European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBS00002.22K.0422.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Mit Beschluss vom 17. 2. 2020 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete durch Austritt des Klägers am 28. 2. 2020. Am 7. 10. 2020 erfuhr der Klagevertreter, dass noch keine Anmeldung von Forderungen bei der Beklagten erfolgt sei. Mit Schreiben vom 9. 10. 2020, das am 13. 10. 2020 bei der Beklagten einging, beantragte der Kläger die Auszahlung von Insolvenzentgelt in Höhe von 62.805,41 EUR und zugleich Nachsicht für die Fristversäumnis.
Rechtliche Beurteilung
[2] 1. Nach § 6 Abs 1 IESG ist der Antrag auf Insolvenzentgelt bei sonstigem Ausschluss jeweils binnen sechs Monaten ab Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 1 Abs 1 IESG oder eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach Art 3 Abs 3 der EU-Insolvenzverordnung im Inland oder binnen sechs Monaten ab Kenntnis von einem Beschluss nach § 1 Abs 1 Z 2 bis 6 IESG zu stellen. Diese Frist beginnt (unter anderem) neuerlich zu laufen, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem im ersten Satz maßgeblichen Zeitpunkt endet, mit dessen Ende.
[3] 2. Ist der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt worden, so sind die Rechtsfolgen der Fristversäumung bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Gründen nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn dem Arbeitnehmer billigerweise die Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 1 Abs 1 IESG nicht zugemutet werden konnte oder ihm die betragsmäßige Angabe seiner Ansprüche nicht rechtzeitig möglich war.
[4] Diese Bestimmung verfolgt das Ziel, Härtefälle, die sich vor der Novellierung durch eine restriktive Handhabung des § 71 AVG (Wiedereinsetzung) durch den Verwaltungsgerichtshof ergaben, zu vermeiden (Gutschlhofer in Reissner, Arbeitsverhältnis und Insolvenz5, 355). Wenn § 6 Abs 1 IESG in der geltenden Fassung auch über die Bestimmungen des AVG über die Wiedereinsetzung gegen Fristversäumungen hinausgeht, wird doch durch den Begriff „berücksichtigungswürdige Gründe“ wie auch durch die demonstrative Nennung solcher Gründe zum Ausdruck gebracht, dass nicht jedes Versäumnis die Nachsicht rechtfertigt und im Einzelfall, wenn auch nicht unter Anwendung besonders strenger Kriterien, zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Nachsicht der Fristversäumung vorliegen (RIS‑Justiz RS0077504). Die Nachsicht der Rechtsfolgen ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Fristversäumung vom Arbeitnehmer durch auffallende Sorglosigkeit verschuldet wurde.
[5] Derselbe Maßstab muss auch für die Fristversäumung durch einen Bevollmächtigten des Arbeitnehmers gelten, will man eine weder sachlich gerechtfertigte noch vom Gesetzgeber gewollte Schlechterstellung der unvertretenen Dienstnehmer vermeiden (8 ObS 19/94; vgl auch RS0077486).
[6] Die Frage, ob ein berücksichtigungswürdiger Grund konkret vorliegt, betrifft den Einzelfall und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (8 ObS 125/02v). Eine grobe Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht, das von einer auffallenden Sorglosigkeit des Klägers und seines Vertreters ausgegangen ist, zeigt die Revision nicht auf.
[7] 3. Der Kläger macht in der Revision im Wesentlichen geltend, dass die Antragsfrist am 7. 10. 2020 entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bereits abgelaufen gewesen sei, weil die Antragsfrist nicht ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu rechnen sei. Die Sechsmonatsfrist beginne nur dann neuerlich zu laufen, wenn das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Sechsmonatsfrist gerechnet ab Insolvenzeröffnung ende.
[8] Dabei übersieht der Kläger wie der von ihm zitierte Kommentar, dass mit der Novelle BGBl I Nr 102/2005 diese Rechtslage geändert wurde.
[9] In der Regierungsvorlage zu dieser Novelle (946 Blg XXII GP 8) wurde ausgeführt: „In Entsprechung einer Anregung der Bundesarbeitskammer soll klargestellt werden, dass dann, wenn ein Arbeitsverhältnis zB nach der Konkurseröffnung rechtlich endet, die sechsmonatige Antragsfrist neuerlich zu laufen beginnt. Nach geltender Rechtslage begann der neuerliche Fristenlauf nur dann, wenn das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses erst nach Ablauf von sechs Monaten nach dieser Konkurseröffnung eingetreten ist; dies hatte zur Folge, dass in Fällen, wo das Arbeitsverhältnis wenige Tage vor Ablauf der 'normalen' Antragsfrist geendet hat, ein Ansuchen um Nachsicht von den Rechtsfolgen der verspäteten Beantragung (= Verlust des Anspruchs auf IAG) zu stellen war; diesem war aber praktisch immer im Hinblick auf die ständige Judikatur des OGH stattzugeben. Dadurch wird auch erreicht, dass für alle Ansprüche auf IAG (zB laufendes Entgelt; Sonderzahlungen, Abfertigung) möglichst mit einem Antrag das Auslangen gefunden wird, was auch eine geringere Administration bei den Geschäftsstellen der IAFService GmbH nach sich zieht.“
[10] Wenn daher das Gesetz nunmehr in § 6 Abs 1 Z 1 IESG auf das Ende des Arbeitsverhältnisses „nach dem im ersten Satz maßgeblichen Zeitpunkt“ Bezug nimmt, ist damit nach der geltenden Rechtslage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nicht mehr der Ablauf der Sechsmonatsfrist gerechnet ab Insolvenzeröffnung gemeint (vgl auch Liebeg, IESG3 § 6 Rz 8).
[11] Richtigerweise ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Frist für die Antragstellung bei der Beklagten mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses begann und, verlängert durch § 2 Covid-19-VwBG, erst am 7. 10. 2020 endete. Damit wäre dem Vertreter des Klägers an diesem Tag noch eine fristwahrende Antragstellung möglich gewesen.
[12] 4. Soweit in der Revision geltend gemacht wird, dass selbst in diesem Fall noch eine Kontaktaufnahme mit dem Kläger zur Abklärung nötig gewesen wäre und die Forderung im Antrag auch konkret aufgeschlüsselt werden müsse, so hat der Kläger im bisherigen Verfahren nicht vorgebracht, dass das nicht möglich gewesen wäre. Die Aufschlüsselung der Forderung entspricht im Übrigen der Anmeldung im Insolvenzverfahren, die bereits im Mai 2020 erfolgt war.
[13] 5. Der vorliegende Fall ist auch nicht mit den in der Revision zitierten vergleichbar, in denen rechtunkundige Arbeitnehmer aufgrund unrichtiger Belehrungen davon ausgingen, mit der Anmeldung im Insolvenzverfahren auch die Anmeldung bei der Beklagten vorgenommen zu haben. Sowohl dem Kläger als auch seinem Vertreter war die Notwendigkeit einer eigenen Antragstellung bekannt, sie gingen nur davon aus, dass diese schon durch den jeweils anderen erfolgt, ohne dass darüber je gesprochen worden wäre.
[14] 6. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass daher von einer groben Sorgfaltswidrigkeit auszugehen ist, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessenspielraums. Dass die Frist dabei nur geringfügig überschritten wurde, reicht für sich allein nicht aus, die Verspätung zu rechtfertigen.
[15] 7. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
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