, sei der Rücktritt in sittenwidriger Weise rechtsmissbräuchlich erklärt worden. Selbst wenn ein Rücktritt vorliegen würde, seien die Beklagten zum Ersatz ihres Schadens verpflichtet. Die Beklagten seien auch ungerechtfertigt bereichert.

[11] Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wandten ein, dass sie mit Schreiben vom 14. 1. 2020 berechtigt vom Vertrag zurückgetreten seien, weil sie die Klägerin nicht über ihr Rücktrittsrecht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG informiert habe. Zudem habe die Klägerin zum Kaufobjekt entweder gar keine oder falsche Angaben gemacht und sei kaum erreichbar gewesen. Es gebe keine Erklärung der Beklagten auf einem dauerhaften Datenträger mit einem ausdrücklichen Verlangen auf vorzeitige Vertragserfüllung. Wären die Beklagten nicht selbst initiativ geworden, hätten sie die Wohnung nicht kaufen können.

[12] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zwischen den Streitteilen sei ein mündlicher Maklervertrag mit einer Provisionshöhe von 3 % im Erfolgsfall zustande gekommen. Die verdienstliche Tätigkeit der Klägerin sei kausal für den Vertragsschluss zwischen der Verkäuferin und den Beklagten gewesen. Das Beweisverfahren habe keinen Hinweis darauf ergeben, dass ein ausdrückliches Verlangen der Beklagten auf vorzeitige Vertragserfüllung auf einem dauerhaften Datenträger erklärt worden wäre, was nach § 18 FAGG das Rücktrittsrecht ausgeschlossen hätte. Allerdings sei der Rücktritt vom Maklervertrag durch die Beklagten rechtsmissbräuchlich erfolgt, zumal er allein dem Zweck gedient habe, die Maklerprovision abzuwenden. Die Klägerin habe daher Anspruch auf Provision in Höhe des Klagsbetrags.

[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts und fügte dieser hinzu, dass sich aus dem gesamten Geschehensablauf ergebe, dass die Beklagten lediglich das Ziel gehabt hätten, die Wohnung zu erwerben, ohne die Maklerprovision bezahlen zu müssen. Der erklärte Rücktritt vom Vertrag nach dem FAGG habe lediglich als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks gedient. Die ordentliche Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zugelassen.

[14] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragten die Beklagten die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[15] Die Klägerin beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Revision der Beklagten ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

[17] Im Revisionsverfahren ist zwischen den Parteien (ausschließlich) strittig, ob ein nach dem FAGG gesetzlich vorgesehener Rücktritt rechtsmissbräuchlich sein kann und ob im vorliegenden Fall Rechtsmissbrauch der Beklagten vorliegt.

Dazu hat der Senat Folgendes erwogen:

[18] 1.1. Im Anwendungsbereich des Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetzes (FAGG), der hier unstrittig eröffnet ist, weil der Maklervertrag zwischen der klagenden Unternehmerin und den Beklagten als Verbraucher (§ 1 Abs 1 FAGG) außerhalb der Geschäftsräume der Klägerin (mündlich) geschlossen wurde (§ 3 Z 1 lit a FAGG) und der Immobilienmaklervertrag nicht unter die Ausnahmen des § 1 Abs 2 FAGG fällt (RS0131791), räumt § 11 FAGG dem Verbraucher das Recht ein, von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag ohne Angabe von Gründen zurückzutreten. Die Frist dafür beträgt nach § 11 Abs 1 FAGG 14 Tage und beginnt bei Dienstleistungsverträgen – ein solcher liegt hier vor – mit dem Tag des Vertragsabschlusses zu laufen (§ 11 Abs 2 Z 1 FAGG).

[19] 1.2. Wenn der Unternehmer allerdings seiner Informationspflicht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG nicht nachgekommen ist, dann verlängert sich die Rücktrittsfrist gemäß § 12 Abs 1 FAGG um zwölf Monate. § 4 Abs 1 FAGG sieht vor, dass der Unternehmer dem Verbraucher, bevor dieser durch einen Vertrag oder seine Vertragserklärung gebunden ist, in klarer und verständlicher Weise bestimmte Informationen erteilen muss, und zwar nach Z 8 leg cit bei Bestehen eines Widerrufsrechts Informationen über die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung dieses Rechts. Zusätzlich ist ihm dafür das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen sind dem Verbraucher nach § 5 Abs 1 FAGG bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag auf Papier oder, sofern der Verbraucher dem zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger bereitzustellen.

[20] 1.3. Im vorliegenden Fall ist die Klägerin diesen Informationspflichten unstrittig nicht nachgekommen. Die bloß mündliche und außerdem nicht vollständige Information bei der Wohnungsbesichtigung am 1. 2. 2019 genügte den gesetzlichen Anforderungen nicht. Folglich kam es zu einer Verlängerung der Rücktrittsfrist nach § 12 Abs 1 FAGG, wovon auch die Vorinstanzen zutreffend ausgingen.

