Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 1984 in dem seinen Schwager gehörigen Betrieb als technischer Angestellter tätig, übernahm nach dem Tod seines Schwagers Ende 1989 neben den technischen Aufgaben, die er bis dorthin innehatte, auch die bisher von seinem Schwager geführten kaufmännischen Angelegenheiten und war seither voll über die finanzielle Situation des Unternehmens informiert. Seine Schwester, die nunmehrige Eigentümerin des Betriebes, mit der er im gemeinsamen Haushalt lebt, führte lediglich größere Ein- und Verkäufe durch und behielt sich gewisse Kontrollfunktionen vor, die sie von zuhause ausübte. Seit 1992 kam es zu einem ständigen Umsatzrückgang, der insbesondere aus einer nicht eingehaltenen Abnahmeverpflichtung eines ausländischen Kunden resultierte. In Erwartung größerer Aufträge, die sich allerdings Ende 1994/Anfang 1995 endgültig zerschlugen, wurde auf Vorrat produziert, wodurch sich die Situation weiter verschlechterte. Seit Jahresbeginn 1994 wurden laufend Exekutionen gegen das Unternehmen, und zwar auch wegen kleinerer Beträge geführt.
Ab Juni 1992 erhielt der Kläger sein Gehalt stets mit monatelangen Verspätungen ausbezahlt; ab Anfang 1994 betrug der Rückstand mehr als sechs Monate und stieg auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr an. Die letzte Zahlung erhielt der Kläger Anfang 1996; sie betraf sein Entgelt für Februar 1994. Ab März 1994 zahlte der Kläger wegen der schlechten finanziellen Situation des Betriebes regelmäßig, insbesondere wenn fällige Rechnungen von seiner Schwester nicht beglichen werden konnten, eigene Mittel in die Firmenkasse ein, sodaß bis Juli 1995 auf diese Weise ein Betrag von S 228.000,-- anwuchs. Dazu wurde vereinbart, daß dem Kläger dieses Geld in wirtschaftlich guten Zeiten zurückbezahlt werden sollte. Gleiches wurde bezüglich der rückständigen Gehälter vereinbart, deren Zahlung der Kläger zwar immer wieder urgierte, aber nichts unternahm.
Am 4. 8. 1995 wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Unternehmen beantragt; dieser Antrag wurde allerdings mit Beschluß vom 19. 10. 1995 mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen. Trotzdem verblieb der Kläger im Unternehmen und wurde erst am 17. 1. 1996 zum 30. 6. 1996 unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gekündigt.
Der Kläger begehrt insgesamt S 881.632,-- sA Gehalt und anteilige Sonderzahlungen für die Zeit vom 1. 3. 1994 bis 30. 6. 1996, Urlaubsentschädigung für das Urlaubsjahr 1996/97 und Abfertigung in Höhe von vier Monatsgehältern.
Das Erstgericht sprach dem Kläger unbekämpft S 246.308,-- netto zu, die ihm als Abfertigung (vier Monatsgehälter) und Gehalts- und Sonderzahlungen bis Ende Juni 1994 aus dem Titel der Kündigungsentschädigung gebührten; das Mehrbegehren von S 635.324,-- sA wies es ab, weil nach seiner Ansicht im Aufrechterhalten des Dienstverhältnisses über das erste Quartal 1994 hinaus eine sittenwidrige Überwälzung des Zahlungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erblicken sei. Der Kläger hätte zu diesem Zeitpunkt das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund vorzeitig auflösen müssen.
Das Berufungsgericht gab der gegen den abweisenden Teil des Klagebegehrens erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge, ließ aber die Revision zu, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob die Fortsetzung eines Dienstverhältnisses über einen längeren Zeitraum hinweg, obwohl dem Dienstnehmer die äußerst schlechte finanzielle Lage des Dienstgebers bekannt ist, eine sittenwidrige Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds darstellen könne.