[21] 2.1. Abweichendes in Bezug auf das Rücktrittsrecht gilt dann, wenn der Verbraucher ein ausdrückliches Verlangen auf vorzeitige – nämlich vor Ablauf der Rücktrittsfrist beginnende – Vertragserfüllung nach § 10 FAGG erklärt hat. Zu einem solchen Verlangen ist er vom Unternehmer aufzufordern. Bei Auswärtsgeschäften muss das ausdrückliche Verlangen des Verbrauchers auf einem dauerhaften Datenträger erklärt werden. Überdies muss der Unternehmer vom Verbraucher die Bestätigung verlangen, dass dieser den bei vollständiger Vertragserfüllung eintretenden Verlust seines Rücktrittsrechts zur Kenntnis genommen hat. Sind bei einem Dienstleistungsvertrag diese Voraussetzungen erfüllt (wobei das Fehlen der Aufforderung des Unternehmers zum ausdrücklichen Verlangen des Verbrauchers nicht schadet) und hat der Unternehmer noch vor Ablauf der Rücktrittsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung begonnen und diese sodann vollständig erbracht, hat der Verbraucher nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG kein Rücktrittsrecht mehr. Liegen diese kumulativen Voraussetzungen nicht vor, kann der Verbraucher – innerhalb der Rücktrittsfrist – selbst nach vollständiger Erbringung der Dienstleistung noch vom Vertrag zurücktreten (Hämmerle in Kosesnik-Wehrle, KSchG und FAGG4 § 18 FAGG Rz 4; Schwarzenegger in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 18 FAGG Rz 4; Dehn in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 10 FAGG Rz 11).

[22] 2.2. Dass die Voraussetzungen des § 18 Abs 1 Z 1 FAGG hier nicht vorliegen, haben die Vorinstanzen ebenfalls zutreffend erkannt. Gegenteiliges behauptet auch die Klägerin im Revisionsverfahren nicht. Die Beklagten konnten daher grundsätzlich innerhalb der nach § 12 Abs 1 FAGG verlängerten Rücktrittsfrist vom Vertrag zurücktreten.

[23] 2.3.1. Folge dieses wirksamen Rücktritts ist hier – die Voraussetzungen nach § 16 Abs 1 FAGG liegen nicht vor –, dass die Beklagten nicht zur Zahlung des Provisionsanspruchs verpflichtet sind (vgl § 16 Abs 2 und 4 FAGG; Hämmerle in Kosesnik-Wehrle, KSchG und FAGG4 § 18 FAGG Rz 9). Damit war die erhaltene Dienstleistung der Klägerin für die Beklagten kostenlos (vgl 1 Ob 127/19m [Pkt. 2] mit zahlreichen Nachweisen).

[24] 2.3.2. Gegen die Verhältnismäßigkeit dieser Rechtsfolge, die von einem Teil der Lehre (insbes Wendehorst, Verlängerte Rücktrittsmöglichkeit – Fortschritte und Verzerrungen durch das VRUG, VbR 2014/110 [177]; dieselbe, Ist das neue Verbraucherrecht noch zu retten? Zur möglichen Grundrechtswidrigkeit der Verbraucherrechterichtlinie, GPR 2015, 55; dieselbe, FAGG: Entfall des Rücktrittsrechts nach Leistungserbringung, VbR 2018/12 [30]; Lurger, Widerrufsrechte, in P. Bydlinski/Lurger, Die Richtlinie über die Rechte der Verbraucher [2012] 53 [83]; Berka, Verbraucherschutz ohne Grenzen? Zur Grundrechtskonformität der Rechtsfolgen eines Rücktritts nach dem FAGG, wbl 2015, 181; Eberhard/Spitzer, Verbraucherschutz und Verfassungsrecht, ÖJZ 2017/46 [315]) in Zweifel gezogen wird, wendete sich die Klägerin im Verfahren nicht.

[25] 2.3.3. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 12. 10. 2017, G 52/2016, die Bestimmung des § 16 Abs 2 FAGG (die der Umsetzung des Art 14 Abs 4 der Richtlinie 2011/83/EU – Verbraucherrechte‑Richtlinie dient [ErläutRV 89 BlgNr 25. GP  38]) für verfassungsgemäß gehalten und eine Vorlage an den EuGH mangels erkennbarer Unionsrechtswidrigkeit der Regelungen (vgl 8 Ob 122/17z) abgelehnt und zur Frage der Verhältnismäßigkeit wie folgt ausgeführt (Pkt IV. 2.4.2. und 2.4.3.):

„2.4.2. ...Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass nicht die Grenzen dessen überschritten werden dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei zu beachten ist, dass dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (vgl. zB EuGH 22.1.2013, Rs. C-283/11 , Sky Österreich).

Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Einhaltung dieser Voraussetzungen betrifft, billigt der Gerichtshof der Europäischen Union dem Unionsrechtsgesetzgeber im Rahmen der Ausübung der ihm übertragenen Zuständigkeiten ein weites Ermessen in Bereichen zu, in denen seine Tätigkeit sowohl politische als auch wirtschaftliche oder soziale Entscheidungen verlangt und in denen er komplexe Prüfungen und Beurteilungen vornehmen muss.

Der Verfassungsgerichtshof kann nun nicht erkennen, dass die Regelung des Art14 Abs2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL diesen von der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union aufgestellten Kriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Unionsrechtsakts widerspricht: Die Bestimmungen der Verbraucherrechte‑RL verfolgen das Ziel eines umfassenden Verbraucherschutzes bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Eine zentrale Stellung zur Verfolgung dieses Ziels nimmt dabei die Belehrung ein, welche der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher gemäß Art6 Abs1 lith der Verbraucherrechte‑RL ('im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B') vor Vertragsabschluss vornehmen muss.

Der Verfassungsgerichtshof hat keine Zweifel, dass die in Art14 Abs2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL normierte Rechtsfolge für den Unternehmer bei mangelnder Belehrung über das Widerrufsrecht geeignet ist, das Ziel des umfassenden Verbraucherschutzes bei Fernabsatzverträgen und bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zu erreichen. Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht erkennen, dass die Regelung des Art14 Abs2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL über das hinausgeht, was zur Verfolgung des mit der Regelung verfolgten Ziels des umfassenden Verbraucherschutzes erforderlich ist. Das von der Verbraucherrechte‑RL verfolgte Ziel eines umfassenden Verbraucherschutzes ist derart gewichtig, dass es die in Art14 Abs2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL statuierte Rechtsfolge bei fehlender Belehrung durch den Unternehmer über das Widerrufsrecht des Verbrauchers rechtfertigt.

2.4.3. Die zu Art14 Abs2 der Verbraucherrechte‑RL dargelegten Erwägungen können sinngemäß auf Art14 Abs3 und Art14 Abs4 der Verbraucherrechte‑RL übertragen werden.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat sohin keine Zweifel an deren Gültigkeit.“

[26] Der Senat teilt diese Rechtsauffassung. Einer neuerlichen Auseinandersetzung mit der Frage der Unionsrechtswidrigkeit des § 16 Abs 2 FAGG bedarf es daher nicht.

[27] 3.1. Die in der Revision der Beklagten aufgeworfene Frage, ob im Hinblick auf Art 14 der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechte-Richtlinie), deren Umsetzung durch § 16 FAGG in das innerstaatliche Recht erfolgt sei, der Einwand eines rechtsmissbräuchlichen Rücktritts nach dem FAGG überhaupt erhoben werden könne, muss im vorliegenden Fall nicht abschließend geklärt werden:

[28] Selbst wenn man unter Heranziehung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Europäischen Union bei krassem Missverhältnis zwischen den vom Verbraucher verfolgten Interessen und den beeinträchtigten Interessen des Unternehmers den Einwand des Rechtsmissbrauchs in Betracht zieht (in diesem SinneWendehorst, Ist das neue Verbraucherrecht noch zu retten? Zur möglichen Grundrechtswidrigkeit der Verbraucherrechterichtlinie, GPR 2015, 58 unddarauf verweisend Berka, Verbraucherschutz ohne Grenzen? Zur Grundrechtskonformität der Rechtsfolgen eines Rücktritts nach dem FAGG, wbl 2015, 181 [191]), läge dieser im konkreten Fall nicht vor. Wie Wendehorst (aaO) ausführt, habe der EuGH in der Rechtssache C‑367/96 , Kefalas den Einwand des Rechtsmissbrauchs zwar auch im harmonisierten Bereich einer Richtlinie für allgemein zulässig gehalten; er dürfe aber nicht dazu führen, dass die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werde. Nach dem Unionsrecht könne dann von individuellem Rechtsmissbrauch, der eine Ausübung unionsrechtlich garantierter Rechtspositionen ausschließen könne, ausgegangen werden, wenn der Betreffende mit seiner Rechtsausübung widerrechtliche Vorteile zum Nachteil eines anderen zu erlangen suche, die mit dem Zweck des ausgeübten Rechts offensichtlich unvereinbar seien. Zu bejahen sei nach Ansicht von Wendehorst auch das weitere Erfordernis eines subjektiven Elements, das der EuGH in Urteilen wie C‑110/99 , Emsland-Stärke GmbH,oder C‑255/02 , Halifax, herausgearbeitet habe: Danach setze Rechtsmissbrauch die Absicht voraus, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil zu verschaffen, indem die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Das subjektive Element setze aber keine Gewissenserforschung voraus; vielmehr müsse nur aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass im Wesentlichen der betreffende Vorteil bezweckt werde.

[29] 3.2. Ob diese unionsrechtlichen Grundsätze über den Rechtsmissbrauch unmittelbare Wirkung unter Privaten entfalten oder ob das nationale Gericht sein nationales Rechtsmissbrauchsverbot anzuwenden hat, muss ebenfalls nicht näher untersucht werden, weil der Rücktritt der Beklagten unter Anwendung beider (im Übrigen vergleichbarer) Prüfungsmaßstäbe nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann.

[30] 3.3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist Rechtsmissbrauch nicht nur dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RS0026265 [T33]; RS0025230 [T7]; RS0026271 [T20, T23, T24]). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0025230 [T8]; RS0026271 [T26]).

[31] 3.4. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen lässt der festgestellte Sachverhalt weder die Beurteilung zu, dass die Beklagten ihre (formlose) Rücktrittserklärung vom 19. 3. 2019 (vgl § 13 Abs 1 FAGG; Schwarzenegger in Schwimann/Kodek 5 § 13 FAGG Rz 1) und jene durch ihren Rechtsvertreter am 14. 1. 2020 abgegebene aus Schädigungsabsicht oder aus überwiegenden unlauteren Motiven abgegeben haben, noch dass sie damit widerrechtliche Vorteile zum Nachteil der Klägerin zu erlangen suchten, die mit dem Zweck ihres ausgeübten Rücktrittsrechts offensichtlich unvereinbar sind. Es ist zwar richtig, dass die Beklagten ihr Interesse an der Wohnung nie verloren hatten und letztlich die Wohnung ohne Beteiligung der Klägerin besichtigten und kauften. Daraus alleine kann aber noch nicht der unzweifelhafte Schluss gezogen werden, dass die Beklagten durch ihre gesamten Handlungen lediglich und von vornherein das Ziel verfolgten, die Wohnung zu erwerben, ohne die Maklerprovision bezahlen zu müssen. Schließlich konnte die Klägerin nicht sämtliche von den Beklagten gewünschten Informationen erteilen und auch nicht alle verlangten Unterlagen vollständig vorlegen, sodass die Beklagten bereits am 19. 3. 2019 die Zusammenarbeit mit der Klägerin hinsichtlich dieser Wohnung beendeten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin zu dieser Zeit auf andere Kaufinteressenten konzentrierte, die Kommunikation mit den Beklagten nur schleppend war, es zu Verzögerungen kam und die Beklagten unter Zeitdruck standen, eine Wohnung zu finden. Dass die Beklagten mit ihrem (ersten) Vertragsrücktritt vom 19. 3. 2019 aus Schädigungsabsicht bezweckten, einen Provisionsanspruch der Klägerin abzuwenden, kann daher nicht gesagt werden. Daraus geht vielmehr (objektiv) hervor, dass sie eine rasche Abwicklung des Wohnungskaufs wünschten, was die Klägerin aber nicht bewerkstelligen konnte.

[32] 3.5. Die Klägerin kann ihren Leistungsanspruch auch nicht mit Erfolg auf die (im erstinstanzlichen Verfahren) geltend gemachten Anspruchsgrundlagen Schadenersatz und Bereicherung stützen: Die Beklagten haben durch ihren wirksamen, dem FAGG entsprechenden Rücktritt nicht rechtswidrig gehandelt. Einem Bereicherungsanspruch fehlt jegliche Grundlage im Sachverhalt. Dass sich die Beklagten die Kenntnisse der Klägerin von vornherein in der Absicht zunutze gemacht haben, dafür aufgrund eines wirksamen Rücktritts vom Maklervertrag keine Provision zu zahlen (vgl Kepplinger, Der Maklervertrag mit dem Interessenten und das FAGG, immolex 2018, 134 [135]), steht nicht fest.

[33] Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird.

[34] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Entgegen den Einwendungen der Klägerin gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten gebührt den Beklagten für die Teilnahme ihres auswärtigen Rechtsanwalts an der Verhandlung vom 10. 6. 2022 der doppelte Einheitssatz (vgl RS0036203). Der Beklagtenvertreter hat in der Tagsatzung vom 10. 6. 2022 das Bestehen eines seit mehreren Jahren bestehenden Vertrauensverhältnisses zu den Beklagten behauptet und durch seine Erklärung auch bescheinigt. Ein Kostenersatz für die (im Übrigen erfolglosen) Einwendungen findet nicht statt (§ 54 Abs 1a letzter Satz ZPO). Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens wurden wie in den Rechtsmittelschriften der Beklagten verzeichnet zugesprochen.

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