Gegen die Bestätigung des abweisenden Teiles des Ersturteiles richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß ihm auch der restliche Klagsbetrag zugesprochen werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zwar aus den unten angeführten Gründen als noch gerade zulässig anzusehen, aber sachlich nicht berechtigt.
Daß einschlägige oberstgerichtliche Judikatur fehle, ist zwar nicht ganz zutreffend, weil der Oberste Gerichtshof in zwei Entscheidungen vom 16. 11. 1995, 8 Ob 1020/95, ZIK 1996, 172, und 8 Ob 1023/95, davon ausging, daß das Überziehen des Gehaltskontos bzw das Stehenlassen der Gehaltsforderungen über längere Zeit im Zusammenhang mit der Unterlassung des vorzeitigen Austritts trotz Nichtzahlung des Lohns rechtsmißbräuchlich sein könne. Er verneinte aber in diesen Entscheidungen die Sittenwidrigkeit deshalb, weil die Vorinstanzen festgestellt hatten, daß die Arbeitnehmer darauf vertraut hatten, daß der Lohn doch noch nachbezahlt werden würden.
Eine solche Feststellung fehlt im vorliegenden Fall. Soweit der Revisionswerber in seiner Revision von einem solchen Vertrauen ausgeht, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, sodaß die Revision insoweit nicht ordnungsgemäß ausgeführt ist.
Allerdings wurde auch nichts Gegenteiliges, nämlich daß der Kläger nicht darauf vertraut habe, daß ihm der Lohn doch noch nachgezahlt werde, festgestellt. Soweit der Revisionswerber in seiner Revision unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt, daß das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von derartigen Feststellungen ausgegangen sei, entfernt er sich auch insofern vom festgestellten Sachverhalt.
Fest steht nur, daß der Kläger - anders als im Regelfall, indem davon auszugehen ist, daß ein Arbeitnehmer keinen hinreichenden Einblick in die Vermögenslage seines Arbeitgebers hat (VwGH 26. 6. 1985, RdW 1986, 120; 8 ObS 42/95) - als faktisch die laufenden Geschäfte führender und mit der Vorbereitung der Steuererklärungen befaßter Bruder der Firmeneigentümerin, mit der er in einem außergewöhnlich engen privaten Verhältnis - nämlich im gemeinsamen Haushalt - lebt, volle Kenntnis von der mißlichen finanziellen Lage des Unternehmens hatte.
Zweck des IESG ist in seinem Kernbereich das Hintanhalten der von den Arbeitnehmern typischerweise nicht abwendbaren und absicherbaren Gefahren des gänzlichen oder teilweisen Verlustes der Entgeltansprüche, auf die diese zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angewiesen sind (SZ 64/54; 66/124; 67/14 und 142 uva).
Ein "Fremdvergleich" zeigt, daß normalerweise ein Arbeitnehmer unter den gegebenen Prämissen das Arbeitsverhältnis nicht aufrechterhalten, sondern vorzeitig ausgetreten wäre, sodaß sich das finanzielle Risiko des Verlustes seiner Entgeltansprüche in Grenzen gehalten hätte. Dies tat auch der einzige zuletzt noch verbliebene Arbeitskollege des Klägers; er trat am 31. 10. 1994 wegen Nichtzahlung des Lohns vorzeitig aus.
Bleibt der Arbeitnehmer trotz Nichtzahlung des Lohns im Unternehmen tätig und versucht er die Beträge auch gar nicht ernstlich einbringlich zu machen, so indiziert dies in der Regel - wenn nicht wie in den oben zitierten Fällen festgestellt wurde, daß die Arbeitnehmer dies taten, weil sie auf die Nachzahlung voll vertrauten -, daß er beabsichtigte, in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen; derartige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten eines Dritten, nämlich des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hinauslaufen mit der Absicht, mit der Gegenleistung nicht den Arbeitgeber, sondern den Fonds zu belasten, sind nichtig (WBl 1995, 75; ZIK 1996, 172). Gleiches gilt auch dann, wenn die Absicht des Arbeitnehmers nicht vordergründig darauf gerichtet war, den Fonds sittenwidrig zu schmälern, sondern dies nur mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen wurde (ZIK 1996, 172 und 8 Ob 1023/95).
Blieb der Arbeitnehmer trotz Nichtzahlung des Lohns in voller Kenntnis der prekären finanziellen Lage im Unternehmen, etwa weil er sich - wie offenbar der Kläger - aus familiären Gründen dazu veranlaßt sah, steht im, selbst wenn er zum damaligen Zeitpunkt die eventuelle Inanspruchnahme des Fonds nicht ins Auge faßte und ihm daher auch kein bedingter Vorsatz vorgeworfen werden könnte, dennoch kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zu: Dem Kläger stand es selbstverständlich frei, im Unternehmen tätig zu bleiben, auch wenn er jahrelang keinen Lohn erhielt. Er kann aber über den Zeitpunkt hinaus, indem ein "unbeteiligter" Arbeitnehmer nicht im Unternehmen verblieben, sondern seinen vorzeitigen Austritt erklärt hätte, im Fall der nachfolgenden Insolvenz des Unternehmens keine Ansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend machen. Er mußte nämlich wissen, daß rückständige Lohnansprüche grundsätzlich vom Fonds - in gewissem Umfang - abgegolten werden; macht er sie, auch wenn er früher dies nicht bedacht und die Schädigung des Fonds daher damals nicht in Kauf genommen hatte, nunmehr geltend, liegt auch darin ein sittenwidriger Versuch der Schädigung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, der zur Verneinung weiterer Ansprüche des Klägers führen muß.
Aus der zwischenzeitig erfolgten zeitlichen Limitierung des Anspruchs auf Insolvenz-Ausfallgeld für laufendes Entgelt für Zeiten vor der Konkurseröffnung ist nur zu schließen, daß nunmehr das Zuwarten mehr als sechs Monate (§ 3a IESG idF IESG-Nov 1997, BGBl I 107) keinesfalls zu tolerieren ist und ein längeres Zuwarten jedenfalls als mißbräuchlich zu gelten hat, weshalb für einen darüberhinausgehenden Zeitraum kein Insolvenz-Ausfallgeld gebührt. Daraus folgt aber - entgegen der Meinung des Revisionswerbers - nicht, daß das Geltendmachen von Insolvenz-Ausfallgeld für einen Lohnrückstand von sechs Monaten für die Zeit vor Konkurseröffnung (oder einem nach § 1 Abs 1 IESG gleichgestellten Schverhalt) nie sittenwidrig sein könnte. Vor und nach der IESG-Nov 1997 kann bei Hinzutreten besonderer Umstände - zB genaue Kenntnis der finanziellen Verhältnisse des Unternehmens, Nahebeziehung zum Unternehmer, verbunden mit der Absicht, dadurch die Weiterführung des Unternehmens zu ermöglichen - das Zuwarten mit der Beendigung des Dienstverhältnisses und nachfolgende Geltendmachung von Insolvenz-Ausfallgeld gegenüber den Fonds sittenwidrig sein (in diesem Sinn Liebeg, WBl 1997, 401 [403]). Derartige Umstände liegen hier zweifelsfrei vor, sodaß der Kläger auch nicht für sechs Monate rückständigen Lohn gegen den Fonds erfolgreich geltend machen kann. Unter diesen Umständen erübrigt es sich, sich mit dem von der beklagten Partei erhobenen Einwand, der Kläger sei ab 1993/94 gar nicht mehr als "echter" Arbeitnehmer anzusehen, einzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG. Zu einen Kostenzuspruch nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) sieht sich der erkennende Senat nicht veranlaßt; der Kläger hätte aus den zitierten Entscheidungen die Entscheidungstendenz des Höchstgerichtes hinreichend deutlich entnehmen können.
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